Offener Brief an Bischof Algermissen

Lesezeit: ~ 4 Min.

Sehr geehrter Herr Algermissen,

zum Artikel Silvesterpredigt von Bischof Algermissen: Die Zuversicht des christlichen Glaubens trägt in der Not , verfasst von „bpf“ und „sps“ und veröffentlicht am 1.1.2016 von der Fuldaer Zeitung über den Inhalt Ihrer Silvesterpredigt merke ich Folgendes an:

Schon Ihr erster Satz ist an Arroganz und Ignoranz kaum zu überbieten. Sie maßen sich an, die Gesellschaft in guter religiös-dualistischer Manier einzuteilen in die guten, gottgefälligen und deshalb verantwortungsbewussten Menschen und in den Rest, eine „geistig-geistlich entkernte Gesellschaft“ mit starker Tendenz zur Gewissenlosigkeit und Aggression.

Sie halten ausgerechnet Ihren Gott, der genauso wie die anderen etwa 3000 Götter, die sich die Menschheit schon ausgedacht hatte, noch niemals in irgendeiner Form seriös nachweisbar in Erscheinung getreten ist und der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht existiert für sinnstiftend? Und dieser Sinn soll so bedeutsam sein, dass er nicht nur eine Möglichkeit, sondern gar der einzige Weg zu sinnhaftem Leben sein soll?

Wir reden von dem Gott, in dessen Namen schon Millionen von Menschen bis in die jüngste Zeit vertrieben, gedemütigt, verleumdet, gefoltert und ermordet wurden? Der in Ihrer „Heiligen Schrift“ als rach- und eifersüchtiges, Menschen verachtendes, gewalttätiges, allmächtiges Monster beschrieben wird? Dessen einzige Entschuldigung sein kann, dass er nicht existiert? Ausgerechnet diesen Gott halten Sie nicht nur für bedeutsam, sondern für unerlässlich? Und Menschen, die nicht an einen (oder nur Ihren?) Gott glauben, als „geistig-geistlich entkernt“? Bei allem Respekt: Was bilden Sie sich eigentlich ein, was glauben Sie, wer Sie sind?

Dass es neben Ihrer übriggebliebenen und immer kleiner werdenden Herde nicht nur apathische, sondern zum Glück auch immer mehr eben sehr wohl verantwortungs- und selbstbewusste Menschen gibt, die sich das Rückgrat nicht länger von längst überholten religiösen Dogmen brechen lassen, scheint noch nicht zu Ihnen durchgedrungen zu sein.

Ihre „Frohe Botschaft“ ist erwartungsgemäß mehr als lächerlich: Jedes Kind weiß heute, dass Licht nicht göttlichen Ursprungs, sondern der sichtbare Teil der elektromagnetischen Strahlung ist. Wenn mitten in der Kälte eine Rose aufblüht, dann hat das ebenfalls nichts mit göttlichem Wirken zu tun, sondern vielleicht mit der Klimaerwärmung oder mit einer Mutation, die diese Rose besonders widerstandsfähig gegen Kälte gemacht hat. Wenn Sie aus diesen lahmen Bildern tatsächlich eine „tragende Zuversicht“ ableiten, dann zeigt das deutlich, wie nichtig Ihr Heilsversprechen in Wirklichkeit ist. Wenn Sie sich solchen Illusionen nur privat hingeben würden, wäre nichts dagegen zu sagen. Wenn Sie allerdings anderen Menschen gegenüber behaupten, sie könnten sich auch nur irgendetwas Reales von Ihrem erdachten Gott erhoffen, dann ist das heuchlerisch und betrügerisch.

Zum Glück und verständlicherweise fällt es Menschen immer schwerer, archaischen Märchen und Mythen heute noch Glauben zu schenken. Diese Geschichten haben weder etwas mit der historisch belegbaren Geschichte und noch viel weniger mit der Realität des 21. Jahrunderts zu tun. Wie Sie ja auch zu bedenken geben, ist es tatsächlich lächerlich unwahrscheinlich, dass sich irgendein von Menschen erdachter Gott um das Wohl einer bestimmten Trockennasenaffenart auf einem unbedeutenden Planeten in einer unbedeutenden Galaxie in einem ebenso unbedeutenden Universum irgendwelche Gedanken macht oder gar in irgendeiner Form Einfluss darauf nehmen würde. Die Erweiterung der Wirklichkeit um eine solche fiktive Größe ist heute – der menschlichen Erkenntnis sei Dank – nicht mehr nötig.

