Pilger der Hoffnung? Eine kritische Analyse religiöser Adventsrhetorik

Lesezeit: ~ 3 Min.

Darum geht es

Religiöse Adventsrhetorik ersetzt rationale Hoffnung und menschliche Handlungsfähigkeit durch metaphysische Vertröstungen, emotionale Manipulation und ritualisierte Selbstbeschwichtigung.

Der heutige Adventsimpuls von Pfarrer Stefan Buß (veröffentlicht am 3.12.25 von osthessen-news.de) offenbart exemplarisch, wie religiöse Sprache emotionale Bedürfnisse anspricht, dabei aber rationale Auseinandersetzung durch metaphysische, genauer: frei erfundene Versprechen ersetzt. Aus atheistischer und humanistischer Perspektive lohnt sich eine nüchterne Betrachtung der verwendeten Argumentationsmuster – auch wenn uns freilich auch diesmal wieder, wie zu erwarten, nichts Neues erwartet…

Die Pilgermetapher: Bewegung ohne Ziel

Buß beschreibt den Advent als „Warten in Bewegung“ und ruft zur Pilgerschaft auf. Doch wohin führt dieser Weg tatsächlich? Die Metapher suggeriert Fortschritt und Sinnhaftigkeit, verschleiert aber, dass das proklamierte Ziel – die Ankunft eines göttlichen Erlösers – historisch längst erfolgt sein soll. Christen „pilgern“ Jahr für Jahr zum selben symbolischen Ereignis, ohne je wirklich anzukommen. Es ist ein Kreislauf, kein Fortschritt.

Die Pilgerschaft zu einem realen Ort kann Erkenntnisse bringen, Perspektiven verändern, Begegnungen ermöglichen. Eine metaphorische Pilgerschaft zu einem mythologischen Ereignis bleibt hingegen eine mentale Übung in rituellem Selbstbetrug.

Hoffnung als Vertröstung

Besonders problematisch ist die Instrumentalisierung der Hoffnung. Buß versichert, diese sei „nicht naiv“ und „kein billiger Trost“, um dann genau das zu liefern: transzendente Versprechen ohne empirische Grundlage. Die Hoffnung wird an eine externe göttliche Instanz delegiert, statt Menschen zu befähigen, ihre Situation selbst zu verbessern.

Der zitierte Paulus-Vers („Hoffnung lässt nicht zugrunde gehen“) ist psychologisch verfehlt. Viele Menschen sind an falschen Hoffnungen zugrunde gegangen – an der Hoffnung auf göttliche Heilung statt medizinischer Behandlung, an der Hoffnung auf Gerechtigkeit im Jenseits statt Einsatz für Gerechtigkeit im Hier und Jetzt.

Echte, rationale Hoffnung basiert auf realistischer Einschätzung von Möglichkeiten und eigener Handlungsfähigkeit. Sie ist säkular, weil sie Menschen als Subjekte ihrer Geschichte anerkennt, nicht als Objekte göttlicher Pläne.

Die Manipulation durch Lichtmetaphorik

Die Gegenüberstellung von Dunkelheit und Licht ist eines der ältesten religiösen Manipulationswerkzeuge. Buß nutzt es geschickt: „Das Licht nimmt zu, auch wenn es draußen dunkel ist.“ Hier wird die natürliche winterliche Dunkelheit zur spirituellen Metapher umgedeutet, die psychologische Bedürftigkeit in der dunklen Jahreszeit religiös instrumentalisiert.

Tatsächlich steht die christliche Lichtmetaphorik in direkter Konkurrenz zu naturalistischen Erklärungen: Die Wintersonnenwende, ursprünglich in vorchristlichen Kulturen gefeiert, markiert den astronomischen Wendepunkt zu längeren Tagen. Das „Licht nimmt zu“, weil die Erde ihre Position zur Sonne verändert – nicht weil ein Erlöser geboren wird.

Leichtes Gepäck – oder kritisches Denken ablegen?

Besonders entlarvend ist die Aufforderung, „mit leichtem Gepäck“ aufzubrechen. Was sollen wir ablegen? Buß nennt „Ungeduld, Sorgen, Misstrauen“. Doch kritisches Denken könnte man hier ergänzen. Religiöse Rhetorik funktioniert am besten, wenn Menschen ihr rationales Urteilsvermögen suspendieren und sich emotionalen Gewissheiten hingeben.

Ungeduld kann konstruktiv sein – sie treibt Veränderung an. Sorgen sind oft berechtigt und motivieren Problemlösungen. Misstrauen schützt vor Manipulation. Was die Religion „Ballast“ nennt, sind häufig Werkzeuge kritischer Selbstbestimmung.

Das Kind in der Krippe: Sentimentalität statt Erkenntnis

Der emotionale Höhepunkt des Textes ist das „Kind in der Krippe“ als „Zeichen, dass Gott mitten unter uns ist“. Diese Sentimentalisierung eines religiösen Mythos ist kulturell tief verankert, aber intellektuell leer.

Die historische Person Jesus von Nazareth – soweit rekonstruierbar – war ein jüdischer Wanderprediger in einem von Rom besetzten Gebiet. Die spätere theologische Überhöhung zur göttlichen Inkarnation ist eine nachträgliche Konstruktion früher christlicher Gemeinden, beeinflusst von hellenistischen Mysterienreligionen.

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Das Bild des hilflosen Kindes dient als emotionale Brücke: Wer kann sich der Rührung entziehen? Doch diese kalkulierte Sentimentalität ersetzt kritische Auseinandersetzung durch Gefühl. Es ist psychologische Manipulation durch Niedlichkeit.

Säkulare Alternativen: Hoffnung ohne Götter

Was bleibt, wenn wir die metaphysischen Versatzstücke entfernen? Tatsächlich viel Wertvolles, das keine göttlichen Garantien benötigt:

  • Gemeinschaft: Menschen können einander Hoffnung geben, ohne auf übernatürliche Mittler angewiesen zu sein.
  • Rituale: Der Wert von Jahresrhythmen und besinnlichen Zeiten bleibt bestehen, auch ohne religiöse Deutung.
  • Solidarität: Die aufgerufene „kleine Tat der Liebe“ funktioniert aus humanistischer Empathie besser als aus religiösem Pflichtgefühl.
  • Realistische Hoffnung: Auf Basis von Wissenschaft, sozialen Bewegungen und menschlicher Kreativität können wir begründete Zuversicht entwickeln.

Fazit: Mündigkeit statt Pilgerschaft

Der Impuls von Pfarrer Buß ist ein Paradebeispiel dafür, wie Religion emotionale Bedürfnisse anspricht, dabei aber kritisches Denken durch Glaubensgewissheiten ersetzt. Die „Pilgerschaft der Hoffnung“ führt nicht zu größerer Erkenntnis oder Handlungsfähigkeit, sondern zu ritualisierter Selbstbestätigung.

Eine säkulare, humanistische Ethik bietet eine reifere Alternative: Hoffnung, die aus menschlicher Solidarität erwächst. Licht, das wir selbst entzünden – durch Aufklärung, Wissenschaft, soziales Engagement. Und ein „Ziel“, das nicht in mythischer Vergangenheit liegt, sondern in einer Zukunft, die wir gemeinsam gestalten können.

Wir brauchen keine Pilger göttlicher Versprechen. Wir brauchen mündige Menschen, die ihre Hoffnung auf Vernunft, Mitgefühl und gemeinsames Handeln gründen.

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