Trauer: Sind wir den Verstorbenen egal?

Lesezeit: ~ 3 Min.

In diesem Beitrag möchte die Besucherin wissen, ob wir den Verstorbenen egal sind. Also nicht die Verstorbenen uns, sondern wir den Verstorbenen.

Sie habe jahrelang auf ein „Zeichen“ gewartet, das aber nie kam. Und sie könne es sich nicht vorstellen, dass ihre Trauer die Verstorbenen kalt lasse.

Der zuständige Beantwortungspfarrer räumt in seiner Antwort zunächst ein, dass es dazu keine Antwort gebe, die man in voller Gewissheit geben könnte. Er scheint also zumindest zu ahnen, dass er wohl nicht mehr ernst genommen werden würde wenn er vorgeben würde, hierzu etwas zu wissen, was man eben (noch) nicht weiß.

Anstatt es redlicherweise dabei zu belassen und vielleicht noch einen Tipp zur Bewältigung von Trauer zu geben, folgt erwartungsgemäß doch noch die christliche Sichtweise:

[…] Die christliche Vorstellung vom Leben nach dem Tod geht in jedem Fall davon aus, dass die Toten entweder schlafen oder bereits bei Gott sind.*

Indem er die skurril-naive Vorstellung, Tote würden schlafen oder sie seien bei Gott auf die christliche Vorstellung schiebt, zieht sich der Herr Pfarrer vorsorglich nochmal aus der Affäre. Was natürlich schon nachvollziehbar ist. Denn wer möchte ernsthaft seinen Namen unter einer solcher Aussage stehen haben?

Mit religiöser Fiktion gegen Trauer?

Aber damit nicht genug. Ungeachtet der Tatsache, dass die „christliche Vorstellung“ nach aktueller Sach- und Faktenlage nichts mit der Realität zu tun hat, geht es weiter mit Behauptungen, die auf dieser Fiktion beruhen:

So oder so warten sie auf die Auferstehung aller Menschen am „Jüngsten Tag“, wenn Gott eine neue Erde und einen neuen Himmel schaffen wird. Bis dahin sind sie fort und sozusagen unter sich und bei Gott.

Herr M., was macht Sie so sicher, dass das tatsächlich so ist wie von Ihnen behauptet? Auf welches Wissen, auf welche Beobachtung, welche Erfahrung greifen Sie zurück, wenn Sie eine solche Aussage treffen?

Auf die „christliche Vorstellung“ können Sie sich mit dieser Darstellung jedenfalls kaum noch berufen. Mit „fort und sozusagen unter sich und bei Gott“ umschiffen Sie den unangenehmen Aspekt der zeitlich unbegrenzten physischen und psychischen Bestrafung, die als Konzept einer Hölle nun mal integraler Bestandteil der christlichen Jenseitsvorstellung ist. Und wie stellen Sie sich das konkret vor mit der „Auferstehung aller Menschen“ am „Jüngsten Tag“?

Verantwortungslos

Haben Sie sich schon mal darüber nachgdacht, was Sie mit solchen absurden Behauptungen womöglich anrichten können? Wenn zum Beispiel Leser nicht erkennen, dass Ihre Behauptungen bis zum Beweis des Gegenteils gar nichts mit der irdischen Realität zu tun haben? Inwiefern halten Sie eine Illusion, die zur Lüge wird, wenn sie als Tatsache behauptet wird, für geeignet, um einem Menschen bei Trauer zu helfen?

Was ich Ihnen damit sagen möchte: Ihr Leiden dringt nicht bis zu den verstorbenen Lieben durch.

Wäre nicht auch hier die ehrlichere Antwort: Wir wissen es nicht? Wenn Sie schon einräumen, dass man über das Jenseits nichts mit Gewissheit sagen kann, warum tun Sie dann trotzdem so, als könne man es doch? Aussagen, die das Vorhandensein eines Gottes oder eines ewigen Lebens voraussetzen, entbehren ohne entsprechende Beweise jeder Plausibilität. Und sind deswegen schlicht sinnlos.

An der in diesem Beitrag gestellten Frage können Sie sehen, welche fatale Folgen solche Fiktionen wie die der christlichen Vorstellung eines Jenseits und eines ewigen Lebens auf das Leben von echten Menschen im Diesseits haben kann. Wird Ihnen an diesem Beispiel nicht bewusst, wie massiv religiöse Wahngedanken das Leben von Menschen offenbar über Jahre hinweg negativ beeinträchtigen können? Und dass Religionsvertreter, die solche Behauptungen aufstellen und öffentlich vertreten, auch für dieses Leid mitverantwortlich sind?

Antwort aus rationaler Sicht

Hallo Marie, es tut mir leid, dass du offenbar schon seit Jahren sehr unter dem Verlust eines geliebten Menschen leidest. Statt dich zusätzlich noch mit Überlegungen zu belasten, die von falschen Voraussetzungen und fiktiven Behauptungen ausgehen, dürfte es vermutlich am hilfreichsten sein, wenn du zur Trauerbewältigung professionelle Hilfe (zum Beispiel hier) in Anspruch nimmst.

Alles Gute!

*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Beitrag auf fragen.evangelisch.de, abgerufen am 31.8.2016

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