Wenn die Liebe zur Pflicht wird: Das Wort zum Wort zum Sonntag

Lesezeit: ~ 3 Min.

Weihnachten hat Zeit – Das Wort zum Wort zum Sonntag, verkündigt von Pfarrer Welter, veröffentlicht am 27.12.2025 von ARD/daserste.de, Text veröffentlicht auf https://rundfunk.evangelisch.de/das-wort-zum-sonntag/14878/weihnachten-hat-zeit

Darum geht es

Welter instrumentalisiert menschliche Empathie für theologische Zwecke und suggeriert, dass Liebe und Versöhnung einer göttlichen Legitimation bedürfen, obwohl sie natürliche menschliche Fähigkeiten sind, die keiner religiösen Begründung bedürfen.

Pfarrer Benedikt Welter nutzt seine Sendung, um die Weihnachtszeit als verlängerte Gelegenheit zur christlichen Nächstenliebe zu bewerben. Doch bei genauerer Betrachtung offenbart sein Beitrag die typischen Probleme religiöser Moralbegründung: emotionale Manipulation, logische Fehlschlüsse und die Instrumentalisierung menschlicher Empathie für theologische Zwecke.

Die Kommerzialisierung von Enttäuschungen

Welter beginnt mit der Beobachtung enttäuschter Weihnachtserwartungen – weggeworfene Bäume, umgetauschte Geschenke, Familienstreit. Diese Strategie ist rhetorisch geschickt: Er spricht reale Frustrationen an, um dann seine religiöse Lösung als Heilmittel anzubieten. Doch hier liegt bereits die erste Irreführung: Die Probleme, die er beschreibt, sind hausgemacht durch überzogene Erwartungen an ein Fest, das durch jahrzehntelange kirchliche und kommerzielle Überhöhung zum emotionalen Druckkessel wurde.

Der theologische Zirkelschluss

Das Kernargument Welters stammt aus dem ersten Johannesbrief: „Wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, kann Gott nicht lieben, den er nicht sieht.“ Dieser Satz illustriert perfekt die Umkehrung von Ursache und Wirkung, die für religiöses Denken typisch ist. Aus säkularer Sicht verhält es sich genau umgekehrt: Menschen sind durch Evolution und soziales Lernen zur Empathie fähig – ganz ohne göttliche Vermittlung. Die Bibel beschreibt lediglich diese bereits vorhandene menschliche Fähigkeit und beansprucht sie dann für sich.

Besonders problematisch ist die Formulierung vom „Lackmustest des Glaubens“. Welter macht die Fähigkeit zu lieben abhängig vom Glauben an Gott. Das ist nicht nur faktisch falsch – Atheisten und Humanisten sind genauso zu Liebe und Mitgefühl fähig – sondern auch moralisch fragwürdig. Es suggeriert, dass Menschen ohne Gottesglauben defizitär seien in ihrer Liebesfähigkeit.

Die Instrumentalisierung des Christkinds

„Wenn ich in die Krippe schaue, schaut das Christkind zuerst mich an – liebevoll“, sagt Welter. Diese Projektion eigener Gefühle auf eine Puppe in einer Krippe wird als religiöse Erfahrung verkauft. Aus psychologischer Sicht handelt es sich um einen klassischen Fall von Anthropomorphismus – wir Menschen neigen dazu, unbelebten Objekten Intentionen zuzuschreiben. Die Religion macht aus dieser kognitiven Verzerrung ein Glaubensprinzip.

Zudem ist die Vorstellung problematisch, dass Menschen erst durch den „ersten Blick“ eines imaginierten Gottes befähigt werden, andere liebevoll anzuschauen. Diese Hierarchisierung entmündigt den Menschen und macht ihn abhängig von einer externen, nicht nachweisbaren Instanz.

Liebe als göttliches Monopol

„Gott ist die Liebe“, zitiert Welter Johannes. Diese Gleichsetzung ist philosophisch höchst fragwürdig. Liebe ist eine komplexe menschliche Emotion und Verhaltensweise, die neurobiologisch erklärbar ist. Sie zu einer göttlichen Essenz zu erklären, bedeutet, sie zu mystifizieren und dem rationalen Verständnis zu entziehen. Es ist eine typische Strategie der Religion: Universelle menschliche Erfahrungen werden vereinnahmt und als Beweis für die eigene Theologie umgedeutet.

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Die verlängerte Weihnachtszeit als Druckmittel

Welters Hinweis, dass Weihnachten bis zum 11. Januar oder gar 2. Februar dauere, ist doppelbödig. Einerseits nimmt er Druck von den Feiertagen – was durchaus vernünftig ist. Andererseits verlängert er damit den moralischen Imperativ: Noch mehr Zeit, um „fähig zu werden, wie Gott zu lieben“. Die Botschaft lautet: Du bist noch nicht gut genug, aber du hast noch Zeit, dich zu bessern. Das ist psychologische Manipulation durch permanente Schuldgefühle.

Die Alternative: Humanistische Ethik

Aus humanistischer Sicht brauchen wir keine göttliche Begründung für Nächstenliebe, Mitgefühl und Versöhnung. Diese Werte entspringen unserer Natur als soziale Wesen und unserer Fähigkeit zu Vernunft und Empathie. Eine säkulare Ethik basiert nicht auf der Angst vor göttlicher Missbilligung oder dem Versprechen himmlischer Belohnung, sondern auf der Einsicht, dass ein gutes Zusammenleben allen Menschen nützt.

Wenn nach Weihnachten Konflikte zu lösen sind oder gute Worte zu finden, dann nicht, weil ein Christkind uns liebevoll anschaut, sondern weil wir selbst die Verantwortung für unsere Beziehungen tragen. Diese Selbstverantwortung ist befreiender und ehrlicher als die Delegation an eine höhere Macht.

Fazit

Pfarrer Welters „Wort zum Sonntag“ ist ein Musterbeispiel dafür, wie Religion universelle menschliche Werte für sich vereinnahmt, sie theologisch überfrachtet und die Menschen damit in Abhängigkeit hält. Die Fähigkeit zu lieben ist keine göttliche Gabe, sondern Teil unseres Menschseins. Wir brauchen keine Krippe, keinen Beipackzettel und keine verlängerte Weihnachtszeit, um gute Menschen zu sein. Wir brauchen nur den Mut, unsere Menschlichkeit ohne religiöse Krücken zu leben.

KI

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