Gedanken zu: Impulse von Stadtpfarrer Buß: „Den Finger in die Wunde legen!“

Lesezeit: ~ 7 Min.

Gedanken zu: Impulse von Stadtpfarrer Buß: „Den Finger in die Wunde legen!“, veröffentlicht am 10.04.21 von osthessennews.de

Darum geht es

Pfarrer Buß schreibt dem Berühren von Wunden eine heilende Kraft zu. Irgendwie scheint er die Legende vom ungläubigen Thomas nicht ganz erfasst zu haben…

Wagen sie es, Ihren Finger in oder auf offene Wunden zu legen? Ich habe es nicht gern, wenn andere ihren Finger auf meine wunden Stellen legen. Ich fürchte dann, die Wunden könnten dadurch größer werden oder noch mehr schmerzen. Wunden, die andere mir zugefügt haben, verstecke ich gern. Ich will nicht zeigen, wie verletzt und wie verletzlich ich bin. Und wenn ich anderen Wunden zugefügt habe, dann schaue ich gern darüber hinweg.
(Quelle der so als Zitat gekennzeichneten Abschnitte: Impulse von Stadtpfarrer Buß: „Den Finger in die Wunde legen!“, veröffentlicht am 10.04.21 von osthessennews.de)

Vorab: Herr Buß, da ich Ihren Impuls schon komplett gelesen habe weiß ich, dass Sie weiter unten der Berührung von Wunden noch eine heilende Wirkung zuschreiben (heilend für den, der sie berührt) und das Vermeiden von Berührung kritisieren werden. Wie passt beides zu Ihren hier eingangs geäußerten Ansichten?

Sollten Sie Ihre „wunden Stellen“ nicht wörtlich, sondern wie gewohnt als Metapher meinen: Wussten Sie, dass man auch psychische „Wunden“ mit zumeist guten Heilungschancen behandeln (lassen) kann?

Wenn Sie gerne über Wunden hinwegschauen, die Sie anderen zugefügt haben, dann sind Sie ja im katholischen Glaubenssystem bestens aufgehoben, Herr Buß:

Kennen Sie das auch: um Wunden und Verletzungen bei sich oder bei anderen nicht zu sehen, so zu tun, als ob nichts geschehen wäre?

Ja, genau das kenne ich auch. Die katholische Kirche demonstriert im Skandal um sexuell-pädokriminelle Gewalt durch katholische Priester und Bischöfe ja gerade genau dieses Verhalten.

Besonders, was die Wunden angeht, die sie anderen zugefügt hat. Und bei denen sie viele Jahrzehnte (oder Jahrhunderte?) so getan hat, als ob nichts geschehen wäre.

Die eigenen Wunden leckt man lieber. Wie etwa Bischof Woelki. Der sich in seiner Weihnachtspredigt 2020 bei seinen Schäfchen dafür entschuldigte, dass diese die Kritik an ihm, Woelki aushalten müssten.

Wunde: Handfester Beweis – wofür?

Der Apostel Thomas, von dem das Evangelium von Johannes nach Ostern berichtet (Jo. 20, 24-29), steht nach dem Karfreitag in völligem Dunkel und sucht mit ausgestreckten Händen nach Berührungspunkten. Er will erst dann die Auferstehung glauben, wenn er einen handfesten Beweis hat.

Etwas, für das es einen tatsächlich handfesten Beweis gibt, braucht man nicht (im religiösen Sinn) zu glauben. Weil man es dann ja erwiesenermaßen und nachprüfbar weiß.

Was die Auferstehung angeht, stellt sich freilich die Frage, wie „handfest“ eine biblische Perikope als Beweis sein kann. Hier sind starke Zweifel an der Beweiskraft angebracht.

Die Bibel enthält Behauptungen. Keine Beweise. Dass irgendetwas in der Bibel steht beweist noch lange nicht, dass es deshalb auch stimmt.

