Selbstoptimierung – Das Wort zum Wort zum Sonntag

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Selbstoptimierung – Das Wort zum Wort zum Sonntag gesprochen von Alfred Buß (ev.), veröffentlicht am 14.1.2017 von ARD/daserste.de

[…] Immer hab’ ich [auf dem I-phone] ein ganzes Lexikon dabei, sogar die Bibel und vieles mehr. Eine intelligente Erfindung ist das, zweifellos – hilfreich im Alltag.

[…] Nach dem Unmöglichen sollen sie streben, denn das Menschenmögliche ist ja schon da.

Diesen Menschen ist es zu verdanken, dass wir heute einen wahrlich erstaunlichen Stand des Menschenmöglichen erreicht haben. Und auch, dass das, was vor wenigen Jahren noch als unmöglich galt, heute bereits zum Alltag gehört.

Auch zum Alltag von Herrn Buß, wenn er modernste Technik zum Beispiel dazu nutzt, eine archaische Geschichtensammlung mit sich herumzutragen.

Die jungen Forscher tun alles, dem zu genügen: Rund um die Uhr an Lösungen tüfteln, sich optimal ernähren, bewegen, weiterbilden. Das Leistungsprinzip übertragen sie auf ihr ganzes Sein – mit fast religiösem Eifer.

Der Unterschied zu religiösem Eifer ist, dass die Ziele, die Entwickler im Silicon Valley verfolgen, in der irdischen Wirklichkeit angesiedelt sind. Und den Menschen einen tatsächlichen Nutzen bringen. Sie bemühen sich um funktionierende Lösungen für reale Probleme. Somit ist ihr Eifer nicht vergebens, wie der eines Menschen, der seine Energie in die religiöse Scheinwelt steckt.

Wenn sich die Entwickler im Silicon Valley optimal ernähren, bewegen und weiterbilden, dann scheint diesen Leuten bewusst zu sein, welch hohen Stellenwert ihre Gesundheit hat. Diese Aspekte kennzeichnen eine Selbstoptimierung, die diese Bezeichnung zu Recht verdient.

Über alle Grenzen hinweg

Hätte das Silicon Valley ein Glaubensbekenntnis, so könnte es lauten: „Ich gehe über alle Grenzen hinweg, optimiere mein start-up – und mich selbst.“ Ihr Leben findet fast nur im Labor statt. Lösungsfindung und Selbststeigerung sind der Weg zum Erfolg.

Herr Buß, was denn nun: Erst optimale Ernährung, Bewegung und Weiterbildung, jetzt auf einmal ein Leben, das fast nur im Labor stattfindet? Kann es sein, dass Sie diesmal nicht so wirklich wussten, wogegen sich Ihre Kritik eigentlich richten soll?

„Mönche der Arbeit“ hat das mal jemand genannt.

Wer denn und in welchem Zusammenhang? Ich konnte diese Bezeichnung jedenfalls nirgends finden. Oder haben Sie sich das vielleicht nur als Überleitung zu Luther ausgedacht?

Jahre der Qual

So auch der echte Mönch Luther vor 500 Jahren. Er will sich besser machen, so richtig gut. Will Gottes Ansprüchen genügen. […]Und merkt nach Jahren der Qual: Ich kann mich nicht selber perfekt machen. Alles aus sich herausholen ist eine Schraube ohne Ende. Die führt nicht in die Freiheit, sondern in die Selbstversklavung.

Freiheit ist ja auch gar nicht das Ziel, das Religionen Menschen in Aussicht stellen. Religion bedeutet das sorgfältige Einhalten von Vorschriften und Geboten. Eben nicht um ihrer selbst, sondern um Gottes (angeblichen, erfundenen, fiktiven) Willen versklaven sich Menschen, indem sie ein vermeintlich gottgefälliges Leben führen.

Dass kein Gott jemals mitgeteilt hat, wie er sich ein solches Leben eigentlich vorstellt, hat zur Folge, dass sich diese Menschen in Wirklichkeit dem Willen derer unterwerfen, die behaupten, Gottes Wille zu kennen.

