Menschliche Größe – Das Wort zum Wort zum Sonntag

Lesezeit: ~ 5 Min.

Menschliche Größe – Das Wort zum Wort zum Sonntag, verkündigt von Benedikt Welter (kath.), veröffentlicht am 13.7.2019 von ARD/daserste.de

In seiner heutigen Fernsehpredigt sucht Herr Welter nach „Menschlicher Größe.“ Fündig wird er im Briefverkehr zwischen Helmuth James Graf von Moltke und seiner Frau Freya.

[…] Helmuth James Graf von Moltke und seine Frau Freya schreiben sich innige Briefe in den Monaten von September 1944 bis zu seiner Ermordung durch die Nazi-Schergen im Januar 1945. (Quelle der so als Zitat gekennzeichneten Abschnitte: Menschliche Größe – Das Wort zum Wort zum Sonntag, verkündigt von Benedikt Welter (kath.), veröffentlicht am 13.7.2019 von ARD/daserste.de)

Schizophrene Situation

Zunächst erfahren wir noch etwas über die Hintergründe:

Geschmuggelt hat die Briefe der Gefängnispfarrer. Auch er gehörte, wie die Moltkes, zum sogenannten Kreisauer Kreis. Da hatten sich Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft versammelt: katholische und evangelische Christen, Agnostiker und Atheisten, Kommunisten und Sozialisten – alle verbunden im Widerstand gegen Hitler.

Menschliche GrößeHier zeigt sich einmal mehr, dass es letztlich darauf ankommt, was jemand tut. Wie sich jemand verhält, wenns drauf an kommt.

Was die Zeit der Nazidikdatur angeht, stellt sich die Situation geradezu schizophren dar: Während sich die christlichen Kirchen bereitwillig zu ideologischen Erfüllungsgehilfen Hitlers hatten instrumentalisieren lassen, wurden einzelne Kirchendiener von eben diesem Regime ermordet.

Nämlich dann, wenn sie entgegen des biblisch-christlichen Gebotes, sich nicht gegen die Obrigkeit aufzulehnen, eben dies taten. Das waren diejenigen, die die Würde, Freiheit und Unversehrtheit ihrer Mitmenschen über religiöse Gebote wie zum Beispiel „Du sollst nicht lügen“ stellten.

Schizophren deshalb, weil sie sich dabei auf dieselbe biblisch-christliche Grundlage beriefen wie diejenigen Bischöfe und Priester, die glühende Verehrer der nationalsozialistischen Ideologie und deren Vertreter waren. Und das in vielen Fällen auch noch bis über das Kriegsende hinaus.

Menschliche Größe?

Worin liegt jetzt aber die menschliche Größe, die Herr Welter so bewundert?

„Dass mich meine Liebe antreibt und mein Glück, das entschwindet, ist klar.“ So schreibt Freya von Moltke an ihren Mann im Kerker. „Manchmal bin ich deprimiert, manchmal nicht. Du kennst den gefährlichen Wechsel, aber seit ich mit solcher tiefer Sicherheit weiß, dass wir in Gottes Hand sind und dass Tod und Leben darin wenig Unterschied machen…(seit ich weiß), dass wir uns nicht verlieren, dass wir uns wiederfinden und noch manches mehr, seitdem bin ich innen drin ruhig und unanfechtbar.““

Die menschliche Größe besteht hier demzufolge aus zwei Aspekten: Zum Einen ist da die tiefe Liebe zwischen zwei Menschen. Und zum Anderen das vermutlich ebenso tiefe Vertrauen darauf, dass selbst der Tod diese Liebe nicht würde beenden können.

Tiefes Gottvertrauen gegen die Unruhe heute

Dies scheint auch Herr Welter so zu sehen:

Deshalb ist Geschichte wichtig und die Erinnerung an die Liebe und an die Hoffnung; einer der vielen fünfundsiebzigsten Jahrestage in diesem Jahr ist für mich Anlass, nach menschlicher Größe heute Ausschau zu halten. Und auch nach einem so tiefen Gottvertrauen, wie ich es in diesen alten Briefen finde; beides suche ich auch für mich in der Unruhe heute.

Oberflächlich betrachtet könnte man meinen, Gläubige seien hier besser dran. Sie brauchen ja nur an das Jenseits zu glauben, dass sich Menschen vor ein paar tausend Jahren mal ausgedacht hatten. Menschen, die es damals noch nicht besser wissen konnten. Und weil magisch-esoterische Vorstellungen damals noch fester Bestandteil der verbreiteten Weltsicht waren.

Nach allem, was wir heute wissen, ist ein Jenseits im biblisch-christlichen Sinne rein menschliche Fiktion. Alle Aussagen über dieses Jenseits können (bis zum Beweis des Gegenteils) nur menschlicher Phantasie entsprungen sein.

