Fundstück der Woche: Der Fels, oder: Wie ich mich am besten selbst bescheiße

Lesezeit: ~ 5 Min.

Ein treuer AWQ-Stammleser hatte mich auf einen Liedtext aufmerksam gemacht, der ihn jedes Mal, wenn er ihn hört, irritiert und nervt.

Es geht um das Lied Der Fels von Xavier Naidoo. Natürlich lässt sich über Musikgeschmack (nicht) streiten und gerade über diesen Interpreten wurde auch schon mehr als genug geschrieben, deshalb beschränke ich mich auf einige Gedanken zum Inhalt dieses Liedes.

Wenn man unterstellt, dass Herr Naidoo mit „Herr“ den christlichen Wüstengott mit jüdisch-abrahamitischen Wurzeln meint, dann dürfte sich der Titel ebenfalls auf die Felsmetapher biblischen* Ursprungs beziehen. Ganze 120 Felsen kommen im Alten, nur noch 20 im Neuen Testament vor.

Meistens symbolisiert der Fels das „stabile“ Fundament, das der Glaube angeblich sein soll. Bei Bedarf sind aber auch Jakob, Petrus oder Christus „Felsen“, und an wieder anderen Stellen zeugen Felsen Kinder, sind die eigenen Felsen besser als die Felsen der Feinde, rückt der Fels von seiner Stätte…

Bei 1 Sam 2,3 EU heißt es: Niemand ist heilig, nur der Herr; denn außer dir gibt es keinen (Gott); keiner ist ein Fels wie unser Gott. Bleibt die Frage, warum dieser Gott als oberstes Gebot seinen Allmachtsanspruch äußern muss, wenn es doch gar keine anderen Götter gibt?

Jedenfalls scheint der Fels besonders in der Bronzezeit ein geeignetes Bild gewesen zu sein, dem primitiven Hirtenvolk in der Wüste vorzugaukeln, wie zuverlässig der angepriesene Glaube angeblich ist. Noch heute verwendet eine Versicherung dieses biblische Bild.

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How many years can a mountain exist,
before it’s washed in the sea?

Und trotzdem ist es freilich nur eine Frage der Zeit, bis sich auch der größte Fels wieder in seine Bestandteile aufgelöst haben wird. Erosion, Plattentektonik und Kontinentaldrift waren damals noch unbekannte Phänomene und auch hatte Bob Dylan noch nicht vom Berg gesungen, der ins Meer gespült wird – also genügte Fels als Metapher für „absolut unzerstörbar, grundsolide“ – etwas Dauerhafteres hätten sich die Leute sowieso nicht vorstellen können.

Aber zurück zum Text, der zum größten Teil aus einer gradezu lächerlichen Anhäufung von schmalzigstem Selbstmitleid besteht. Dieses Sammelsurium an mir-gehts-so-schlecht-ich-bin-so-arm-dran-und-ich-muss-das-größte-Elend-ertragen ist allerdings auch wieder recht einfach nachzuvollziehen wenn man bedenkt, dass der Verfasser in seinem Leben offenbar tatsächlich auf irgendeine Unterstützung durch einen imaginären Freund, den er „Herr“ nennt, vertraut, statt seine realen Probleme mit realen Mitteln anzugehen.

Da kein einziges Phantasiewesen jemals tatsächlich seriös nachweisbar irgendwie in Erscheinung getreten oder belegbar irgendwie tätig geworden ist, kann man die vor pathetischem Selbstmitleid nur so triefenden Zeilen schon nachvollziehen. Wer sich auf Gott verlässt, ist natürlich verlassen.

Ein Gottgläubiger erhält nicht nur keine Hilfe, sondern er hält sich fatalerweise selbst davon ab, nach tatsächlichen Lösungen für seine Probleme zu suchen, weil er ja irrtümlicherweise denkt, dass seine Gebete von einem allwissenden, allmächtigen und sogar noch ihm gegenüber in seinem eigenen Sinne wohlwollenden Gott erhört werden.

Darüberhinaus zeugen die Zeilen auch davon, dass der Sänger denselben Denkfehlern aufsitzt wie alle, die an einen Gott glauben. So sieht er zum Beispiel in allem, was er als positiv wahrnimmt, natürlich das Wirken seines imaginären Herren.

Darüber, dass das unsägliche Leid und Elend, über das er sich ausschweifend beklagt, ja logischerweise auch vom selben allmächtigen Gott kommen muss, auf dessen Unterstützung er vertraut, verliert er kein Wort. Und so weiß man nicht, ob er Gott für unfähig und damit nicht allmächtig, oder für unwillig und damit für sadistisch hält – er selbst scheint sich die Frage jedenfalls nicht zu stellen. Der Glaube an einen Gott hält nicht mal den einfachsten logischen Regeln stand.

Den Gipfel der Beschränktheit liefert Naidoo gegen Ende des Liedes, wo er Gott tatsächlich für die Liebe, die Perspektive, Erkenntnis, Freiheit und die Kraft dankt.

