Vom Flüstern auf den Dächern: Eine kritische Analyse des missionarischen Aufrufs

Lesezeit: ~ 3 Min.

Stadtpfarrer Stefan Buß aus Fulda ruft in seinem heutigen Impuls „Was ich euch im Dunkeln sage, davon redet im Licht“ zum lauten Bekenntnis auf. Doch was bedeutet diese Forderung in einer säkularen, pluralistischen Gesellschaft? Eine atheistische Perspektive.

Darum geht es

Stadtpfarrer Stefan Buß verwechselt den zivilisatorischen Fortschritt der Privatisierung religiöser Überzeugungen mit einem Defizit und fordert eine öffentliche Missionierung, die auf unbelegbaren Wahrheitsansprüchen basiert statt auf rationaler Argumentation.

Die Privatisierung des Glaubens als Errungenschaft

Pfarrer Buß beklagt, das Evangelium sei „keine Privatsache“ und fordert ein „unerschrockenes Bekenntnis“ – am besten „von den Dächern“. Aus säkularer Sicht ist hier eine fundamentale Fehleinschätzung zu erkennen: Die Privatisierung des Glaubens ist keine Schwäche, sondern eine zivilisatorische Errungenschaft der Aufklärung.

Die Trennung von Kirche und Staat, die Beschränkung religiöser Überzeugungen auf die Privatsphäre, hat Europa jahrhundertelange Religionskriege erspart und den Raum für eine pluralistische Gesellschaft geschaffen. Wenn Buß diese „Privatfrömmigkeit“ als unzureichend brandmarkt, übersieht er bewusst, dass gerade die öffentliche Dominanz religiöser Ansprüche historisch zu Unterdrückung, Gewalt und Intoleranz geführt hat.

Wahrheitsanspruch statt Dialog

Besonders problematisch ist die Rhetorik vom „Flüstern von Wahrheit, die trägt“. Buß unterscheidet zwischen weltlichem „Klatsch“ und göttlicher „Wahrheit“ – ein binäres Denkmuster, das keinen Raum für kritische Diskussion lässt.

Aus rationaler Perspektive gibt es keine objektive Möglichkeit, religiöse Überzeugungen als „Wahrheit“ zu verifizieren. Was Buß als göttliche Offenbarung bezeichnet, ist aus atheistischer Sicht eine subjektive religiöse Erfahrung – legitim für das Individuum, aber ohne universellen Wahrheitsgehalt. Der Anspruch, diese persönlichen Glaubenserfahrungen als allgemeingültige Wahrheit „von den Dächern zu verkünden“, ist intellektuell anmaßend und gesellschaftlich übergriffig.

Der manipulative Charakter der Mission

Die „Missionsrede“ Jesu, auf die sich Buß bezieht, ist im Kern ein Aufruf zur religiösen Expansion. Die Aufforderung, das „ins Ohr Geflüsterte“ öffentlich zu verkünden, folgt einem klassischen missionarischen Muster:

  1. Schaffe eine exklusive Wahrheit
  2. Vermittle sie in intimen Momenten („im Herzen, in der Stille“)
  3. Verpflichte den Empfänger zur Weitergabe
  4. Immunisiere gegen Kritik („trotz Widerstand“, „Anfeindungen“)

Dieses Muster kennen wir aus verschiedenen ideologischen Bewegungen. Es schafft eine Dynamik, in der Zweifel als Glaubensschwäche gilt und kritische Reflexion als „Verschweigen der Wahrheit“ diffamiert wird.

Wohlfahrt statt Wahrheit

Buß nennt als Beispiele für das „Rufen von den Dächern“: „Gegen Ungerechtigkeit aufzustehen. Liebe sichtbar zu machen.“ Hier offenbart sich eine rhetorische Taktik: Universelle humanistische Werte werden mit religiösem Glauben verknüpft, um letzterem Legitimität zu verleihen.

Man braucht keinen Gott, um gegen Ungerechtigkeit einzutreten. Humanistische Ethik, basierend auf Empathie, Vernunft und dem Prinzip der Schadensvermeidung, bietet eine solidere und inklusivere Grundlage für moralisches Handeln als religiöse Gebote. Die großen ethischen Fortschritte der letzten Jahrhunderte – Menschenrechte, Gleichberechtigung, Abschaffung der Sklaverei – wurden oft gegen den erbitterten Widerstand der Kirchen durchgesetzt.

Die Arroganz der Gewissheit

Am problematischsten ist vielleicht die Selbstverständlichkeit, mit der Buß davon ausgeht, dass seine religiösen Überzeugungen nicht nur wahr, sondern so wichtig sind, dass sie „die Welt verändern“ müssen. Diese Haltung zeigt eine erschreckende Blindheit gegenüber der religiösen Vielfalt und der Legitimität säkularer Lebensmodelle.

In einer pluralistischen Gesellschaft leben Menschen mit unterschiedlichsten Weltanschauungen zusammen. Ein respektvolles Miteinander erfordert, die Grenzen zwischen öffentlichem und privatem Raum zu respektieren. Religiöse Überzeugungen dürfen geäußert werden – aber auf eigne Kosten und ohne den Anspruch, dass alle anderen zuhören müssen.

Fazit: Leise Vernunft statt lauter Glaube

Stadtpfarrer Buß‘ Aufruf zum lauten Bekenntnis ist symptomatisch für eine Institution, die ihre gesellschaftliche Deutungshoheit schwinden sieht und mit lauterem Rufen zu kompensieren versucht, was an überzeugenden Argumenten fehlt.

