Abwehrkräfte stärken – Das Wort zum Wort zum Sonntag

Lesezeit: ~ 7 Min.

Abwehrkräfte stärken – Das Wort zum Wort zum Sonntag, verkündigt von Lissy Eichert, Berlin, veröffentlicht am 12.12.2020 von ARD/daserste.de

Darum geht es

Wie immer meint es Frau Eichert auch diesmal sicher wieder nur gut. Sie möchte irgendwas Tröstliches beitragen zur aktuellen Situation. Ihrem Publikum Mut und Hoffnung machen. Ihre persönliche Strategie in Krisenzeiten: Resilienz durch Religion.

Zum Einstieg hat sie sich wieder tolle Analogien ausgedacht: Von der Abwehr, die im Fußball eine wichtige Rolle spielt gehts weiter zu den Abwehrkräften des menschlichen Körpers. Und die haben ja noch keine Abwehrkräfte gegen das Corona-Virus entwickelt.

Zusätzlich leiden Menschen unter den psychischen Belastungen, die sie pandemiebedingt neben dem sonstigen Stress auch noch aushalten müssen.

Mit einem weiteren Beispiel weist Frau Eichert darauf hin, dass jetzt Demut und Dankbarkeit angebracht seien. Man solle demütig und dankbar sein für das, was man bisher schon alles genießen konnte in seinem Leben. Statt sich darauf zu konzentrieren, was einem gerade so alles fehlt.

Bescheuert und strubbelig

Da das „Wort zum Sonntag“ ja aber primär keine Lebensberatungs-, sondern eine kirchliche Verkündigungssendung ist, muss natürlich, AWQ-Leser*innen wissen es längst, noch irgendwas mit Glauben kommen:

[…] Egal, wie bescheuert die Umstände gerade sind, für mich steht fest: Der Advent ist die Zeit, in der uns Gott entgegenkommt. Ohne sich aufzudrängen. Denn so, wie ich Gott verstehe, sehnt Gott sich danach, unser Leben zu teilen. Auch unseren Alltag in diesen strubbeligen Monaten.
(Quelle der so als Zitat gekennzeichneten Abschnitte: Abwehrkräfte stärken – Wort zum Sonntag, verkündigt von Lissy Eichert, Berlin, veröffentlicht am 12.12.2021 von ARD/daserste.de)

Immerhin beschränkt Frau Eichert an dieser Stelle mal ihre Gottesphantasien auf sich selbst: Was für jemanden „fest steht“, mag natürlich jede*r selbst für sich selbst festlegen.

Auch macht sie diesmal deutlich, dass sie von ihrem eigenen, persönlichen Gottesverständnis spricht. Und natürlich ist nichts dagegen einzuwenden, sich alles Beliebige auszudenken. Zum Beispiel ein magisches Himmelswesen, das Anteil am eigenen Schicksal nimmt.

Ich mache mir meinen Gott, wie er mir gefällt

Indem sie sich ihr eigenes Gottesbild bastelt („So, wie ich Gott verstehe…“), ist Frau Eichert schon auf dem besten Weg, sich vom Glauben an den christlichen Bibelgott zu befreien.

Göttern freilich scheint es völlig egal zu sein, ob und wie Menschen sie verstehen. Menschen, die sich für die irdischen Vertreter dieser Götter ausgeben, sahen und sehen das keineswegs immer so entspannt.

Da hat Frau Eichert Glück gehabt, dass sie heute ungestraft praktisch alles Beliebige vor der Versammlung sprechen darf. Was ihr als Frau laut biblischer Lehre eigentlich verboten ist (Kor 14,34).

Auch darf sie sich heute und hierzulande beliebige Vorstellungen ihres Gottes machen. Entgegen dessen ausdrücklichen Gebotes (5. Mo 5,8). Weil es einfach völlig irrelevant ist, wie sie ihren Gott versteht.

Berufsgläubige, die sich noch nicht so weit von den biblischen Vorgaben entfernt haben wie Frau Eichert, warnen gerne vor einer „Verzweckung“ Gottes. Nach deren Ansicht ist es eine „Sünde“, Gott zur Befriedigung irgendwelcher menschlicher Bedürfnisse zu instrumentalisieren. Wie zum Beispiel als Mittel zur Stärkung der Abwehrkräfte.

