Gedanken zu: Buß- und Bettag 2017 – „Gefährliche Worte“: Schülergottesdienst in der vollbesetzten Christuskirche

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Gedanken zu: Buß- und Bettag 2017 – „Gefährliche Worte“: Schülergottesdienst in der vollbesetzten Christuskirche, Originalbeitrag verfasst von (mr), veröffentlicht am 22.11.17 von Osthessennews

„Was können Worte eigentlich ausrichten?“ Das fragte Pfarrer Fried-Wilhelm Kohl am Mittwochmorgen zahlreiche Schülerinnen und Schüler in der vollbesetzten Christuskirche. Anlässlich des Buß- und Bettages nahmen gleich mehrere Schulen im Stadtgebiet das Angebot eines Schülergottesdienstes wahr.*

Dass offenbar ganze Schulen am Schülergottesdienst teilnehmen, lässt befürchten, dass diese kirchliche Veranstaltung als schulische Veranstaltung dargestellt worden war.

Sicher dürfte aber zumindest der Gruppendruck dazu geführt haben, dass hier auch Kinder und Jugendliche teilgenommen haben, die aus eigenen Stücken am Mittwoch keine Kirche aufgesucht hätten.

Teilnahme am Schülergottesdienst nicht verpflichtend

Wie ich aus Gesprächen weiß, ist Schülern (und auch Eltern) nicht immer klar, dass Schüler nicht zur Teilnahme an religiösen Zeremonien wie einem Schülergottesdienst verpflichtet werden dürfen. Der IBKA informierte 2007 auf seiner Webseite:

  • IBKA-Landessprecher Rainer Ponitka beklagt, dass Schülerinnen und Schüler sowie die erziehungsberechtigten Eltern häufig nicht darüber aufgeklärt würden, dass die Teilnahme am Schulgottesdienst freiwillig ist. Auch werde oft nicht darüber informiert, dass eine Abmeldung vom Religionsunterricht jederzeit möglich ist.
  • Rainer Ponitka: „Die verbreitete Nicht-Informationspolitik der staatlichen Schulen und Schulämter über die Freiwilligkeit der Teilnahme an Schulgottesdienst und Religionsunterricht widerspricht der Verpflichtung zur weltanschaulichen Neutralität des Staates, dessen Vertreter die Schulen sind. Sie stellt eine Irreführung der nichtgläubigen Schüler und ihrer Eltern sowie eine Missachtung der Religions- und Weltanschauungsfreiheit dar. (Quelle: ibka.de)

Gesagtes kann nie zurückgenommen werden?

Gesagtes könne man nie wieder zurücknehmen, darum solle man sich seine Worte gut überlegen.

Wieso sollte man Gesagtes nie wieder zurücknehmen können? Natürlich ist es sinnvoll und ratsam, erst zu denken und dann zu sprechen. Und sich auch der Konsequenzen möglichst bewusst sein, die geäußerte Worte haben könnten.

Aber trotzdem besteht selbstverständlich die Möglichkeit, sich für Gesagtes zu entschuldigen. Es zurückzunehmen. Und vielleicht zu erklären, was einen dazu gebracht hatte, sich zu dieser Äußerung hinreißen zu lassen.

Aus „Unaufhaltsam“ von Hilde Domin entnommen, erklärte der Pfarrer: „Besser ein Messer als ein Wort, denn dieses könnte stumpf sein. Ein Messer trifft oft am Herzen vorbei, nicht aber das Wort.“

Wer ein stumpfes Messer im Rücken oder im Bein stecken hat, dürfte das vermutlich anders sehen. Denn der wäre sicher froh, wenn er stattdessen nur übel beschimpft worden wäre. Nicht alle Vergleiche sind auch passend, selbst dann nicht, wenn sie in Reimform daherkommen. Ich persönlich würde jedenfalls eine Verbal- einer Messerattacke jederzeit vorziehen.

Was die christliche Lehre angeht: Hier wurde zu der Zeit, als die Kirche noch die Macht dazu hatte, das eine mit dem anderen kombiniert. Da verbreitete man das Wort besonders wirkungsvoll auch mit dem Messer. Die Auswirkungen erleben wir bis heute.

