Zur Hölle mit den Sternen – Das Wort zum Wort zum Sonntag zum Thema Bewertung, verkündigt von Alexander Höner (evangelisch), veröffentlicht am 07.06.2025 von ARD/daserste.de
Darum geht es
Diesmal kritisiert Herr Höner Bewertungen und empfiehlt Fulbert Steffenskys „gelungene Halbheit des Lebens“, ohne dessen theologische Begründung zu erwähnen.Zum Einstieg plaudert Herr Höner gewohnt anekdotisch darüber, wie schlechte Bewertungen Karrieren zerstören können. Während seiner Beschäftigung bei einem Regionalsender soll ein Vorgesetzter zu einem seiner Kollegen gesagt haben:
„… dann werde ich dafür sorgen, dass du als Redakteur nirgendwo mehr einen Fuß auf den Boden bekommst.“ Schlechte Bewertungen beenden Karrieren.
(Quelle der so als Zitat gekennzeichneten Abschnitte: Zur Hölle mit den Sternen – Wort zum Sonntag, verkündigt von Alexander Höner (evangelisch), veröffentlicht am 07.06.2025 von ARD/daserste.de)
War das vielleicht gar nicht an einen Kollegen, sondern womöglich an Sie gerichtet, Herr Höner? Ich frage für einen Freund…
Weiter gehts von den möglichen Auswirkungen einer negativen Bewertung zu der Frage, wie es mit Bewertungen aussieht, die man sich selbst gibt.
Entweder „richtig gut“ oder eben „nüscht“.
Von mir kenne ich das jedenfalls: Ich bin mir selbst der strengste Richter. Das macht so viel kaputt. Dieses Ganz oder Gar nicht. Wenn ich zum Beispiel handwerklich etwas baue und es wird nicht exakt so, wie ich mir das vorstelle, dann bin ich total unzufrieden mit mir selbst, obwohl das Ergebnis eigentlich gar nicht so schlecht ist. Aber: „Gar nicht so schlecht“ ist für mich keine gültige Kategorie. Entweder „richtig gut“ oder eben „nüscht“. Das gilt für mich auch beim Sport, beim Aussehen, beim Texte-Schreiben.
Das klingt nach einem klassischen Fall für die Lebensberatungs-Rubrik in einem Lifestyle-Heftchen – oder in der Fernsehzeitschrift.
Und falls die hier beschriebene übersteigerte Selbstkritik nicht nur ein rhetorischer Allgemeinplatz-Trick, sondern ein ernsthaftes persönliches Problem sein sollte, wäre eine psychologische und/oder psychotherapeutische Unterstützung sicher eine gute und keinesfalls ironisch gemeinte Empfehlung.
Ein Protestant, päpstlicher als der Papst
Mit dem nun folgenden Manöver bringt Herr Höner dann erstmal schnell den Glauben in Sicherheit, mit dessen Verbreitung er sein Geld verdient:
Sie können sich jetzt sicherlich gut vorstellen, dass ich mich damit total unter Druck setze. Da bin ich strenger mit mir selbst als es nach meiner Vorstellung das Jüngste Gericht am Ende der Zeit je sein kann.
Schon ein bisschen raffiniert, der Herr Höner. Mit dem Zusatz „nach meine Vorstellung“ hat er sich schnell mal eben der gnadenlosen und ungerechten biblisch-christlichen Glaubensgrundlage entledigt. Und diese durch seinen persönlich zurechtgebogenen Höner-Privatglauben ersetzt. Das zeigt eindrücklich, wie egal die eigentlichen Glaubensinhalte inzwischen geworden sind.
Wie sich Herr Höner diese gnadenlose und unvorstellbar ungerechte biblisch-göttliche Endabrechnung vorstellt, ändert, mangels Fakten, weder faktisch etwas. Noch ändert es etwas am biblischen Narrativ.
Eine vergleichbar tiefgründige Aussage wäre zum Beispiel: „Ich bin reicher, als es nach meiner Vorstellung Dagobert Duck je sein kann.“
Bewertung ist eine Grundlage christlichen Glaubens
Wäre Herr Pfarrer Höner ehrlich zu sich und vor allem ehrlich zu seinem Publikum, dann hätte er seine Kirchensendung nicht küchenphilosophischen Banalitäten, sondern der Frage widmen können, wie es denn in dem von ihm vertriebenen Glaubenskonstrukt mit dem Thema Bewertung aussieht.
