Kommentar zu NACHGEDACHT 164: Fleischfasten ist nicht religiös?

Lesezeit: ~ 5 Min.

Kommentar zu NACHGEDACHT 164: Fleischfasten ist nicht religiös?, Originalartikel verfasst von Christina Leinweber, veröffentlicht am 28.02.16 von Osthessennews

Der Sonntag […] und ich halte ihn hoch, nicht nur aber, auch weil er in meinem Glauben der wichtigste Tag der Woche ist.*

Wieso der Tag eines „Herren“, den es gar nicht gibt, wichtiger sein soll als alle übrigen Tage der Woche, sagt viel über den angeblichen Machtanspruch dieses „Herren“ aus. Die Menschen, die sich diesen Herren ausgedacht haben, verordnen den Menschen, die an ihn glauben möchten, eine absolute Unterwürfigkeit und reservieren gleich einen ganzen Tag für ihn, der dann deswegen auch noch der wichtigste Tag der Woche sein soll.

Nur aktuell habe ich den Sonntag weniger gern, denn strickt genommen dürfte ich heute mein Fasten brechen.

Ob Sie einen Tag gern haben machen Sie davon abhängig, ob Ihnen Ihre Religion – strikt genommen – an diesem Tag das Brechen der von ihr vorgegbenen Fastenzeit erlaubt? Das tut mir fast schon leid.

Denn man rechne mal nach: […] Die Sonntage gehören nicht dazu und man darf am „Tag des Herrn“ das Fasten brechen.

Warum das so ist, kann man leicht verstehen, wenn man weiß, dass den Bibelschreibern das Wunder immer wichtiger war als die Wahrheit: Die christliche Religion hatte noch nie Probleme damit, die Wirklichkeit beliebig zu verbiegen und so anzupassen, dass die gewünschten Ergebnisse herauskommen.

In der Bibel taucht die Zahl 40 immer wieder auf: Die Sintflut dauerte 40 Tage, Israel wanderte 40 Jahre durch die Wüste, Moses und Elias fasteten 40 Tage? Kein Problem, dann erklären wir einfach die Sonntage zu Ausnahmetagen und schon passt auch unser Wunsch-Jesus zur alttestamentarischen 40er-Tradition. Die Erfüllung alttestamentarischer Prophezeiungen ist wichtiger als die (historische) Wahrheit.

Aber auch spätere Kirchenleute waren und sind durchaus kreativ im Verbiegen der Wirklichkeit – zum Beispiel zugunsten ihrer leiblichen Bedürfnisse. Während der Fastenzeit darf kein Fleisch, aber Fisch gegessen werden? Kein Problem, dann erklären wir Biber einfach zu Fischen, weil die ja auch im Wasser leben. Wasser predigen, Wein trinken. Während man über diesen Selbstbetrug heute bestenfalls schmunzeln kann, gibt es aber auch heute noch religiöse Realitätsverzerrungen, die alles andere als lustig sind, zum Beispiel, wenn Kindesmissbrauch durch irgendwelche religiöse Pseudobegründungen relativiert wird.

Jetzt finde ich nur leider, dass Fasten mit Unterbrechung kein wirklicher Verzicht ist.

Aus göttlicher Sicht ist es völlig einerlei, ob, wie, wie lange, und warum jemand auf etwas verzichtet. Noch kein Gott hat sich jemals dazu geäußert, was damit zusammenhängen dürfte, dass bis heute noch kein Gott jemals nachweislich in Erscheinung getreten ist. Es ist also Ihre persönliche Sache, wann, wie lange, warum und worauf Sie in Ihrem Leben verzichten möchten.

Auch die eigentlich recht klaren Anweisungen Ihrer Kirche zum Thema Fasten interessieren heute kaum noch jemand – kein Wunder, wer möchte sein eigenes Verhalten heute noch ernsthaft an archaischen Mythen aus dem Vormittelalter ausrichten? Deshalb werden auch die eigentlich sehr detaillierten Fastenvorschriften landläufig geflissentlich ignoriert, umgebogen und beliebig an die Bedürfnisse und Bedingungen der Menschen im 21. Jahrhundert angepasst, wie zum Beispiel auf der Webseite des „Erzbistums“ München (Hervorhebung von mir):

  • Heutige Fastenpraxis
    Früher war für die gesamte Fastenzeit nur eine Mahlzeit täglich vorgesehen. Dieses strenge Fasten wird heute allerdings meist nur noch am Aschermittwoch und Karfreitag praktiziert. Fasten als Verzicht gibt es inzwischen in vielerlei Form: Verzicht auf Alkohol, übermäßiges Essen, oder Shoppen. Statt Auto zu fahren werden öffentliche Verkehrsmittel genutzt oder man radelt. Man verzichtet auf den Fahrstuhl und nimmt die Treppe oder man sammelt für jedes Schimpfwort einen Euro in einer Fluch-Kasse. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt – Hauptsache, es tut tatsächlich auch ein bisschen weh. (Quelle)

Der letzte Satz dieses Zitates auf einer christlichen Webseite ist an Zynismus kaum zu überbieten. Man könnte ihn als Motto über die fast 2000jährige Kriminalgeschichte des Christentums** schreiben.

Warum ich gerade dies faste, weiß ich leider nur zu gut. Ein Doku-Film über Tierhaltung hat mir die Teewurst auf meinem Brot verbittert.