Fakenews – seit über 2000 Jahren

Selbst Fakenews, die einmal in Umlauf gebracht worden sind, bekäme man nicht mehr weg.

Stimmt. Manche halten sich sogar tausende Jahre lang sehr hartnäckig. Noch heute halten erstaunlich viele Menschen zum Beispiel die biblische Auferstehungslegende für wahr und bedeutsam.

„Mit dem Versuch löst ihr eher einen Shitstorm aus. Ihr kennt das ja.“

Mit dem Versuch, Fakenews in Umlauf zu bringen? Oder mit dem Versuch, sie wieder weg zu bekommen? Das geht aus dem Beitrag nicht hervor. Denkbar ist beides. Dass die Aufklärung über religiöse Fakenews Reaktionen vergleichbar mit einem Shitstorm zur Folge haben kann, stimmt allerdings.

Lügen ohne rot zu werden

Entsetzt sei der Pfarrer darüber, wie im Brustton der Überzeugung Lügen verbreitet würden. „Von der Wirtschaft, der Politik oder von Schauspielern. Leute wie Donald Trump werden dabei noch nicht einmal mehr rot.“

Diese Worte aus dem Mund eines Pfarrers zählen sicher zu den Sternstunden unfreiwilliger Komik und selbstgerechter Heuchelei. Denn der, der hier Menschen der Lüge bezichtigt, die diese im Brustton der Überzeugung verkünden und dabei noch nicht einmal mehr rot werden, zählt selbst zu dieser Gruppe.

„Der Mensch“, so sagte Kohl, „will aber sowieso nur hören und glauben, was er will.“

Dieses Phänomen ist einer der Faktoren, die der christlichen Lehre das Überleben aus dem Vormittelalter bis in die Gegenwart ermöglicht hatte. Früher wollten noch mehr Leute das hören und glauben, was die Kirche ihnen zu bieten hatte. Herr Kohl hat also überhaupt keinen Grund, „den Mensch“ deswegen zu kritisieren.

Denn schließlich hängt Herrn Kohls Arbeitsplatz davon ab, dass Menschen noch bereit sind, das hören und glauben zu wollen, was er zu erzählen hat.

Wen interessiert die Wahrheit?

Die Wahrheit, so Kohl weiter, würde manchmal niemanden interessieren.

Sagt der, der behauptet, seine erfundene Wahrheit sei eine höhere, weil von Gott gegebene. Der vorgibt, das Wort seines allmächtigen, allgütigen und allwissenden Gottes zu verkünden. Und der zur Verkündung seiner Lehre, zum Beispiel in einem Schülergottesdienst darauf angewiesen ist, dass sich niemand für die Wahrheit interessiert. Was für eine Paradoxie.

„Die Lüge wird gar fein geschmückt, man hilft ihr oft mit Schwören; dadurch wird Gottes Wort veracht‘, die Wahrheit höhnisch auch verlacht, die Lüge tut man ehren“, zitierte er aus dem Lied „Wach auf, wach auf, du deutsches Land von Johann Walter.

Immerhin 19 von 26 Strophen dieses Liedes, das die aus heutiger Sicht reichlich grotesken, mittelalterlichen Vorstellungen des Verfassers beinhaltet, sind in der heute noch verwendeten Fassung nicht mehr enthalten. Zu absurd, zu mittelalterlich, zu fragwürdig.

