„Wachet auf!“ – Ein Weckruf zur Weltklimakonferenz – Das Wort zum Wort zum Sonntag

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„Wachet auf!“ – Ein Weckruf zur Weltklimakonferenz – Das Wort zum Wort zum Sonntag gesprochen von Dr. Wolfgang Beck (kath.), veröffentlicht am 11.11.2017 von ARD/daserste.de

„Augen zu und durch!“ Auf diesen Grundsatz lässt sich wohl die Grundhaltung der meisten Menschen bringen – auch von mir selber – , wenn es um Fragen der Klimaveränderungen geht. „Wird schon irgendwie gut gehen.“

Natürlich wird es schon irgendwie gut gehen. Fragt sich nur, wie lange noch. Und für wen.

Die derzeit in Bonn stattfindende Weltklimakonferenz wirkt auf mich seltsam: Fast alle haben begriffen, dass mit der Klimaveränderung katastrophale Effekte verbunden sind. Auch bei uns verändern sich die Wetterereignisse ja merklich.

Auf mich wirkt es seltsam, wenn ein Erwachsener (noch dazu ein Akademiker) im 21. Jahrhundert im öffentlich-rechtlichen Fernsehen (und damit auch auf meine Kosten) so tut, als sei seine religiös-mythologische Scheinwirklichkeit ganz selbstverständlich eine brauchbare Grundlage, um sinnvolle Beiträge zu ernsthaften Themen aus der irdischen, natürlichen Wirklichkeit zu leisten.

Wachet auf!

Ich kenne die Versuchung, sich mit solchen Fragen [zum Thema Klimawandel] nicht zu beschäftigen. Das ist nämlich kompliziert, weil so viele Aspekte zusammenhängen.

Herr Dr. Beck, es erstaunt kaum, dass Sie als religiös Gläubiger die Versuchung, sich mit bestimmten Fragen nicht zu beschäftigen, nur allzu gut kennen. Ich würde in diesem Zusammenhang  nicht mal nur von einer Versuchung sprechen.  Sondern von einer Notwendigkeit.

Dann fangen Sie doch erstmal mit etwas Einfachem an, Herr Dr. Beck. Und beschäftigen Sie sich mal mit der Frage, wie plausibel Ihre religiösen Glaubensgewissheiten sind. Das ist gar nicht so kompliziert, weil schon das Wahrhalten nur der Prämissen Ihres Glaubens an der menschlichen Vernunft und an der intellektuellen Redlichkeit scheitert.

Voraussetzung, um sich den Herausforderungen der irdischen Wirklichkeit zu stellen, ist es zunächst mal, diese als solche anzuerkennen. Also die Wirklichkeit, in der keine Götter, Geister oder Gottessöhne irgendwie nachweisbar ins Geschehen eingreifen.

Die Wirklichkeit, in der Kirchtürme mit Blitzableitern ausgestattet sind. Und in der auch Christen nach links und rechts schauen, bevor sie zu Fuß die viel befahrene Schnellstraße überqueren. Die Wirklichkeit, in denen Gebete bestenfalls in Form eines autosuggestiven Placebos wirken.

Unangenehmes auf Andere abschieben

Und es ist anspruchsvoll, weil auf einmal meine Art zu leben angefragt ist. Die meisten von uns delegieren diese Fragen deshalb ganz pragmatisch: Das sollen dann mal die Regierenden in die Hand nehmen, die Verantwortlichen in der Wirtschaft oder natürlich die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen. Nur lässt sich eben nicht alles im Leben, was unangenehm ist, auf andere abschieben.

Herr Dr. Beck, was tun denn Christen, wenn sie auf die Gnade eines bestimmten Wüstengottes vertrauen, den sich Menschen in der Bronzezeit ausgedacht hatten? Wenn sie bei Bedarf alles Beliebige auf die Unergründlichkeit der Wege ihres Allmächtigen schieben können? Von dem sie meinen, er verfolge mit seinem „Experiment Erde“ einen größeren Allmachtsplan?

Wenn sie behaupten, auch das größte Leiden und die schlimmste Katastrophe habe einen übergeordneten, für sie nicht erkennbaren Sinn? Die sich „von guten Mächten wunderbar geborgen“ auch dann noch fühlen, wenn sie vermutlich wissen, dass sie kurz darauf hingerichtet werden?

Und was ist mit denen, die, wie zum Beispiel der Fuldaer Bischof Algermissen, hinter allem, was ihnen unangenehm ist, das Wirken von ominösen „bösen Mächten“ zu erkennen behaupten?

All das ist nichts weiter als eine Realitätsverweigerung. Eine Flucht aus der irdischen in eine religiöse Scheinwirklichkeit.