Liebe: Gott hat mit Liebe nichts zu tun und Liebe zum Glück nichts mit Gott. Ausgerechnet der christliche Wüstengott ist, je nachdem, welchen Teil der für Christen allumfänglich und wortwörtlich wahren Bibel man zu Rate zieht, entweder ein kriegs-, rach- und eifersüchtiges, sadistisches, menschenverachtendes Monster oder, wie im Neuen Testament zu lesen, ein Wesen, das trotz seiner angeblichen Allmacht keinen anderen Weg hat, seine Liebe seinen Anhängern zu beweisen, als sich einen Menschen, zu dem er ein Vater-Sohn-Verhältnis hat, auf die denkbar grausamste Methode zu Tode foltern zu lassen. Auch ist die angebliche Gottesliebe alles andere als bedingungslos: Gott entscheidet selbst nach seinen eigenen, unbekannten Maßstäben, wem er seine Liebe schenkt und wen er mit zeitlich unbegrenzter psychischer und physischer Qual bestraft – alles natürlich erst im Jenseits.

Perspektive: Welche Perspektive soll denn eine Ideologie bieten können, die auf den Aussagen eines einzigen Buches basiert, die zudem noch dogmatisch unabänderlich und gegen jede Logik und Vernunft festgelegt wurden? Karlheinz Deschner beschrieb es so: Je größer der Dachschaden, desto schöner der Ausblick zum Himmel.

Erkenntnis: Ausgerechnet dem Christengott, in dessen angeblichem Namen und Auftrag unzählige Menschen dafür verfolgt, gefoltert und getötet wurden, weil sie neue Erkenntnisse erlangt hatten, für Erkenntnis zu danken, zeugt von massivem Realitätsverlust verbunden mit einer gravierenden Fehleinschätzung. Erkenntnis ist der größte Feind von religiösen Lügenmärchen. Für Erkenntnis kann man der Wissenschaft, der Kunst und der Philosophie danken, aber doch nicht einem Wüstengott aus der Bronzezeit!

Freiheit: Religionen leben davon, dass Menschen auf ihre Freiheit verzichten. Wer das nicht von sich aus wollte, wurde viele Jahrhunderte dazu gezwungen und in unzähligen Fällen wurden Un- oder Andersgläubige durch das Schwert oder auf dem Scheiterhaufen von ihrem Un- oder Andersglauben „befreit“. Ein Blick in die beispiellose Kriminalgeschichte des Christentums zeigt erschreckend eindrucksvoll, wie umfangreich die christliche Kirche Menschen ihre Freiheit entzogen hat – natürlich immer konform mit den passenden Bibelstellen, die Sklavenhaltung ganz selbstverständlich befürworten. Auch wer heute noch an einen Gott glauben möchte, muss ebenfalls auf Freiheit verzichten, nämlich auf die Freiheit des selbständigen, klaren Denkens und auf die Freiheit, die persönliche Weltsicht auf mehr als nur ein verstaubtes, archaisches Märchenbuch zu stützen. Noch schlimmer beschneidet die Kirche die Freiheit ihrer Diener, wo sie sich auf eine widerliche Art und Weise in das Privatleben und bis in in die Privatsphäre des Schlafzimmers einmischt.

Kraft: Es gibt tatsächlich Menschen, die trotz der bis hierher angeschnittenen Absurditäten behaupten, aus ihrem Gottesglauben irgendeine Kraft zu beziehen. Da diese Kraft bis zum Beweis des Gegenteils nicht von außerirdischen Geistern und Göttern stammt, ist diese Kraft genauso illusorisch und fiktiv wie die Kraft, die der Alkoholiker aus dem Alkohol zu gewinnen meint. Abgesehen vom Placeboeffekt einer Autosuggestion (umgangssprachlich: Selbstverarschung) ist jedenfalls keine externe Macht im Spiel, wenn man davon ausgeht, dass es im Universum „mit rechten Dingen“ zugeht, wofür alles und wogegen nichts spricht.

Fazit:
Natürlich kann sich jeder seine Wirklichkeit zusammenbasteln, wie sie ihm gefällt. Auch kann jeder auf die Unterstützung von erfundenen Wesen wie Göttern, Engeln, Einhörnern oder beliebigen anderen Phantasiewesen hoffen und es ist sogar möglich, nicht nur 2 + 2 = 4, sondern auch 2 + 2 = 22 für wahr und richtig zu halten. Wer allerdings möchte, dass er und das, was er sagt, von anderen Menschen noch wenigstens ansatzweise ernstgenommen wird, der sollte solch absurde Ideen vielleicht besser für sich behalten, statt Lieder darüber zu veröffentlichen.

Besonders leichtgläubige Zuhörer könnten nicht merken, dass Götter aus religiösen Scheinwelten nun mal keinen Einfluss auf die irdische Wirklichkeit nehmen und die religiösen Wahngedanken nicht als solche durchschauen. Gerade wegen der Menschen, die tatsächlich Probleme haben und hilfebedürftig sind, ist es höchst unverantwortlich, so zu tun, als könne man von imaginären Freunden tatsächlich Unterstützung erwarten.

*Meine Aussagen über Gott und Religion gehen vom biblisch-christlichen Gottesbild und von der aktuell gültigen christlichen Lehre aus. In Wirklichkeit existieren bis zum Beweis des Gegenteils Götter, Göttinnen, Gottessöhne, Gottesmütter und sonstige überirdische Geisterwesen ausschließlich in der menschlichen Phantasie.

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