„So, wie ich Gott verstehe“ vs. Bibelgott Jahwe & Sohn

Ob es sich bei Frau Eicherts Privat-Gott freilich tatsächlich um ein magisches Himmelswesen handelt, lässt sich nur vermuten. Ohne eine nähere Beschreibung ist „Gott“ erstmal nichts weiter als ein Platzhalter, der alles Beliebige sein kann – und das genaue Gegenteil. Für Christen bei Bedarf sogar gleichzeitig.

Das wird mir zum Beispiel auch immer dann bewusst, wenn ich Menschen, die noch die Grußformel „Grüß Gott“ verwenden frage, welchen Gott sie denn meinen. Die häufigsten Antworten: „…!? – Es gibt nur einen Gott!“ Oder aber: „Jeden Gott, suchen Sie sich irgendeinen aus.

Doch so unspezifisch bleibt Frau Eichert dann doch nicht. Schließlich muss sie ja berufsbedingt nicht ihren Lissy-Eichert-Privatgott, sondern den biblisch-christlichen Gott verkündigen:

So groß ist diese Sehnsucht, dass Gott sogar Mensch wird – in Jesus genauso wie in Ihnen und in mir.

Wir haben es also mit Frau Eicherts Vorstellung des, wie kaum anders zu erwarten biblisch-christlichen Gottesbildes zu tun.

Gott im Faktencheck

Und damit beginnen die Ungereimtheiten und Fragwürdigkeiten. Denen Frau Eichert mit der Konstruktion eines Privatgottes ganz einfach aus dem Weg hätte gehen können. Wer kann schon etwas darüber sagen, was Menschen in ihren Gehirnen sich so alles zusammenphantasieren, ausdenken, vorstellen, einbilden?

So geht es mit dem biblischen Monogott zwar nach wie vor um eine menschliche Fiktion. Aber wenn für jemanden fest steht, dass dieser bestimmte, bestimmbare Gott existiert (was er ja müsste, um zum Beispiel, wie von Frau Eichert behauptet, auf Menschen zukommen zu können), dann hat man sich damit einen bestimmten Gott eingehandelt, der auch bestimmte Eigenschaften und Absichten hat.

Die wohl außergewöhnlichsten Eigenschaften, die die Erfinder ihrem Wüstengott Jahwe angedichtet hatten, sind sicher dessen angebliche Allmacht, Allwissenheit und Allgüte.

Wie ein allmächtiges, allgütiges Wesen Sehnsucht haben kann, lässt sich nur schwer nachvollziehen. Diese göttliche Sehnsucht nach Menschen müsste ja, wie alles andere auch, Teil des ewigen göttlichen Allmachtsplanes sein.

Demzufolge hätte sich dieser Gott also eine Welt erschaffen mit einer bestimmten Trockennasenaffenart, die absichtlich nicht so ist, wie er sie eigentlich gerne hätte. Um sich dann wie verrückt nach der Nähe zu diesen Lebewesen sehnen zu können.

Klingt absurd? Ja, natürlich. Das hat man davon, wenn man in den biblisch-christlichen Glauben hineingeboren wurde.

…wenn ich mich dafür öffne

Das kann auch ein Virus nicht verhindern. Dass Gott zur Welt kommt weckt neue Energie. Bewirkt eine Dynamik: Da geht noch was – wenn ich mich dafür öffne.

Diese Energie und Dynamik sind vergleichbar mit dem Effekt, den sich der Alkoholiker von seinem Rausch und der Junkie von seinem High erhofft.

Aber: Götter „kommen“ genausowenig „zur Welt“ wie Schnaps und Drogen Probleme lösen.

„Wenn ich mich dafür öffne“ ist nichts anderes als eine sprachlich vernebelte Version von: „Wenn ich daran glaube“. Oder noch genauer: „Wenn ich es für wahr halte.“

Wie schaffen es erwachsene, geistig gesunde Menschen im 21. Jahrhundert, sich einzubilden, die in der biblischen Mythologie enthaltenen Narrative hätten tatsächlich irgendwelche Auswirkungen auf oder einen Zusammenhang mit ihrem Leben?

Irgendetwas, das über einen Placebo-Effekt hinausgeht? Wovon, wie ich vermute, Frau Eichert ja sicher ausgehen dürfte: Der allmächtige, Mensch gewordene Gott, Schöpfer des Himmels und der Erde und gerechter Richter – lediglich ein menschliches Hirngespinst? Wie ausnahmslos alle anderen tausende Götter auch? Das dürfte keine wirklich befriedigende Vorstellung sein für einen gläubigen Christen.

