Gedanken zu NACHGEDACHT 188: Vergebung, Originalartikel verfasst von Christina LANDER, veröffentlicht am 14.08.16 von Osthessennews
Es ist ein starkes Wort: Vergebung. Wir assoziieren es sofort mit religiösen Aspekten wie der Sündenvergebung. In einer schwächeren Variante könnte es auch synonym Entschuldigung lauten.*
Das halte ich für eine interessante, weil aus meiner Sicht verdrehte Sichtweise. Denn egal, in welchem Sinne der Begriff „Entschuldigung“ verwendet wird: Es handelt sich dabei um eine gesellschaftlich allgmein anerkannte Umgangsform.
Also etwas, was sich erklären, beschreiben, beobachten und anwenden lässt. Damit ist eine Entschuldigung auf jedenfall eine stärkere Variante der Vergebung als ein religiöser Aspekt wie die Sündenvergebung.
Im katholischen Glauben erlangt der Sünder nach der Beichte durch die göttliche Vollmacht Vergebung.
Interessant finde ich ebenfalls die Tatsache, dass die, laut Biographie liberal-theologische Autorin aus dem „erzkatholischen Fulda“ zwar davon ausgeht, dass „wir“ Vergebung „sofort mit religiösen Aspekten wie der Sündenvergebung“ assoziieren würden, diese Aspekte dann aber in nur einem Satz nur nennt, ohne nähere Aussagen darüber zu machen.
Vorgetäuschtes Problembewusstsein
Es hätte mich ernsthaft interessiert, etwas mehr darüber zu erfahren, wie die liberale Theologie das Thema „Beichte“ bewältigt. Es gehört zum Repertoire theologischer Tricks, unangenehme, weil nicht redlich beschreib- oder erklärbare Themen zwar offen zu nennen, nicht aber weiter darauf einzugehen. Man täuscht damit ein Problembewusstein vor, ohne freilich irgendetwas zur Lösung beigetragen zu haben.
Was die Vergebung von Sünden durch Gott angeht, so darf man dabei nicht vergessen, dass es derselbe verzeihende Gott ist, der die Sünde zuvor als Sünde festgelegt hatte. Die aus göttlicher Sicht einzige wirklich gravierende Sünde ist es, nicht an ihn zu glauben oder ihn auch nur in Frage zu stellen. Das ist der oberste Maßstab, nach dem sich die göttliche Vergebung in Form von Erlösung richtet.
Nach biblischer Auffassung ist es zum Beispiel völlig legitim, einen widerspenstigen Sohn zu töten oder auch die Ehebrecherin samt Ehebrecher. Aber wehe, man glaubt an keine oder gar an andere Götter: Dann verfolgt Jahwe die Schuld bis in die 3. und 4. Generation:
- Du sollst dich vor ihnen nicht niederwerfen und ihnen nicht dienen. Denn ich, der HERR, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott, der die Schuld der Väter heimsucht an den Kindern, an der dritten und vierten Generation von denen, die mich hassen, der aber Gnade erweist an Tausenden von Generationen von denen, die mich lieben und meine Gebote halten. (Quelle: Ex 20, 5-6 EU)
Im Neuen Testament wird der göttliche Bestrafungskatalog dann auch noch auf andere Bereiche ausgeweitet. Laut Jesus erwartet zum Beispiel auch jene ewige Höllenqualen, die ihren Bruder einen „Narr“ genannt haben.
Zumindest der biblische Christengott ist also keineswegs jemand, der „einfach so“, aus „Gnade“ vergibt. Daraus macht er auch gar keinen Hehl: Denn ich, der HERR, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott. Es sind seine Vertreter auf Erden, die den antiken Rachegott zum „Lieben Gott“ umdefiniert haben. Die angebliche göttliche Gnade und Liebe ist indes alles andere als bedingungslos. Sie ist nichts weiter als ein leeres Versprechen, das einzig dem Zweck dient, Schafe in die Abhängigkeit zu locken.
Kann man sich überhaupt selbst ent-schuldigen?
Im weiteren Verlauf gehts dann jedenfalls nicht um die religiöse, sondern um die Bedeutung in der realen Welt.
[…] Eine Entschuldigung bedeutet, dass man auch seine Schuld eingesteht.
Wikipedia liefert folgenden Hinweis:
- Es fand eine Begriffsverschiebung statt: „Sich zu entschuldigen“ wäre früher als „sich selbst von Schuld befreien“ verstanden worden. Daher äußerte man eine „Bitte um Entschuldigung oder Vergebung“, da nur der Geschädigte einen von der eigenen Schuld insoweit befreien kann, als er diese nicht weiter nachträgt. Das Englische etwa unterscheidet streng zwischen to apologise bzw.to apologize (sich entschuldigen, um Entschuldigung bitten) und to excuse (jemanden oder etwas entschuldigen).
