Kommentar zu NACHGEDACHT 139: Menschen, die nicht „satt“ machen

Lesezeit: ~ 3 Min.

Kommentar zu NACHGEDACHT 139: Menschen, die nicht „satt“ machen, Originalartikel verfasst von Christina Leinweber, veröffentlicht am 6.09.2015 von osthessen-news.de

[…] Ja, ich spreche heute davon, dass es Menschen gibt, von denen man nicht „satt“ werden kann. Von denen man nie genug hat, weil sie einfach so erhellend und gut zu uns sind.*

Inwieweit wir jemanden oder etwas als „gut zu uns“ empfinden, hängt in erster Linie davon ab, ob wir sie, ihn oder es aufgrund der Prägung unseres Unterbewusstseins als „gut“ bewerten.

Manche Menschen haben eine – ich nenne es gerne Aura – die andere anlockt.*

Auch ein besonderes Charisma sagt noch nichts über die Absichten aus, die eine Person durch den geschickten Einsatz ihrer Ausstrahlung wirklich verfolgt. Es ist noch gar nicht lange her, da war ein ganzes Volk von der Aura eines Führers so begeistert, dass es ihm blindlings und gegen jede Vernunft vertraut hat und mit wehenden Fahnen ins Verderben gefolgt ist.

Ich könnte sofort eine Hand voll Menschen benennen, mit denen ich unglaublich gerne sehr viel Zeit verbringe und von denen ich nie genug haben kann. In ihrer Anwesenheit fühle ich mich nie überflüssig, sondern immer gewollt.*

Das sind sehr wahrscheinlich Menschen, die ein ähnliches Weltbild und eine ähnliche Wertevorstellung haben wie Sie.

Und ich merke, wie die Ruhe von ihnen auf mich übergeht. Wenn sie anfangen zu sprechen, klebt man an ihren Lippen und so mancher Satz, den sie sagen, möchte man sich gerne sofort aufschreiben und als neues Lebensmotto begreifen.*

…besonders dann, wenn er das eigene Weltbild unterstützt und bekräftigt. Einen Satz aufschreiben und als neues Lebensmotto begreifen ist auch mit viel weniger Aufwand verbunden, als einen Satz kritisch zu hinterfragen und zu überlegen, was genau dieser Satz eigentlich aussagt und welche Annahmen, Fiktionen oder Illusionen er möglicherweise voraussetzt.

Und genauso muss es damals gewesen sein, als Jesus zu den Menschen sprach. Seine Anwesenheit bedeutete etwas, sie bewirkte Nachfolge. Von ihm konnte man auch nicht „satt“ werden, sonst hätten sich nicht so viele Menschen entschieden, mit ihm zu gehen.*

Ein klassischer Fehlschluss: Selbst wenn es an der Ausstrahlung Jesu gelegen haben sollte, dass viele Menschen mit ihm gegangen sind (wofür es außer christlichen Quellen, die deutlich nach der vermuteten Lebenszeit von Jesus zusammengesammelt, in eine Story verpackt und einem Autor zugeschrieben wurden praktisch keine weiteren historischen Belege gibt), dann wird dadurch das, worauf es ankommt, nämlich das, was er gesagt hat, nicht wahrer oder richtiger.

Der historische Jesus sah seine Aufgabe nicht darin, eine Kirche oder Religion zu gründen – das wäre für einen jüdischen Rabbi wie ihn reinste Blasphemie und wegen der kurz bevorstehenden Apokalypse sowieso auch gar nicht mehr nötig gewesen. Der historische Jesus war ein gewöhnlicher Wanderprediger und apokalyptischer Prophet wie hunderte andere zu dieser Zeit, der die angeblich kurz bevorstehende Ankunft Gottes auf der Erde ankündigte (womit er, wie wir heute wissen, irrte). Deshalb hatte Jesus zu Lebzeiten nicht mehr Anhänger als andere Untergangsverkündiger auch; den großen Boom erlebte erst viel später die Religion, die sich auf der Grundlage des historischen Jesus von Nazareth die Kunstfigur „Sohn Gottes“ nach ihren Vorstellungen und Wünschen erschaffen hatte.

Wenn man sich einmal die Mühe macht, ein Evangelium komplett zu lesen und tatsächlich am Ball zu bleiben, kann man etwas davon spüren.*

Besonders kann man spüren, dass die Evangelien auf dem Wissensstand, Wertemaßstab und Weltbild von vor etwa 2000 Jahren basieren und damit für die Menschen des 21. Jahrhunderts bestenfalls noch als archaische Mythen- und Märchensammlung wahrscheinlich persischer oder äthiopischer Herkunft dienen können.  Den öffentlichen Aufruf, ein Evangelium komplett zu lesen, hätte sich die Autorin übrigens früher nicht erlauben dürfen: Die Synode von Toulouse bestimmte im Jahr 1229:

  • „Die Laien dürfen die Bücher des Alten und Neuen Testaments nicht besitzen.“

In einem kirchlichen Gutachten unter Papst Julius III. (1550–1555) heißt es:

  • „Endlich ist unter allen Ratschlägen, die wir zur Zeit geben können, der wichtigste, mit allen Kräften dahin zu streben, daß niemand auch das geringste aus dem Evangelium vorzüglich in der Volkssprache zu lesen erlaubt ist und werde.“

…gar nicht so einfach, wenn man die absolute Wahrheit für sich beanspruchen will, nur widersprüchliche Quellen zur Verfügung hat und gleichzeitig auch noch so grundlegende Veränderungen aushalten muss… Wem sich beim Durchlesen der Evangelien mehr Fragen als Antworten ergeben (aber natürlich auch allen anderen), dem sei das Buch Abermals krähte der Hahn** zur Lektüre empfohlen.

[…] Versuchen wir doch in der nächsten Woche selbst einmal, ansteckend zu sein – mit guter Laune, mit guten Gedanken oder einfach nur mit unserer Anwesenheit.*

…oder, indem wir Aussagen und Behauptungen sachlich und kritisch hinterfragen – unsere eigenen, aber auch die von anderen. Nichts begeistert mehr als die Wahrheit!

*Das Online-Portal Osthessennews fordert jede Woche unter der Rubrik „NACHGEDACHT“ mit „liberal-theologischen“ Gedanken zum Nachdenken auf. Alle als Zitat gekennzeichnete Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Original-Artikel von Christina Leinweber.

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