Je unplausibler eine Behauptung ist, desto stärker müssten die Beweise sein. Und eine Auferstehung, wie sie in der Bibel beschrieben wird, ist eine so unplausible Angelegenheit, dass die Schilderung von anonymen Autoren einer angeblichen Überprüfung durch einen ebenso anonymen Zeugen, der einzig innerhalb der biblischen Legendensammlung Erwähnung findet in etwa so beweiskräftig ist wie wenn Donald Duck™ beweist, dass Daniel Düsentriebs™ neueste Erfindung tatsächlich funktioniert.

Abgesehen davon wäre das Herumfingern in einer Wunde auch unabhängig von der Glaubwürdigkeit der Quelle noch lange kein Beleg dafür, dass hier jemand tatsächlich tot war und anschließend wieder lebendig wurde. Und darum soll es ja schließlich gehen, das soll bewiesen werden.

Zweifeln – aber nur, um danach noch fester zu glauben

Jesus kann zulassen, dass andere seine Wunden sehen und ihre Finger in sie hineinlegen.

…und das, obwohl er sich kurz vorher von Maria (Magdalena, nicht die andere) nicht mal hatte umarmen lassen wollen?

Etliches in der biblischen Mythologie spricht dafür, dass Jesus womöglich doch, bzw. auch homosexuell gewesen sein könnte.

So fordert er Thomas auf: Berühre meine Wunden. Lege deinen Finger in sie hinein und glaube (vgl. Jo. 20,27). Mit dieser Einladung fordert er ihn auf aus seinen Zweifeln heraus zu kommen. Und Thomas öffnet sich für die Begegnung und wird vom Unglauben geheilt. Er fällt vor Jesus nieder und bekennt: „Mein Herr und mein Gott!“ (Jo. 20,28).

Die Formulierung „…und wird vom Unglauben geheilt“ zeigt die dem Christentum innewohende, ganz selbstverständliche Überheblichkeit, Freiheit von Glaube sei eine Krankheit, die geheilt werden müsse.

Dabei sind es umgekehrt Glaubensgewissheiten, die durchaus pathologisch wahnhafte Ausmaße annehmen können.

Nicht fummeln, nicht schauen – nur glauben!

Was Herr Buß hier salbungsvoll mit „Und Thomas öffnet sich für die Begegnung“ umschreibt, bezieht sich darauf, dass Thomas eben nicht auf einer manuellen Überprüfung der Wundmale besteht, die er zuvor noch gefordert hatte.

Die Message ist klar: Obwohl Thomas die Möglichkeit gehabt hätte, die Behauptung zu überprüfen, kann er trotzdem glauben, ohne diese Überprüfung durchgeführt zu haben.

Und genau darum geht es: Behauptungen auch ohne Beweise für wahr zu halten:

  • Spricht Jesus zu ihm: Weil du mich gesehen hast, darum glaubst du? Selig sind, die nicht sehen und doch glauben! (Johannes 20,29 LUT)

Politik und Religion sind die beiden Einrichtungen, an denen man am besten nachvollziehen kann, welch fatale Folgen es haben kann, wenn Menschen tasächlich wie hier gefordert Behauptungen einfach so glauben, ohne sie kritisch zu hinterfragen.

Denn genau auf diese, zunächst noch von ihm geplante kritische Hinterfragung verzichtet Thomas ja in dieser Legende. Er hatte seine Vernunft erfolgreich umgangen. Statt gesunder Skepsis hatte er sich die unredliche Methode des Glaubens im religiösen Sinne angeeignet: Das unkritische Für-wahr-halten von unbewiesenen Behauptungen.

Eine Fähigkeit, die im Christentum als fromme Tugend gilt, in Wirklichkeit aber eine Korrumpierung der eigenen intellektuellen Redlichkeit bedeutet.

Na klar darfst du zweifeln… aber nur ein bisschen!

Für Christen wie Herrn Buß spielt der „ungläubige Thomas“ eine wichtige Rolle: Er erlaubt es ihnen, zu zweifeln. Und damit auch ihre eigenen Zweifel zuzulassen. Natürlich nur, solange am Schluss die Glaubensgewissheit nicht darunter leidet:

Diese Begegnung beflügelt letztlich auch ihn die Botschaft Jesu in die Welt zu tragen. Ich bin froh, dass es den zweifelnden Thomas gibt, der erst nach handfesten Beweisen glauben will. Ich erkenne mich in ihm. Zweifel lassen tiefer fragen, bringen letztlich nach vorne.

