Gedanken zum Impuls „Advent – Zeit der Erwartung“ von Stadtpfarrer Stefan Buß, verkündigt am 10.12.2025, veröffentlicht von osthessen-news.de
Darum geht es
Voller Erwartung: Wie religiöse Rhetorik konkrete Handlungsaufforderungen durch vage Hoffnungen ersetzt und dabei wesentliche argumentative Schwächen offenbart.Die Illusion der „aktiven Haltung“
Buß beginnt mit einer bemerkenswerten Behauptung: Erwartung sei „etwas Positives und eine aktive Haltung im Unterschied zum passiven Warten.“ Doch was genau ist an der religiösen Erwartung der „Ankunft Gottes“ aktiv? Diese Unterscheidung erweist sich bei näherer Betrachtung als semantisches Taschenspielertrick.

Die Erwartung eines göttlichen Eingreifens ist im Kern genauso passiv wie das Warten – sie verschiebt die Verantwortung für Veränderung von menschlichem Handeln auf eine transzendente (was im Bezug auf Götter nichts anderes bedeutet als fiktive) Instanz. Während säkularer Humanismus konkrete Handlungsoptionen aufzeigt und Menschen als Akteure ihrer eigenen Geschichte begreift, bleibt die religiöse „Erwartung“ eine Form der Passivität, die sich lediglich in aktivistischer Sprache tarnt.
Das Problem der „neuen Wirklichkeit“
Besonders problematisch ist die Behauptung, mit der Geburt Jesu Christi habe „die neue Wirklichkeit Gottes bereits begonnen.“ Diese Aussage wirft grundlegende Fragen auf: Welche empirisch nachweisbaren Veränderungen in der Wirklichkeit sind gemeint? Nach über 2000 Jahren christlicher Zeitrechnung erleben wir immer noch Kriege, Hunger, Ungerechtigkeit und Leid – die gleichen Probleme, die auch vor der „neuen Wirklichkeit“ existierten.
Die Behauptung einer „bereits begonnenen“ neuen Wirklichkeit ist eine theologische Immunisierungsstrategie: Sie ist unfalsifizierbar und damit wissenschaftlich wertlos. Jeder Einwand gegen die offensichtliche Abwesenheit dieser „neuen Wirklichkeit“ kann mit dem Verweis auf ihre vermeintlich noch ausstehende Vollendung abgewehrt werden. Dabei spielt es keine Rolle, von welchem Gott die Rede ist.
Die Hohlheit universaler Hoffnung ohne konkrete Strategie
Buß spricht von einer „universalen Hoffnung“, die „alle von Menschen gezogenen Grenzen überschreitet.“ Doch genau hier liegt die Krux: Diese universale Hoffnung bleibt abstrakt und unverbindlich. Der Pfarrer räumt selbst ein, dass es keine „Patentrezepte“ gibt – eine erstaunliche Kapitulation angesichts des Anspruchs, eine göttlich inspirierte Botschaft zu verkünden.
Aus säkularer Perspektive ist diese Position besonders frustrierend: Während Humanisten konkrete ethische Prinzipien, rationale Problemlösungsstrategien und evidenzbasierte Ansätze für gesellschaftliche Herausforderungen entwickeln, bietet die religiöse Perspektive lediglich diffuse Hoffnung und die Aufforderung, sich „nach unseren Möglichkeiten einzusetzen“ – eine Binsenweisheit, die keiner theologischen Unterfütterung bedarf.
Prophetische Jubel-Rhetorik als Realitätsflucht
Das Jesaja-Zitat („Jauchzet, ihr Himmel; freue dich, Erde!“) wird als „voller Freude und Jubel der ganzen Schöpfung“ gepriesen. Doch diese enthusiastische Rhetorik wirkt angesichts der gleichzeitig erwähnten „Krisen und Kriege“ geradezu zynisch. Es ist bezeichnend für religiöses Denken, dass es Freude und Jubel aus einer imaginierten transzendenten Realität ableitet, während die tatsächliche Welt von Leid geprägt ist.
Aus rationaler Sicht ist diese Form der kognitiven Dissonanz problematisch: Sie hindert Menschen daran, die Realität klar zu erfassen und angemessen darauf zu reagieren. Statt nüchterner Analyse und rationaler Strategieentwicklung wird emotionale Bewältigung durch religiöse Narrative angeboten.
Die Externalisierung menschlicher Solidarität
Besonders aufschlussreich ist Buß‘ Aussage: „Wenn Gott uns tröstet und sich unserer erbarmt, tut er das mit den Menschen, die er uns an die Seite stellt.“ Hier wird ein fundamentaler Kategorienfehler begangen: Menschliche Solidarität, Empathie und gegenseitige Unterstützung werden als göttliches Wirken umgedeutet.
Aus humanistischer Perspektive ist dies eine Enteignung menschlicher Leistung. Menschen helfen einander aus intrinsischer Motivation, aus Empathie, aus sozialem Verantwortungsbewusstsein oder auch aus Eigennutz – nicht weil ein Gott sie „an die Seite stellt.“ Diese theologische Umdeutung entwertet menschliche Autonomie und moralische Eigenständigkeit. Sie suggeriert, dass Menschen ohne göttliche Lenkung nicht zu Mitgefühl und Hilfsbereitschaft fähig wären – eine Beleidigung der menschlichen Würde.
Die Unverbindlichkeit des Friedensgebets
Der Impuls endet mit einem Friedensgebet: „Gebe uns Gott, dass es nicht nur ein bisschen Friede bleibt, sondern der Friede für die Welt wachse und auch erhalten bleibt.“ Diese Formulierung offenbart die grundlegende Schwäche religiöser Ethik: Sie bleibt im Modus der Bitte stecken, statt konkrete Handlungsstrategien zu benennen.
Frieden entsteht nicht durch göttliches Geben, sondern durch menschliches Handeln: Durch Diplomatie, Konfliktlösung, Bildung, soziale Gerechtigkeit und den Abbau von Ungleichheiten. Ein säkularer Humanismus, der auf Vernunft und Empirie setzt, kann konkrete Wege zum Frieden aufzeigen. Religiöse Hoffnung hingegen bleibt in Passivität verhaftet, auch wenn sie sich als „Erwartung“ tarnt.
Fazit: Religiöse Rhetorik als Hindernis für echten Fortschritt
Der Adventsimpuls von Stadtpfarrer Buß illustriert exemplarisch die argumentativen Schwächen religiösen Denkens: Unfalsifizierbare Behauptungen über eine „neue Wirklichkeit“, die Umdeutung menschlicher Leistungen als göttliches Wirken, vage Hoffnungen statt konkreter Strategien und eine Rhetorik der Aktivität, die im Kern passiv bleibt.
Was wir stattdessen brauchen, ist ein säkularer Humanismus, der:
- Menschliche Verantwortung und Handlungsfähigkeit in den Mittelpunkt stellt
- Evidenzbasierte Lösungsansätze für gesellschaftliche Probleme entwickelt
- Menschliche Solidarität als intrinsisch wertvoll anerkennt, ohne sie religiös zu verbrämen
- Realistische Problemanalysen vornimmt statt in transzendente Hoffnungen zu flüchten
Die Adventszeit mag für Gläubige eine Zeit der Erwartung sein – aus säkularer Perspektive sollte sie vielmehr eine Zeit der nüchternen Reflexion sein: Darüber, wie wir als Menschen, ohne Rückgriff auf übernatürliche Instanzen, eine bessere Welt gestalten können. Nicht durch Warten auf göttliche Ankunft, sondern durch konkretes, rationales Handeln im Hier und Jetzt.

















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