…und Gott so: „Abwehrkräfte +10!“

Diese – im übertragenen Sinne – „göttliche Verteidigung“ kann es schaffen, unsere Nerven zu beruhigen, Ängste, düstere Gedanken zu verjagen und das Urvertrauen zurückzugewinnen. Eine Energie, die wir brauchen, damit die Abwehr steht – und wir die Kurve kriegen.

Auch diese Worte erinnern wieder stark an dei irrationalen Wunschvorstellungen eines drogen- oder alkoholabhängigen Menschen.

Eine „göttliche Verteidigung“ ist – auch im übertragenen Sinne – nichts weiter als eine rein menschliche Einbildung.

Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Göttern (oder einem bestimmten Gott) und dem irdischen Geschehen lässt sich redlicherweise nicht feststellen. Sehr wohl aber ausdenken und behaupten. Wäre es anders, müsste man sich nicht erst dafür „öffnen.“ Denn dann hätte man ja durchaus gute Gründe, auf diese „göttliche Verteidigung“ zu vertrauen.

Einmal mehr: Hoffnung Mensch

So, wie man zum Beispiel darauf vertrauen kann, dass es Menschen sein werden, denen es gelingen wird die Pandemie in den Griff zu kriegen. Und keine Götter.

Nicht mit Gebeten und anderer Realitätsflucht. Sondern mit Mitteln, die tatsächlich (etwas be-)wirken. Mittel, die ebenfalls Menschen mit wissenschaftlichen Methoden erforschen und entwickeln. Und keine sehnsüchtigen oder sonstige Götter.

Es sind dies Mittel und Methoden, die unabhängig davon wirken, ob jemand an die Wirkung glaubt oder nicht. Basierend auf Erkenntnissen von Forschern und Wissenschaftlern, die sich nicht mit Erklärungen wie „Gott war es, Gott will es so“ zufrieden gaben und geben.

Deshalb erscheint es mir sinnvoller, auf die Menschheit zu vertrauen als auf eine imaginäre „göttliche Verteidigung“. Erst recht dann, wenn es um mehr geht als um das eigene Wohlgefühl, das eine Realitätsflucht vermutlich tatsächlich bieten kann. Zumindest so lange, wie es einem gelingt, diese Illusion aufrecht zu erhalten.

Religion und Resilienz

Dass sich religiöser Glaube positiv auf die Resilienz von Menschen auswirke, wird oft als Beleg für die Wirksamkeit des jeweiligen Götterglaubens angeführt.

Da es dabei allerdings völlig egal ist, von welchem Gott (oder anderem Placebo) sich Menschen zum Beispiel einen Energieschub für die eigenen Abwehrkräfte erhoffen, liegt es auf der Hand, dass hier in Wirklichkeit nicht göttliche, sondern rein menschliche Effekte am Werk sind.

Zum Einen ist hier nochmal der schon erwähnte Placebo-Effekt zu nennen: Unabhängig von einer tatsächlichen Wirkung kann sich auch eine (Auto-)Suggestion positiv, allerdings auch negativ auf Menschen auswirken.

Ein vermeintlich von Gott erfülltes Bittgebet vermag den Gläubigen in seinem Glauben zu bestärken. Und dem Organismus einen Schub Glückshormone zu spendieren: „Du hast es richtig gemacht und wurdest dafür belohnt.“

Wenn die Kirchen etwas tatsächlich Wirksames beitragen möchten, dann sollten sie auf Gottesdienst-Versammlungen verzichten.

Nur, solange die Illusion besteht

Problematisch wird es nur, wenn die Dinge anders kommen als erbeten und die Korrumption der eigenen intellektuellen Redlichkeit (Vertrauen auf einen Gott, der meine Gebete erhört und meine Abwehrkräfte stärkt, wenn ich ihn darum bitte) nicht länger aufrecht erhalten werden kann.

Die Enttäuschung über die Erkenntnis, dass kein einziger Gott jemals irgendwie valide nachweisbar ins irdische Geschehen eingegriffen hat, kann durchaus die Dimensionen eines kalten Entzuges annehmen.

