Eine Betrachtung der Weihnachtsromantik im Wort zum Sonntag von Magdalena Kiess, veröffentlicht am 13.12.2025 von ARD/daserste.de
Darum geht es
Kiess verkauft universelle menschliche Bedürfnisse nach Ritual und Gemeinschaft als religiöses Eigentum und schmuggelt unter dem Deckmantel toleranter Winterromantik letztlich doch die exklusive christliche Heilsbotschaft ein, während sie verschweigt, dass säkulare Gesellschaften Sinn, Ethik und Zusammenhalt ohne metaphysischen Überbau schaffen können.Magdalena Kiess liefert in ihrem „Wort zum Sonntag“ ein weiteres Beispiel dafür, wie religiöse Institutionen versuchen, ihre schwindende Relevanz durch emotionale Vereinnahmung universeller menschlicher Bedürfnisse zu verschleiern. Unter dem Deckmantel der Toleranz und des gesellschaftlichen Zusammenhalts betreibt sie geschickte apologetische Arbeit – doch bei genauerer Betrachtung offenbaren sich die problematischen Muster dieser Argumentation.
Die Privatisierung wird zum Politikum
Kiess beginnt mit einer harmlosen Anekdote über Weihnachtsessen und Familientraditionen. Doch dieser persönliche Einstieg dient einem Zweck: Die Legitimation religiöser Rituale wird auf die emotionale Ebene verlagert. Statt rational zu begründen, warum religiöse Feste gesellschaftliche Relevanz haben sollten, wird auf das Gefühl der Geborgenheit, auf Kindheitserinnerungen und Nostalgie gesetzt.
Das ist eine bewährte rhetorische Strategie: Wer Kritik an religiösen Ritualen übt, wird implizit zum Spielverderber, zum Kaltherzigen, der anderen die Geborgenheit nehmen will. Dabei wird unterschlagen, dass säkulare Menschen durchaus Rituale schätzen – nur eben ohne den metaphysischen Überbau.
Der apologetische Taschenspielertrick
Der Kern von Kiess‘ Argumentation ist ein klassischer Fall von religiöser Vereinnahmung: Sie behauptet, die „religiösen Wurzeln“ der Winterfeste seien der „Kern“, der uns als Gesellschaft trägt. Doch diese Darstellung ist historisch und faktisch fragwürdig.
Erstens: Die meisten unserer Winterbräuche – der Tannenbaum, der Adventskranz, die Lichtersymbolik – sind eben gerade keine ursprünglich christlichen Traditionen. Sie wurden von vorchristlichen, „heidnischen“ Kulturen übernommen und christianisiert. Das Christentum hat sich jahrhundertelang damit beschäftigt, bestehende Feste zu überschreiben und für sich zu reklamieren. Kiess erwähnt beiläufig den „heidnischen Baum“, ohne die Ironie zu bemerken: Das Christentum eignet sich fremde Traditionen an und verkauft sie dann als eigene „Wurzeln“.
Zweitens: Die Werte von „Fürsorge und Barmherzigkeit“ sind keine exklusiv christlichen Erfindungen. Sie finden sich in allen Kulturen und lassen sich evolutionsbiologisch, psychologisch und philosophisch begründen – ganz ohne Rekurs auf göttliche Offenbarung. Humanistische Ethik, säkulare Solidarität und sozialstaatliche Fürsorgepflicht funktionieren hervorragend ohne religiösen Unterbau.
Die Illusion der religiösen Toleranz
Besonders bemerkenswert ist Kiess‘ Versuch, sich als Brückenbauerin zwischen den Religionen zu inszenieren. Sie schwärmt von der Koexistenz des christlichen Adventskranzes und des jüdischen Chanukka-Leuchters am Brandenburger Tor. Das klingt versöhnlich, ist aber letztlich eine Form von religiösem Paternalismus.
Die eigentliche Frage wird ausgeblendet: Warum sollten religiöse Symbole überhaupt den öffentlichen Raum dominieren? Wo sind die säkularen Symbole, die Zeichen einer aufgeklärten, wissenschaftlich fundierten Weltanschauung? Die vermeintliche Toleranz erweist sich als exklusiver Club: Wer mitspielen darf, sind die verschiedenen religiösen Traditionen – der säkulare Humanismus bleibt außen vor oder wird bestenfalls als defizitäre Form des Religiösen geduldet („die an etwas anderes glauben oder gar nicht religiös sind“).