Die Gedanken sind frei

Natürlich ist es eine Privatangelegenheit, wie sich Menschen ihre Wirklichkeit gestalten. Nur dürfen sich Menschen, die solche Phantasien öffentlich äußern, nicht wundern, wenn sie nicht ernst genommen werden. Was besonders dann bedauerlich ist, wenn sie eigentlich einen vernünftigen Standpunkt vertreten.

In den sie eben irgendwie – wie in diesem Fall berufsbedingt – eine absurde orientalische Wüstenmythologie hineinschmuggeln müssen. Fast immer ist es die gleiche Mythologie, die auch schon ihre Eltern für wahr gehalten hatten.

Jetzt im November wird in den Gottesdiensten der Kirchen häufig das alte Lied „Wachet auf, ruft uns die Stimme“ gesungen.

Im Lied „Wachet auf“ wird die Stadt Jerusalem dazu aufgerufen, aufzuwachen, weil Zion die Ankunft ihres himmlischen Bräutigams erwartet. Der ein Gottessohn ist:

  • Zion hört die Wächter singen,
    Das Herz tut ihr vor Freude springen,
    Sie wachet und steht eilend auf.
    Ihr Freund kommt vom Himmel prächtig,
    Von Gnaden stark, von Wahrheit mächtig;
    Ihr Licht wird hell, ihr Stern geht auf.
    Nun komm, du werte Kron,
    Herr Jesu, Gottes Sohn!
    Hosianna!
    Wir folgen all zum Freudensaal
    Und halten mit das Abendmahl.

    (Quelle: Wikipedia)

Mit Aufwachen im Sinne von sich der Realität stellen hat diese mystische Hochzeit also wahrlich nichts zu tun. Eher im Gegenteil:

  • Die mystische Hochzeit des Messias mit Zion als personifiziertem Jerusalem und Bild der gläubigen Seele ist schon im nachexilischen Judentum und dann im Christentum die spirituelle Interpretation des Hohenlieds. (Quelle: Wikipedia)

Was Herrn Dr. Beck nicht davon abhält, den Text von „Wachet auf!“ genau in diesem Sinne zu interpretieren.

Bibel: Aufforderung zum rationalen Denken?

Aber nicht nur das Lied „Wachet auf!“, sondern auch die biblische Mythen- und Legendensammlung, auf der sein christliches Weltbild basiert, führt Herr Dr. Beck an, um an das klare Denken und an die Eigenverantwortlichkeit zu appellieren:

Wach zu sein und die Augen zu öffnen, ist nicht nur in diesem Lied, sondern auch in vielen biblischen Texten ein grundlegendes Ideal für Christinnen und Christen. Es geht darum, die wichtigen und herausfordernden Dinge mitzubekommen. Es geht darum, sich den Realitäten zu stellen.

Hier sei dem Leser überlassen, ob er in Anbetracht dieser krassen Paradoxie lacht oder weint. Herr Dr. Beck meint offenbar ernsthaft, ausgerechnet die Bibel sei eine sinnvolle und geeignete Grundlage, um sich der Realität zu stellen.

Wie praktisch immer finden sich in der Bibel auch zu diesem Thema genügend Stellen, die sich genau gegensätzlich auslegen lassen. Zum Beispiel das Kapitel „Von der rechten Sorge“ bei Matthäus:

Von der rechten Sorge

  1. Sammelt euch nicht Schätze hier auf der Erde, wo Motte und Wurm sie zerstören und wo Diebe einbrechen und sie stehlen,
  2. sondern sammelt euch Schätze im Himmel, wo weder Motte noch Wurm sie zerstören und keine Diebe einbrechen und sie stehlen!
  3. Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz.
  4. Die Leuchte des Leibes ist das Auge. Wenn dein Auge gesund ist, dann wird dein ganzer Leib hell sein.
  5. Wenn aber dein Auge krank ist, dann wird dein ganzer Leib finster sein. Wenn nun das Licht in dir Finsternis ist, wie groß muss dann die Finsternis sein!
  6. Niemand kann zwei Herren dienen; er wird entweder den einen hassen und den andern lieben oder er wird zu dem einen halten und den andern verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon.
  7. Deswegen sage ich euch: Sorgt euch nicht um euer Leben, was ihr essen oder trinken sollt, noch um euren Leib, was ihr anziehen sollt! Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung?
  8. Seht euch die Vögel des Himmels an: Sie säen nicht, sie ernten nicht und sammeln keine Vorräte in Scheunen; euer himmlischer Vater ernährt sie. Seid ihr nicht viel mehr wert als sie?
  9. Wer von euch kann mit all seiner Sorge sein Leben auch nur um eine kleine Spanne verlängern?
  10. Und was sorgt ihr euch um eure Kleidung? Lernt von den Lilien des Feldes, wie sie wachsen: Sie arbeiten nicht und spinnen nicht.
  11. Doch ich sage euch: Selbst Salomo war in all seiner Pracht nicht gekleidet wie eine von ihnen.
  12. Wenn aber Gott schon das Gras so kleidet, das heute auf dem Feld steht und morgen in den Ofen geworfen wird, wie viel mehr dann euch, ihr Kleingläubigen!
  13. Macht euch also keine Sorgen und fragt nicht: Was sollen wir essen? Was sollen wir trinken? Was sollen wir anziehen?
  14. Denn nach alldem streben die Heiden. Euer himmlischer Vater weiß, dass ihr das alles braucht.
  15. Sucht aber zuerst sein Reich und seine Gerechtigkeit; dann wird euch alles andere dazugegeben.
  16. Sorgt euch also nicht um morgen; denn der morgige Tag wird für sich selbst sorgen. Jeder Tag hat genug an seiner eigenen Plage.
    (Mt 6, 19-34 EU)

