Alle an einem Tisch – Das Wort zum Wort zum Sonntag vom Evangelischen Kirchentag

Lesezeit: ~ 7 Min.

Alle an einem Tisch – Das Wort zum Wort zum Sonntag, verkündigt vom Evangelischen Kirchentag 2025 in Hannover von Annette Behnken, veröffentlicht am 03.05.2025 von ARD/daserste.de

Darum geht es

Frau Behnken meldet sich mit einer radikalen Hoffnung aus dem Vesper-Kirchen-Zelt vom Evangelischen Kirchentag in Hannover, ohne zu verraten, worin diese Hoffnung denn konkret bestehen soll.

Evangelischer Kirchentag in Hannover

Frau Behnken meldet sich zum heutigen Wort zum Sonntag aus dem Vesper-Kirchen-Zelt.

Dieses Zelt am Bahnhof zählt zu den Kirchentags-Locations, deren Besuch kostenlos ist. Damit auch die Menschen mit der Kirche in Kontakt kommen können, die sich die Eintrittspreise nicht leisten können oder wollen. Oder die sich zwar nicht für Religiöses, wohl aber für ein Gratis-Essen interessieren.

Während Besucher für ein reguläres 5-Tage-Ticket 149 Euro bzw. für ein Tagesticket 50 Euro berappen mussten, um beim evangelischen Frühlingsfest dabei sein zu können, wollte man sich die Chance der Neukundenakquise natürlich nicht entgehen lassen. Und bei einem Gesamtbudget von rund 25 Millionen Euro, das fast zur Hälfte (zu 46,9%, Quelle) von der Allgemeinheit getragen wird, lassen sich die Kosten für kostenlose Angebote sicher verschmerzen – und vermutlich als Werbekosten verbuchen.

Ne Insel der Hoffnung

Das hier, dieses Zelt, das ist für mich ne Insel. Es ist wirklich ne Insel der Hoffnung.

(Quelle der so als Zitat gekennzeichneten Abschnitte: Alle an einem Tisch – Wort zum Sonntag, verkündigt von Annette Behnken, veröffentlicht am 03.05.2025 von ARD/daserste.de)

Mein erster Einfall, was für ne Hoffnung Frau Behnken hier meinen könnte: Die Hoffnung, dass es mit dieser Aktion gelingen möge, die evangelische Kirche auch für die Allgemeinheit als noch irgendwie relevant erscheinen zu lassen. Spoiler: Diese Hoffnung meint Frau Behnken vermutlich nicht.

Mit der Frage, welche Hoffnung sie denn stattdessen meint, werden wir uns gleich noch näher befassen.

Hunderttausend Menschen

Hunderttausend Menschen besuchen die Stadt, meine Heimatstadt. Und Hannover vibriert, an allen Ecken gibt es Konzerte, wird diskutiert, getanzt, gebetet, nachgedacht – und auch: zusammen gegessen, getrunken und gefeiert. Wie hier, heute Abend in diesem Zelt.

Was die Besucherzahlen angeht, finden sich online unterschiedliche Angaben: Zwischen „über 80.000“ (Wikipedia) über „100.000“ (NDR) bis hin zu „150.000 beim ‚Abend der Begegnung'“ (landeskirche-hannovers.de).

Klar: Wenn man seine Event-Locations über ganz Hannover verteilt, dann kommt man schnell mal auf 100.000 Besucher. Wobei mir nicht ganz klar ist, anhand welcher Kriterien bei dieser Zählung Kirchentagsbesucher von Hannover-Besuchern, die nicht des Kirchentags wegen in der Stadt waren unterschieden wurden.

Status, Herkunft, Religion, was auch immer – egal

Hauptanliegen von Frau Behnkens heutiger Sendung scheint also zu sein, den Kirchentag nicht als exklusiv evangelisches Glaubensfest, sondern als eine Art Wohlfahrtsveranstaltung für die Allgemeinheit darzustellen:

Das steht vor dem Hauptbahnhof, ganz nah der Innenstadt – und was einfach ganz, ganz klasse ist: Hier kommen wirklich alle zusammen: wer zufällig vorbeigeht und einfach mal reingucken will – aber eben auch die, die genau hier leben: im Bahnhof, in der Fußgängerzone, auf der Straße. Wohnungslose und Menschen, die nichts oder nur sehr, sehr wenig zum Leben haben. Während des gesamten Kirchentags gibt’s hier kostenlos Mahlzeiten für alle, Kultur für alle und auch Beratung für Menschen in schwierigen Lebenslagen. Status, Herkunft, Religion, was auch immer – egal. Und genau so solls doch sein und eben nicht nur als ne Vision.