Andere Religionen stellen hier ganz andere Behauptungen auf. Die von den jeweiligen Anhängern aber genauso fest und zweifellos geglaubt werden wie das auch bei gläubigen Christen der Fall ist.

Eines haben allerdings sämtliche Jenseitsvorstellungen gemein: Sie dürften mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit falsch sein.

Glaube erfordert Denkverzicht

Wenn man erstmal anfängt, die biblisch-christlichen Aussagen über das Jenseits näher zu beleuchten, dann tun sich so viele Widersprüche, Ungereimtheiten und offene Fragen auf, dass man sich schon nach kurzer Zeit beim besten Willen nicht mehr vorstellen kann, wie jemand sowas tatsächlich für wahr halten kann. Viele dieser Fragen finden sich in früheren Artikeln auf AWQ.DE.

Und so kann es sein, dass selbst blitzgescheite Christen, denen man in der irdischen Wirklichkeit nichts vormachen kann im Brustton der Überzeugung Sätze sagen wie zum Beispiel: „Was ist schon irdisches Leid, verglichen mit dem, was danach kommt und was doch so viel größer ist!“

Schon allein eine Nachfrage, was dieses „Große“ ihrer Meinung denn konkret sein soll und worauf ihre Gewissheit beruht, dass sie mit ihrer Behauptung richtig liegen, empfinden sie dann nicht selten als unverschämte Beleidigung ihres Glaubens. Und, wenn sie sich über ihren Glauben identifizieren, auch als eine persönliche Beleidigung.

Gottvertrauen wirkt nicht über den Placeboeffekt hinaus

Wie ich aus vielen Unterhaltungen mit Christen weiß, ist ihnen das oft zumindest insgeheim auch irgendwie mehr oder weniger bewusst. Sehr wohl bewusst ist ihnen hingegen meist, dass sich kritisches, ehrliches, konsequentes Hinterfragen und das Festhalten an Glaubensgewissheiten nicht vertragen.

Auch wenn sie gerne etwas anderes behaupten (um nicht dumm dazustehen): Die einzige Möglichkeit, an ein Phantasiekonstrukt wie das biblisch-christliche Jenseits glauben zu können, ist und bleibt der Denkverzicht ab einem bestimmten Punkt.

Das ist der Punkt, an dem dann die Methode des Glaubens unumgänglich wird. Also das Für-wahr-halten von unbewiesenen und wohl auch weiterhin noch unbeweisbaren Behauptungen. Von Aussagen, die nicht mit der irdischen Wirklichkeit übereinstimmen. Nicht gerade etwas, das ich als Zeichen für besondere menschliche Größe bezeichnen würde. Eher als Realitätsflucht.

Wer es schafft, diesen Denkverzicht zu leisten und sich das im Grunde höchst unmenschliche biblisch-christliche Belohungs-Bestrafungskonzept so schönzureden, dass man sich drauf freuen kann, der mag es vielleicht tatsächlich am Ende fertigbringen, daraus auch noch so etwas wie Hoffnung für sich zu schöpfen.

Hoffnungsvoll erscheinende Illusion

Keine Frage: Es mag Extremsituationen im Leben geben, in denen eine noch so absurde, aber eben doch hoffnungsvoll erscheinende Illusion mehr zählt als die eigene intellektuelle Redlichkeit. Und trotzdem stimmt die in diesem Zusammenhang oft aufgestellte Behauptung, in einem abstürzenden Flugzeug, auf einem sinkenden Schiff oder in einem Schützengraben gäbe es keine Atheisten, nicht.

Im Gegenteil: Ich persönlich empfinde zum Beispiel meine gut begründbare Annahme, dass mein Leben und damit auch mein Bewusstsein und Persönlichkeit mit meinem Tod aufhören zu existieren als wesentlich angenehmer als die Vorstellung einer wie auch immer gearteten jenseitigen Ewigkeit.

Zumal ja gerade Katholiken bis zur letzten Sekunde bangen müssen, ob es denn gereicht hatte, um den Höllenqualen und nach Möglichkeit auch dem „Fegefeuer“ zu entkommen. Und zwar nicht nur bei ihnen selbst. Sondern auch bei denen, die sie dereinst wiederzusehen hoffen.

Jemand, der frei von solchen Glaubensgewissheiten (die letztlich nur von Menschen erfundene Machtinstrumente sind) lebt, kann darüber nur genauso müde lächeln, wie ein Christ vermutlich über die Jenseitsvorstellungen anderer Religionen oder Weltanschauungen müde lächelt.

Nach mir die Sintflut?

