Wärme als Luxus? – Das Wort zum Wort zum Sonntag zur Aktion Wärmewinter

Lesezeit: ~ 6 Min.

Wärme als Luxus? – Das Wort zum Wort zum Sonntag zur Aktion Wärmewinter, verkündigt von Annette Behnken, veröffentlicht am 15.10.2022 von ARD/daserste.de

Darum geht es

Frau Behnken befeuert die Legende vom Christentum als Hort der Solidarität. Ansonsten spielen Glaube und Religion für ihre Vorstellung der Diakonie-/EKD-Aktion Wärmewinter offenbar keine Rolle mehr.

Wie soll das gehen? Dieser Winter. Wie? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, es geht nicht ohne Solidarität. Und die können wir. Das haben wir gezeigt. Immer wieder in der Geschichte. In der christlichen Urgemeinde, wo alle zusammengelegt und sich gegenseitig versorgt haben. Aber auch in den letzten Jahren haben wir es an ganz vielen Stellen bewiesen.

(Quelle der so als Zitat gekennzeichneten Abschnitte: Wärme als Luxus? – Wort zum Sonntag zur Aktion Wärmewinter, verkündigt von Annette Behnken, veröffentlicht am 15.10.2022 von ARD/daserste.de)

Zum Beginn: Auftritt „Christliche Urgemeinde“

Die „gute alte“ christliche Urgemeinde wird immer gerne auf die Bühne geschubst, wenn es darum geht, die Kirche in einem positiven Licht erscheinen zu lassen.

Die paar Generationen, bis das Glaubenskonstrukt einer Endzeitsekte jüdischen Ursprungs zur „Weltreligion“ umfunktioniert wurde, sollen dann die vielen Jahrhunderte überstrahlen, in denen sich die Kirche alles andere als solidarisch verhalten hatte. Und das, obwohl sie in dieser Zeit alle Macht der Welt dazu gehabt hätte.

Die Solidarität in der christlichen Urgemeinde diente, wie in Sekten, aber auch in anderen, sich von der Allgemeinheit abgrenzenden Gemeinschaften allgemein üblich, der Festigung und Stärkung der ingroup.

Dies als Beispiel zu nennen für die Form von Solidarität, die heute gefragt ist, erscheint fast so grotesk wie die Idee, die Geschichte des Christentums sei ein Beweis für dessen Solidarität.

Von wegen: Das haben wir gezeigt. Immer wieder in der Geschichte.

Genau um dieses Narrativ geht es: Wir waren schon immer und sind bis heute die Guten, weil wir uns schon immer solidarisch verhalten haben – bis heute.

Wer wissen möchte, wie sich die Geschichte des Christentums historisch und nicht christlich-vernebelt darstellt, findet die erschreckenden Antworten in der 10bändigen Kriminalgeschichte des Christentums.

Solidarität: Alternative zu Egoismus?

Solidarität ist eine Haltung. Sowas wie eine Selbstverpflichtung. Bereit zu sein, solide, verlässlich, ganz konkret füreinander einzutreten. Die Alternative zu Egoismus.

Solidarität ist nicht zwangsläufig die Alternative zu Egoismus.

Vielmehr kann Egoismus sogar auch ein starkes Motiv sein, um sich solidarisch zu verhalten. Nämlich dann, wenn sich die Solidarität nicht auf alle Menschen bezieht. Sondern nur auf die Mitglieder der eigenen ingroup. Und wenn man sich von der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe und von der gegenseitigen Solidarität ihrer Mitglieder eigene Vorteile verspricht.

Und Solidarität ist auch nicht zwangsläufig „sowas wie eine Selbstverpflichtung.“

Eine solche Aussage erscheint geradezu zynisch, wenn man bedenkt, mit welchen subtil, aber auch ganz direkt kommunizierten und praktizierten Maßnahmen Sektenmitglieder zur Solidarität dem Sektenführer und/oder Sekte gegenüber gezwungen werden.

Gleiches gilt natürlich auch für politische Systeme mit vergleichbar ideologischen Prinzipien. Zum Beispiel in Ländern, in denen mangelnde Solidarität mit der Regierung mit dem Tod bestraft wird.