Hier lässt der anonyme Bibelschreiber mit Pseudonym Matthäus seine literarische Kunstfigur Jesus seinen Zuhörern verkünden, dass sie sich eben überhaupt keine Sorgen um irgendwelche irdischen Dinge machen müssen. Es genügt, auf Gott zu vertrauen. Der kümmert sich um den Rest. Natürlich nur für die, die an ihn glauben.

Das Ende ist nah – schon seit 2000 Jahren

Diese Sorglosigkeit passt freilich genau zu dem Umstand, dass Jesus als Anführer einer jüdischen Endzeitsekte davon ausging, dass das „Jüngste Gericht“ kurz bevor stehen würde:

  • Und er sagte zu ihnen: Amen, ich sage euch: Von denen, die hier stehen, werden einige den Tod nicht schmecken, bis sie gesehen haben, dass das Reich Gottes in Macht gekommen ist. (Mk 9,1 EU)

Eine Annahme, mit der sich Jesus, wie wir heute, rund 2000 Jahre später wohl sicher sagen können, gründlich geirrt hatte. Die Christenheit wartet bis heute, dass das Reich ihres Gottes in Macht kommt.

Nachdem sich nach dem Tod von Jesus das von ihm angekündigte Ereignis einfach nicht einstellen wollte, versuchte man, dies zu bewältigen, indem man einfach die Ankunft des Verkündigers zum von ihm angekündigten Event erklärte.

So ganz glücklich sind Christen mit dieser Vorstellung allerdings nicht. Denn irgendwie können selbst sie nicht wirklich erkennen, dass sich durch diese Ankunft irgendetwas zum Positiven verändert hätte. Ganz im Gegenteil. Wie ein Blick in die Kriminalgeschichte des Christentums erschreckend umfassend belegt.

Mir ist keine allgemeinverbindliche Aussage bekannt, was die Kreuzigung und angebliche Auferstehung von Jesus konkret bewirkt und zum Positiven verändert haben soll. Also nicht im Sinne des mythomotorischen Effektes. Sondern tatsächlich. Vielleicht kann Herr Dr. Beck ja diese Frage mal beantworten.

Alles Interpretationssache

Die Praxis, die uns in der Bibel von Jesus überliefert wird, ist von dieser Wachheit für das Schicksal von Menschen durchzogen: Wach für die Not von Menschen. Wach für Themen, um die sich andere herumdrücken. Aus dieser Praxis Jesu entsteht das Ideal von Menschen, die nicht die Augen schließen, wenn es unbequem wird. Das „Wachet auf“ ist das große und anspruchsvolle Gegenprogramm zum populären „Augen zu und durch!“

Komischerweise kommen andere Gläubige zu ganz anderen Ergebnissen. Auch Leugner der von Menschen verursachten Erderwärmung wie zum Beispiel der amerikanische Präsident Trump können sich problemlos auf die selbe Bibel berufen. Der schwört sogar darauf. Doppelt.

Das grundlegende Problem des christlichen Wertebildes kommt auch hier einmal mehr zum Tragen: Die völlige Beliebigkeit der biblischen Grundlage.

Auch wenn es jetzt schon spät am Abend ist, auch wenn es mit den Veränderungen des eigenen Lebensstils unbequem wird, auch wenn es meist genügt, sich mit den alltäglichen Fragen rumzuschlagen und halt irgendwie durchs Leben zu kommen, auch dann gilt: Mach nicht die Augen zu, „wach auf“!

Das empfehle ich Ihnen ganz genau so auch, Herr Dr. Beck! Wachet auf!

*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Originalbeitrag zum Thema „Wachet auf“.
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