Unmögliche Wünsche – Das Wort zum Wort zum Sonntag, verkündigt von Alexander Höner, veröffentlicht am 20.12.2025 von ARD/daserste.de und auf evangelisch.de
Worum geht es?
Höner immunisiert den Glauben durch emotionale Rhetorik und präemptive Selbstkritik gegen rationale Einwände, indem er legitime Friedenswünsche mit religiösem Wunschdenken gleichsetzt und historisch unhaltbare Weihnachtsmythen als Beleg für die „Möglichkeit des Unmöglichen“ verkauft – während er selbst eingesteht, dass es naiv ist.Pfarrer Alexander Höner hat im „Wort zum Sonntag“ einen Text vorgelegt, der auf den ersten Blick sympathisch daherkommt: Kindheitserinnerungen, Friedenswünsche, Kritik an Gewalt und Ungerechtigkeit. Doch bei genauerer Betrachtung offenbart sich ein rhetorisches Manöver, das typisch ist für moderne Versuche, Religion gegen rationale Kritik zu immunisieren. Schauen wir uns an, wie das funktioniert.
Der rhetorische Dreischritt: Emotion – Naivitätszugeständnis – Trotzdem-Glaube
Höners Strategie ist alt bekannt: Er beginnt mit nostalgischen Kindheitserinnerungen, die universell nachvollziehbar sind. Wer hatte nicht als Kind Wunschlisten? Dann schwenkt er zu den aktuellen Kinderwünschen – Bastelsachen und Weltfrieden. Soweit, so unverfänglich.
Dann kommt der entscheidende Schachzug: „Ist das naiv?“ Er antizipiert die Kritik selbst. „Ja, ja, auf der einen Seite schon…“ – ein rhetorisches Zugeständnis, das ihn – und damit auch das, worauf er eigentlich hinaus will – vor Einwänden schützen soll. Aber dann das große „Aber“: „…auf der anderen Seite ist Weihnachten auch Zeit für die großen Wünsche.“
Diese Technik nennt man präemptive Selbstkritik: Man gibt der rationalen Einwand selbst vor, um ihn dann zu relativieren. Das Problem: Die Naivität wird dadurch nicht weniger naiv. Sie wird nur in eine rhetorische Schutzzone verschoben – die „Weihnachtszeit“, in der angeblich andere Regeln gelten.
Das „Unmögliche wird möglich“ – oder: Die Flucht aus der Wirklichkeit
Höner behauptet: „Weil damals in Bethlehem auch das Unmögliche möglich geworden ist.“ Hier wird es theologisch problematisch. Was genau „Unmögliches“ ist in Bethlehem „möglich geworden“?
Die historische Realität: Es gibt keine zeitgenössischen Belege für die Geburtsgeschichte Jesu. Die Evangelien wurden Jahrzehnte später verfasst, enthalten widersprüchliche Angaben, und die Geschichten von Volkszählung, Herbergssuche und Krippe sind höchstwahrscheinlich literarische Konstruktionen mit theologischer Absicht.
Selbst wenn ein Rabbi namens Jesus geboren wurde: Inwiefern war das „unmöglich“? Geburten sind das Normalste der Welt. Die „Unmöglichkeit“ liegt nur in der späteren theologischen Deutung – die allmächtige „Lebens- und Liebesmacht Gott“ wird Mensch. Aber diese Deutung ist keine historische Tatsache, sondern religiöse Interpretation bzw. Dichtung.
Die romantische Krippe – historisch unhaltbar
Höners Bild der Krippe ist kitschig-verklärt: „Tiere, Hirten, Könige stehen zusammen und verbringen gemeinsam den Abend.“ Das ist Weihnachtskarten-Ikonografie, keine Geschichte.
Die „Könige“ (eigentlich: „Magier“ oder „Sterndeuter“) tauchen nur im Matthäus-Evangelium auf – nicht bei Lukas, wo die Hirten vorkommen. Die beiden Geburtserzählungen widersprechen sich in wesentlichen Punkten. Von einem gemeinsamen „Abend“ steht nirgends etwas.
Wichtiger noch: Diese romantische Verklärung dient als Projektionsfläche für einen fragwürdigen Schluss: „…und mit diesem geheimnisvollen Glanz beginnt etwas, was ansonsten für unmöglich gehalten wird, dass Menschen anders miteinander umgehen als sonst.“
Der logische Fehlschluss: Weihnachtsharmonie als Gottesbeleg
Höner suggeriert hier eine kausale Verbindung: Weil an Weihnachten (angeblich) etwas Besonderes in Bethlehem geschah, können Menschen heute „anders miteinander umgehen“. Das ist ein non sequitur – ein logischer Fehlschluss.
Menschen können jederzeit „anders miteinander umgehen“ – aus humanistischen, ethischen, empathischen oder auch eigennützigen Gründen. Dass manche dies ausgerechnet zu Weihnachten tun (sofern sie es überhaupt tun), liegt nicht an einem „geheimnisvollen Glanz“, sondern an kulturellen Konventionen, sozialem Druck und vielleicht dem Bedürfnis nach zwischenmenschlicher Nähe in der dunklen Jahreszeit.
Die Beispiele – spontane Umarmungen, Einladungen an einsame Nachbarinnen – sind schön, aber sie brauchen keine metaphysische Begründung. Sie sind Ausdruck menschlicher Güte, nicht göttlicher Intervention.
