Wenn Missionierung als „Lichtbringen“ umgedeutet wird – Gedanken zu: Der Fuldaer Heilige im Advent – Der heilige Sturmius, Impuls verkündigt am 17.12.2025 von Pfarrer Stefan Buß, veröffentlich von osthessen-news.de
Darum geht es
Pfarrer Buß verklärt den Missionar Sturmius zum friedlichen Lichtbringer und verschleiert damit sowohl die gewaltsame Unterdrückung indigener Religionen als auch die Instrumentalisierung des Christentums zur politischen Machtausübung.Stadtpfarrer Stefan Buß aus Fulda lädt uns ein, im Advent den „heiligen Sturmius“ als leuchtendes Vorbild zu betrachten – einen Mann der Stille, des Friedens und des Lichts.
Doch bei näherer Betrachtung offenbart sich hier ein klassisches Beispiel religiöser Geschichtsverklärung, die historische Realitäten ausblendet und problematische Machtstrukturen romantisiert.
Die historische Realität hinter der Heiligenlegende
Sturmius (um 705-779) war in der Tat Schüler des Bonifatius und Gründer des Klosters Fulda. Doch die Darstellung als friedlicher „Suchender“ in der „Einsamkeit der Wälder“ verschleiert die historischen Tatsachen:
Erstens: Die Gegend um Fulda war keineswegs menschenleer. Hier lebten seit Jahrhunderten germanische Stämme mit ihren eigenen religiösen Traditionen. Die christliche „Mission“ war ein systematisches Programm zur Auslöschung dieser indigenen Religiosität – häufig mit politischer und militärischer Rückendeckung der fränkischen Herrscher.
Zweitens: Das Kloster Fulda war von Anfang an ein Instrument politischer Macht. Es diente der Festigung fränkischer Herrschaft in Hessen und der kulturellen Unterwerfung der lokalen Bevölkerung. Die klösterliche „Gastfreundschaft“ und „Bildung“ war untrennbar mit der Forderung nach religiöser Konversion verbunden.
Drittens: Bonifatius selbst, Sturmius‘ Mentor, ist bekannt für die gewaltsame Fällung der Donar-Eiche bei Geismar – ein Akt religiöser Aggression gegen die lokale Bevölkerung, der heute euphemistisch als „mutiges Glaubenszeugnis“ verklärt wird.
Problematische Begriffe und ihre Implikationen
„Gehorsam als Vertrauen“
Besonders aufschlussreich ist Buß‘ Versuch, den Begriff des Gehorsams umzudeuten: „Gehorsam, wie die Bibel ihn meint, heißt nicht blinde Unterwerfung, sondern Vertrauen“. Diese sprachliche Kosmetik kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass religiöser Gehorsam historisch und systematisch zur Unterdrückung kritischen Denkens und individueller Autonomie geführt hat.
Die Forderung nach Gehorsam – sei es gegenüber kirchlichen Autoritäten oder einer vermeintlichen göttlichen Führung – steht im direkten Widerspruch zu humanistischen Werten der Selbstbestimmung und rationalen Entscheidungsfindung.

„Lichtträger“ und „Dunkelheit“
Die Metaphorik von Licht und Dunkelheit, die Buß durchgängig verwendet, ist nicht harmlos. Sie impliziert eine binäre Weltanschauung: Das Christentum bringt „Licht“, alles andere verbleibt in „Dunkelheit“. Diese Rhetorik diente historisch zur Rechtfertigung von Zwangsmissionierung, kultureller Auslöschung und religiösem Imperialismus.
Die vorchristlichen Kulturen Europas hatten hochentwickelte ethische Systeme, rechtliche Strukturen und kulturelle Errungenschaften. Sie pauschal als „Dunkelheit“ zu charakterisieren, ist historisch falsch und ethisch fragwürdig, was bei Religionsverkündern wenig überraschen kann.
A propos Lichtträger: War das nicht der, der die Seiten gewechselt hatte…?
Die „adventlichen Schritte“ – Eine kritische Analyse
Die drei von Buß vorgeschlagenen Schritte offenbaren die Problematik religiöser Lebensführung:
1. „Stille suchen“: Meditation und Reflexion sind wertvoll – aber sie benötigen keine religiöse Rahmung. Säkulare Achtsamkeitspraxis erreicht dieselben psychologischen Effekte ohne metaphysischen Überbau.
2. „Vertrauen wagen“: Die Aufforderung, Entscheidungen „Gott hinzuhalten“, untergräbt menschliche Verantwortung. Entscheidungen sollten auf rationaler Abwägung, empirischen Fakten und ethischer Reflexion basieren – nicht auf der Hoffnung göttlicher Führung.
3. „Frieden stiften“: Versöhnung und Konfliktlösung sind universelle humanistische Werte, die keine religiöse Begründung benötigen. Historisch hat gerade organisierte Religion oft Konflikte verschärft statt gelöst.
Die Instrumentalisierung der Geschichte
Besonders problematisch ist die Behauptung, Sturmius sei ein „Mann des Friedens“ gewesen, der „zuhörte, ausglich, verband“. Die historische Realität zeigt ein anderes Bild: Sturmius geriet zeitweise in Konflikt mit dem Mainzer Erzbischof Lullus und wurde sogar für zwei Jahre ins Exil verbannt. Die innerkirchlichen Machtkämpfe seiner Zeit waren alles andere als friedlich.
Zudem: Welchen „Frieden“ brachte die Christianisierung den Menschen, die ihre angestammten Kultstätten zerstört, ihre religiösen Praktiken verboten und ihre Weltanschauung als „Heidentum“ diffamiert sahen?
Fazit: Geschichte ehrlich erzählen
Es geht nicht darum, historische Personen mit modernen Maßstäben zu verurteilen – Sturmius war ein Kind seiner Zeit. Aber es geht sehr wohl darum, eine gegenwärtige Verklärung solcher Figuren zu hinterfragen, wenn sie als moralische Vorbilder für heute präsentiert werden.
Wirkliche Orientierung finden wir nicht in der Verehrung mittelalterlicher Missionare, sondern in:
- Kritischem Denken statt blindem Vertrauen
- Selbstbestimmung statt Gehorsam
- Respekt für Vielfalt statt missionarischem Universalismus
- Evidenzbasiertem Handeln statt metaphysischer Spekulation
- Aufrichtigem Geschichtsbewusstsein statt selektiver Hagiographie
Der Advent mag für Gläubige eine Zeit der Erwartung sein. Für Humanisten ist jeder Tag eine Gelegenheit, Verantwortung für sich selbst und die Gemeinschaft zu übernehmen – ohne auf göttliche Intervention zu warten.

















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