Wohl ahnend, dass dieser Schuss nach hinten los gegangen wäre, umschifft er die Beantwortung dieser Frage, indem er die biblischen Aussagen und Androhungen durch seine Privat-Interpretation („nach meine Vorstellung“) ersetzt.
Dabei hätte gerade er als christlicher Theologe hier wirklich viel beitragen können.
Schließlich basiert ja das gesamte biblische Heilsversprechen darauf, dass ein allmächtiger und allwissender Gott Menschen bewertet. Eine ziemlich absurde Vorstellung, wenn man bedenkt, dass dieser Gott ja nicht nur die Menschen nach seinem Ebenbild geschaffen haben, sondern auch allmächtig und sowieso schon allwissend sein soll.
Das ganze irdische Dasein ist laut biblischer Aussage ein Test, von dessen abschließender Bewertung abhängt, ob Menschen auf ewig ihren Gott anhimmeln dürfen. Oder ob sie ebenso zeitlich unbegrenzt Dauerfolter mit physischen und psychischen Höllenqualen bei vollem Bewusstsein, ohne ordentliche Gerichtsverhandlung und ohne Aussicht auf Begnadigung vom lieben Gott verpasst bekommen.
Und da in Wirklichkeit nicht Gott die Menschen nach seinem, sondern die Menschen Gott nach ihrem Ebenbild „erschaffen“ hatten, ist dieser genauso pedantisch, kleinkariert, selbstgerecht und gnadenlos wie sie es waren (oder gerne gewesen wären).
Androhung fiktiver göttlicher Bewertung verursacht reales Leid
Jetzt darf man nicht vergessen, dass das, was uns aus heutiger Sicht zumindest von außen betrachtet als völlig absurd und vielleicht auch lächerlich erscheint, für unzählige Menschen den gleichen Stellenwert hatte (und hat) wie die irdische Realität. Deshalb ist auch das reale Leid unermesslich, dass allein schon nur die Androhung einer fiktiven göttlichen Bewertung über Jahrhunderte hinweg verursacht hat.
Niemand konnte sich jemals sicher sein, ob es denn tatsächlich gereicht haben würde für die bei guter Führung (bzw. Unterwerfung und Opferbereitschaft) oder, je nach Konfession, bei ausreichender göttlicher Gnade in Aussicht gestellte göttliche „Fünf-Sterne-Bewertung.“
Die ritualisierten, ständig wiederkehrenden persönlichen und kollektiven Schuldeingeständnisse, die in christlichen Gebeten und in der christlichen Liturgie enthalten sind, zeugen noch heute, wo sie vermutlich kaum noch jemand bewusst wahrnimmt davon, wie die Schäfchen dazu gebracht wurden, selbst dafür zu sorgen, dass die Angst vor dieser Bewertung und der damit verbundene Druck nie nachlassen.
Überbewertung der ingroup, Abwertung der outgroup
Ein weiterer, sehr problematischer Aspekt im Zusammenhang mit Religionen und dem Thema Bewertung rührt daher, dass sehr viele Religionen dem primären Zweck dienten, die Mitglieder eines Wüstenstammes (und später die eines Staates oder Reiches) zusammenzuhalten. Verständlich, denn davon hing mitunter der Fortbestand des ganzen Stammes ab.
Und deshalb sind Buchreligionen wie das Christentum darauf ausgelegt, die Zugehörigen (wir, die Guten, Gottes Kinder, die, die erlöst werden, die ingroup) als im Glauben vereinte Gruppe (nicht als Individuen!) zu überhöhen. Und alle anderen (die, die anderen, die Ungläubigen, die Bösen, die, die von Gott nicht erlöst, sondern verdammt werden, die outgroup) abzuwerten.
Die furchtbaren Folgen dieser christlich begründeten und motivierten Bewertung seiner Mitmenschen nach deren Glaubensbekenntnis ziehen sich als breite Blutspur durch die Kriminalgeschichte des Christentums – und weiter bis in die Gegenwart.
Mehr als 3600 Menschen, die eine Hälfte Protestanten, die andere Hälfte Katholiken waren im Nordirland-Konflikt ermordet worden. Zur Unterscheidung zwischen Freund und Feind diente – die Bewertung der jeweils anderen Konfession.
Aber klar: Weder die Bewertung des Gottes aus der biblisch-christlichen Mythologie, noch die Bewertung der Konfession als Begründung für einen Mord sollen so hart sein wie die gnadenlose Selbstbewertung des Fernsehpfarrers Höner. Behauptet er jedenfalls.
