Magnificat – Das Wort zum Wort zum Sonntag

Lesezeit: ~ 7 Min.

Magnificat – Das Wort zum Wort zum Sonntag, gesprochen von Lissy Eichert (kath.), veröffentlicht am 9.12.2017 von ARD/daserste.de

Ob an der Krippe auf dem Weihnachtsmarkt oder auf der Pyramide aus dem Erzgebirge – sie ist immer dabei: Maria, die Mutter von Jesus.

Wenig erstaunlich, dass in einer Geburtslegende auch die Mutter vorkommt. Wobei der biblische Romanheld Jesus Christus keinen Hehl daraus macht, wie er zu Frauen im Allgemeinen und zu seiner Mutter im Besonderen steht. Da wird schon mal ordentlich gepöbelt. Wie zum Beispiel in der Legende, in der eine Hochzeitsgesellschaft den Wein vorzeitig leergesoffen hatte:

  • Als der Wein ausging, sagte die Mutter Jesu zu ihm: Sie haben keinen Wein mehr. Jesus erwiderte ihr: Was willst du von mir, Frau? Meine Stunde ist noch nicht gekommen. (Joh 3, 2-4 EU)

Das mit dem „Vater und Mutter ehren“ sieht bei Jesus selbst auch anders aus als von ihm gefordert:

  • Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert, und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert. (Mt 10, 37 EU)

Wer ist meine Mutter?

Doch damit nicht genug: Der jüdische Endzeitsektenprediger geht sogar so weit, seine Familienzugehörigkeit ganz zu verleugnen:

  • Als Jesus noch mit den Leuten redete, siehe, da standen seine Mutter und seine Brüder draußen und wollten mit ihm sprechen. Da sagte jemand zu ihm: Siehe, deine Mutter und deine Brüder stehen draußen und wollen mit dir sprechen. Dem, der ihm das gesagt hatte, erwiderte er: Wer ist meine Mutter und wer sind meine Brüder? Und er streckte die Hand über seine Jünger aus und sagte: Siehe, meine Mutter und meine Brüder. Denn wer den Willen meines himmlischen Vaters tut, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter. (Mt 12, 46-50 EU)

Diese Entzweihung der Familie ist im Zusammenhang mit Sekten keine Seltenheit. Auch andere selbsternannte Propheten und vermeintliche Gottessöhne verlangen von ihren Anhängern, den Kontakt zur Familie möglichst komplett abzubrechen. In einer Stelle, die nur sehr selten von religiösen Mainstream-Verkündigern zitiert wird, stellt Jesus klar:

  • Denkt nicht, ich sei gekommen, um Frieden auf die Erde zu bringen! Ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Denn ich bin gekommen, um den Sohn mit seinem Vater zu entzweien und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter; und die Hausgenossen eines Menschen werden seine Feinde sein. (Mt 10, 34-36 EU)

Bei Lukas wirds noch drastischer. Denn der anonyme Schreiber mit diesem Pseudonym lässt seinen Jesus seine Anhänger dazu auffordern, alle Angehörigen und sich selbst zu hassen:

  • Wenn jemand zu mir kommt und hasst nicht seinen Vater, Mutter, Frau, Kinder, Brüder, Schwestern, dazu auch sein eigenes Leben, der kann nicht mein Jünger sein. (Lk 14,26 LUT)

So stehts in der Lutherbibel. Den Übersetzern der Einheitsübersetzung war das mit dem Hass offenbar nicht so angenehm. Denn in dieser forder Jesus nicht Hass. Sondern nur eine Geringachtung der Angehörigen.

Was natürlich nichts an der Gesamtaussage ändert: Wer Jesus nachfolgen möchte, muss sich entscheiden: Familie oder Jesus. Beides zusammen geht offenbar nicht. Ganz schön eifersüchtig, der Gottessohn; ganz der Vater…

Magnificat

In diesem Advent geht mir ein Gebet nicht aus dem Kopf, das Maria zugeschrieben wird, ich meine das so genannte Magnificat. Da treffen sich zwei Frauen, die beide überraschend schwanger geworden sind – nach der biblischen Erzählung vom Heiligen Geist. Die eine eigentlich viel zu alt, und die andere eigentlich viel zu jung, geschätzt 14 Jahre. Trotzdem: Beide lassen ihrer Freude freien Lauf, und aus Maria platzt es heraus: „Meine Seele preist die Größe des Herrn, und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter.“