Wer die Botschaft Jesu in die Welt tragen möchte, der muss mit dem Zweifeln ja spätestens dann aufhören, wenn die Zweifel so stark werden, dass sie die Glaubensgewissheit so grundlegend in Frage stellen, dass der Gläubige seine religiöse Phantasiewirklichkeit nicht mehr aufrecht erhalten kann, sie eigentlich redlicherweise aufgeben und sich eine neue Basis für seine Weltanschauung aneignen müsste.

Das wiederum ist ein Schritt, den man in der Regel nicht eben mal so nebenbei geht. Zumeist verläuft die Entwöhnung von religiösem Glauben über einen längeren Zeitraum. Oder eben auch gar nicht.

Missing the point

Es ist gut, dass Jesus ihn auffordert, die Finger in die Wunde zu legen. Durch Thomas erfahren wir erst, wie Jesus mit seinen Wunden umging. Er zeigt seine Wunden, lässt sie berühren und führt so Zweifelnde zum Glauben.

Die Quintessenz dieser Geschichte ist eben nicht, dass Jesus seine Anhänger durch handfeste Beweise überzeugt.

Vielmehr verlangt er ausdrücklich von ihnen, auch dann an ihn zu glauben, wenn sie nicht nur seine Wunde nicht berührt, sondern auch dann, wenn sie ihn nicht mal gesehen haben.

Ein schlauer Trick: Denn die überwältigende Mehrheit der zukünftigen Schäfchen würde den Meister ja nie zu Gesicht bekommen. Und die können sich dank der Legende vom „ungläubigen Thomas“ bis heute darauf berufen, dass Jesus ihm ja angeboten hatte, sich höchstpersönlich von den Wunden des göttlichen zweiten Drittels durch Befingern derselben zu überzeugen.

Bei Christen wie Herrn Buß scheint das bis heute als überzeugendes Argument für die Authentizität der Geschichte zu gelten.

Zweifeln verboten!

Es finden sich auch Religionsverkünder, für die Zweifel gar strikt verboten ist:

  • Der Zweifel ist eine große Gefahr. Wir sind uns vielleicht nicht klar genug darüber, wie ernst es ist, wenn wir beginnen zu zweifeln. Wie oft machen wir uns selbst Schwierigkeiten, die der Feind dann eifrig gegen unsere eigene Seele und gegen Gott benutzt! […]
  • Das Wort Gottes an sich ist nicht nur immer richtig, sondern auch voller Licht (Ps 19,8).
    (Quelle: Vertrauen erlaubt – Zweifeln verboten, William Kelly via bibelstudium.de)

Wie so oft, bietet die Bibel auch zum Thema Zweifel gänzlich widersprüchliche Aussagen. So kann sich jeder aussuchen, ob er Zweifel cool oder doof finden möchte.

Nekrophilie?

Wie Thomas darf sich jeder Mensch an Jesus herantasten, den Finger in seine Wunden legen, um einen ganz persönlichen Zugang zu Jesus zu finden.

Genau so siehts aus: Das Herumfummeln an Jesus‘ Wunden darf nur dazu führen, „um einen ganz persönlichen Zugang zu Jesus zu finden.“ Und natürlich keinesfalls dazu, womöglich den Ausgang aus dem Glaubensgebäude zu finden.

Von solchen Berührungen geht heilende Kraft aus. In einer Welt des stummen Nebeneianders, in einer Zeit, wo jede und jeder sich cool gibt, sich bemüht, zum anderen möglichst Distanz zu halten, werden solche Berührungen, die helfen und heilen, die einfach gut tun, immer seltener.

Dass es aktuell sinnvoll und geboten ist, zu anderen Menschen möglichst Distanz zu halten, und zwar nicht aus Coolness-Gründen, sondern um Infektionsketten zu unterbrechen, haben Sie aber schon mitbekommen, Herr Buß, oder?

