Das Wort zum Wort zum Sonntag: Alles hat seine Zeit

Lesezeit: ~ 2 Min.

Das Wort zum Wort zum Sonntag: Alles hat seine Zeit, gesprochen von Gereon Alter (kath.), veröffentlicht am 5.3.2016 von ARD / daserste.de

[…] [Pfarrer:] Nun, das Kind war getauft und eine zweite Taufe ist zumindest in der katholischen Kirche nicht üblich. [Fotograf:] „Aber Sie können doch noch mal so tun, als ob!“*

By Melchior2006 (Own work) [Public domain], via Wikimedia CommonsZur Entschuldigung des Fotografen ist anzumerken, dass ihm wahrscheinlich einfach nicht bewusst war, welche Bedeutung dieser Vorgang, den Sie an dem kleinen Menschen ohne dessen Einverständnis oder Zustimmung durch die Taufe vorgenommen hatten, in Ihrer, um fiktive, überidische Wesen erweiterten Wirklichkeit hat.

Für Sie mag es selbstverständlich sein, dass zum Beispiel Ihr  vierfacher Taufexorzismus zur Übernahme der kindlichen Seele aus dem Reich des Teufels in das Reich Ihres Gottes schon beim ersten Mal gewirkt hat und deshalb natürlich nicht nochmal durchgeführt werden muss.

Auch die Verknechtung des Kindes und seine Entmenschlichung („damit er nicht mehr das Kind des Fleisches sei, sondern ein Kind des Reiches“) hatte ja bestimmt schon beim ersten Versuch geklappt, wie auch alle anderen Elemente des Taufritus.

Im Grunde ist das eine alte Weisheit. Schon in der Bibel wird sie beschrieben: „Für jedes Geschehen unter dem Himmel gibt es eine bestimmte Zeit. Eine Zeit zum Gebären und eine Zeit zum Sterben (…) eine Zeit zum Weinen und eine Zeit zum Lachen (…) eine Zeit zum Schweigen und eine Zeit zum Reden“ (vgl. Koh 3,1-8).

Wie praktisch immer, wenn irgendwo irgendetwas mit Bibelsprüchen untermauert wird, handelt es sich auch diesmal wieder um eine hochselektive Rosinenpickerei. Denn außer den ausgewählten Plattitüden enthält derselbe Abschnitt des Buches Kohelet zum Beispiel auch noch diese „Weisheiten:“

  • Alles hat seine Stunde. Für jedes Geschehen unter dem Himmel gibt es eine bestimmte Zeit:
    […] eine Zeit zum Töten, / eine Zeit zum Heilen,
    […] eine Zeit zum Steinewerfen / und eine Zeit zum Steinesammeln,
    […] eine Zeit zum Lieben / und eine Zeit zum Hassen,
    / eine Zeit für den Krieg / und eine Zeit für den Frieden.
    (vgl. Koh 3:1-8, Einheitsübersetzung)

Hier werden also Töten, Steinewerfen, Hass und Krieg als genauso notwendig und unabdingbar genannt wie zum Beispiel Gebären und Sterben, Weinen und Lachen oder Schweigen und Reden.

Es ist sicher kein Zufall, dass Herr Alter gerade nicht die inhumanen, gewalttätigen, sondern genau die wenigen, banalen Zeilen herausgepickt hat, die unserer heutigen Ethik nicht widersprechen.

Die gewählten Allgemeinplätze dürften überhaupt nur deshalb in den Bibeltext aufgenommen worden sein, um Krieg, Hass und Gewalt als genauso plausibel darzustellen wie das, was sich tatsächlich notwendiger- und natürlicherweise bedingt (zum Beispiel Geburt und Tod), um damit unethisches Verhalten zu „rechtfertigen.“

Und so wird aus einem Bibeltext, der eigentlich Krieg, Hass und Gewalt rechtfertigen soll, durch selektives Rosinenpicken ein Beispiel für angebliche biblische Weisheit („Schon in der Bibel…“).

Wenn Christen etwas über die Bedeutung des Augenblicks und über das Leben im Hier und Jetzt schreiben, dann stellt sich mir immer die Frage, warum sich Christen um diesen verschwindend kurzen Nanosekundenbruchteil ihrer menschlichen Existenz überhaupt irgendwelche Gedanken machen, wo sie ja doch nicht wissen können, ob sie ihr anschließendes ewiges (!) Leben in himmlischem Frieden oder in ewiger (!) physischer und psychischer Höllenqual verbringen werden – ein wirklich verbindlicher, göttlicher Wertekatalog für die Beurteilung am jüngsten Gericht ist jedenfalls nicht bekannt…

*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Originalartikels.

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