Auch Rechtsaußen-Christen haben „die Anderen im Blick“…

Aber auch zu Machtlosigkeit. Und dazu, politisch über den rechten Rand runterzufallen. Solidarität heißt, die Anderen im Blick haben.

Erklären Sie das mal Ihren Mitchristinnen und -christen, die schon längst über den rechten Rand runtergefallen sind, Frau Behnken!

Die verehren den selben Gott aus der selben „Heiligen Schrift“ wie Sie. Und sind deshalb der lebende Beweis dafür, dass man auch als völlig unsolidarischer Mensch offenbar problemlos und unwidersprochen tiefgläubiger Christ sein kann. Die haben dann auch „die Anderen im Blick“…

Frau Behnken berichtet nun, dass immer mehr Menschen von Armut betroffen sind und dass es schon Aktionen gibt, bei denen sich Leute unter dem Hashtag #WirsindArmutsbetroffen vernetzen und gegenseitig unterstützen.

Statt sich hier anzuschließen und einzubringen, hat sich die EKD schnell einen eigenen Hashtag ausgedacht:

[…] Und genau hier setzt die Aktion unter dem Hashtag #Wärmewinter an. Damit Hashtag nicht Hashtag bleibt.

Es geht um gelebte Solidarität. Ganz konkret, ganz handfest. Und das für alle: Für die, die was brauchen und für die, die was zu geben haben – und oft ist es ja beides zugleich. Zu finden bei Ihnen in der Kirchengemeinde. Und auf der Homepage Wärmewinter. Es wird Wärme geben in jeder Hinsicht.

Kritik an dieser Aktion kommt erstaunlicherweise aus den eigenen Reihen.

Kritik am Wärmewinter aus den eigenen Reihen

In einem Artikel auf sonntagsblatt.de („360° Evangelisch“) fasst ein gewisser Timo Lechner seinen Einwand wie folgt zusammen:

  • Der Aufruf von EKD und Diakonie ist zwar im Kern richtig. Allerdings erinnert das kritiklose Hinnehmen des politischen Kurses frappierend an den Winter 2020. Damals versuchten die Kirchen, die Symptome einer völlig ziellosen Corona-Politik mit beherztem Einsatz für die Menschen ideenreich zu bekämpfen, boten den politisch Verantwortlichen aber kaum Paroli, sondern ertrugen still. (Quelle: Timo Lechner via sonntagsblatt.de: Der Aufruf „#WärmeWinter“ von EKD und Diakonie geht am Kern des Problems vorbei)

Tja, Herr Lechner. Auf welcher Grundlage und womit hätte eine Glaubensgemeinschaft den politisch Verantwortlichen denn auch Paroli bieten können sollen – was auch immer Sie sich konkret darunter vorstellen?

In tatsächlich kritischen Situationen, wo tatsächlich funktionierende Lösungen gefragt sind, wird die Bedeutungslosigkeit von religiösem Glauben sogar noch deutlicher sichtbar als in „guten Zeiten“, wo man einfach behaupten kann, es sei der Güte des jeweils geglaubten Gottes zu verdanken, dass die Dinge halbwegs rund laufen.

Die Zeiten, in denen man Menschen noch vorgaukeln kann, Gottvertrauen sei ein probates Mittel zur Krisenbewältigung, scheinen überwiegend vorbei zu sein.

Wärmewinter: Religion spielt kaum noch eine Rolle

Abschließend nennt Frau Behnken noch einige Beispiele, wie die EKD und die Diakonie Menschen mit ganz praktischen Maßnahmen im Rahmen ihrer Aktion Wärmewinter helfen möchte:

Räume, in denen man sich aufwärmen kann. Eine heiße Tasse Tee bekommen. Leute, mit denen man reden kann. Auf Augenhöhe. Hilfe. Für die Seele, wenn die Nerven und alles brach liegt. Für das Konto. Wo kann ich finanzielle Unterstützung erhalten? Wie fülle ich diese verflixten Formulare aus? Wie geht Weihnachten ohne Geld? Es gibt einen Appell an die Bundesregierung für eine Notlagenregelung.

Interessanterweise umfasst diese Aufzählung nur Maßnahmen, die bedürftigen Menschen tatsächlich Hilfe bieten können. Interessant deshalb, weil etwa ein Aufruf zum Gebet oder zur Spende an die Kirche, was man ja bei einer kirchlich initiierten Aktion eigentlich ganz selbstverständlich erwarten würde komplett fehlt.

Auch auf der zugehörigen Webseite der Diakonie muss man eine Weile suchen, bis man überhaupt irgendwas Religiöses findet. Erst ganz unten findet sich ein PDF mit dem Titel „Gedanke zum Umgang mit der Energiekrise aus evangelischer Sicht.“

Wärmewinter-Gebet: Erlöse uns aus der Angst!?

Und hier gibts dann doch noch ein bisschen Religiöses zum Thema. Zum Beispiel dieses Gebet:

  • Gott, Du kennst uns. Du gehst auch unsere schweren Wege mit.
    Bei Dir können wir unsere Sorgen getrost ablegen.
    Wir bitten Dich: Erlöse uns aus der Angst. Unterbrich uns. Gib uns Mut.
    Lass uns füreinander da sein und zusammenhalten.
    Durch Jesus Christus, der mit Dir und dem Heiligen Geist lebt und
    regiert von Ewigkeit zu Ewigkeit.
    Amen.
    (Quelle: PDF auf diakonie.de: Gedanke zum Umgang mit der Energiekrise aus evangelischer Sicht)

Nanu? Erlöse uns aus der Angst? Na, da hat er ja diesmal nicht viel zu tun, der allmächtige allgütige Gott. Der mit diesen Eigenschaften ja auch in der Lage sein muss, eine Wirkung zu entfalten, die deutlich über der eines kollektiv beschworenen Placebo-Anxiolyticums liegt.

Wer ein Universum erschaffen kann, kann auch die Temperatur ein paar Grad hochregeln, wenn die bevorzugte Trockennasenaffenart friert. Sollte man meinen. Und möchte man offenbar nicht (mehr) glauben.

Ob Christen in Sachen Bittgebete wohl bescheiden werden, mit der Zeit? Oder realistisch(er)? Nein, natürlich nicht.

Überheblichkeit und absurde Fiktion

Ein weiteres Gebet in der Handreichung zur Wärmewinter-Aktion endet so:

  • […]
    geht von hier in die Welt und verkündet:
    Diese Welt ist Gottes Welt
    und Gott hat das letzte Wort.
    Diese Welt ist für das Schöne und Gute gemacht,
    in dieser Welt sollen Frieden herrschen,
    Freundschaft und Zuneigung,
    und Gott sagt:
    Ihr seid alle meine Kinder, die zu Gott sagen können Abba:
    Abba, Vater Gott.
    (Desmond Tutu, Quelle: ebenda)

Von Bescheidenheit keine Spur, ganz zu schweigen von einem halbwegs realistischen Weltbild. Stattdessen: Überheblichkeit und absurde Fiktion.

Gott hat das letzte Wort?

…und auf der anderen Seite? Da richtet sich Patriarch und Multimilliardär Kyrill der Erste mit seinen Anliegen an genau denselben Gott. Also an den, der angeblich das letzte Wort hat:

  • „Wir leben in einer sehr schwierigen Zeit, und deshalb gilt unser besonderes Gebet dem Oberhaupt unseres Staates, dem Oberbefehlshaber Wladimir Wladimirowitsch Putin, der eine besondere Verantwortung trägt, sowie allen Militärführern und diejenigen, die in den Behörden arbeiten. Damit der Herr sie klüger mache, stärke, erleuchte, vor Sünden und Fehlern beschütze und gleichzeitig zu Taten anrege, die unser Vaterland vor allen äußeren, selbst den vielleicht gefährlichsten und schrecklichsten Bedrohungen schützen.“
    (Quelle: Patriarch Kyrill 1., Zit. n. Peter Jungblut via br24.de: Russlands Patriarch Kyrill will Putin mit Gebet „klüger machen“)

So lieber Gott, jetzt müsstest du dich entscheiden, wenn es dich gäbe: Angstlöser beim Wärmewinter der Diakonie und EKG? Oder doch lieber Putin und sein Gefolge stärken, erleuchten und zu bestimmten Taten anregen?