(Quelle: Wikipedia, abgerufen am 13.8.2016)
Man kann sich also sowohl selbst für etwas entschuldigen: „Ich entschuldige mich für mein Zuspätkommen…“, aber auch andere darum bitten, einen selbst zu entschuldigen: „Und jetzt entschuldige mich bitte, ich habe zu tun…“
Entschuldigung als symbolisches Zeichen
Beide Varianten beinhalten ein Schuldeingeständnis, das ja per se noch gar nichts an der Schuld an sich ändert. In der Rechtswissenschaft spricht man vom „Entschuldigungsgrund, der einen Täter von der Schuld an einer rechtswidrigen Tat befreien kann, ohne jedoch (wie ein Rechtfertigungsgrund) deren Rechtswidrigkeit aufzuheben.“ (Quelle: Wikipedia)
Trotzdem werden Entschuldigungen im Alltag oft und gerade bei kleineren „Vergehen“ zur unkomplizierten Behebung eines „Ungleichgewichts“, etwa zwischen gezeigtem und gesellschaftlich-normativem Verhalten akzeptiert:
„Entschuldigung, ich bin 10 Minuten zu spät“ reicht meist schon zur Ent-Schuldigung, eine weitere „Tilgung“ der „Schuld“ ist dann nicht erforderlich. Wenn man eine solche, eigentlich ja nur symbolische Ent-Schuldigung für nicht ausreichend hält, kann man noch zusätzlich, ebenfalls wieder zumindest symbolisch, die Konsequenzen des schuldhaften Verhaltens selbst übernehmen: „Ich bin 10 Minuten zu spät, das tut mir leid. Entschuldigung.“ Das bedeutet: Ich selbst leide unter meinem Verhalten auch.
Was alles aber noch lange nicht auch zwangsläufig bedeuten muss, dass sich jemand beim nächsten Mal nicht doch wieder genauso verhält. Ein vorsätzliches Fehlverhalten mit einer einkalkulierten Entschuldigung kan in Summe immernoch weniger Aufwand bedeuten als die Vermeidung des Fehlverhaltens.
Vergebung für eigene Zwecke einsetzen
Dazu gibt es spannende Untersuchungen. So sind zum Beispiel die Vordrängler an der Kasse „erfolgreicher“, die sich für ihr Verhalten entschuldigen und einen (scheinbaren) Grund nennen: „Entschuldigung, ich hab es eilig. Darf ich bitte vor?“ funktioniert besser als „Lassen Sie mich bitte vor.“
Obwohl die Begründung „ich habe es eilig“ natürlich erstmal kein wirklich starkes Argument ist, sind viele Menschen so konditioniert, dass sie wesentlich wahrscheinlicher bereit sind, einer Aufforderung nachzukommen, wenn sie irgendeine Begründung dafür genannt bekommen, und sei sie noch so irrelevant. Das Ganze dann noch verbunden mit einer vorsorglichen Entschuldigung führt in überdurchschnittlich vielen Fällen zum Erfolg. Weil Menschen gelernt haben, dass sich das so gehört.
Nach meiner Erfahrung vereinfachen diese gesellschaftlichen Konventionen wie Entschuldigung und Vergebung das alltägliche Zusammenleben.
Es sind bewährte, sozio-kulturell entstandene Werkzeuge. Sie dienen dazu, das menschliche Miteinander für alle Beteiligten angenehmer zu gestalten. Denn wie auch immer eine Entschuldigung und eine Vergebung im Einzelnen ausfällt: Es handelt sich dabei um reale Verhaltensweisen von realen Wesen. Auch wenn eine Entschuldigung vielleicht mal nicht wirklich „von Reue getragen“ ist.
Wie immer: Mit Gott*** kommen Fragen und Probleme ins Spiel
Anders sieht es mit der angeblichen Vergebung durch überirdische Wesen aus. Diese Form der Vergebung ist bis zum Beweis des Gegenteils eine Fiktion, ein Hirngespinst – und, wenn als Tatsache behauptet, ein Betrug, sich selbst oder anderen gegenüber.
Eine Beichte befriedigt in erster Linie die Neugierde des Pfarrers und damit den Machtanspruch der Kirche. Und sie befriedigt den Beichtenden mit der Illusion, irgendein ihm übergeordnetes Wesen hätte seine Bitte um Vergebung erhört. Und ihm daraufhin verziehen.
Für die Bedeutsamkeit und damit den Wert einer solchen Vergebung spielt es übrigens keine Rolle, welche Gottheit jemand verehrt. Bacchus vergibt in Wirklichkeit genauso zuverlässig keine Schuld wie Odin, Hermes oder Aschera. Oder auch diese, diese und diese.
Selbst wenn ein Herr Pfarrer aufgrund seiner göttlichen Berufung tatsächlich in der Lage sein sollte, einem Sünder im Auftrag und Namen Jahwes Schuld zu vergeben, so ist deswegen noch lange nicht klar, wie die vielen tausend anderen Götter dies einschätzen.
Die Wahrscheinlichkeit, dass irgendeine andere Gottheit nicht nur nicht vergibt, sondern eine solche zudem auch noch tief gekränkt ist, weil nicht sie, sondern ein götterwelttechnisch gesehen völlig unbedeutender, kleiner Provinzial-Wüstengott aus der Bronzezeit um Vergebung gebeten worden war, ist statistisch gesehen riesengroß.
Und welchen Grund sollte ein allmächtiger Gott überhaupt haben, Menschen etwas zu verzeihen, wenn sie ihn um Vergebung bitten?
Als deren allmächtiger Schöpfer hätte er sie doch auch so erschaffen können, dass sie gar nicht erst „schuldig“ werden können?
Die Vorstellung, ein Gott würde Schuld vergeben, scheitert also nicht nur an der Realität, sondern sogar schon innerhalb der religiösen Scheinwirklichkeit.
*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Artikel.
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***Aussagen über Götter und deren Eigenschaften gehen von der literarischen Grundlage, und nicht von der irdischen Realität aus.
Aha - Frau Kiess redet sich ein, Ihr Gott meine es gut mit "uns". Schon mal was von der Theodizee-Problematik…