Die Lüge wird gar fein geschmückt – Neues aus dem Mittelalter

Während das mit der vermeintlichen Verachtung von Gottes Wort heute noch gesungen wird, waren Strophen (Quelle: Wikipedia) wie diese gestrichen worden:

  1. Gott hat dich, Deutschland, hoch geehrt
    mit seinem Wort der Gnaden.
    Ein großes Licht dir auch beschert
    und hat dich lassen laden
    zu seinem Reich, welchs ewig ist,
    dazu du denn geladen bist,
    will heilen deinen Schaden.
  1. Wer jetzt nicht Pluderhosen hat,
    die schier zur Erde hangen
    mit Zotten wie des Teufels Wat,
    der kann nicht höflich prangen.
    Es ist solchs so ein schnöde Tracht,
    der Teufel hat’s gewiss erdacht,
    wird selbst sein also gangen.
  1. Die Jugend wird gezogen jetzt
    in Mutwill frech gewähnet,
    dass sie in Schalkheit so verschmitzt,
    was ehrlich ist, verhöhnet.
    Ihr Kleidung muss fein bübisch sein.
    Das Weibsvolk gibt sehr bösen Schein,
    Mit Zierlichkeit beschönet.
  1. Wach auf, Deutschland, ’s ist hohe Zeit,
    du wirst sonst übereilet,
    die Straf dir auf dem Halse leit,
    ob sich’s gleich jetzt verweilet.
    Fürwahr, die Axt ist angesetzt
    und auch zum Hieb sehr scharf gewetzt,
    was gilt’s, ob sie dein fehlet.

Die Axt ist nicht mehr angesetzt, aber Zeichen darf Gott auch heute noch geben

Ich fände es interessant zu erfahren, warum unter anderem diese Strophen heute fehlen, während zum Beispiel diese Strophe noch in der heutigen Version enthalten ist:

  1. Gott warnet täglich für und für,
    das zeugen seine Zeichen,
    denn Gottes Straf ist vor der Tür;
    Deutschland, lass dich erweichen,
    tu rechte Buße in der Zeit,
    weil Gott dir noch sein Gnad anbeut
    und tut sein Hand dir reichen.

Vom hoch geehrten Deutschen Reich, das ein ewiges werden soll, vom sehr bösen Schein des Weibsvolkes, den Bekleidungsvorschriften und der unmittelbaren göttlichen biblisch-brutalen Strafandrohung hatte man sich offenbar irgendwann mal befreit. Warnende Zeichen darf Gott aber auch heute noch schicken. Solange seine Straf‘ noch draußen vor der Tür bleibt. Und das deutsche Volk auf die Option, rechtzeitig Buße zu tun hingewiesen wird.

Aus diesem Kontext, aus dieser Zeit stammt also auch das Zitat, das Herr Kohl als passend für einen Jugendgottesdienst gewählt hatte. Und in diesen Kontext, in dieses Welt- und Wertebild passt dann auch die Vorstellung, eine Lüge sei deshalb schlecht, weil man damit Gottes Wort verachten würde. Denn damals galt das Wort Gottes noch tatsächlich als das Wort Gottes. Aber heute?

Gerichtet oder verdammt? Biblische Beliebigkeit und theologische Wortakrobatik

„Jesus sagt: An deinen Worten wirst du gemessen, nach ihnen wirst du gerichtet werden.“

Wieso zitiert Herr Kohl zwar aus dem evangelischen Gesangsbuch, nicht aber aus der Lutherbibel? Denn dort heißt diese Stelle im Wortlaut:

  • Aus deinen Worten wirst du gerechtfertigt werden, und aus deinen Worten wirst du verdammt werden. (Mt 12,37 LUT)

In den meisten Bibelübersetzungen ist von „richten“ bzw. „gerichtet werden“ die Rede. Das klingt nach einem Richterspruch, also nach Gerechtigkeit. Nicht so in der 2017er Lutherbibel. Dort erwartet den Sünder kein ordentlicher Richterspruch.  Sondern eine Verdammnis.

Wie praktisch, wenn man für alle Bedürfnisse unterschiedliche Versionen des göttlichen Wortes zur Verfügung hat. So kann auch Pfarrer Fried-Wilhelm Kohl von der Christuskirche Fulda immer die Formulierung herauspicken, die im gerade am besten in den Kram passt.

Offenbar war sogar ihm aufgefallen, dass es ziemlich fragwürdig wäre, in einem Schülergottesdienst über die zerstörerische Wirkkraft von Worten zu predigen und gleichzeitig von göttlicher Verdammung zu sprechen.

