Ein Moment… Gedanken zu NACHGEDACHT 205 zu Nightfever Fulda

Lesezeit: ~ 3 Min.

Im NACHGEDACHT-Beitrag Nr. 205 (Originalartikel veröffentlicht am 11.12.2016 von Osthessennews) berichtet die Autorin Christina Lander von ihrem Spontanbesuch der Nightfever-Aktion in der Fuldaer Stadtpfarrkirche.

Und nachdem wir die Kerzen angesteckt hatten und die Bitte nach oben ausgesprochen war, genoss ich noch einmal vollends diese wahnsinnige Kulisse.

¨Wahnsinnig¨ ist eine interessante Beschreibung für diese Schilderung. Aber weniger die stimmungsvolle Kulisse mit Kerzenschein und feierlicher Stille erfüllt meiner Meinung nach den Tatbestand des Wahnsinns. Sondern viel mehr die Vorstellung, dass ein erwachsener, ansonsten aufgeklärter Mensch im 21. Jahrhundert offenbar allen Ernstes eine ¨Bitte nach oben¨ ausspricht.

Denn wer das tut, geh von gleich mehreren Voraussetzungen aus, die mit der irdischen Wirklichkeit, mit Verstand und Vernunft nicht wirklich in Einklang zu bringen sind.

Wahnsinn

Um jemanden oder etwas sinnvollerweise um etwas bitten zu können, sollte dieser oder dieses zunächst mal existieren. Dafür gibt es im Fall von dem, was hier vermutlich mit ¨oben¨ gemeint ist, keinen einzigen seriösen Anhaltspunkt. ¨Oben¨ kann somit alles Beliebige sein.

Wenn wir dieses Kriterium mal außer acht lassen, stellen sich weitere Fragen (bzw. sollten sich stellen). Denn unterstellen wir mal für einen Moment, es gäbe tatsächlich ein spezifisches ¨Oben.¨ Welche Eigenschaften müsste es haben?

Es müsste in der Lage sein, Bitten, die Spontanbesucher der Nightfever-Aktion in Fulda zu hören. Nach christlicher Auffassung wäre es sogar in der Lage, nicht ausgesprochene Bitten zu hören. Und zwar nicht nur die aus Fulda. Sondern die Bitten aller Menschen. Die Frage, ob sich auch andere Spezies etwas wünschen dürfen, wird unterschiedlich beantwortet. Meist gelten solche Privilegien aber nur für Homo sapiens.  Pech für Pflanzen, Tiere und Vorgänger wie Neandertaler. Oder Homo erectus.

Ein allmächtiges, allwissendes und allgütiges Wesen um etwas bitten?

Weiterhin wäre es natürlich wünschenswert, dass dieses Wesen auch tatsächlich willens und in der Lage ist, Bitten zu erhören. Hier lauert schon die nächste Falle. Denn angeblich verfolgt das christliche ¨Oben¨ ja einen bestimmten Plan.

Damit kann es ja nur zwei Möglichkeiten geben: Entweder, etwas entspricht Gottes Plan. Dann geschieht es sowieso. Oder, wenn es nicht Gottes Plan entsprechen sollte, dann wäre es doch höchst unwahrscheinlich, dass eine Nightfever-Bitte diesen Gott dazu verannlasst, seinen Allmachtsplan daraufhin zu ändern. Und der Bitte nachzukommen. Entgegen seines ursprünglichen Plans.

Wie man es dreht und wendet, welche falsche Voraussetzungen man auch bereit ist als wahr zu akzeptieren: Eine ¨nach oben¨ gerichtete Bitte kann, nüchtern betrachtet, nicht mehr sein als ein frommer (genauer: naiver) Wunsch. Eine hoffnungsvolle Illusion. Man kann sich genauso etwas von einer Sternschnuppe wünschen. Oder vom Kopf einer Sardine – wenn man fest dran glaubt.

Geht eine Bitte in Erfüllung, neigen Gläubige dazu, dies als Bestätigung der Wirksamkeit ihres Bittgebetes anzuerkennen. Im anderen Fall entschuldigt man seinen Gott gerne mit der angeblichen Unergründbarkeit seiner Wege.

Doch ob so oder so: Nichts davon ist tatsächlich ein Beleg dafür, dass überirdische Wesen ihre Finger oder was auch immer im Spiel hatten.

Natürlich sei es jedem zugestanden, sich die irdische Wirklichkeit um solche Vorstellungen beliebig zu erweitern. Die Gedanken sind frei. Nicht mal Götter kennen sie. Problematisch kann es erst werden, wenn jemand wirklich darauf vertraut, dass seine Bitten erhört werden. Und es deshalb unterlässt, etwas tatsächlich Wirksames zu unternehmen.

Sobald jemand ernsthaft davon ausgeht, dass die religiöse Scheinwirklichkeit tatsächlich Auswirkungen auf die irdische Realität hat (und zwar nicht nur in Form einer Autosuggestion, eines Placebo-Effekts), kann dies Folgen haben, die die Lebensführung negativ beeinflussen. Und genau das ist ein Merkmal von Wahnerkrankungen.

Nightfever – auch ohne Götter

Dass eine feierliche Stimmung mit Stille und Kerzenschein auf Menschen angenehm und erhebend wirken kann, lässt sich evolutionsbedingt erklären. Was natürlich die Besonderheit eines solchen Erlebnisses keineswegs schmälert.

Nach eigener Aussage nutzen die Nightfever-Veranstalter feierliche Effekte, um Menschen dazu zu bringen, diese positiven Empfindungen mit dem von ihnen behaupteten Gott (bzw. dessen Sohnes oder zweiten Drittels) in Verbindung zu bringen. Tatsächlich scheinen einige Menschen ein Defizit zu haben, was stille und feierliche Momente angeht.

Dabei sind Menschen auch ganz ohne Göttervorstellungen in der Lage, Stille, Kerzenschein oder auch Natur, Kunst und Musik als außergewöhnlich und erhebend zu empfinden. Selbst überzeugte Atheisten sind in der Lage, die schillerndsten Gottesvisionen zu erleben, wenn die dafür zuständige Hirnregion entsprechend stimuliert wird. Man geht davon aus, dass auch bestimmte Erkrankungen religiöse Visionen verursachen können. Somit ist die Bezeichnung ¨Nightfever¨ gar nicht so abwegig…

*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Originalartikel.
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