Bewertung ist nicht per se schlecht
Ich glaube aber, dass es bei weitem nicht nur mir so geht. Unsere Welt ist nämlich komplett durchbewertet. Es gibt so viele Möglichkeiten, sich zu vergleichen und selbst zu bewerten.
Bewertung ist per se erstmal nicht unbedingt immer negativ, wie Herr Höner hier versucht zu suggerieren.
Evolutionär betrachtet war und ist eine möglichst zutreffende Bewertung von Dingen, Situationen, aber auch von Mitlebewesen erstmal ein wichtiger Überlebensfaktor.
Menschen, die sich eben nicht mit Mittelmäßigkeit zufrieden geben, sondern die immer weiter forschen, entwickeln, komponieren, malen oder Rezepte verfeinern, oder, allgemein gesprochen, die, die sich nicht mit der Antwort „Wir wissen es nicht, also hat es (unser) Gott gemacht“ zufrieden geben, stellen immer wieder unter Beweis, zu welch außergewöhnlichen Leistungen Menschen fähig sein können. Ein Vergleich und auch eine Selbstbewertung sind dabei unerlässlich.
Zu differenzieren ist außerdem auch noch, wer oder was denn bewertet wird: Die Bewertungen auf Bewertungsportalen, in Onlineshops oder auch bei der Hotelbuchung können wertvolle Entscheidungshilfen sein (wenn sie denn echt sind) und Fehlkäufe oder Urlaubsärger vermeiden. Außerdem geben diese Bewertungen Anbietern die Möglichkeit, qualitative Mängel bei ihren Angeboten zu erkennen und zu beheben.
Herrn Höner geht es aber wohl um die Bewertung von Menschen. Dazu passt zwar der Titel nicht, weil mit Sternen ja für gewöhnlich keine Menschen, sondern Angebote oder Produkte bewertet werden. Aber was solls.
Ehrlich echt jetzt
Kritisch kann es werden, wenn Menschen unter ihrem Perfektionismus bzw. unter ihrem eigenen Anspruch leiden. Und für diese Leute bringt Herr Höner jetzt noch schnell seine Version seines Glaubens als Lösung ins Spiel:
Mal ehrlich, mal wirklich ehrlich.
Was bedeutet „ehrlich, mal wirklich ehrlich“ aus dem Mund von jemand, der Menschen ein fiktives Götterwesen als real existierende und handelnde Entität verkauft? Der daran glaubt, dass nicht irgendeins, sondern genau sein selbst geglaubtes Götterwesen ins irdische Geschehen, das er zudem selbst erschaffen haben soll, eingreift und mit ihm interagiert?
Gelungene Halbheit des Lebens…
Das ist doch alles vollkommen unrealistisch. Dass ich ein Leben lebe, dem ich ständig die oberste Kategorie gebe, diese Fünf Sterne Deluxe Bewertung. Mein wichtigster Lehrer, der Theologe Fulbert Steffensky, hat mal gesagt: „Wir können glücklich darüber sein, wenn uns das Leben halb gelingt.“ „Gelungene Halbheit des Lebens“ nennt er das – klingt so attraktiv wie „Hey, du bist mittelmäßig, wie cool ist das denn.“ Also gerade mal zweieinhalb Sterne oder ne Drei minus.
Nochmal: Wer darunter leidet, seine selbst gesteckten Ziele nicht zu erreichen, der ist mit etwas mehr Gelassenheit sicher gut beraten.
Aber: Umgekehrt kann eine „Gelungene Halbheit des Lebens“ freilich auch als bequeme Ausrede für Mittelmäßigkeit, Gleichgültigkeit und Bräsigkeit dienen. Und das kann sich für manche Zeitgenossen sicher als sogar sehr gelungen anfühlen.
…aber warum eigentlich?
Was Herr Höner seinem Publikum vorenthält, ist die theologische Argumentation, auf der Steffenskys Lob der Unvollkommenheit aufbaut:
Die erste Folge der Bedürftigkeit, die man sich eingestanden hat, wäre es, sich als Ganzer im Fragment zu erkennen. Wer an Gott glaubt, braucht nicht Gott zu sein und Gott zu spielen. Er muss nicht der Gesündeste, der Stärkste, der Schönste, der Erfolgreichste sein. Er ist nicht gezwungen, völliger Souverän seines eigenen Lebens zu sein. Wo aber der Glaube zerbricht, da ist dem Menschen die nicht zu tragende Last der Verantwortung für die eigene Ganzheit auferlegt.