Interessanterweise scheint Pfarrer Kohl zwar Lügen bei anderen problemlos erkennen zu können. Während er das, was er als wahr und bedeutsam behauptet, gegen eine (selbst-)kritische Untersuchung sicher immunisiert hat. Wie man Lügen gar fein schmücket, lernt man im Theologiestudium.

Vergebung durch ein Phantasiewesen

Der Buß- und Bettag sei eine gute Gelegenheit, um sich Gott zuzuwenden. „Er kennt jeden Menschen, niemand muss ihm eine Erklärung abgeben. Dann wird uns Gott aufrichten und uns vergeben.“

Und so verbreitet er vermutlich auch in Zukunft noch weiter „gar fein geschmückte“ Lügen. Und erzählt Jugendlichen etwas von einem allwissenden Gott, der sie aufrichten und ihnen vergeben wird. Er empfiehlt, sich diesem Gott zuzuwenden.

Was bitteschön ist das für ein Gott, der zwar jeden Gedanken eines jeden Menschen sowieso schon kennt und der aber trotzdem seine Unterstützung davon abhängig macht, dass sich Menschen ihm zuwenden? Und der alle zeitlich unbegrenzt durch physische und psychische Höllenfolter bestraft, die sich ihm nicht zuwenden möchten?

Und andersrum: Wieso sollte man sich einem sowieso allmächtigen Wesen auch noch zuwenden? Damit es vielleicht seinen Allmachtsplan im Sinne des Zuwenders ändert?

Wie arrogant ist die Vorstellung, der Allmächtige würde Fuldaer Schüler, die sich ihm zuwenden aufrichten und ihnen vergeben, während er gleichzeitig nichts gegen das weltweit allgegenwärtige Leid und Elend tut?

Wer im Glashaus sitzt,…

In diesem Schülergottesdienst wurde also nicht nur „gar fein geschmückte“ Lüge, sondern auch gar fein geschmückter Unsinn verbreitet.

Denn bis zum Beweis des Gegenteils gibts auch diesen Gott außerhalb menschlicher Phantasie nicht. Nicht mal eine allgemeinverbindliche Definition des Begriffes Gott gibt es.

Und den Teilnehmern im Jugendgottesdienst dann noch zu suggerieren, die Vergebung durch ein Phantasiewesen mit seinerseits katastrophalen moralischen Standards gelte etwas. Nein. Götter richten nicht auf. Und ihre Vergebung ist nichts wert.

Gefährlich kann es werden, wenn sich jemand tatsächlich auf göttliche Unterstützung verlässt. Dann können auch die harmlos verpackten Behauptungen im Schülergottesdienst gefährlich werden.

Natürlich man muss schon selbst gerade stehen für das, was man von sich gibt. Und man sollte sich der Kraft des gesprochenen Wortes bewusst sein. Für diese Erkenntnis braucht es aber weder imaginäre Himmelswesen, noch mittelalterlicher Liedtexte mit zweifelhaftem Inhalt.

Besonders dann, wenn man andere wegen „gefährlicher Worte“ und Lüge kritisiert, sollte man sich der Brisanz und des Wahrheitsgehaltes der eigenen Worte bewusst sein. Stichwort: Glashaus.

Schüler für eine bedachte Wortwahl und einen kritisch-skeptischen Umgang mit Behauptungen zu sensibilisieren, halte ich für eine sinnvolle und wichtige Sache. Die christliche Scheinwirklichkeit erscheint mir dafür allerdings denkbar ungeeignet.

Nicht um Gottes-, sondern um der Mitmenschen und der eigenen Redlichkeit willen sollten Menschen ihre Worte mit Bedacht wählen und Behauptungen (selbst-)kritisch hinterfragen. Ganz einfach, weil es klug ist, freundlich zu sein. Und weil man eben nicht alles glauben soll, was man erzählt bekommt. Zum Beispiel im Schülergottesdienst in Fulda.

*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Originalbeitrag zum Schülergottesdienst in der Christuskirche Fulda zum Buß- und Bettag 2017.

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