Wort zum Wort zum Sonntag zum Thema Deutung von Vorzeichen: Kopf hoch!

Lesezeit: ~ 7 Min.

Wort zum Wort zum Sonntag zum Thema Deutung von Vorzeichen: Kopf hoch!, gesprochen von Benedikt Welter (kath.), veröffentlicht am 24.11.2016 von ARD/daserste.de

Turbulent beginnt der Advent mit Sätzen wie diesen: „Ein Volk wird sich gegen das andere erheben und ein Reich gegen das andere. Es wird gewaltige Erdbeben und an vielen Orten Seuchen und Hungersnöte geben; schreckliche Dinge werden geschehen und am Himmel wird man gewaltige Zeichen sehen.“ (Lk 21, 10-11) Hört sich an wie eine Zusammenfassung der aktuellen Nachrichtenlage. Klingt nach Aleppo, Mittelitalien, Somalia und H5N8, dem Vogelgrippevirus. Ist aber O-Ton Jesus.*

Die Formulierung „O-Ton Jesus“ suggeriert, es handle sich dabei um etwas, was eine historische Person tatsächlich und nachweislich mal gesagt hätte. Vom historisch möglicherweise belegbaren Jesus von Nazaret, dem jüdisch-aramäischen Endzeitsektenführer, gibt es keine einzige zeitgenössische schriftliche Aufzeichnung dessen, was dieser gesagt hat.

Schon die ersten schriftlich festgehaltenen Geschichten gehen auf mündliche Überlieferungen zurück. Weitergegeben von Menschen, die überwiegend Analphabeten waren und zu einem ungebildeten, primitiven Wüstenvolk gehörten. Diese Geschichten wurden in der Folge mit Mythen und Legenden ausgeschmückt, die aus den „Biografien“ früherer angeblicher Gottessöhne übernommen worden waren. Und zusätzlich wurden diese Geschichten durch Deutung, Interpretation, Übersetzung und Abschriften unzählige Male weiter verändert und passend gemacht.

Jesus hat sich gründlich geirrt

Dennoch entspricht das Beschriebene vermutlich dem, was Jesus tatsächlich verkündigt haben könnte. Er dürfte davon überzeugt gewesen sein, dass die Ankunft des von ihm angenommenen Gottes tatsächlich kurz bevor stand:

  • Amen, ich sage euch: Diese Generation wird nicht vergehen, bis alles eintrifft. (Lk 21, 32 EU)

DeutungHeute, knapp 2000 Jahre später, können wir mit Fug und Recht behaupten, dass sich Jesus mit seiner ganzen Mission gründlich geirrt hatte. Wie alle anderen Endzeitprediger bisher auch.

Das Deuten von Zeichen ist in vielen Kulturen und Religionen von großer Bedeutung. Kein Wunder: Phänomene und deren Zusammenhänge frühzeitig zu erkennen, erhöht die Überlebenschancen. Das gilt für die Unterscheidung von Freund oder Feind genauso wie für die Beobachtung natürlicher Ereignisse zur Bestimmung der Zeit für Aussaat und Ernte. Je näher die Deutung von Wahrnehmungen an der Realität ist, desto nützlicher ist diese.

Zu einer Zeit, in der sich die Menschheit verglichen zu heute noch in einem Frühstadium ihrer Entwicklung befand, verfügte man erst über ein äußerst begrenztes Wissen darüber, wie Dinge zusammenhängen und funktionieren. Dieses Nichtwissen muss so unerträglich gewesen sein, dass man bereit war, göttliches Wirken als plausibelste Ursache für unerklärliche Ereignisse anzunehmen.

Natürlich haben sich auch andere Menschen gründlich geirrt. Auch Deutungen von Wissenschaftlern, Philosophen und anderen Denkern haben sich manchmal als völlig falsch erwiesen. Deshalb ist es so wichtig, dass Annahmen, die durch neue Erkenntnisse als falsch erkannt wurden, auch aufgegeben werden. Das ist bei Religionen nicht der Fall. Bestes Beispiel sind die Dogmen der römisch-katholischen Kirche.

