Gewinnen und Verlieren, das Wort zum Wort zum Sonntag

Lesezeit: ~ 5 Min.

Gewinnen und Verlieren, das Wort zum Wort zum Sonntag, gesprochen von Benedikt Welter (kath.), veröffentlicht am 18.5.2017 von ARD/daserste.de

Gewinnen. Verlieren. Ganz klar: irgendwie fühle ich mich doch einfach besser, wenn ich auf der Seite der Gewinner bin. Jap.

Deshalb hat es keinen Zweck, nur auf das Grundmuster aus Gewinnen und Verlieren zu schauen. Das löst keine Probleme. Schon gar nicht, wenn es um das Zusammenleben von Menschen geht.*

Weil ich mich doch irgendwie einfach besser fühle, wenn ich auf der Seite der Gewinner bin, hat es keinen Zweck, nur auf das Grundmuster aus Gewinnen und Verlieren zu schauen? Diese Logik erschließt sich mir nicht wirklich…

Wenn man nur auf das Grundmuster aus Gewinnen und Verlieren schaut, dann könnte man übersehen, dass die Dinge meist nicht so schwarz-weiß-dualistisch sind. Aber was hat das mit dem persönlichen Gefühl zu tun?

Gewinnen ist schädlich

„Was nützt es, wenn ein Mensch die ganze Welt gewinnt, dabei aber sich selbst verliert…?“ (Lk 9, 25). Diese Frage stellt das Gewinnstreben selbst in Frage. Sie lenkt den Blick auf etwas anderes:

Was einen Menschen wichtig und kostbar macht, liegt in ihr oder ihm selbst; was ich gewinne, ist unwichtig – oder sogar schädlich.

Salbungsvolle Worte. Doch wie sieht das aus kirchlicher Sicht aus? Da wurde und wird nach wie vor – wie so oft – mit zweierlei Maß gemessen, wenns um Gewinnstreben geht. Und hier macht sich der Umstand, dass sich die biblische Grundlage durch Interpretation, Selektion und Weglassung zur Rechtfertigung praktisch jeder beliebigen Sichtweise verwenden lässt, besonders gewinnbringend bemerkbar.

Der unvergessene Robert Long brachte es dereinst so auf den Punkt:

  • Herrscht Hungersnot in einem Land,
    dann hebt in Rom ein Mann die Hand
    und murmelt einen alten frommen Segen –
    Den seinen hat’s der Herr im Schlaf gegeben.
    Denn lohnend häuft sich die Moral
    zu einem Aktienkapital.
    Und mit so einem Heiligenschein
    ist es nicht peinlich, reich zu sein.
    (Robert Long: Jesus führt)

Aus dem Kontext…

Wie immer, wenn irgendwo Sätze oder Halbsätze aus der Bibel zitiert werden, lohnt sich ein Blick auf den Text, aus dem der Satz stammt. Der gesamte Abschnitt lautet:

  • Von Nachfolge und Selbstverleugnung
    23 Zu allen sagte er: Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme täglich sein Kreuz auf sich und folge mir nach.
    24 Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen verliert, der wird es retten.
    25 Was nützt es einem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, dabei aber sich selbst verliert und Schaden nimmt?
    26 Denn wer sich meiner und meiner Worte schämt, dessen wird sich der Menschensohn schämen, wenn er in seiner Hoheit kommt und in der Hoheit des Vaters und der heiligen Engel.
    27 Wahrhaftig, das sage ich euch: Von denen, die hier stehen, werden einige den Tod nicht erleiden, bis sie das Reich Gottes gesehen haben. (Lk 9, 23-27 EU)

Dieser Abschnitt wirft etliche Fragen auf. Wie aus dem letzten Satz hervorgeht, hatte Lukas seinen Jesus die Gültigkeit der Anordnungen wohl auf dessen Lebenszeit begrenzen lassen.

Alle Christen, die sich bis heute, knapp 2000 Jahre später, ebenfalls als „Nachfolger Christi“ fühlen möchten und sich dazu auf diese Bibelstelle berufen, müssen diesen Satz also ignorieren. Denn bis heute hat noch niemand „das Reich Gottes gesehen“. Und ganz sicher nicht vor Erleiden des Todes.

Über die Frage, warum Lukas, anders als die anderen Bibelschreiber, den Besitzverzicht so ausdrücklich betont, haben sich schon Generationen von Bibelforschern Gedanken gemacht. So ist zum Beispiel nicht klar, ob sich der Besitzverzicht nur auf die Lebzeit von Jesus beschränkt oder auch noch für spätere Nachfolger gelten soll.

Unklar ist auch, was genau mit „Besitz“ gemeint sein soll: Ging es hier um eine generelle Kritik an den Reichen? Oder ging es bei „Besitz“ um die völlige Aufgabe aller weltlichen Dinge? Also auch von Familie, Heimat, Beruf, was Jesus ja von den zeitgenössischen Anhängern seiner Endzeitsekte (also denen, die ihm zu Lebzeiten nachfolgten) verlangte? Heute dürften nur noch die allerwenigsten „Nachfolger“ bereit sein, ihr diesseitiges Leben tatsächlich aufzugeben, um so die Chancen auf eine himmlische Herrlichkeit zu erhöhen… Beim Geld hört der Spaß auf, nicht nur für die Kirche…

Dass Besitz tatsächlich, wie von Herrn Welter vermutet, als etwas Schädliches dargestellt werden soll, könnte man so interpretieren. Wobei die Schädlichkeit dann allerdings darin bestehen würde, dass sämtlicher Besitz und überhaupt alle weltlichen Dinge Menschen von der Nachfolge Christi abhalten könnten. Es ging hier also nicht etwa um gerechte Verteilung von Gütern oder um Gerechtigkeit allgemein. Also nicht darum, inwieweit Gewinnstreben für Ungerechtigkeit führt, sondern nur darum, dass dieses vom Streben nach Gott ablenken könnte.