Dass Jesus, so er denn gelebt hat, Gottes Sohn war, ist eine von Menschen festgelegte Definition. Gemäß seines jüdischen Glaubens sah sich Jesus nicht in dieser Rolle, er kündigte lediglich Gott für die nahe Zukunft an (wie wir alle wissen, ist dieser auch nach 2000 Jahren noch nicht aufgetaucht). Erst nachdem sich Gott einfach nicht zeigen wollte, wurde er vom Verkünder zum Verkündeten gemacht. Wenn Jesus wüsste, dass er heute als Teil eines dreiteiligen Gottes angebetet wird, würde er sich im Grabe umdrehen. So wurde Jesus zur wohl am meisten überschätzten Person der Menscheitsgeschichte überhaupt. Selbst wenn es die historische Person gegeben hat, so hat deren Existenz höchstens noch so eine Bedeutung für unser heutiges Leben wie Zeus, Apollon, Thor oder die Göttin Isis.

In einem „anderen Licht“ sieht sich jemand, der sein Weltbild nicht mehr auf vormittelalterliche Märchen, sondern auf die wissenschaftlich belegte Wahrheit aufbaut. Eine Wahrheit, die um Lichtjahre faszinierender und erstaunlicher ist als jeder brennende Dornbusch. Jedes Weltbild, das die Existenz eines bis zum Beweis des Gegenteils rein fiktiven Gottes voraussetzt, muss früher oder später in sich zusammenfallen, was wir ja gerade erleben und was die Kirchenaustrittsstatistik eindrucksvoll belegt.

Ausgerechnet beim Thema assistierte Selbsttötung  hat sich die christliche Kirche wahrlich nicht mit Ruhm bekleckert, im Gegenteil. Einmal mehr wurden nicht die persönlichen Interessen der Individuen, sondern die verquere, weltfremde Kirchenmoral als Grundlage hergenommen.

Da es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keinen Gott gibt, ist ein Bekenntnis, die Kirche komme „wesentlich von Gott her“, eine Farce. Genauso sicher kann ich behaupten, die Kirche komme wesentlich vom Fliegenden Spaghettimonster her, oder vom Gestiefelten Kater (in deren Namen und Auftrag, anders als bei Ihrem Gott, noch niemand je getötet wurde!). „Heiligkeit“ ist deshalb ebenfalls eine beliebige, von Menschen getroffene Definition, wobei hier vermutlich der Wunsch der Vater des Gedankens ist.

Die christliche Kirche ist wie alle Religionen sicher nicht die „Hoffnung für die Welt“, sondern sie sorgt, ganz im Gegenteil, wie praktisch alle anderen Religionen auch mit falschen Heilsversprechen und Dualismen für Spaltung, Zwietracht, Klassendenken, Täuschung, Unterdrückung, Unfreiheit und damit Leid. Somit ist die Kirche in Wirklichkeit keine Hoffnung, sondern eine der stärksten Behinderer für die Weiterentwicklung der Menschheit hin zu einem weltweiten, friedlichen Miteinander.

Den segensreichen und heilsamen Leistungen von Gläubigen steht so viel von Religionen zu verantwortendes Leid gegenüber, dass man zwar das Engagement der sich ethisch verhaltenden Menschen, aber keinesfalls die Institution Kirche für irgendetwas loben kann. In Wirklichkeit erwartet heute kaum noch jemand etwas von der Kirche, weil sich langsam herumgesprochen hat, dass deren Heilsversprechen genauso wie ihre Drohungen reine Fiktion sind.

Und so verwundert es kaum, dass Menschen heute, wie von Ihnen abschließend geschildert, nicht mehr bereit sind, sich der Lächerlichkeit eines Gebetes zu einem beliebigen, aber auf jeden Fall von Menschen erdachten Gottes öffentlich preiszugeben.

Herr Algermissen, Sie wiegen mit Ihren Aussagen die Menschen, die noch an Sie und Ihren Gott glauben in der trügerischen Sicherheit, sie seien in irgendeiner Form etwas Besonderes gegenüber Nicht- oder Andersgläubigen und sie könnten irgendetwas von Ihrem Gott erwarten. Damit täuschen Sie nicht nur sich, sondern fatalerweise auch andere Menschen, was nicht nur heuchlerisch, sondern sogar Ihrer Moral entsprechend verwerflich ist. Die Zuversicht des christlichen Glaubens trägt in der Not in Wirklichkeit genausowenig wie die Zuversicht eines beliebigen anderen religiösen Glaubens, auch wenn Sie sich und anderen das suggerieren.

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