Dass Sie sich für einen Beruf entschieden haben, der Ihnen vorschreibt, fiktive und rein einseitig eingebildete göttliche Nähe der echten, menschlichen Nähe vorzuziehen, ist Ihr persönliches Problem. Augen auf bei der Berufswahl!

Spaß beiseite: Man braucht kein Psychologe zu sein um sich vorstellen zu können, dass ein Verbot von körperlicher Nähe und zwischenmenschlicher Berührung negative Auswirkungen auf die Psyche haben kann.

Bedenkliche Vorstellungen

Beichte
Quelle: Martin Perscheid*

Vielleicht ist es Ihnen auch entgangen, dass Menschen heute, abgesehen von den aktuellen Corona-bedingten Einschränkungen mehr Möglichkeiten denn je haben, miteinander in Kontakt zu kommen und zu bleiben.

Und Sie können sicher sein: Außerhalb Ihrer zölibatären Welt wird umarmt, gestreichelt, gefummelt und geliebt was das Zeug hält. Und wer das nicht möchte, möge sich gerne zurückziehen oder anderweitig vergnügen.

Wer sich vom Berühren von Wunden für sich eine heilende Kraft verspricht, sollte vielleicht mal mit jemandem darüber sprechen, der hier professionell weiterhelfen kann. Ein Psychologe oder Psychiater kann sicher herausfinden, was die Ursache einer solch bizarren Vorstellung sein könnte, die man wohl als Pligíphilie bezeichnen könnte. Oder trifft es Wundfetisch besser?

Sollte sich Ihr Faible für das Berühren von Wunden auf die des von Ihnen geglaubten und angebeteten Gottessohnes beschränken: In der biblischen Legende berührt niemand diese Wunden. Das ist ja gerade der Clou an der Geschichte. Sie sollen doch glauben, ohne in irgendwelchen Wunden herumzupuhlen! Womöglich auch noch mit verkeimten Fingern – wobei das bei dem Zustand, in dem sich Jesus zu dieser Zeit befunden haben soll vermutlich auch egal wäre.

Aber auch in ihnen ereignet sich Ostern – Auferstehung.

In Wunden ereignet sich Auferstehung? Idealerweise ereignet sich in Wunden Wundheilung. Die gelingt am besten, wenn man keine Leute daran herummanipulieren lässt, um ihre Glaubenszweifel zu zerstreuen.

Finger in die Wunde

Wenn man Christen damit konfrontiert, dass ihr Gott, genauso wie alle anderen Götter auch bis zum Beweis des Gegenteils Phantasievorstellungen sind, die sich Menschen aus Unwissenheit, Angst und Hoffnung heraus zu bestimmten Zwecken erdacht hatten, dann fühlt es sich für sie oft so an, als ob ihnen jemand „den Finger in die Wunde“ legt.

Oder auch, wenn man sie daran erinnert, dass die Welt bei objektiver Betrachtung nicht so aussieht, als sei sie das Werk eines allmächtigen und allgütigen Schöpfergottes.

Und auch gerade die katholische Kirche liefert mehr als genug Punkte, die, um wieder im Bild zu bleiben nicht nur wund, sondern nekrotisch, entzündet und stinkend sind.

Religiöser Glaube ist, um auch hier im eingangs von Pfarrer Buß gewählten Bild zu bleiben, eine „wunde Stelle.“ Die man vor kritischen Nachfragen („Finger“) am liebsten verstecken möchte. Weil man das unangenehme Gefühl vermeiden möchte, dass die kognitive Dissonanz (ich will oder muss an einem Weltbild festhalten, das nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmt) mit sich bringt.

*Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von Martin Perscheid

 

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1 Gedanke zu „Gedanken zu: Impulse von Stadtpfarrer Buß: „Den Finger in die Wunde legen!““

  1. Jetzt steck ich schon über beide Ellenbogen in den verknöcherten Überresten eines 2000 Jahre alten Kadavers, und habe immer noch keine Ahnung, ob der Staub der sich unter meinen Nägeln sammelt tatsächlich die Essenz eures Heilands darstellt!?

    Tja, kann man nix machen, war vielleicht der falsche Leichnam…
    Also frohen Mutes auf zum nächsten Grab, weiterbuddeln!

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