Wenn mich die hiesige Evangelisch-Lutherische Kirchengemeinde schon ihrem Gemeindebrief beglückt, dann steuere ich gerne ein paar kritische Gedanken zum darin enthaltenen „Geistlichen Wort“ von Pfarrer Helmut Stradal bei.
Darum geht es
Pfarrer Stradal ersetzt konkrete Problemlösung durch religiöse Vertröstung und entmündigt Menschen, indem er Verantwortung an eine fiktive göttliche Instanz delegiert, statt zu eigenständigem Handeln zu ermutigen.Der vorliegende Text zur Adventszeit offenbart exemplarisch die Mechanismen religiöser Deutungshoheit über menschliches Leid und gesellschaftliche Krisen. Was zunächst wie eine Ermutigung klingt, entpuppt sich bei genauerer Analyse als problematische Mischung aus Realitätsverweigerung, moralischer Selbsterhöhung und der Delegierung von Verantwortung an eine metaphysische Instanz.
Die Anmaßung prophetischer Gewissheit
Der Text beginnt mit einem Zitat aus Jesaja 60,1 und präsentiert es als zeitlose Wahrheit. Dabei handelt es sich um ein poetisches Fragment aus dem 6. Jahrhundert v. Chr., entstanden in einem völlig anderen historischen und kulturellen Kontext. Die unkritische Übernahme solcher „Verheißungen“ ignoriert nicht nur die historisch-kritische Bibelforschung, sondern maßt sich auch an, über die Zukunft Bescheid zu wissen – eine Haltung, die rational nicht zu rechtfertigen ist.
Die rhetorische Frage „Was für eine Verheißung für die Zukunft!“ verschleiert, dass es sich um eine leere Behauptung handelt. Welches „Licht“ soll kommen? Die Geschichte der letzten 2000 Jahre zeigt keine göttliche Intervention gegen Leid und Ungerechtigkeit.
Das Dilemma der Theodizee wird umschifft
Besonders problematisch ist die Passage über das „Weghören“ und „Wegschauen“ angesichts von Kriegen und Anschlägen. Der Text diagnostiziert zu Recht eine mögliche Abstumpfung gegenüber Leid. Doch statt konkrete Lösungsansätze zu benennen, flüchtet er sich in religiöse Symbolik.
Die Behauptung, Jesus habe sich „dem Leid in der Welt gestellt“, ist historisch fragwürdig und ethisch irrelevant für heutige Problemlösungen. Tatsächlich hilft gegen Krieg keine 2000 Jahre alte Erzählung, sondern diplomatisches Engagement, humanitäre Hilfe und politischer Aktivismus. Der Text suggeriert jedoch, dass religiöse Nachfolge irgendwie gegen Gleichgültigkeit immunisiere – ohne zu erklären, wie genau das funktionieren soll.
Realitätsanerkennung als rhetorischer Trick
Der Autor lobt Jesaja dafür, seine Botschaft „weder weltfremd noch schönfärbend“ zu formulieren, weil der Prophet die „Finsternis“ anerkenne. Doch diese Anerkennung dient nur als Kulisse für die eigentliche Botschaft: dass Gott trotzdem alles zum Guten wenden werde.
Das ist im Kern eine Immunisierungsstrategie. Egal wie schlimm die Realität ist, die religiöse Hoffnung bleibt unangetastet – nicht weil sie sich bewährt hätte, sondern weil sie als unangreifbares Axiom gesetzt wird.
Die Passivierung menschlicher Handlungsfähigkeit
Besonders entlarvend ist die Aussage: „Dieses Licht müssen wir nicht selbst entzünden, weil es Gottes Geschenk an uns ist.“ Hier wird menschliche Initiative systematisch entwertet. Statt Menschen zu ermächtigen, selbst aktiv zu werden, macht der Text sie zu Empfängern angeblicher göttlicher Gnade.
Die anschließende Aussage, man werde „von diesem Licht selber angesteckt“, ist eine durchsichtige Korrektur dieser Passivität – aber sie bleibt inkonsequent. Entweder kommt die Kraft von Gott (dann braucht es keine menschliche Anstrengung), oder sie kommt von Menschen selbst (dann braucht es keinen Gott).
Humanistische Alternative
Was wäre die säkulare, humanistische Antwort auf Leid und Dunkelheit in der Welt?
- Realistische Problemanalyse: Kriege haben politische, ökonomische und psychologische Ursachen, keine metaphysischen. Nur ihre Erforschung ermöglicht Lösungen.
- Menschliche Solidarität: Mitgefühl und Handlungswillen entspringen nicht göttlicher Gnade, sondern der menschlichen Fähigkeit zur Empathie und rationalen Ethik.
- Konkrete Aktion statt religiöser Symbolik: Statt auf ein „Licht“ zu hoffen, können wir säkulare Hilfsorganisationen unterstützen, politisch aktiv werden, in unserem Umfeld Ungerechtigkeit ansprechen.
- Verantwortungsübernahme: Gerade weil es keine göttliche Instanz gibt, die es richten wird, liegt die Verantwortung bei uns Menschen – und das ist keine Last, sondern eine Würdigung unserer Autonomie.
Fazit
Dieses „Geistliche Wort“ ist ein Paradebeispiel dafür, wie Religion echte Problemlösung durch emotionale Tröstung ersetzt. Es bedient sich geschickt realer Ängste und Sorgen, bietet aber keine praktischen Antworten, sondern nur die Wiederholung alter Glaubensformeln.
In einer Welt, die vor komplexen Herausforderungen steht – Klimawandel, soziale Ungerechtigkeit, geopolitische Konflikte – brauchen wir keine 2500 Jahre alten Prophetenworte. Sondern Wissenschaft, kritisches Denken, Empathie und den Mut zu konkretem Handeln.
Das „Licht“, von dem Jesaja spricht, ist nie gekommen. Aber das Licht der Aufklärung, der Humanität und der Vernunft leuchtet überall dort, wo Menschen sich weigern, Verantwortung an imaginäre Götter zu delegieren, und stattdessen selbst aktiv werden.


















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