„Stephanustag im Dom: Diez rückt Leid verfolgter Christen in den Fokus“ – Gedanken zur Predigt von Weihbischof Dietz im Fuldaer Dom, veröffentlicht am 27.12.2025 von osthessen-news.de
Darum geht es
Weihbischof Karlheinz Diez beklagt heute die Steine, die auf Christen fliegen, verschweigt aber, dass seine Kirche jahrhundertelang selbst die größte Steineschleuderin, war, solange sie die Macht dazu hatte – und dass die Welt dort friedlicher wird, wo religiöse Dogmen weltlicher Vernunft weichen.Am zweiten Weihnachtsfeiertag predigte Weihbischof Karlheinz Diez im Fuldaer Dom über den heiligen Stephanus und die weltweite Christenverfolgung. Seine Botschaft: „Die Steine auf Stephanus, sie fliegen immer noch.“ Was auf den ersten Blick wie berechtigte Sorge um verfolgte Menschen klingt, offenbart bei genauerer Betrachtung die problematische Selbstwahrnehmung einer Institution, die ihre eigene blutige Geschichte konsequent ausblendet.
Die verheimlichte Kriminalgeschichte
Diez bezeichnet das Christentum als „die am stärksten verfolgte Religion weltweit“ – eine Aussage, die historisches Bewusstsein vermissen lässt. Über 1500 Jahre lang war das Christentum nicht Opfer, sondern Täter institutionalisierter Gewalt. Die Kreuzzüge kosteten Millionen Menschen das Leben. Die Inquisition folterte und ermordete systematisch Andersdenkende. Indigene Völker in Amerika wurden im Namen des Kreuzes dezimiert – bis zu 90% der Bevölkerung starben durch eingeschleppte Krankheiten, Zwangsarbeit und gezielte Vernichtung. Die „Hexen“-Verfolgung, zumeist von der Kirche initiiert oder gebilligt, führte zu schätzungsweise 60.000 Hinrichtungen, überwiegend von Frauen.
Die Zwangschristianisierung vernichtete ganze Kulturen. Karlheinz Deschner dokumentierte in seinem zehnbändigen Werk „Kriminalgeschichte des Christentums“ akribisch, wie die Kirche unvorstellbar grausame Gewalt nicht nur duldete, sondern theologisch rechtfertigte und organisierte. Von der Verbrennung „ketzerischer“ Bücher über die Verfolgung von Juden bis zur Segnung von Waffen und Kriegsparteien – die Liste ist erschreckend lang.
Gegenwärtige Verbrechen des Christentums

Doch auch die Gegenwart bietet wenig Anlass für die Opferrolle: Der systematische sexuelle Missbrauch durch Kleriker in aller Welt, jahrzehntelang vertuscht und die Täter geschützt. Allein in Deutschland wurden laut MHG-Studie mindestens 3.677 Minderjährige von 1.670 Klerikern missbraucht – die Dunkelziffer liegt vermutlich weit höher. In Irland, den USA, Australien, Chile zeigt sich dasselbe Muster: Verbrechen, Vertuschung, Straflosigkeit.
Die katholische Kirche betreibt weiterhin in vielen Ländern diskriminierende Arbeitgeberpolitik, verweigert queeren Personen Rechte und Würde, trägt durch ihre Haltung zur Empfängnisverhütung zur Überbevölkerung bei. In noch nicht (oder nicht mehr) ausreichend säkularisierten Ländern wie Polen, seit Trump II auch wieder in den USA und auch weiteren Ländern mischt sie sich massiv in die Politik ein und untergräbt säkulare Demokratien. Und der nach wie vor gewaltige Einfluss der Kirchenlobby hierzulande zeigt, dass auch unser zumindest auf dem Papier säkularer Staat noch weit davon entfernt ist, keine „Kirchenrepublik“ zu sein.
Das problematische Märtyrertum
Diez‘ Betonung des Märtyrertums ist aus humanistischer Sicht besonders fragwürdig. Das Märtyrernarrativ glorifiziert Leiden und Tod für eine Ideologie – ein Konzept, das nicht nur im Christentum, sondern in allen Religionen zu gefährlichem Fanatismus führen kann. Wer den Tod für den Glauben als höchstes Zeugnis feiert, schafft eine Kultur, in der das irdische Leben gegenüber jenseitigen Verheißungen abgewertet wird.
Die historische Realität zeigt: Viele sogenannte christliche „Märtyrer“ waren keine friedlichen Opfer, sondern aktive Provokateure, die bewusst Konflikte suchten, oder sie wurden nachträglich zu Märtyrern verklärt, um politische Ziele zu legitimieren. Das Märtyrernarrativ diente und dient dazu, die eigene Gruppe zu solidarisieren und Gegner zu dämonisieren – ein Mechanismus, der Konflikte verschärft statt löst.