Anzeige

Theologie: Des Kaisers neue Kleider - Männer T-Shirt Kelly Green

Zum Produkt

AWQ - Answers without questions - Turnbeutel Schwarz

Zum Produkt

#wenigerglauben - Männer T-Shirt carolina blue

Zum Produkt

Die Aufklärung hat uns gelehrt: Sapere aude – habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen. Nicht das, was uns „ins Ohr geflüstert“ wird, sollte unsere Überzeugungen formen, sondern kritisches Denken, empirische Evidenz und rationale Argumentation.

Das wirklich Mutige in unserer Zeit ist nicht, alte Glaubenssätze zu wiederholen, sondern sie zu hinterfragen. Nicht von den Dächern zu schreien, sondern im Dialog zuzuhören. Nicht absolute Wahrheiten zu verkünden, sondern Unsicherheit auszuhalten und im gemeinsamen Diskurs nach besseren Antworten zu suchen.

Die Welt braucht keine lauten Propheten. Sie braucht leise, aber hartnäckige Zweifler, die bereit sind, jede Behauptung auf den Prüfstand zu stellen – auch und gerade die, die als göttliche Wahrheit daherkommen.

KI

Ergänzung

In diesem Zusammenhang fällt mir eine der wenigen Stellen aus dem von Gott geoffenbarten Wort ein, von denen man sich wünscht, Christen würden sie befolgen (Hervorhebung von mir):

  1. »Auch wenn ihr betet, sollt ihr es nicht wie die Heuchler machen; denn sie stellen sich gern in den Synagogen und an den Straßenecken auf und beten dort, um den Leuten in die Augen zu fallen; wahrlich ich sage euch: Sie haben ihren Lohn dahin.
  2. Du aber, wenn du beten willst, so geh in deine Kammer, schließe deine Tür zu und bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist; dein Vater aber, der auch ins Verborgene hineinsieht, wird es dir alsdann vergelten.
  3. Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht plappern wie die Heiden; denn sie meinen, Erhörung zu finden, wenn sie viele Worte machen.
  4. Darum macht es nicht wie sie; euer Vater weiß ja, was ihr bedürft, ehe ihr ihn bittet. 
Matthäus 6,5-8 MENG

Deine Gedanken dazu?

Fragen, Lob, Kritik, Ergänzungen, Korrekturen: Trage mit deinen Gedanken zu diesem Artikel mit einem Kommentar bei!

Wenn dir der Artikel gefallen hat, freuen wir uns über eine kleine Spende in die Kaffeekasse.

Bitte beachte beim Kommentieren:

  • Vermeide bitte vulgäre Ausdrücke und persönliche Beleidigungen (auch wenns manchmal schwer fällt...).
  • Kennzeichne Zitate bitte als solche und gib die Quelle/n an.
  • Wir behalten uns vor, rechtlich bedenkliche oder anstößige Kommentare nicht zu veröffentlichen.

1 Gedanke zu „Vom Flüstern auf den Dächern: Eine kritische Analyse des missionarischen Aufrufs“

  1. Wäre doch mal ganz hiflreich, diese „wahren Offenbarungen“ bzw. „lebendigen Worte Gottes“ von den Dächern zu rufen:

    »Ihr sollt alle Kultstätten zerstören, an denen die Völker, deren Besitz ihr übernehmt, ihren Göttern gedient haben: auf den hohen Bergen, auf den Hügeln und unter jedem üppigen Baum. Ihr sollt ihre Altäre niederreißen und ihre Steinmale zerschlagen. Ihre Kultpfähle sollt ihr im Feuer verbrennen und die Bilder ihrer Götter umhauen. Ihren Namen sollt ihr an jeder solchen Stätte tilgen.« 5. Mose 12,2-3 EU 2016

    Dyck, Jörn. Die Morde der Bibel — Band 1: Die fünf Bücher des Mose (S.333). Jörn Dyck. Kindle-Version.

    Die christlichen Missionare handelten danach !!! Stichworte: Irminsul und Donareiche

    oder dies:

    »Nun bringt alle kleinen Knaben um und tötet ebenso alle Frauen, die schon mit einem Mann geschlafen haben! Aber alle Mädchen, die noch nicht mit einem Mann geschlafen haben, lasst für euch am Leben!« 4. Mose 31,17 EU 2016

    Dyck, Jörn. Die Morde der Bibel — Band 1: Die fünf Bücher des Mose (S.289). Jörn Dyck. Kindle-Version.

    Die christlichen Eroberer Amerikas handelten danach !!! Stichwort: das Buch „Brevísima relación de la destrucción de las Indias“ (Kurz gefasster Bericht von der Verwüstung der Westindischen Länder) von Fray Bartolomé de las Casas
    Auszug nach https://amerika21.de/analyse/255236/raeuberischer-voelkermord-indigene:
    „Die Spanier machten es zum Gesetz, dass alle Indios jeden Geschlechts und jeden Alters, die sie lebendig fingen, in Löcher geworfen werden sollten, und so warfen sie schwangere Frauen und Kinder und alte Männer, so viele sie ergreifen konnten, in Löcher, bis sie sie, durchbohrt von den Pfählen, aufgefüllt hatten.“

    Antworten

Schreibe einen Kommentar

Ressourcen

Gastbeiträge geben die Meinung der Gastautoren wieder.

Wikipedia-Zitate werden unter der Lizenz Creative Commons Attribution/Share Alike veröffentlicht.

AWQ unterstützen

Jetzt einfach, schnell und sicher online bezahlen – mit PayPal.

Wir haben, wenn nicht anders angegeben, keinen materiellen Nutzen von verlinkten oder eingebetteten Inhalten oder von Buchtipps.

Neuester Kommentar