Frau Eichert, was bedeutet für Sie: „nach der biblischen Erzählung“ konkret? Wollen Sie damit andeuten, dass es sich bei diesen Geschichten um Wüstenmythologie handelt? Die nichts mit der natürlichen irdischen Wirklichkeit zu tun hat? Oder möchten Sie sich einfach nur lästige Nachfragen ersparen, wie Sie sich das konkret vorstellen mit den Geistern, die unfruchtbare Frauen und 14jährige Mädchen schwängern? „Ich sage das ja gar nicht, das steht so in der Bibel!“

Natürlich könnte es auch sein, dass die (nicht vorhandene) Plausibilität dieser Geschichte für sie gar keine Rolle spielt. Und schließlich hat Frau Eichert ja noch einen weiteren guten Grund, die Absurditäten ihres Glaubens gar nicht so genau verstehen zu wollen:

  • “Es ist schwierig jemand dazu zu bringen, etwas zu verstehen, wenn sein Gehalt davon abhängig ist, es eben nicht zu verstehen.“ – Sinclair Lewis 1935

Theologen, die die Jungfrauengeburt bezweifeln, müssen auch schon mal zurücktreten (Quelle: Wikipedia). Gute Gründe also, das unangenehme Gefühl der kognitiven Dissonanz zwischen intellektueller Redlichkeit, Vernunft und Verstand auf der einen und der religiös erweiterten Wunschwirklichkeit auf der anderen Seite zu ignorieren. Hauptsache, der Geist jubelt über Gott, den Retter.

Ledig und schwanger

In diesem besonderen Moment erkennt Maria, wie Gott aus ihrem kleinen gewöhnlichen Leben etwas Großes macht, sie wirklich aus ihrer Ängsten herausholt. Denn ledig und schwanger in einer patriarchalen Gesellschaft, das ist hart.

Magnificat
Quelle: quickmeme.com

Das kann auch heute noch hart sein. Besonders dann, wenn man versucht, als unverheiratete (Teenie-)mutter einen Job bei der katholischen Kirche zu bekommen. Denn diese lehnt u. a. Sex vor der Ehe ab. Wobei Geisterbefruchtungen möglicherweise anders behandelt werden. Wenn diese glaubhaft dargestellt werden.

Und so klein und gewöhnlich war ihr Leben ja nicht. Schließlich zählt Maria zum erlauchten Kreis derer, die ohne Erbsünde geboren worden waren. Nach der biblischen Erzählung. Die unter anderem zu diesem Zweck genau so zusammenphantasiert worden war. Wobei das nicht die einzige Anpassung der Geschichte ist, die erforderlich war, um die Legende wenigstens ein bisschen stimmiger erscheinen zu lassen.

Denn schließlich sollten die Erzählungen im Neuen Testament ja so wirken wie Erfüllungen von Prophezeiungen aus dem Alten Testament. Da werden dann schon mal Biographien entsprechend angepasst. Oder eine Volkszählung erfunden, um den Geburtsort nach Betlehem verlegen zu können.

Der Hintergedanke beim Magnificat ist nicht allzu schwer zu durchschauen: Indem Maria mit Jubel und nicht so reagiert, wie eigentlich zu erwarten, wenn sie ungefragt von einem Geist geschwängert wurde, soll gezeigt werden, dass es sich hier um ein ganz besonderes Baby handelt. Handeln muss! Geradezu göttlich, sozusagen. Wobei Maria freilich längst nicht die erste und schon gar nicht die einzige Frau ist, der dieses zweifelhafte Vergnügen vergönnt war. Die Jungfrauengeburt war schon vorher fester Bestandteil aller möglichen Mythen, Kulten und Religionen.

Wie bei ausnahmslos allen biblischen „Wundern“ handelt es sich auch hier nur um ein Plagiat längst bekannter Mythen und Legenden. Während diese heute überwiegend in Vergessenheit geraten sind, erscheinen die in der Bibel überlieferten wundersamen Geschichten heute umso einmaliger.