Die große Gleichsetzung: Kinderwunsch = religiöse Hoffnung
Besonders perfide ist Höners Verschmelzung von legitimen Friedenswünschen mit religiösem Wunschdenken. Natürlich wünschen wir uns alle, „dass niemand erschossen wird“. Aber dann kommt der rhetorische Trick: „Wenn es einmal zu Weihnachten klappt, warum sollte es dann nicht auch immer klappen?“
Moment – klappt es denn zu Weihnachten? Die Geschichte zeigt eher das Gegenteil. Kriege haben zu Weihnachten stattgefunden (mit der berühmten Ausnahme des Weihnachtsfriedens 1914, der allerdings von den Militärführungen schnell beendet wurde). Weihnachtsmärkte wurden und werden angegriffen. Gewalt macht keine Winterpause.
Höner setzt hier einen normativen Anspruch (es sollte Frieden sein) mit einer faktischen Behauptung (zu Weihnachten „klappt“ es) gleich. Das ist intellektuell unredlich.
Die Systemkritik ohne System: Moralische Empörung ohne Analyse
Höners Kritik an Kriegen, Gewalt und Ungerechtigkeit ist vollkommen berechtigt. „Solange wir in so vielen Bereichen das rücksichtslose Siegen auf abstruse Weise belohnen, solange wir nicht alles gerecht verteilen, werden weiter unnötig Menschen sterben.“
Hier liegt die größte Ironie des Textes: Diese Kritik kommt aus dem Mund eines Vertreters einer Institution, die historisch selbst vielfach „rücksichtsloses Siegen“ praktiziert und gesegnet hat. Die Kirchen haben Kreuzzüge geführt, Kolonialismus und Ausbeutung legitimiert, Frauen und Männer verbrannt – alles im Namen und angeblichen Auftrag der „Lebens- und Liebesmacht Gott“.
Und heute? Beide großen Kirchen in Deutschland sind trotz der rasant fallenden Nachfrage nach ihren angebotenen Produkten nach wie vor immens wohlhabend, während sie Bescheidenheit predigen. Die evangelische Kirche verfügt über ein Vermögen von geschätzten 25 Milliarden Euro, riesigen Immobilienbesitz und profitiert vom staatlich eingezogenen Kirchensteuersystem – während Höner von „gerechter Verteilung“ spricht.
Hinzu kommen Staatsleistungen in dreistelliger Millionenhöhe jährlich, die verfassungsrechtlich längst hätten abgelöst werden sollen. Die katholische Kirche ist mit ihrem nochmal deutlich größeren Vermögen, Kunstschätzen und Ländereien eine der reichsten Institutionen der Welt.
Beide Kirchen zahlen auf ihre Gewinne keine Steuern, erhalten Subventionen für kirchliche Einrichtungen und lassen sich Bischöfe und Kirchenfunktionäre vom Staat bezahlen – während sie gleichzeitig Moral und soziale Gerechtigkeit predigen.
Der finale Trick: Wishful Thinking als Prinzip
„Ich jedenfalls werde nicht aufhören, mir das zu wünschen.“ Hier liegt der Kern des religiösen Weltbildes: Der Wunsch wird zum Prinzip erhoben. Nicht Analyse, nicht Strategie, nicht konkretes Handeln – sondern der Akt des Wünschens selbst wird zur Tugend erklärt.
Das ist die ultimative Flucht vor der Realität. Natürlich dürfen wir uns Besseres wünschen. Aber Wünsche allein ändern nichts. Was die Welt verändert hat, waren konkrete Bewegungen: Die Aufklärung, die Menschenrechte, soziale Reformen, wissenschaftlicher Fortschritt, Gewerkschaften, Frauenbewegungen, Bürgerrechtskämpfe – alles erkämpft gegen den Widerstand religiöser Autoritäten.
Fazit: Die Immunisierung des Glaubens durch emotionale Rhetorik
Höners Text ist ein Lehrstück moderner Apologetik. Er nutzt in seinem Beitrag „Unmögliche Wünsche“:
- Emotionale Anker (Kindheitserinnerungen)
- Präemptive Selbstkritik („Ist das naiv? Ja, aber…“)
- Historische Verklärung (die romantisierte Krippe)
- Kausale Fehlschlüsse (Bethlehem → heutige Nächstenliebe)
- Moralische Autorität (Friedenswünsche)
- Wishful Thinking als Prinzip
Das Ergebnis: Der Glaube wird in eine emotionale Schutzzone verschoben, wo rationale Kritik als „herzlos“ oder „unpassend zur Stimmung“ erscheinen soll.
Doch eine humanistische, säkulare Ethik braucht keine metaphysischen Krücken. Wir können Frieden wollen, Gerechtigkeit fordern und Nächstenliebe praktizieren – ohne an Wunder zu glauben, die nie stattgefunden haben. Tatsächlich funktioniert es sogar besser: Wer nicht auf göttliches Eingreifen wartet, übernimmt selbst Verantwortung.
In diesem Sinne: Frohe Weihnachten – als humanistisches Fest der Menschlichkeit, nicht der scheinbar passend zurechtgebogenen Mythologie und Verleugnung der Kriminalgeschichte des Christentums.

















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