Leeres Versprechen und Selbstbetrug

„Was nützt es, wenn ein Mensch die ganze Welt gewinnt, dabei aber sich selbst verliert und Schaden nimmt?“ (Lk 9, 25). So stellt Jesus diese Frage. Und er fragt dort, wo es um wirkliche Lebensentscheidung geht. Denn vor ihm stehen Menschen, die sich ernsthaft fragen, ob sie mit ihm gehen, ihr Leben mit ihm gestalten wollen. Und denen sagt er diesen Satz: „Wer sein Leben gewinnen will, wird es verlieren. Wer es aber um meinetwillen verliert, der wird es gewinnen.“

Aha – diesseitiger „Gewinn“ ist schlecht, nur jenseitiger „Gewinn“ ist gut. Jesus verlangt also von seinen Anhängern, dass sie seinetwegen ihr irdisches Leben und Streben aufgeben sollen. Es muss zu dieser Zeit, in der Menschen offenbar noch auf jenseitige Versprechen hereinfielen, ein starkes Argument für die „Nachfolge“ gewesen sein.

Heute sollte sich größtenteils herumgesprochen haben, dass von einem „Jenseits“ nach religiöser Vorstellung nicht auszugehen ist. Eine postmortale zeitlich unbegrenzte Belohnung ist ebenso unplausibel und unwahrscheinlich wie eine zeitlich unbegrenzte Dauerbestrafung für Un- oder Andersgläubige. Der vermeintliche „Gewinn“, den Jesus verspricht, ist also lediglich eine Illusion. Was es tatsächlich zu gewinnen gibt, ist ein glückliches und erfülltes Leben. Im Diesseits. Die Gewinnchancen sind äußerst ungleich verteilt; sie werden maßgeblich von geographischen und zeitlichen Faktoren beeinflusst. Und natürlich von allen möglichen glücklichen oder unglücklichen Umständen.

Mir helfen diese Worte von Jesus; mit ihm zusammen kann ich genauer darauf schauen, was wirklich in mir los ist und was meinem Leben Bedeutung gibt. Da ist jemand schon längst auf meiner Seite, ehe ich etwas vorzuweisen habe; längst bevor ich gewinnen oder verlieren konnte.

Das kann man sich natürlich immer und immer wieder einreden. So lange, bis man selber daran glaubt. Bei Kindern ist ein solches Verhalten bis zu einem gewissen Alter ganz natürlich und oft beobachtbar: Sie wünschen sich einen imaginären Freund, der es gut mit ihnen meint. Der sie unterstützt und der immer für sie da ist. Im Lauf der Entwicklung setzt sich dann meist doch das rationale Denken durch.

Gerade manchen religiös Gläubigen gelingt es mitunter ihr Leben lang nicht, sich von der Vorstellung, ein übernatürliches Wesen gebe ihrem Leben eine besondere Bedeutung, zu befreien.

Das wirkliche Leben

Ich liebe diesen Widerspruch von Jesus gegen das übliche Gewinnen und Verlieren.

Er bewahrt mich davor, einen anderen Menschen zum Verlierer zu machen, wenn es um das wirkliche Leben geht.

Wenn es um das wirkliche Leben geht, dann empfiehlt es sich, diese Wirklichkeit nicht durch eine religiöse Scheinwirklichkeit zu erweitern und so zu tun, als wisse man Dinge, die man nicht wissen kann. Denn der Machtanspruch eines Gottes, den sich die Menschen in der Bronzezeit ausgedacht hatten, ist irrelevant, wenn es um das wirkliche Leben geht.

Nicht, weil ein vermeintlicher Gottessohn mal Gewinnstreben für schlecht und Selbstaufgabe um seinetwegen für gut bezeichnet hat, sollte man sich Gedanken über das Thema Gewinner und Verlierer machen. Sondern um der Mitmenschen wegen. Dazu braucht es keine längst überholten christlichen Moralismen mehr, die gar nicht auf eine friedliche und offene Gesellschaft abzielen.

Ich wünsche Ihnen einen gewinnbringenden Sonntag.

Das muss man Ihnen als Pfarrer ja nicht wünschen 🙂 Das „Geschäft“ der Kirche ist trotz stark sinkender Herdenstärke ein äußerst Einträgliches: Der versprochene „Gewinn“ besteht bis zum Beweis des Gegenteils aus einer Fiktion, einer Illusion, einer Täuschung. Und ist somit wertlos, zumindest aber kostenlos. Kirchensteuer und Kirchgeld hingegen werden in Euro und anderen Währungen gezahlt.

*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Originalbeitrag.
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