Nein, es stimmt nicht

Jetzt aber erahnt sie: Ja, es stimmt: Gott erhöht die Niedrigen. Aber stimmt es auch, wie Maria weiter betet: Gott stürzt die Mächtigen vom Thron, lässt die Reichen leer ausgehen und sättigt die Hungrigen? Was für starke Aussichten! Das Magnificat gilt nicht umsonst manchen als „das leidenschaftlichste, wildeste, ja revolutionärste Adventslied, das je gesungen worden ist“.

Wie auch ihr Sohn später bei seiner Verkündigungsmission „Apokalypse Now“, so hatte sich auch Maria hier gründlich geirrt. Die erhoffte göttliche „ausgleichende Gerechtigkeit“ lässt sich bis heute nicht erkennen. Es gibt bis heute Reiche, die nicht leer ausgehen (zum Beispiel die katholische Kirche). Und es gibt Hungrige, die ihr ganzes Leben lang hungrig bleiben, bis sie schließlich verhungern. Darunter auch Anhänger des christlichen Wüstengottes Jahwe.

Und wenn eine solche Gerechtigkeit mal eintritt, dann lässt sie sich nicht in einen ursächlichen Zusammenhang mit dem Wirken dieses Wüstengottes bringen, den sich Menschen in der Bronzezeit ausgedacht hatten.

Wenn sich Menschen ihr Verständnis einer ihnen ansonsten unerklärlichen Welt vor vielen hundert oder tausend Jahren durch die Einbeziehung magischer Himmelswesen erleichterten, dann mag das aus heutiger Sicht nachvollziehbar sein. Nicht nachvollziehbar ist für mich jedoch, warum heute, im 21. Jahrhundert Menschen diese Fiktionen immernoch für so bedeutsam erachten, dass sie sie im öffentlich-rechtlichen Fernsehen verkünden müssen.

Machtspiele – mit breiter christlicher Unterstützung

Dabei bereiten wir uns doch auf Weihnachten vor, das Fest des Friedens. Kann sein, dass es diesmal weniger friedlich ausfällt. Jedenfalls für die Bewohner von Betlehem, dem Ort, der im Mittelpunkt der Weihnachtsgeschichte steht. Denn viele Mächtige spielen Machtspiele und provozieren Unruhen, ausgerechnet in einer Weltregion, die einem Pulverfass gleicht.

Dass Religion eine nicht unwesentliche Rolle – direkt und indirekt – im Nahostkonflikt spielt, erwähnt Frau Eichert nicht. Evangelikale Fundamentalistenspinner in Amerika spielen das Machtspiel von Trump begeistert mit. Wobei es sich hier wahrlich nicht um ein Spiel handelt. Die christliche Ideologie lässt sich für alles Beliebige instrumentalisieren. Von Nächstenliebe bis Völkermord. Und da wird aus harmlos erscheinenden religiösen Spinnerei ganz schnell ein richtiger Krieg. Mit richtigen Toten. Magnificat! Meine Seele preist den Herrn!

Hilft es da zu singen „Gott stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen“? Mir schon, denn dann weiß ich, auf welcher Seite ich zu stehen habe: nämlich auf der Seite der Niedrigen, der Ohnmächtigen, der Hungernden.

Ja, Frau Eichert. Ihnen mag das helfen. Weil Sie sich dann zu den „Guten“ zählen können. Den Niedrigen, den Ohnmächtigen, den Hungernden hilft es nichts. Weil Ihr Gott bis zum Beweis des Gegenteils nicht existiert. Durch Ihre Flucht in eine religiöse Scheinwirklichkeit verabreichen Sie sich ein für Sie wohlschmeckendes Autosuggestiv-Placebo. Abgesehen davon haben Sie damit nichts gekonnt. Sie haben sich lediglich selbst in die Irre geführt. Und Ihre Zuschauer auch – wenn die sich von Ihnen in die Irre führen lassen.

Im Unterschied zu Ihren religiösen Mythen und Fiktionen sind die Menschen, die unter den Problemen und Konflikten oder auch ganz allgemein unter Leid zu leiden haben, real.

Wäre es nicht redlicher, menschlicher und naheliegender, sich um der Menschen willen auf die Seite der Benachteiligten zu stellen? Wofür benötigen Sie dazu biblische Mythologie aus dem Vormittelalter? Und das Vertrauen auf einen Rachegott, dem das Schicksal der von ihm als Krone der Schöpfung auserwählten Trockennasenaffenart (und auch das der restlichen Welt) ohnehin völlig egal zu sein scheint?