Fazit

Abgesehen von der anfänglich kolportierten Legende, Solidarität sei quasi christlichen Ursprungs, kommt Frau Behnken ganz ohne Religion und Glaube aus, wenn es um die Initiative Wärmewinter geht.

Statt eines Sonntagssegens gibts noch einen Aufruf, „des Anderen Last zu tragen“ und Bedürftige mit Spenden zu unterstützen – wer es sich leisten kann.

Und irgendwann sind Geben und Nehmen kaum mehr voneinander zu unterscheiden, sondern gehen fließend ineinander über. Wenn wir mitmachen. Das ist das Wesen von Solidarität.

Wenn jemand im Namen und Auftrag eines 10-Milliarden-Konzerns wie der EKD von kaum mehr unterscheidbarem Geben und Nehmen fabuliert, dann könnte man glatt übersehen, dass bei Kirchens natürlich peinlich genau zwischen Geben und Nehmen unterschieden wird.

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4 Gedanken zu „Wärme als Luxus? – Das Wort zum Wort zum Sonntag zur Aktion Wärmewinter“

  1. Solidarität in schwierigen Zeiten anzubieten ist eine bekannte Strategie radikaler und extremistischer Organisationen. Die NSDAP war damit sehr erfolgreich, ebenso die Muslimbrüderschaft oder diverse kommunistische Parteien. Der eigentlich wichtigen Frage weicht Frau Behnken natürlich aus: Vertritt die Organisation, die diese Solidaritätkampagne organisiert, normativ akzeptable Ziele und Werte, eine moralisch akzeptable Weltanschauung?

    Antworten
    • Dass die Organisation normativ akzeptable Ziele und Werte und eine moralisch akzeptable Weltanschauung vertritt, dürfte Frau Annette Behnken aus der Evangelischen Akademie (sic!) Loccum sicher als selbstveständlich (göttlich) gegeben voraussetzen – und sie würde es vermutlich als Blasphemie und/oder persönlichen Angriff werten, dies allein nur in Frage zu stellen. Vielleicht mag sie es uns ja verraten…!?

      Antworten
  2. Man hat mittlerweile den Eindruck je größer der Mitgliederschwund im christlichen Esoterikverein ist, umso lauter und absurder stellen sich deren Vertreter*innen mit erhobenem Zeigefinger hin:
    1.Wir sind immer und automatisch die Guten. Logisch, weil wir an den lieben Gott glauben und das Christentum der Inbegriff der Moral ist und natürlich die Nächstenliebe erfunden hat.
    2. Wir haben alle Probleme sofort und umfänglich erkannt.
    3. Wir weisen deutlich auf die Probleme hin.
    4. Die Bibel kannte dieses Problem selbstverständlich schon.
    5. Wir können einen zusammenhanglosen Satz (den wir noch ordentlich zurecht biegen) aus der Bibel, als Beweis dessen präsentieren.
    6. Wir rufen laut: „Haltet den Dieb“ oder „Wer von Euch hat gefurzt“ um von uns abzulenken.
    7. Wir benutzen den ganzen Schwindel um einen absurden Götterglauben zu verkaufen, mit der Parole: „Unser Gott ist die Lösung aller Probleme!“ (also nur unserer,
    der Triple Gott, nicht die anderen Götter 🤣)

    Die Wahrheit ist in Wirklichkeit erschreckend trivial, nur der Mensch kann Probleme lösen, nämlich mit den Wissenschaften (Religion ist keine) und den Werten der Aufklärung.

    Zum Punkt 1 danke ich sehr herzlich Herrn Dr. Edmüller für seine fundierte und lesenswerte Abrechnung mit dem Märchen von der christlichen Moral, im Buch „Die Legende von der christlichen Moral“.

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