Deutung von Zeichen: Chancen und Risiken

Dabei spielt das Erkennen von Mustern eine wichtige Rolle. Auch diese Eigenschaft hatte sich in der Evolution bewährt. Das Gehirn vereinfacht die Verarbeitung von Wahrnehmungen, indem es versucht, neue Wahrnehmungen in einen Bezug zu schon Erlerntem zu bringen. Es beschleunigt und erleichtert die Einordnung neuer Eindrücke, wenn diese in einen Sinnzusammenhang gebracht werden können.

Dazu kommen noch eine ganze Reihe anderer Eigenschaften des Gehirns, die für die Deutung von Wahrnehmungen wichtig sind. Zum Beispiel die persönliche Präferenz: Was uns gut gefällt oder unseren Vorstellungen entspricht, bekommt einen anderen Stellenwert als etwas, was wir nicht mögen oder noch nicht einordnen können. Etwas erscheint uns wahrer und plausibler, wenn es unsere Vorurteile bestätigt.

Diese evolutionär bewährten Strategien beschleunigen und vereinfachen wiegesagt das Denken. Und erhöhen damit die Überlebenschancen. Aber sie bringen auch Risiken mit sich. Nämlich etwa dann, wenn die Voraussetzungen, von denen das Gehirn ausgeht, nicht der Realität entsprechen.

Denn wer zum Beispiel überzeugt davon ist, dass es ein unsichtbares übernatürliches Wesen gibt, das alles lenkt und leitet, der wird vermutlich in jeder Wahrnehmung eben dieses Wirken „erkennen.“ Dieser Denkfehler wird als „Bestätigungsfehler“ oder engl. „confirmation bias“ bezeichnet.

Wenn der Unterschied zwischen Wunsch und Wirklichkeit so groß ist, dass er die alltägliche Lebensführung beeinträchtigt, spricht man von einer Wahnerkrankung.

Da keiner der tausenden Götter, die sich die Menschheit schon ausgedacht hat, auch nur einmal seriös belegbar irgendwie in Erscheinung getreten ist, spricht natürlich nichts dafür, dass auch nur einer dieser Götter tatsächlich existiert. Und auch noch aktiv das irdische Geschehen lenkt und leitet. Sicher ausgeschlossen werden kann die Existenz eines Gottes mit den Eigenschaften, die ihm in der Bibel zugeschrieben werden.

Das wird ein ganz harter Winter!

Auch andere Gründe können eine Deutung wertlos machen oder verfälschen. Wenn etwa Ursache und Wirkung durcheinandergebracht werden, wie in diesem alten Witz:

  • Gehen zwei Indianer zu ihrem Medizinmann und fragen: “Kannst Du uns sagen, wie in diesem Jahr der Winter wird?“ Der Medizinmann schmeißt einen Haufen kleiner Steinchen auf den Boden und sagt: “Das wird ein sehr kalter Winter, sammelt viel Holz zum Heizen.“
    Am anderen Tag kommen noch einige Indianer zu ihm und fragen dasselbe. Auch ihnen sagt er: “Sammelt viel Holz. Auch von anderen Stämmen kommen die Indianer und immer sagt er dasselbe. “Sammelt viel Holz!“ Doch der Medizinmann ist sich nicht ganz sicher. Er denkt sich: “Ich muss doch mal beim Wetteramt anrufen, ob das denn auch richtig ist.“
    Gesagt – getan. Er geht zum Telefon und fragt den Herrn vom Wetteramt: “Können Sie mir bitte sagen, wie in diesem Jahr der Winter wird? “ Der Herr vom Wetteramt antwortet ihm: “Das wird ein ganz harter Winter! Die Indianer sammeln Holz wie die Verrückten.“
    (Quelle: kidsweb.de)

Dieses Beispiel zeigt, wie wichtig es ist, die Dinge möglichst genau zu durchschauen, um sie tatsächlich sinnvoll und nützlich interpretieren zu können, sodass die Ergebnisse auch möglichst genau der Realität entsprechen.

DAS ist es?