…und es passiert wieder nichts.

Aber ich kann auch die Enttäuschung vieler verstehen, dass Gott nicht höchst selbst alles Unrecht aus der Welt schafft. „Frieden auf Erden“ – und es passiert wieder nichts. Oder zu wenig. Gott arbeitet nicht einfach unsere „Wunschzettel“ ab. Nein, Gott sucht Menschen wie Maria, die Frau aus Nazaret, die sich auf das Wagnis einlassen, auf Gott zu vertrauen. Sie willigt ein in den Plan Gottes, auch wenn sie ihn nur erahnt. Und je mehr sie auf Gott vertraut, desto tougher wird sie. Findet zu mehr Selbstvertrauen.

Frau Eichert, ist Ihnen wirklich nicht bewusst, was das für Ihren Gott heißt? Ihr Gott bringt Menschen also wissentlich und absichtlich (schließlich ist er allwissend und allmächtig) in leidvolle oder schwierige Situationen (in diesem Fall „ledig und schwanger in einer patriarchalen Gesellschaft“), um sie damit dazu zu bringen, ihm zu vertrauen? Ihm ein Magnificat zu singen? Was bitteschön ist das denn für ein Gott?

Auch hier wieder: Solange Sie sich mit solchen Vorstellungen auf Ihre religiöse Mythenwelt beschränken, wäre das alles ja gar nicht weiter erwähnenswert oder gar zu kritisieren. Aber aufgrund Ihrer Verkündigungen ist ja davon auszugehen, dass Sie religiöse Fiktion und natürliche Wirklichkeit nach Belieben miteinander vermischen. Auch das sei Ihnen freilich unbenommen. Und wenn es Ihnen ein Anliegen ist, dann lassen Sie gerne auch Ihre Mitmenschen an ihrer imaginären Phantasiewelt teilhaben. Schmettern Sie Ihr Magnificat aus voller Seele. Aber bitte auf eigene Kosten!

Und falls Ihnen der Weltfrieden tatsächlich ein Anliegen sein sollte, dann befreien Sie sich von Ihrer religiösen Indoktrination und überlegen, wie Sie dazu konkret beitragen können. Nicht durch Gebete und Magnificat, sondern durch Maßnahmen, die tatsächlich mehr bewirken als Ihnen ein gutes Gefühl zu verschaffen.

Heute sind wir dran

Und heute? Heute sind wir dran, den mühevollen Weg des Friedens zu suchen.

Genau. Abgesehen von diesem Schlusssatz hätten Sie sich Ihre ganze heuige Verkündigung sparen können.

Und stattdessen zum Beispiel konkrete Tipps geben können, wie Menschen zum Weltfrieden konkret und vor allem wirksam beitragen sollten. Also nicht durch sinnlose Magnificat-Lobpreisungen eines erfundenen, eingebildeten und bis zum Beweis des Gegenteils nicht existenten Gottes. Dessen vermeintlicher, beliebig definierbarer Wille und Auftrag für unfassbar viel Leid gesorgt hat. Und bis heute sorgt.

*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Originalbeitrag zum Thema Magnificat.

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3 Gedanken zu „Magnificat – Das Wort zum Wort zum Sonntag“

  1. Habe ich das richtig verstanden, dass die Katholikin Eichert ernsthaft glaubt, der christliche Gott sei ein Gott des Friedens und würde auf selbigen hinarbeiten, indem er (oder sein Hausgeist – Identitätsbedingungen nach wie vor unklar) z.B. ein 14-jähriges Mädchen schwängert? Oder darauf wartet, dass Gläubige wie Frau Eichert mehr Selbstvertrauen entwickeln und dann ganz doll den „Mächtigen“ die Leviten lesen? Bei einem allmächtigen, allgütigen und allwissenden Wesen würde ich da etwas direktere Ansätze erwarten …

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  2. Meine Güte, ist das alles dämlich; das hält man ja im Kopf nicht aus.

    Wo steht in der Bibel, dass Maria immer „tougher“ und immer „selbstbewusster“ wird? Und vor allem: wie setzt sie dieses Selbstbewusstsein dann ein? In der Bibel tritt sie jedenfalls nicht als entschiedene Streiterin für „das Gute“ ein, weder selbstbewusst noch schüchtern.

    Danke für die vielen guten Artikel.

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