Und so bleiben nur zwei Möglichkeiten: Entweder, man verbleibt in seiner (Selbst-)täuschung. Oder man ent-täuscht sich von dieser. Und beginnt, sich ein möglichst realitätskompatibles Weltbild zuzulegen. Mit allen Herausforderungen, aber eben auch Chancen.

Kein optionales Angebot

Weil es Mainstream-Verkündiger wie Frau Eichert konsequent verschweigen, sei hier auch nochmal darauf hingewiesen, dass es sich beim göttlichen Abwehr-Boost keineswegs um ein optionales Angebot handelt:

Wer nicht möchte, dass dieser Gott auf einen „zukommt“, zum Beispiel, weil er an andere oder an gar keine Götter glaubt, dem droht dieser Gott mit zeitlich unbegrenzter psychischer und physischer Dauerfolter durch Höllenqualen bei vollem Bewusstsein.

Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie nicht Ihren Priester, sondern Ihren Psychologen oder Psychiater.

Die Vertuschung dieses Umstandes ist eine Möglichkeit, die Unmenschlichkeit und Absurdität der biblisch-christlichen Mythologie zu bewältigen. Das ändert aber nichts an dem Umstand, dass es sich bei der biblisch-christlichen Ideologie nun mal um ein Belohungs- und Bestrafungskonzept handelt.

Denn wo Zwei oder Drei in meinem Namen versammelt sind… da brauche ich gar nicht anwesend zu sein

Zum Anderen wird auch von positiven Effekten berichtet, von denen Menschen profitieren, die einer Glaubensgemeinschaft angehören. „In dieser Gemeinschaft wird die Gegenwart Gottes sichtbar“, heißt es dann gerne sinngemäß, wenn Gläubige zusammenhalten, sich gegenseitig unterstützen oder sich sonstwie (wenigstens innerhalb ihrer Gemeinschaft) altruistisch verhalten.

Allerdings haben wir es auch hier bis zum Beweis des Gegenteils wieder nicht mit dem tatsächlichen Wirken eines einsamen Single-Gottes zu tun, der sich nach menschlicher Gesellschaft sehnt.

Sondern mit psychosozialen und gruppendynamischen Effekten. Für die der gemeinsame Glaube lediglich als identitätsstiftendes Merkmal dient. Auch hierfür ist es wieder völlig egal, ob man kollektiv an einen gemeinsamen Gott, Fußballverein oder Politiker „glaubt.“

Fazit

So, wie zum Beispiel „Nimm2“-Bonbons in erster Linie nicht „Vitamine und Naschen“, sondern Zucker enthalten, kann man wohl auch Religion als Mogelpackung betrachten, wenn es um positive Effekte für die eigenen Abwehrkräfte geht.

Wenn ein durchgeknallter, wenngleich wirtschaftlich erschreckend erfolgreicher evangelikaler Spinner in den USA vorgibt, Corona dank göttlicher Unterstützung wegpusten zu können, dann ist das für jeden halbwegs klar denkenden Menschen noch recht einfach als grotesker, allerdings auch potentiell gefährlicher Humbug zu durchschauen.

Und wie sieht es mit der göttlichen Stärkung der Abwehrkräfte aus, die Frau Eichert propagiert?

Sehr wahrscheinlich würde die Menschheit an sich die Corona-Pandemie auch dann überstehen, wenn sich die Menschen tatsächlich auf eine solche göttliche Stärkung ihrer Abwehrkräfte verlassen würden.

Das hatte bei der „Schwarzen Pest“ ja schließlich auch funktioniert. Außer für das eine Drittel der damaligen Weltbevölkerung. Also die geschätzt 25 Millionen Menschen, die die Pest dahingerafft hatte.

Die Hoffnung, dass die Corona-Pandemie mit weniger Leid und Tod bewältigt werden kann als seinerzeit die Pest, beruht auf der Hoffnung Mensch. Nicht auf der Hoffnung Gott. Sie beruht auf Wissenschaft und Forschung. Nicht auf Gebet und Realitätsflucht.

Resilienz lernen

Auch wenn sich die Resilienzforschung noch im Aufbruch befindet, gibt es schon heute eine ganze Reihe an Methoden, die eigenen psychischen Abwehrkräfte tatsächlich wirksam zu stärken. Ganz ohne Götter, Geister und Gottessöhne.

Hier einige weiterführende Links:

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