(Quelle: https://www.lippische-landeskirche.de – 1754_Was_ist_evangelisch_heute.pdf)
Und schon erscheint das ganze vorangegangene küchenpsychologische Lifestyle-Gefasel in einem ganz anderen Licht:
Demzufolge wären ja Menschen, die nicht an den Gott aus der biblisch-christlichen Mythologie glauben gar nicht in der Lage, die Verantwortung für ihr Leben selbst zu übernehmen.
Was für eine maßlose, wenngleich altbekannte und deshalb wenig überraschende christliche Überheblichkeit.
Bedürftigkeit.
Genau darum geht es: Gläubige sollen „Halbheit“ nicht deshalb als gelungen bewerten, weil ein übersteigertes Streben nach mehr Gesundheit, Stärke, Schönheit, Erfolg oder Souveränität über das eigene Leben die Lebensqualität eventuell beeinträchtigen könnte.
Sondern damit sie sich stets ihrer Bedürftigkeit nach göttlicher Unterstützung bzw. Vervollkommnung bewusst bleiben.
Wer auf die verwegene Idee kommt, sein Leben im Rahmen seiner Möglichkeiten selbstverantwortlich führen zu wollen droht, unter der nicht zu tragenden Last der Verantwortung für die eigene Ganzheit zusammenzubrechen.
Frei nach dem bekannten Zitat von Richard Dawkins: Ich bin gegen Religion, weil sie uns lehrt, damit zufrieden zu sein, die Welt nicht zu verstehen könnte man hier sagen:
Ich bin gegen Religion, weil sie uns lehrt, damit zufrieden zu sein, nicht nach unseren persönlichen Zielen zu streben.
Sobald wir also den von Herrn Höner verschwiegenen theologischen Hintergrund seiner Quelle (sein wichtigster Lehrer, der Theologe Fulbert Steffensky) betrachten, haben wir es nicht mehr mit banalen Lifestyle-Tipps auf Kalenderblatt-Niveau zu tun.
Sondern mit einer perfiden theologischen Rhetorik. Die in nichts den Methoden nachsteht, wie sie zum Beispiel auch radikal-fundamentalistische Sektenführer anwenden, um ihre Anhänger gefügig und unterwürfig zu machen. Oder auch Psycho- bzw. Soziopathen.
Only God Can Judge Me?
Mittelmäßig zu sein, das ist eine der schlimmsten Bewertungen in unserer heutigen Zeit. Es gibt nur noch: Fünf Sterne super mega oder Null Sterne lost, lame. Und die meisten Menschen – sie sind erbarmungslos, wenn sie sich selbst bewerten. Wir als strengste oberste Richterinnen und Richter von uns selbst.
Dabei soll doch der liebe Gott der oberste Richter von uns selbst sein!
Und dass der erbarmungslos ist, daran lässt die biblisch-christliche Mythologie keinen Zweifel.
Ganz anders in dem norddeutschen Sprichwort: „N‘ beten scheef hett Gott leev!“ Ein bisschen schief hat Gott lieb. Das Leben ist schief, wir sind schief und trotzdem – schön.
Na klar. Der Abstand zwischen den bedürftigen Menschen unten und dem perfekten Gott hoch über ihnen muss schließlich gewahrt bleiben.
Bleiben Sie in diesem Sinne mittelmäßig
Bleiben Sie in diesem Sinne mittelmäßig – und barmherzig mit sich selbst. Gute Nacht und frohe Pfingsten.
In welchem Sinne?
In Ihrem Sinne, sinngemäß: Eein bisschen schief macht nix, mach dich nicht verrückt und lass mal Fünfe gerade sein!
Oder im von Ihnen verschwiegenen Sinne des von Ihnen zitierten Theologen Steffensky, sinngemäß: Freuen Sie sich über Ihre Unvollkommenheit, damit in Ihrem Leben noch Platz für den vollkommenen Gott bleibt, mit dem ich mein Geld verdiene und ohne den Sie sowieso nie auf einen grünen Zweig kommen?
Wie auch immer: Statt Menschen zur Mittelmäßigkeit aufzurufen, schlage ich die folgende Empfehlung vor. Diese kann für alle Menschen gelten. Und sie kommt ganz ohne irgendwelches verbogenes oder verheimlichtes Religionsgedöns aus:
Streben Sie selbstbewusst nach den Zielen, die Ihnen erstrebenswert erscheinen,
ohne sich dabei mehr unter Druck zu setzen, als Ihnen gut tut.
…da nich für!
Bitte beachte beim Kommentieren: