Kommentar zu NACHGEDACHT 181- Sommerregen

Lesezeit: ~ 4 Min.

Kommentar zu NACHGEDACHT 181 – Sommerregen, Originalartikel verfasst von Christina Leinweber, veröffentlicht am 26.06.16 von Osthessennews

Doch wir fahren dann natürlich doch nicht. Warum eigentlich, weil es zu verrückt ist?*

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Zum Spontan-Kurzurlaub an die Ostsee:
Schnapsidee oder Lifetime-Experience?

Während manche Leute einen spontanen „Tag am Meer“ für eine hirnrissige Schnapsidee halten dürften, gibt es sicher auch viele Leute, für die schon so etwas vergleichsweise Unspektakuläres wie ein ungeplanter Ausflug an die Ostsee das Außergewöhnlichste, Abgefahrenste, im positiven Sinn „Verrückteste“ war, was sie jemals in ihrem Leben gemacht haben.

Und es gibt auch Menschen, die alles auf- und sich auf unbestimmte Zeit auf Reise be-geben haben und dabei sehr glücklich sind.

Hier spielt einmal mehr die individuelle Prägung des Unterbewusstseins die entscheidende Rolle: Was „sagt“ das Unterbewusstsein zu Themen wie Spritverbrauch, Risiko (mehrere Stunden Autofahrt nach einer durchfeierten Nacht können selbst für einen nüchternen Fahrer anstrengend werden), gesellschaftliche Normen, Zimmerpreise in der Hochsaison… – aber natürlich auch:

Welche Erfahrungen hat es schon mit ähnlich spontanen Aktionen oder mit Horizonterweiterungen allgemein gemacht? Wurde es darauf konditioniert (zum Beispiel durch Belohnung/Bestrafung), vorgegebene Bahnen stets einzuhalten oder genießt es die Freiheit, auch mal neue Wege zu gehen?

Die unvorstellbar vielen gemachten Erfahrungen, die darüber gespeicherten Informationen sowie die Verknüpfung und die Gewichtung derselben sind es, die letztlich zu einer bestimmten Entscheidung führen, so auch für oder gegen einen spontanen Kurztrip an die Ostsee.

Zu welchem Ergebnis das Unterbewusstsein auch immer kommen mag, ob die Vernunft siegt oder die Neugierde – das ist natürlich jedermanns und jederfraus persönliche Sache.

Wenn ich feststelle, dass ich mich über meine eigene Entscheidung ärgere, dann könnte ich diesen Ärger zum Anlass nehmen und mal selbstkritisch hinterfragen, was mich denn eigentlich zu dieser Entscheidung gebracht hat und ob diese Gründe überhaupt noch gegeben sind und wenn ja, ob sie tatsächlich so gewichtig sind wie bisher immer angenommen.

[…] Lächelnd wird mir klar, dass ich keine großen Highlights brauche, wenn ich mich an den kleinen Dingen freuen kann.
Und zufrieden und glücklich zugleich falle ich ins Bett und höre den Regen beim Einschlafen leise tröpfeln.

Diese romantisch-naturalistischen Gedanken erstaunen insofern, als dass Geschichten aus der natürlichen, realen Wirklichkeit in religiös motivierten Verkündigungen praktisch immer dazu verwendet werden, irgendwo noch den jeweils bevorzugten Gott unterzubringen, für dessen unermessliche Gnade dann zum Beispiel auch auch ein warmer Sommerregen ein untrügliches Zeichen ist.

Meist gibt es dann noch einen biblischen Halbsatz dazu, in dem es vor vielen Tausend Jahren angeblich schon mal jemandem (oder zur Not auch mal dem Sohn dessen Sklavin…) ganz genauso ähnlich (oder auch ganz anders) ergangen ist.

Dieser Trick ist eigentlich nicht schwer zu durchschauen: Erzähle einfach von einem realen, tatsächlich wahrnehmbaren Ereignis, behaupte dann, dass dies von deinem unbewiesenen, weil unbeweisbaren Gott verursacht wurde und dass wir deshalb diesen Gott ebenfalls wahrnehmen könnten.

„Gott“ kann man durch einen beliebigen anderen Begriff ersetzen und so wird schnell klar, dass dieser Trick natürlich keinen wirklichen Beweis für oder gegen irgendwas liefern kann.

Den Umstand, dass es zwar praktisch immer mehr oder weniger offensichtliche, tatsächliche Gründe für praktisch alle Ereignisse gibt und dass es hingegen aber noch niemals auch nur einen einzigen seriösen Beweis dafür gab, dass Götter, Geister oder Gottessöhne ihre Finger oder was auch immer im Spiel hatten, übergeht man stillschweigend und hofft, dass niemand den Betrug bemerkt.

Interessant fände ich es mal zu erfahren, warum die Autorin, die sich lt. Online-Beschreibung selbst als „liberal-theologisch“ bezeichnet, diese, für religiöse Verkündigungen allzu übliche religiöse (Um-)Deutung (wie zum Beispiel im wöchentlichen Wort zum Sonntag** zu finden) hier weggelassen hat.

Mir stellt sich einmal mehr die Frage, wie sich aus Sicht der Autorin „liberal-theologisch“ von „theologisch“ unterscheidet, also worin genau die „Befreiung“ bestehen soll. Aus meiner Sicht ist „liberal-theologisch“ ein Paradox – entweder, ich bin theologisch (genauer: Gottgläubig), oder ich habe mich davon befreit.

„Liberal-theologisch“ bedeutet dann soviel wie „teilaufgeklärt“, es erfordert ein bewusstes Ignorieren der unzähligen religiösen Widersprüche und Unwahrheiten. Dies kann meiner Meinung nach bestenfalls ein Zwischenschritt sein hin zu einem Weltbild, das ganz ohne religiöse Vorstellungen, die auf Fiktionen basieren auskommt.

Auf diese religiösen Reste zu verzichten, dürfte für Menschen, die ihr Gehalt von der Kirche beziehen, allerdings schwierig sein. Die Kirche hält sich nämlich bei ihren eigenen Beschäftigungsverhältnissen nicht an das geltende Recht, das allen Menschen Glaubensfreiheit und damit auch die Freiheit vom Glauben zusichert.

Das Ergebnis einer solchen Teilaufgeklärtheit ist dann das „Light-Christentum“: Ich glaube zwar nicht an überirdische Wesen, erkenne religiöse Dogmen nicht an und nehme vom religiösen Angebot nur das in Anspruch, was meinen persönlichen Vorstellungen entspricht, genieße aber trotzdem den Komfort, nicht selbständig nachdenken zu müssen und darf mich anderen überlegen fühlen, weil ich mich einer Institution unterordne, die sich im Besitz der übergeordneten, endgültigen Wahrheit wähnt.

Das entspricht dann sinngemäß auch weitgehend der Definition, die Wikipedia zu dem Begriff liefert.

Schade, dass Religionsvertreter zwar bei jeder Gelegenheit betonen, wie wichtig Miteinander-Reden sei, dazu dann aber doch nicht bereit sind, sobald jemand nicht bereit ist, ihre religiöse Scheinwirklichkeit als real anzuerkennen.

So gehe ich davon aus, dass auch meine Frage an die Autorin: „Was verstehen Sie konkret unter „liberal-theologisch?“ vermutlich leider unbeantwortet bleiben wird.

Und es gäbe noch viele weitere, wirklich spannende Fragen, zum Beispiel: „Was müssen Menschen mindestens ‚erfüllen‘, um sich als (katholischer) Christ bezeichnen zu dürfen?“ oder „Warum sollte ich an Gott glauben?“ oder „Warum wird die Bibel als ‚Wort Gottes‘ bezeichnet?“

woman-1261053_640…da würde ich allerdings auch lieber vom warmen Sommerregen schreiben, der von außen sacht an die Scheibe klopft – ganz im Sinne von Douglas Adams, der einmal gesagt hat:

  • Isn’t it enough to see that a garden is beautiful without having to believe that there are fairies at the bottom of it too?
    (Genügt es nicht zu sehen, dass ein Garten schön ist, ohne dass man auch noch glauben müsste, dass Feen darin wohnen?)
    — Douglas Adams

Viele Grüße von der Ostsee!

*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Originalartikel.
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