Ist doch eher erschreckend. Jedenfalls, wenn es nicht auch das zu hören gäbe: „Wenn (all) das beginnt, dann richtet euch auf, und erhebt eure Häupter; denn eure Erlösung ist nahe.“(Lk21,28) DAS ist es.

DAS war der große Irrtum von Jesus. Denn bis heute ist von einer Erlösung, wie sie in der Bibel angekündigt wird, weit und breit nichts zu sehen. Kein Gott ist auf die Welt gekommen, zu richten oder was auch immer Götter so machen, wenn sie auf die Welt kommen.

Aus dieser Not heraus, und um die neu erfundene Religion vor dem Verschwinden zu retten, machte man schließlich kurzerhand einfach den Verkünder zum Verkündeten. Plötzlich kam Jesus die Rolle des Erlösers zu. Eine unsägliche Blasphemie für einen streng gläubigen jüdischen Rabbi wie Jesus. Der sich sicher im Grabe umdrehen würde, wenn er wüsste, dass man ausgerechnet ihn posthum zum Gottessohn gemacht hatte.

Über einen Jesus existierten zumindest schon mal einige Geschichten, an denen man anknüpfen konnte. Und genau das tat man, wie Bibelforscher heute belegen können. Aus Jesus, dem Propheten wurde Jesus, der Gottessohn. Der wahlweise auch selbst das zweite Drittel von Gott sein kann. Oder der wahlweise schon erlöst hat oder noch erlöst. Oder sein Vater. Wie’s beliebt.

Das Ende ist nah…

Seit dieser Zeit hat wohl jede Generation Gläubiger gemeint, im jeweils aktuellen Weltgeschehen diese in der Bibel genannten Vorzeichen der Apokalypse zu erkennen. Jede Naturkatastrophe, jeder Krieg, jede Seuche, jede Hungersnot wurde als unmissverständliches Zeichen Gottes gewertet: Jetzt ist es bald soweit, es kann nicht mehr lange dauern. Macht euch bereit.

Diese Vorstellung machte es sicher auch leichter, mit all dem irdischem Unbill zurande zu kommen: Das gehört so, das muss so sein. Dafür kommt ja dann auch Gott, um uns zu erlösen und um die Gottlosen endlich mit ewiger Höllenqual zu bestrafen…

Die Hoffnung auf eine ausgleichende Gerechtigkeit dürfte für viele Menschen selbst dann trostreich gewesen sein, wenn sie diese als völlig unlogische und absurde Illusion durchschaut hatten.

Denn die Frage, warum ein angeblich allmächtiger, allwissender und allgütiger Gott bis heute keine andere Möglichkeit als das Verursachen von Katastrophen hat um sein Erscheinen anzukündigen, stellen sich dabei wohl die wenigsten.

Darauf kommt es mir an. Das ist mein Advent: Kopf hoch. Die Welt so sehen, wie sie ist.

Herr Welter, wie bringen Sie die Absicht, die Welt so zu sehen, wie sie ist mit dem Glauben an überirdische, unsichtbare Wesen in Einklang?

Die Zukunft hat ein Gesicht

Und das zu erkennen versuchen, was ist. Sich nicht wegducken. Sich nicht schöntrinken, schöngrünen und wegbacken.

– oder wegbeten.

Wenn all das anfängt, dann: Kopf hoch! Erlösung ist nah! Anders gesagt: da ist noch Zukunft. Und diese Zukunft ist nicht anonym blind. Diese Zukunft hat für mich ein Gesicht und einen Namen: Diese Zukunft heißt für mich Jesus.

Ich finde es geradezu frappierend zu sehen, wie Sie einerseits eine rationale Sichtweise fordern, andererseits aber trotzdem an Ihrer religiösen Scheinwirklichkeit festhalten. Es muss Ihnen doch auffallen, dass Sie nicht gleichzeitig an einer hoffnungsvollen Illusion von einem erlösenden Gott festhalten können, wenn Sie andererseits fordern, die irdische Wirklichkeit als solche zu akzeptieren?

Natürlich ist es Ihnen überlassen, ob Sie Katastrophen und Missstände mit einem Schulterzucken als notwendige oder zumindest unvermeidbare Vorzeichen der Ankunft Ihres lieben Gottes hinnehmen. Des Gottes, der laut Deutung der biblischen Legende aber doch eigentlich schon längst in Gestalt von Jesus angekommen war und erlöst hatte?

Es ist Ihre Sache, ob Sie sich weiterhin von einer bestenfalls hoffnungsvollen Illusion in die Irre führen lassen. Und dabei trotzdem optimistisch sind, obwohl Sie sich ja eigentlich mit Furcht und Zittern um Ihr Heil mühen sollten (Phil 2,12 EU).

Aber wenn Sie ernsthaft auf eine göttliche Erlösung hoffen, dann wird Ihr Appell, die irdische Realität rational und objektiv zu betrachten, zur Farce.

Die Welt erkennen, wie sie ist

Geschenke kaufen, Weihnachtsmärkte besuchen, Wohnung schmücken; all das will ich auch tun, um die Welt zu erkennen, wie sie ist.

Wenn Sie weiterhin Ihr Geld als Pfarrer verdienen möchten, dann dürfen Sie dieses Vorhaben nicht konsequent verfolgen. Denn dann kämen Sie recht schnell zu der Erkenntnis, dass der von Ihnen behauptete Gott nichts weiter als eine rein menschliche Fiktion ist. Wie alle anderen angeblichen Götter auch.

Und damit wäre Ihre Berufsgrundlage hinfällig. Deshalb werden Sie wohl auch weiterhin an der Deutung des Weltgeschehens als Zeichen Ihres Gottes festhalten müssen.

Und in alldem erkennen, da kommt noch was. Da muss noch mehr kommen… Genauer: da kommt noch wer! Und deshalb: Kopf hoch!

Und zack – schon bestätigen Sie, was ich gerade noch vermutet und weiter oben auch schon beschrieben hatte: An die Stelle von rationalem, kritischen Denken tritt die kindlich-naive Hoffnung auf einen Erlöser, der ja irgendwie irgendwann noch kommen soll. Nach dem selben Schema funktionieren auch Wahlsiege von Politikern, die versprechen, ihr Land wieder groß zu machen.

Mir scheint ein solcher adventlicher Auftakt und Start in den Advent hilfreicher als alle Ansammlung von Verschwörungstheorien, Sündenböcken und gefühlten Weltlagen. Dann lieber der nüchtern realistische Jesus O-Ton. Und da mittendrin und als Konsequenz aus den kaum erträglichen Fakten und Wirklichkeiten: „Kopf hoch. Zukunft naht!“

Herr Welter, merken Sie wirklich nicht, dass religiöse Heilsversprechen genauso irreal und absurd sind wie Verschwörungstheorien? Dass Sündenböcke genau der biblischen Bezeichnung für Un- und Andersgläubige entspricht, die im Rahmen Ihrer Erlösung auf ewig bestraft werden? Und dass es sich bei der Deutung von Katastrophen als Vorzeichen dieser Erlösung eben gerade um eine gefühlte Weltlage handelt?

Auf Weihnachten hin

Ich nehme diese Welt um mich herum mit auf meinen Weg zur Krippe. Auf Weihnachten hin.

Wie wärs statt einer nebulös-verklärenden, sinnfreien Phrase mit einem konkreten Plan? Zum Beispiel, die gestellten Forderungen auch selbst zu befolgen? Also vielleicht mal die Adventszeit zu nutzen, sich von der religiösen Scheinwirklichkeit zu befreien? Die Welt so zu sehen, wie sie wirklich ist?

Und zu beginnen, sich nicht länger auf Phantasiewesen zu verlassen? Sondern auf den eigenen Verstand, die Vernunft, das Wissen und auf die eigenen Fähigkeiten und Möglichekeiten? Oder allgemein: Den Glauben an einen erfundenen Gott ersetzen durch einen Glauben an die Entwicklungsfähigkeit des Menschen?

Denn ob laut der Mythologie Ihrer Religion da noch WER kommt oder nicht, spielt für die irdische, natürliche Wirklichkeit keine erkennbare Rolle.

*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Originalartikel.

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