Die Botschaft ist klar: Eigentlich sind wir doch alle irgendwie spirituell, alle auf der Suche nach Licht und Sinn. Wer keinen Gott braucht, wird als jemand dargestellt, der dennoch „die gleichen Werte teilt“ – als wären diese Werte nur durch Religion verständlich oder zugänglich.
Die metaphysische Mogelpackung
Am deutlichsten wird die apologetische Agenda, als Kiess die Maske fallen lässt: „All die Lichter im Advent sind für mich ein Zeichen für das große Licht, auf das wir warten. Gott selbst, der an Weihnachten in unser Leben kommt.“
Hier offenbart sich der Kern des Problems. Nach all dem Gerede von Gemeinsamkeit, Tradition und universellen Werten kommt die exklusive Wahrheitsbehauptung: Am Ende geht es doch um ihren Gott, um ihre Heilsgeschichte. Die vermeintliche Offenheit und Toleranz erweist sich als Köder, um am Ende doch die christliche Botschaft zu verkünden.
Das biblische Zitat aus dem Johannesevangelium („Das Licht leuchtet in der Finsternis“) dient dabei als universelle Wahrheit, obwohl es eine sehr spezifische theologische Aussage über Jesus Christus als Logos ist. Hier wird religiöse Partikularität als allgemeingültiges Prinzip verkauft.
Rituale – ja! Metaphysik – nein!
Niemand bestreitet, dass Menschen Rituale brauchen, dass wir Ankerpunkte in einer sich schnell verändernden Welt suchen. Doch warum sollten diese Rituale zwingend mit übernatürlichen Behauptungen verknüpft sein?
Säkulare Gesellschaften sind durchaus in der Lage, bedeutungsvolle Rituale zu schaffen:
- Die Wintersonnenwende als astronomisches Ereignis, das die Rückkehr des Lichts markiert – ohne Götter, aber mit wissenschaftlichem Verständnis
- Humanistische Feiern, die Solidarität, Vernunft und Mitgefühl zelebrieren
- Kulturelle Traditionen, die Gemeinschaft stiften, ohne metaphysische Verpflichtungen
Der entscheidende Unterschied: Säkulare Rituale kommen ohne Wahrheitsansprüche über das Übernatürliche aus. Sie erheben nicht den Anspruch, göttliche Offenbarung zu sein, sondern sind bewusst gesetzte menschliche Praktiken.
In einem Kapitel seines lesenswerten Buches „Gottlos glücklich – Warum wir ohne Religion besser dran wären“ beschreibt Philipp Möller, wie bei ihm daheim zu Weihnachten gefeiert wird.
Die dunkle Seite der „Lichter-Romantik“
Was Kiess völlig ausblendet, ist die problematische Kehrseite religiöser Traditionen. Die Kirchen, die heute Licht und Gemeinschaft predigen, haben jahrhundertelang:
- Anders- und Nichtgläubige verfolgt und ermordet
- Wissenschaft und Aufklärung bekämpft
- Frauen unterdrückt und queere Menschen diskriminiert
- Macht und Reichtum angehäuft, während sie Demut predigten
- Vieltausendfachen Kindesmissbrauch ermöglicht, die Opfer verhöhnt und die Täter geschützt
Die aktuelle institutionelle Krise der Kirchen – Missbrauchsskandale, Austrittswellen, Glaubwürdigkeitsverlust – wird mit keinem Wort erwähnt. Stattdessen wird eine heile Welt der Kerzen und Kranzkränze beschworen.
Fazit: Kuschelreligiosität statt kritischer Reflexion
Magdalena Kiess‘ Beitrag ist symptomatisch für eine moderne Form der Apologetik, die auf Emotionalisierung und kulturelle Vereinnahmung setzt. Unter dem Deckmantel der Toleranz und des gesellschaftlichen Zusammenhalts wird letztlich doch die religiöse Agenda verfolgt: Die Behauptung, dass religiöse Traditionen unverzichtbar für Sinn, Werte und Gemeinschaft seien.
Doch eine aufgeklärte, säkulare Gesellschaft braucht keine göttlichen Heilsversprechen, um Licht ins Dunkel zu bringen. Sie braucht Bildung, Wissenschaft, rationale Ethik und menschliche Solidarität – Dinge, die ohne metaphysischen Überbau funktionieren und die nicht von zweifelhaften Institutionen verwaltet werden müssen.
Die Lichter, die wir entzünden sollten, sind die der Vernunft, des kritischen Denkens und des säkularen Humanismus. Und diese Lichter leuchten auch ohne Kirchen hell genug.
Frohe Wintersonnenwende!

















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