MoralDen Standpunkt von Menschen, die sich mit der Einmaligkeit und Endlichkeit ihres Daseins arrangiert haben, bezeichnen Gläubige nicht selten abfällig als „Fatalismus“ im Sinne von „Nach mir die Sintflut.“

Dabei ist auch hier das Gegenteil der Fall: Wer sich der Einmaligkeit und zeitlichen Begrenztheit seiner Existenz bewusst ist, der hat damit erst recht gute Gründe, seine Lebenszeit, sein Diesseits sinnvoll zu nutzen.

Eine Jenseitsvorstellung in Form einer „Belohnung“ der „Guten“ und „Bestrafung“ der „Bösen“ braucht es dazu nicht. Weder als Hoffnungsschimmer, noch als moralisches Instrument.

Und so frage ich mich, ob es wirklich ein Zeichen für menschliche Größe ist, wenn man als erwachsener Mensch im 21. Jahrhundert noch auf absurde Behauptungen vertraut. Behauptungen, die man für wahr hält, obwohl sie augenscheinlich schlicht falsch bzw. frei erfunden sind.

Menschliche Größe: Im Grunde geht es um die Sinnfrage

Allgemein gesprochen geht es wohl bei dem, was Herr Welter hier mit „menschliche Größe“ meint um die Frage, ob jemand bereit ist, die biblisch-christliche Mythologie als Sinn stiftend anzuerkennen. Also als Sinnquelle für das eigene Leben.

Dazu passend hat Dr. Frank Schulze gerade einen lesenswerten Artikel auf humanistisch.net veröffentlicht. Die Fragestellung:

  • Wer seinen religiösen Glauben verliert oder nie einen hatte, steht mitunter vor einer existenziellen Herausforderung: Worin liegt der Sinn des Lebens? Und womöglich noch wichtiger: Wie gebe ich meinem Leben einen Sinn? (Quelle: humanistisch.net: Sinn des Lebens vs. Sinn meines Lebens ▪ Gastbeitrag von Dr. Frank Schulze, 11.7.2019)

Das Fazit des Autors:

  • Wenn keine höhere Macht Sinn stiftet, liegt es an uns, unserem Leben einen Sinn zu geben.
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1 Gedanke zu „Menschliche Größe – Das Wort zum Wort zum Sonntag“

  1. Danke für den guten Artikel!

    Ist es nicht erstaunlich, wie wenig der Herr Pfarrer davon sprach, ob das Vertrauen am Ende auch gerechtfertigt war? Ob die Versprechungen, die er und seine Kollegen unermüdlich unters Volk streuen, tatsächlich wahr sind?

    Erst mit dieser Information könnte man doch die Geschichte angemessen beurteilen. Ansonsten wäre es ein plumpes Wetteifern um die größten Versprechungen.

    Warum endet seine Erzählung nicht wie folgt: „Naja, liebe Zuschauer. Sie ahnen es schon. Beide sind gestorben, und das war’s. Eine traurige Geschichte. Ich kann daran nichts ändern, und auch sonst niemand. Das ist, wenn Sie so wollen, die Moral von der Geschicht‘. Schönen Abend noch.“

    Vertrauen weist in die Zukunft, meinetwegen in die ungewisse Zukunft. Aber sobald davon in der Rückschau berichtet wird, betrifft es nicht mehr eine ungewisse Zukunft, sondern kann verglichen werden mit der Realität. Das Liebespaar damals konnte sich auf „Vertrauen“ berufen, aber kann es der Pfarrer ebenfalls? Der Pfarrer weiß doch, was anschließend passiert ist. Er weiß, dass alles Gottvertrauen nicht half, und dass die Geschichte mit dem Tod endete — und zwar endgültig. Stattdessen gaukelt er vor, er wüsste ebenso wenig wie damals das Liebespaar, und es bliebe am Ende eben das Vertrauen. Das ist unredlich.

    Es ist zudem widersprüchlich. Einerseits gaukelt der Pfarrer vor, er wüsste ebenso wenig wie das Liebespaar und man müsse halt vertrauen. Andererseits behauptet er, er wüsste vom Jenseits, seinen Vorzügen, und sogar, wer dort Einlass findet. Mehr noch: Er behauptet sogar, er könne es beeinflussen, kraft seiner von Gott verliehenen Vollmacht. (Markus 16,16)

    Der Herr Pfarrer bewirtschaftet hier einfach die uns Menschen angeborene Flucht vor dem Tod. Er hilft uns keineswegs, Frieden zu schließen mit diesem unvermeidlichen Ende unseres Lebens. Sondern er weidet es aus. Sobald jemand den Tod vor Augen hat, hockt er draußen auf dem Gartenzaun und wartet, bis er was zu Fressen bekommt.

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