Die friedlichere säkulare Welt
Die Statistik ist eindeutig: Die friedlichsten, sichersten und gerechtesten Gesellschaften der Welt sind die säkularsten. Skandinavien, mit seiner hohen Rate an Nichtreligiösen, führt regelmäßig Rankings zu Lebensqualität, Gleichberechtigung und sozialem Frieden an. Der „Global Peace Index“ zeigt: Je säkularer eine Gesellschaft, desto friedlicher tendiert sie zu sein.
Steven Pinker hat in „Gewalt: Eine neue Geschichte der Menschheit“ überzeugend dargelegt, dass die Gewalt weltweit abnimmt – parallel zur Säkularisierung und Aufklärung. Die Blutvergießen im Namen Gottes – ob in den Religionskriegen Europas, in konfessionellen Konflikten in Nordirland, im Nahost-Konflikt oder bei Terroranschlägen – nehmen ab, wenn religiöse Überzeugungen ihre gesellschaftliche Dominanz verlieren.
Das bedeutet nicht, dass Säkularität automatisch Frieden garantiert oder dass Religionen alleinige Kriegsursachen sind. Aber es zeigt: Dogmatisches Festhalten an absoluten Wahrheitsansprüchen, wie sie Religionen inherent sind, behindert Kompromisse und rationalen Dialog. Wo Menschen ihre Überzeugungen nicht als göttlich offenbart, sondern als menschlich fehlbar verstehen, wird Zusammenleben einfacher.
Christenverfolgung: Real, aber in Kontext zu setzen
Ja, Christen werden in manchen Ländern verfolgt – und jede Verfolgung aufgrund von Weltanschauung ist zu verurteilen. In Nordkorea, Saudi-Arabien oder unter extremistischen Gruppen leiden Christen wie auch Angehörige anderer Religionen und besonders Atheisten. Doch die Darstellung als „am stärksten verfolgte Religion“ ist statistisch fragwürdig und instrumentalisiert reales Leid für eine Opfernarrative.
Das Pew Research Center zeigt: Religiöse Verfolgung trifft weltweit verschiedene Gruppen. Muslime leiden unter islamophoben Anschlägen in westlichen Ländern, Uiguren werden in China unterdrückt, Rohingya wurden in Myanmar vertrieben. Und Nichtreligiöse werden in 19 Ländern mit dem Tod bedroht – meist in islamischen Theokratien, aber die katholische Kirche hat erst 1965 die Religionsfreiheit akzeptiert.
Wenn Diez von verfolgten Christen in Nigeria spricht, verschweigt er, dass dort auch religiöse Gewalt zwischen christlichen und muslimischen Gruppen existiert – keine Einbahnstraße. In Indien leiden Christen unter Hindu-Nationalismus, aber die christliche Missionierung hat dort jahrhundertelang lokale Kulturen unterdrückt.
Das fehlende Schuldbekenntnis
Was in Diez‘ Predigt vollständig fehlt, ist Selbstreflexion. Keine Erwähnung der eigenen Gewaltgeschichte. Kein Eingeständnis, dass die Institution, die er repräsentiert, selbst Millionen Leben auf dem Gewissen hat. Kein Wort darüber, dass die Kirche erst durch Aufklärung, Säkularisierung und humanistische Kritik zu halbwegs menschenrechtskonformen Positionen gezwungen wurde.
Stattdessen: Selbstmitleid, die Instrumentalisierung fremden Leids für die eigene Identität, und die Flucht in transzendente Tröstungen statt praktischer Lösungen. Diez spricht von Gebet und Hoffnung – aber was bringt das den Verfolgten konkret? Wäre es nicht ehrlicher, die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Ursachen von Konflikten anzugehen? Sich für säkulare Menschenrechte einzusetzen, die alle schützen, unabhängig vom Glauben?
Aufklärung statt Verklärung
Was die Welt braucht, ist nicht mehr Religion, sondern mehr Humanismus. Nicht mehr absolute Wahrheitsansprüche, sondern mehr kritisches Denken. Nicht mehr jenseitige Vertröstungen, sondern mehr diesseitige Gerechtigkeit. Die UN-Menschenrechtsdeklaration, ein säkulares Dokument, schützt Religionsfreiheit besser als jede Theologie – weil sie auf universellen, nicht auf göttlichen Geboten beruht.
Die Ironie ist bitter: Gerade dort, wo religiöse Dogmen gesellschaftliche Macht verlieren und säkulare, rechtsstaatliche Strukturen entstehen, nimmt auch religiöse Verfolgung ab. Die Lösung für verfolgte Christen ist also nicht mehr Christentum, sondern weniger Religion in der Politik.
Fazit
Weihbischof Diez praktiziert selektive Erinnerung: Er beklagt zu Recht Gewalt gegen Christen, verschweigt aber die jahrhundertelange Täterschaft seiner Institution und ignoriert, dass säkulare Werte die wirksamste Garantie gegen religiöse Verfolgung sind. Seine Predigt zementiert eine Opferrolle, die historisch unhaltbar ist, und lenkt von der Notwendigkeit ab, dass Religionen ihre Machtansprüche aufgeben müssen, damit Menschen friedlich zusammenleben können.

















Bitte beachte beim Kommentieren: