Errungenschaft Sozialstaat – Das Wort zum Wort zum Sonntag

Lesezeit: ~ 3 Min.

Errungenschaft Sozialstaat – Das Wort zum Wort zum Sonntag, verkündigt von Pfarrer Wolfgang Beck, veröffentlicht am 6.9.25 von ARD/daserste.de

Darum geht es

Wenn Pfarrer den Sozialstaat für Kirchenreklame vereinnahmen: Eine Kritik zu Wolfgang Becks „Wort zum Sonntag“

Am 6. September 2025 verkündete Pfarrer Wolfgang Beck in seinem „Wort zum Sonntag“ eine bemerkenswerte Botschaft über den deutschen Sozialstaat. Was auf den ersten Blick wie eine lobenswerte Würdigung sozialer Errungenschaften erscheint, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als problematische Vereinnahmung säkularer, humanistischer Werte durch religiöse Rhetorik.

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  1. Religiöse Vereinnahmung säkularer Errungenschaften: Beck deutet den Sozialstaat als Ausdruck christlicher Nächstenliebe um, obwohl dieser auf säkularen, aufklärerischen Prinzipien basiert.
  2. Geschichtsverfälschung: Die historische Rolle der Kirchen bei der Entwicklung des Sozialstaats wird verschleiert – sie waren oft Gegner sozialer Reformen.
  3. Emotionalisierung statt Strukturanalyse: Soziale Probleme werden als „Schicksale“ dargestellt, die es zu ertragen gilt, statt als gesellschaftliche Herausforderungen, die struktureller Lösungen bedürfen.
  4. Mitleid statt Rechtsanspruch: Die Reduktion von Solidarität auf emotionale Verbundenheit untergräbt die rationale Begründung sozialer Rechte.

Die religiöse Brille: Alles wird christlich

Beck beginnt seine Predigt mit einer durchaus nachvollziehbaren Bestandsaufnahme menschlicher Schicksale und Herausforderungen. Doch bereits hier zeigt sich ein fundamentales Problem religiöser Weltanschauung: Die Reduktion komplexer gesellschaftlicher Realitäten auf emotionale, schicksalhafte Kategorien. Krankheit, Arbeitslosigkeit und Überforderung werden als unabänderliche „Schicksale“ dargestellt, die Menschen „auszuhalten und zu ertragen“ haben – eine typisch religiöse Resignation vor den Gegebenheiten, statt diese als gesellschaftliche Probleme zu analysieren, die strukturelle Lösungen erfordern.

Der zentrale Kniff kommt dann gegen Ende:

„Gerade als Christ sage ich, dass es großartig ist, nicht nur mit denen zusammenzuhalten, die zur eigenen Religionsgemeinschaft gehören, sondern mit allen.“

(Quelle der so als Zitat gekennzeichneten Abschnitte: Errungenschaft Sozialstaat – Wort zum Sonntag, verkündigt von Pfarrer Wolfgang Beck, veröffentlicht am 6.9.25 von ARD/daserste.de)

Hier vollzieht Beck eine rhetorische Wendung, die typisch für religiöse Vereinnahmung ist. Der Sozialstaat wird zum Ausdruck christlicher Nächstenliebe umgedeutet, obwohl dessen Entstehung und Entwicklung primär auf säkularen, aufklärerischen und humanistischen Prinzipien basiert.

Geschichtsverfälschung durch religiöse Brille

Besonders problematisch ist Becks historische Einordnung. Er erwähnt zwar korrekt die Entstehung der Sozialgesetze im 19. Jahrhundert, verschweigt aber systematisch die tatsächlichen Triebkräfte dieser Entwicklung. Die Bismarck’schen Sozialgesetze entstanden nicht aus christlicher Nächstenliebe, sondern als politische Reaktion auf die wachsende Arbeiterbewegung und sozialistische Bestrebungen. Sie sollten die Revolution verhindern, nicht den Himmel auf Erden schaffen.

Die Kirchen standen diesen sozialen Reformen historisch oft skeptisch bis ablehnend gegenüber. Während Gewerkschaften, Sozialdemokraten und säkulare Humanisten für Arbeiterrechte kämpften, predigten die Kirchen meist Demut und Ergebenheit in das gottgewollte Schicksal. Die Idee universeller Menschenrechte und sozialer Gerechtigkeit entwickelte sich in der Aufklärung explizit als Gegenentwurf zu religiöser Bevormundung.

Die Problematik religiöser „Verbundenheit“

Becks Kernbotschaft kreist um den Begriff der „Verbundenheit“. Doch hier offenbart sich ein weiteres Problem religiöser Sozialethik: Sie macht Solidarität zu einer Frage des Gefühls, der Empathie, des „stockenden Atems“ angesichts fremden Leids. Säkulare Sozialethik hingegen begründet Solidarität rational: durch die Erkenntnis, dass gesellschaftliche Probleme strukturelle Ursachen haben und kollektiver Lösungen bedürfen.

Die religiöse Emotionalisierung sozialer Fragen ist nicht nur analytisch unzureichend, sondern auch politisch gefährlich. Wer Solidarität auf Mitleid reduziert, macht sie beliebig und manipulierbar. Heute stockt der Atem bei Krebspatienten, morgen vielleicht nicht mehr bei Arbeitslosen, wenn die gesellschaftliche Stimmung kippt.

Säkulare Humanität ohne göttlichen Befehl

Was Beck als spezifisch christliche Erkenntnis verkauft – die Solidarität mit allen Menschen unabhängig von ihrer Zugehörigkeit – ist in Wahrheit eine Errungenschaft der säkularen Aufklärung. Die Idee universeller Menschenrechte, die Gleichwertigkeit aller Menschen und das Prinzip sozialer Gerechtigkeit entwickelten sich gerade im Widerspruch zu religiösen Partikularismen.

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Der moderne Sozialstaat funktioniert nicht trotz, sondern wegen seiner religiösen Neutralität. Er gewährt Leistungen nicht aufgrund göttlicher Gnade oder christlicher Barmherzigkeit, sondern aufgrund rechtlicher Ansprüche. Diese Entmystifizierung sozialer Hilfe war ein wichtiger Schritt zur Überwindung demütigender Almosenpraktiken.

Die Vereinnahmungsfalle

Becks Predigt folgt einem bekannten Muster religiöser Apologetik: Positive gesellschaftliche Entwicklungen werden nachträglich als Ausdruck religiöser Werte umgedeutet, während die tatsächlichen, oft säkularen Urheber marginalisiert werden. Diese Vereinnahmung ist nicht nur historisch falsch, sondern auch politisch problematisch. Sie suggeriert, dass moralisches Handeln religiöser Begründung bedarf und untergräbt damit die Autonomie säkularer Ethik.

Fazit: Sozialstaat ohne Weihrauch

Der deutsche Sozialstaat ist tatsächlich eine großartige Errungenschaft – aber nicht als Verwirklichung christlicher Nächstenliebe, sondern als Produkt säkularer, rationaler und humanistischer Einsichten. Er funktioniert, weil er auf Rechtsansprüchen statt auf Barmherzigkeit basiert, weil er strukturelle statt emotionale Lösungen bietet und weil er alle Menschen als gleichberechtigt behandelt, unabhängig von ihrem Glauben.

Pfarrer Beck mag es gut meinen, aber seine religiöse Vereinnahmung säkularer Errungenschaften schadet mehr als sie nützt. Sie verschleiert die tatsächlichen historischen Kämpfe um soziale Gerechtigkeit und macht Solidarität zu einer Frage der Gesinnung statt des Rechts. Der Sozialstaat braucht keine göttliche Legitimation – die menschliche Vernunft und Empathie reichen völlig aus.

Text mit KI bearbeitet

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4 Gedanken zu „Errungenschaft Sozialstaat – Das Wort zum Wort zum Sonntag“

  1. Die gute alte Nächstenliebe würde sogar die AFD zu nem genuin christlichen Verein machen. Denn die würden Sozialausgaben am liebsten nur an die Nächsten, d.h. exclusiv echte Volksdeutsche mit gültigem Ariernachweis abgeben.

    Immer schön die In- von der Outgroup trennen und dann was von weltumspannender Liebe faseln, Während man die Errungenschaften anderer hübsch dem eigen Verein andichtet. So geht Christentum!