Wie gemein! Das ist ja wirklich ärgerlich. Dabei sollen sich die Menschen doch die Erde untertan machen, wenn es nach dem angeblich von Gott geoffenbarten „Wort Gottes“ geht? Von Teewurst und deren Herstellung ist in der Bibel jedenfalls nichts zu finden…

Auch wenn in meinem Umfeld viele nicht begeistert von meinem momentan vegetarischen Leben sind, ich bin sehr glücklich darüber.

Wenn Sie sehr glücklich darüber sind, dann haben Sie sicher doch auch gute Argumente, die für eine vegetarische Lebensweise sprechen. Es wäre interessant zu wissen, warum genau Menschen in Ihrem Umfeld von Ihrer temporären Fleischlosigkeit nicht begeistert sind.

Der Vorwurf, es sei nicht besonders religiös, Fleisch zu fasten, fand ich bisher am einfallsreichsten, um mich zum Fleischessen zu bewegen.

Wie meinen Sie das? Vielleicht verstehe ich ja die Pointe nicht, aber in Ihrer Religion ist es doch durchaus religiös, während der Fastenzeit kein Fleisch zu essen (Hervorhebung von mir):

Fastenregeln (Auszug)

  • Die Vorschrift der Enthaltung von Fleisch verbietet den Genuss von Fleischspeisen, nicht aber wie ehedem von Eiern, Milchprodukten und tierischen Fetten als Zutaten zu anderen Speisen (P III § 1).
  • Verpflichtet sind zur Abstinenz alle Katholiken, die den Vernunftgebrauch erlangt und das 14. Lebensjahr vollendet haben; schon vor Vollendung des 14. Lebensjahres sollen sie von Eltern und Seelsorgern klug zum Verständnis und zur Übung der Buße erzogen werden (P IV).
  • Das Abstinenzgebot gilt für alle Freitage, die nicht auf gebotene Feiertage fallen, und den Aschermittwoch (P II § 2).
  • […] Entpflichtet sind vom Abbruchfasten alle, die es nicht ohne schweren Nachteil halten können: a) wegen Körperschwäche Kranke, Genesende, hoffende und stillende Mütter, Schwächliche; alle, die bei einer Mahlzeit nicht viel zu sich nehmen können; b) wegen Armut Bettler, die nicht Speisen in der Menge und Beschaffenheit bekommen, dass sie sich auf einmal sättigen können; c) wegen Anstrengung Schwerarbeiter; Reisende, an deren Kräften der Weg zehrt; geistig Arbeitende, die bei Einhaltung dieser Fastenform ihre Aufgaben nicht erfüllen könnten. (Quelle: Wikipedia)

Massentierhaltung, Shoppen oder Autofahren war zu der Zeit, aus der diese Regeln stammen, noch kein Thema, genausowenig wie Tierschutz, Tierrechte oder Umweltschutz (und natürlich auch viele weitere Errungenschaften, auf denen unsere heutige Ethik basiert, wie zum Beispiel Gleichberechtigung von Mann und Frau, Meinungsfreiheit, Pressefreiheit…). Da stellt sich natürlich die Frage, wofür diese verstaubten Regeln den Menschen im 21. Jahrhundert überhaupt noch irgendwie nützlich sein sollten?

Ganz einfach gekontert lauteten dann meine Worte: „Ich ehre den Schöpfer im Geschöpfe, wenn ich mich ganz bewusst dazu entscheide, die fleischliche Nahrung abzulehnen, die ethisch nicht korrekt gehalten und geschlachtet wurde.“

Das bedeutet, Sie brauchen tatsächlich eine erfundene, höhere Instanz um erkennen zu können, dass Massentierhaltung unethisch ist? Weil ein fiktiver Schöpfer, den es bis zum Beweis des Gegenteils gar nicht gibt und für dessen Existenz es keinen einzigen seriösen Anhaltspunkt gibt, verehrt werden möchte, verhalten Sie sich ethisch korrekt?

Halten wir kurz fest:

  1. Noch kein Gott hat jemals seriös belegbar mitgeteilt, wie sich Menschen verhalten sollen.
  2. Jeder angebliche Gotteswille entstammt ausnahmslos menschlicher Phantasie.
  3. Sollte es eine endgültige und ewige „Wahrheit“ geben, so findet sich diese nicht in religiösen Schriften oder deren Interpretation.

Wieso mussten Sie dann erst einen Film über Massentierhaltung sehen, um Ihr Verhalten kritisch zu hinterfragen? Vielleicht deshalb, weil sich aus einem biblischen „Macht euch die Erde untertan“ nur sehr schwer ein umweltbewusstes, ethisch korrektes Verhalten ableiten lässt?
Menschen brauchen weder die Angst vor, noch die Hoffnung auf erfundene Götter, um wissen zu können, welches Verhalten ethisch korrekt ist und welches nicht.

Nach der Fastenzeit möchte ich wieder Fleisch essen. […] nur Fleisch kaufen, dass unbedenklich gehalten und getötet wurde.

Fleisch wird weder gehalten noch getötet. Tiere werden gehalten und getötet, deren Fleisch Sie dann essen. Man kann und sollte darüber diskutieren, inwiefern das Töten von Tieren (unabhängig von ihrer Haltung) überhaupt unbedenklich sein kann. Vor zwei Jahren hatten Sie übrigens geschrieben, dass Sie Ihr „Schweinchen“ beim „Metzger um die Ecke“ holen.

*Das Online-Portal Osthessennews fordert jede Woche unter der Rubrik „NACHGEDACHT“ mit „liberal-theologischen“ Gedanken von Christina Leinweber zum Nachdenken auf. Alle Zitate stammen aus dem oben genannten und verlinkten Artikel.

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