Wenns genau so sein soll und eben nicht nur ne Vision und vor allem nicht nur ne PR-Aktion, dann hätte die EKD durchaus Möglichkeiten, ihre Glaubwürdigkeit durch nachhaltiges und vor allem nicht-missionarisches, dafür aber selbst finanziertes Engagement zu steigern. Aber warum sollte eine Organisation, die vom Leid der Menschen lebt, das tun?

Wir spielen Gottesdienst

Stattdessen spielt man mit den Bedürftigen ein bisschen Gottesdienst:

Das hier ist Hoffnung und Nächstenliebe, nicht nur als Gedanke, sondern konkret, fühlbar (– und eben gerade sogar schmeckbar, in einem ganz besonderen Moment, als wir alle Brot und Traubensaft miteineinander geteilt haben in einem „Feierabendmahl“.

Welche Hoffnung hier Frau Behnken wohl im Sinn hat? Die Hoffnung bedürftiger Menschen, ein kostenloses Essen zu erhalten? Oder die Hoffnung, die die niederschwellig (und alkoholfrei) nachgespielte Speisezeremonie im biblisch-christlichen Glauben eigentlich symbolisiert?

Wirklich überlebenswichtig

Und jetzt gehts noch weiter mit nem normalen Abendessen. So schmeckt Hoffnung.) Hoffnung, die die Menschen brauchen, die unter ganz, ganz schwierigen Bedingungen leben. Aber die wir auch alle bitter nötig haben. Ich habe manchmal so Angst, dass wir auf der Langstrecke dieser so anspruchsvollen Zeit hoffnungslos werden und damit auch mutlos und tatenlos. Und darum sind Orte, wie dieser hier so wirklich überlebenswichtig.

Keine Frage: Für manche Menschen ist Unterstützung tatsächlich überlebenswichtig. Aber wenn ein Vesper-Kirchen-Zelt wirklich überlebenswichtig ist, wieso wird es nur während der Kirchentags-Tage betrieben und mit christlichen Speiseritualen für religiöse Werbung instrumentalisiert?

Grenzgänger wie wir

Was hier passiert ist was ganz und gar Urchristliches. Jesus selbst hat genau wie hier heute Abend Menschen zum Essen eingeladen, aus der Mitte und von den Rändern der Gesellschaft. Und genau da – da schlägt das Herz des Christentums: mittendrin und an den Rändern und Grenzen, den Rändern der Gesellschaft, den Grenzen des Lebens – Leben, das sich in so unterschiedlicher Weise ausdrückt, ob verletzt, obdachlos, verrückt, schrill oder still, kreuz und queer – als Christ:innen, als Kirche sind wir Grenzgänger.

Der eigentliche Grund, warum Heilsverkäufer so gerne an den Rändern der Gesellschaft aktiv sind, liegt auf der Hand: Hier haben sie die größten Chancen, Neukunden zu akquirieren.

Denn damals wie heute gilt: Je schlechter es den Menschen geht, desto unkritischer fallen sie auf Heilsversprechen aller Art herein. Und wer keine ausreichende Ernährung hat, der nimmt eine Gratis-Suppe immer dankbar an – egal von wem und warum.

Freigeist Jesus!?

Jesus war Grenzgänger und Freigeist. Und hat sein Herz an genau die Orte getragen, an denen Viele von uns möglichst vorbeigucken. War mit Menschen zusammen, denen Viele von uns möglichst aus dem Weg gehen. Weil sie uns verstören oder unangenehm sind. Und genau da, da blickt Gott uns an. Das ist Kern des christlichen Glaubens.

Der Kern des christlichen Glaubens ist, dass eine vollständige Unterwerfung unter den Gott aus der biblisch-christlichen Mythologie die einzige Chance auf eine Option ist, vielleicht davor bewahrt zu werden, was einem dieser Gott androht, wenn man es nicht tut (nachzulesen in fast allen Jesus-Gleichnissen und auf den Punkt gebracht in Mk 16,16).

Der biblische Jesus war das genaue Gegenteil eines Freigeistes. Er war, den biblischen Schilderungen zufolge, ein jüdischer Weltuntergangssektenprediger. Ein radikal-religiöser Fundamentalist mit pathologisch verzerrter Selbstwahrnehmung und -darstellung. Genauso kleinlich, engstirnig und selbstgerecht wie sein göttlicher Stiefvater. Fest verhaftet im streng dualistischen Gut-Böse-Schema seines Glaubens. Nix Freigeist.

Die Menschen, denen er half und die er heilte, waren nichts weiter als Statisten für angeblich göttliche Machtdemonstrationen und um die Wirksamkeit und Unverzichtbarkeit des Glaubens an seinen Gott zu belegen („Dein Glaube hat dich gerettet“).

Sinngemäß: Meinem Gott ist es völlig egal, wer du bist, woher du kommst und was du getan hast – Hauptsache, du hast dich zu Lebzeiten ihm unterworfen. Die Belohnung dafür bekommst du dann (vielleicht) nach deinem Tod und bis dahin leidet dein Gott still und tatenlos mit dir mit.

Radikale Hoffnung – worauf?

Solche Inseln der Hoffnung haben wir alle bitter nötig. Radikale Hoffnung haben wir bitter nötig. Denn die macht uns widerständig, den Kräften zum Trotz, die Hoffnungslosigkeit ausnutzen, um ihre menschen- und lebensfeindlichen Gedanken an den Start zu bringen. Hier sehen wir, wie es gehen kann. Was für eine Kraft und Zukunftskraft darin steckt, wenn wir uns zusammentun und einfach machen, das machen, was es braucht.

Wenn wir davon ausgehen, dass die Kirche mit ihren Aktionen in erster Linie das Ziel der Missionierung, also der Verbreitung des biblisch-christlichen Glaubens verfolgt, dann trifft diese Beschreibung zweifellos auch auf die Kirche selbst zu: Eine Kraft, die die Hoffnungslosigkeit ausnutzt, um ihre menschen- und lebensfeindlichen Gedanken an den Start zu bringen.

Auch wenn die Menschen- und Lebensfeindlichkeit dieses Glaubens heute sorgfältig kaschiert wird, wenn die Mittel der Wahl heute nicht mehr falsche Erlösungsversprechungen und Höllendrohungen, sondern soziales Engagement und eine positiv verzerrte und selektierte Darstellung der Glaubensgrundlagen sind, kann das nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch die monotheistische Buchreligion des Christentums bei Licht betrachtet genau das ist: Menschen- und lebensfeindlich.

Und jetzt alle: Wir sind mutig, stark und beherzt!

Vier Tage ging es hier in Hannover mit dem Kirchentag um viel. Um das, was wir brauchen, um mutig, stark und beherzt die Welt zu gestalten. Radikale Hoffnung. Die wird ausstrahlen, ganz weit, ganz ganz weit und wird ganz viele anstecken.

Und worin soll sie denn jetzt nun konkret bestehen, diese gar radikale Hoffnung, die wir brauchen, um mutig, stark und beherzt die Welt zu gestalten? Was versteckt sich hinter den Wortgirlanden, Wiederholungen und Phrasen?

Die Hoffnung auf einen Gott, der es trotz angeblicher Allmacht und Allgüte dabei belässt, uns dort anzuschauen, wo Menschen leiden? Und der es, sollte er existieren, trotzdem vorzieht, sich exakt so zu verhalten, als gäbe es ihn nicht? Zumal er in der Bibel als einer beschrieben wird, dem es gar nicht um die Menschen, sondern um sich selbst geht? Was soll daran hoffnungsvoll sein?

Hoffnung Gott vs. Hoffnung Mensch

Sollte die Hoffnung vielleicht gar nicht göttlicher, sondern menschlicher Hilfsbereitschaft gelten?

Welche Rolle spielt dann Gott überhaupt noch in diesem Zusammenhang? Genügt Christen die Wahrnehmung des Leides ihrer Mitmenschen nicht als Motivation, diesen zu helfen? Wenn sie sich zusätzlich noch einen Gott einbilden müssen, der ihnen dabei tatenlos und schweigend zusieht, wie sie Bedürftigen helfen?

Durch die Erweiterung der irdischen Wirklichkeit durch die Vorstellung eines richtenden Gottes wird ein fiktiver Bewertungsmaßstab etabliert, nach dem menschliches Handeln als gottgefällig bzw. sündhaft bewertet wird.

Allein schon wegen der zahllosen Verbrechen, die im angeblichen Namen und Auftrag bzw. „zur Ehre Gottes“ schon verübt wurden und täglich werden wird deutlich, dass dieser Maßstab alles andere als geeignet ist, wenn es um Moral und um Ethik geht.

Die Ansichten, was denn nun gottgefällig bzw. sündhaft sein soll, gehen selbst innerhalb der christlichen Herde diametral auseinander.

Ich finde es bezeichnend, dass Frau Behnken zwar großspurig von einer „radikalen Hoffnung“ tönt, aber verschweigt, worin diese Hoffnung denn nun konkret bestehen soll. Und vor allem: Was das alles mit der evangelischen Kirche und dem von ihr vertretenen Glaubenskonstrukt zu tun haben soll.

Gute Nacht!

Frau Behnken, wäre aus christlicher Sicht ausgerechnet im Kontext der heutigen Kirchenreklamesendung nicht erst recht ein Segen angebracht gewesen, statt einem lapidaren, säkularen Gute-Nacht-Gruß? Oder wollten Sie an dieser, sicher bewusst gewählten, öffentlich zugänglichen Location mit „gemischtem Publikum“ keine „Perlen vor die Säue“ werfen?

Ist Ihnen vielleicht gar bewusst geworden, dass ein Segen für Glaubensfreie und Andersgläubige, die sie ja ausdrücklich mit einbezogen hatten, um den Anschein zu erwecken, der Kirchentag sei von besonderer Relevanz für die Allgemeinheit, sowieso nichts helfen würde?

Fazit

Ausgerechnet vom biblisch-christlichen Glaubenskonstrukt ist praktisch nichts mehr übrig geblieben:

Gar der Kern christlichen Glaubens sei ein tatenloser Spannergott. Dazu ein Gottessohn, der nur noch als fragwürdiger Protagonist für mitmenschliches Verhalten in Erscheinung tritt. Nicht wegen seiner „Erlösungstat“ am Kreuz. Sondern, weil er schon damals Neumitglieder für seine jüdische Splittersekte dort akquirierte, wo es die Kirchen auch heute noch am erfolgreichsten tun: Bei Außenseitern, Bedürftigen und Leidenden.

Und dann noch irgendeine nicht näher beschriebene, dafür aber radikale Hoffnung auf irgendwas.

Auf mich wirken der Kirchentag, sein Motto und auch das heutige Wort zum Sonntag wie ein verzweifelter Versuch, sich selbst mit einer bewusst nicht näher beschriebenen, aber trotzdem als radikal hoffnungsvoll dargestellten Illusion Mut und Stärke einzureden.

Ergänzung: Du sollst deinen Kirchentag selbst bezahlen!

Ein Aspekt, der besonders für die inzwischen überwiegende, nicht (mehr) christliche Allgemeinheit im Zusammenhang mit kirchlichen Festivitäten von Bedeutung ist, wird in einer christlichen Verkündigungssendung natürlich nicht thematisiert: Die Finanzierung – und hier speziell die Fremdfinanzierung durch die Allgemeinheit.

Diesem Thema widmet sich seit nunmehr 11 Jahren die Kunstaktion 11tes Gebot.

Auch beim evangelischen Kirchentag waren David Farago und sein Team wieder vor Ort. An prominenter Stelle entstand eine „religionsfreie Zone.“

Dem Anlass entsprechend war neben Moses mit seinem 11. Gebot auch der „Nackte Luther“ mit von der Partie. Die beiden Großplastiken wurden „im Sekundentakt fotografiert“ und sorgten für etliche Aha-Momente und Diskussionen.

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1 Gedanke zu „Alle an einem Tisch – Das Wort zum Wort zum Sonntag vom Evangelischen Kirchentag“

  1. Hier, haste nen Keks,
    darfst dir gerne auch 2 oder 3 nehmen.
    Vollkommen gratis natürlich.
    Nächste Woche schenken wir dir sogar ne ganze Packung,
    aber nur, wenn du unserem Verein beitrittst…
    Jede weitere Packung kostet dann nen 10er,
    und wenn du den nicht bezahlen willst,
    sorgt schon Vater Staat dafür,
    denn schliesslich hast du armes Arschloch freiwillig nen Vertrag unterschrieben,
    (falls nicht, haben das deine Eltern direkt nach Geburt für dich erledigt)
    in dem du unsere Vereinssatzung anerkennst!

    Wir tun das selbstverständlich nur aus Liebe zu dir und du magst doch Kekse,
    oder etwa nicht?!

    Und jetzt FRISS!!!

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