    Antworten
  2. „Die Bismarck’schen Sozialgesetze entstanden nicht aus christlicher Nächstenliebe,…“
    Das gleiche trifft übrigens auf die Enzyklika „Rerum Novarum“ von Papst Leo XIII zu, von katholischen Kreisen gern gerühmt und regelmäßg mit Jubiläen gefeiert, als Sozialenzyklika und als ihrer Zeit voraus. Dabei handelt es sich kurz gefasst hauptsächlich um Sozialismusbashing. Und hauptsächlich um die Anweisung (!) an die Arbbeitnehmer, ja keinen Arbeitskampf zu riskieren. Sprich: streiken verboten ! 1891 gab es längst Arbeitervereine und eine gerade wieder legale SPD, die im Erfurter Programm wesentlich klarere Forderungen stellte. Hier mal ein Auszug aus Wikipedia, den sich so mancher SPD-Politiker mal wieder zu Gemüte führen sollte.

    1. das allgemeine, gleiche direkte Wahlrecht für alle über 20 Jahre alten Reichsangehörigen
    „ohne Unterschied des Geschlechts“ für alle Wahlen
    2. die direkte Gesetzgebung durch das Volk
    3. die Selbstverwaltung der Kommunen
    4. die Abschaffung aller Gesetze, die Frauen diskriminieren
    5. die Erklärung der Religion zur Privatsache
    6. die Abschaffung des Schulgelds
    7. eine progressive Einkommens- und Vermögenssteuer
    8. das Verbot der Kinderarbeit
    9. die Einführung der 8-Stunden-Woche
    Ich lenke mal die Aufmerksamkeit besonders auf Punkt 4 (§ 218 !) und auf Punkt 5 (ibs. Staatsleistungen, Sonderartbeitsrecht und Kirchensteuereinzug durch Finanzamt und Arbeitgeber ! Eine Erläuterung hierzu, die eigentlich überflüssig sein sollte: Religion ist keine Privatsache mehr, wenn man seinem Arbeitgeber seine Religionszugehörigkeit auf der Lohnsteuerkarte mitteilen muss, oder wenn sie Voraussetzung dafür ist, überhaupt einen Job zu bekommen in einem de facto religiös-kirchlich monopolisierten Berufsfeld.)

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  3. Ich könnte mir vorstellen, dass Pfarrer Beck solche Menschen wie „Mutter Teresa“ bewundert, die man auch als „Todesengel von Kalkutta“ bezeichnet hat.
    Diese Frau verkörpert brennpunktartig die ganze verlogene Soziallehre der RKK, die übrigens erst spät im 19. Jahrhundert formuliert wurde, als die sozialen Gegensätze schlichtweg nicht mehr zu ignorieren waren. Man musste unbedingt auf den fahrenden Zug aufspringen, um das „Schlimmste“ zu verhindern, nämlich die Erstarkung und Emanzipation der arbeitenden Klasse. Was dann ja auch in Teilen und zumindest zeitweilig gelungen ist.
    Am Charakter des „sozialen Gewissens“ der RKK hat sich in den zweitausend Jahren ihres Bestehens trotzdem nichts grundlegend geändert.
    Das beweist ja auch die Verherrlichung und Heiligsprechung der Frau Bojaxhiu, die alles andere war als ein leuchtendes Beispiel für den Kampf um soziale Gerechtigkeit.
    Denn das liebt die christliche Religion an ihren Heiligen nach wie vor:
    Demut, Schicksalsergebenheit, Almosenspenden, Leid ertragen als höchste Auszeichnung und Freifahrschein ins Himmelreich etc.

    Und da tritt dann auch wieder zum x-ten mal die Widersprüchlichkeit der Religion zu Tage:
    Wenn es opportun ist, vereinnahmt man gern die humanen Errungenschaften der diesseitigen Welt für sich, merkt aber gar nicht, in welchen Widerspruch man sich gleichzeitig begibt, wenn man die asoziale, tausendjährige Ausbeutung ihrer Schafsgläubigen bei gleichzeitiger Vertröstung aufs bessere Jenseits nicht hinterfragt.

    Religion ist ein einzigartiges, riesiges Lügengebäude, das gerade einzustürzen beginnt. Und wir können sagen, wir sind dabei gewesen. 😉

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  4. Natürlich lobt der Religionsverkäufer Beck den Sozialstaat und will ihn als Errungenschaft seiner Religion verkaufen, schließlich leben die Kirchen sehr gut davon. Stichwort Caritas-Legende.

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