Gottvertrauen führt in die Unfreiheit

Und was führt in die Freiheit? Gottvertrauen.

Das Gegenteil ist der Fall. Gottvertrauen führt in die Unfreiheit. In Abhängigkeit von eben diesem (freilich nur behaupteten) Gott. Glaube schränkt den klaren Verstand und das selbständige Denken ein. Denn religiöser Glaube bedeutet immer einen Denkverzicht. Spätestens wenn es an die grundlegende Frage geht, ob der behauptete Gott denn überhaupt existiert. Und zwar mit den behaupteten Eigenschaften.

Noch kein Gott hat jemals auch nur einmal seriös belegt irgendwie ins irdische oder sonstige Geschehen eingegriffen. Deshalb bedeutet Gottvertrauen, auf ein Phantom zu vertrauen. Ein von Menschen erdachtes und konstruiertes Gedankenkonstrukt. Gottvertrauen ist also eine bestenfalls hoffnungsvolle Illusion.

[…] Endlich fällt es dem Mönch Martin wie Schuppen von den Augen: Nicht mit Erwartungen und Ansprüchen kommt Gott auf mich zu, sondern mit offenen Armen.

Kein Wunder. Und auch kein Problem. Denn Gott ist eine beliebig definierbare Größe. Wem es nach 7 Jahren Kloster mit unmenschlichen und lebensfremden Lebensbedingungen mit einem Gott, der täglich ab 3 Uhr morgens verehrt werden möchte, zu bunt wird, der erfindet sich einfach einen sympathischeren.

Besonders praktisch: Das einzige Buch, das als übergeordnete Wahrheit und Grundlage zur Verfügung steht, bietet genug grundverschiedene Aussagen für praktisch jedes beliebige Gottesbild.

Luthers Selbstoptimierung bestand also darin, nicht sich, sondern sein Gottesbild zu optimieren. Nach seinen persönlichen Wünschen und Vorstellungen.

Selbstoptimierung

Gott wurde Mensch. In Christus kommt Gott mir selber entgegen. Ihm ist nichts Menschliches fremd. Alles kann ich ihm anvertrauen. Auch meine Versagensängste und meine Aufschneiderei. Gott muss ich nichts vormachen, kann ich gar nicht – bei ihm darf ich sein.

Na, das klingt doch schon gleich viel entspannter. Besonders, wenn man in der Vorstellung lebt, dass dieser Gott nach seinen eigenen Maßstäben dereinst die Menschen belohnen oder bestrafen würde. Und zwar unabhängig davon, was diese zu Lebzeiten so veranstaltet haben. Oder eben auch nicht. Verglichen mit dem damals verbreiteten Gottesbild war dieser imaginäre Freund sicher wesentlich angenehmer.

Denn die Entscheidung darüber, ob jemand im Leben alles richtig gemacht habe oder nicht, hatte Luther ja an Gott übergeben. Und deshalb sprach ja genaugenommen auch gar nicht so viel dagegen, sein Leben vielleicht doch wenigstens ein bisschen zu genießen. Selbstoptimierung für sich selbst.

Vertrauen – in wen oder was?

Sie werden das kennen: Wo Vertrauen herrscht, werden andere Geschichten erzählt. Nicht nur die von Erfolgen und Auszeichnungen, auch die von Fehlschlägen und Flops. Mit erlösendem Lachen. Ja, wo Vertrauen herrscht, wird gelacht. Und Lachen fördert die Kreativität. Hoffentlich auch im Silicon Valley.

Hätten Menschen nicht aufgehört, auf fiktive Phantasiewesen zu vertrauen statt auf ihre eigenen Fähigkeiten, so müsste Herr Buß seine Bibel auch heute noch sehr wahrscheinlich als handgeschriebenes Manuskript mit sich herumtragen.

Wenn es nicht Menschen gegeben hätte, die die natürliche Welt erforschten, statt falsche Dogmen kritiklos für wahr anzuerkennen. Auch wenn das Christentum diese Vordenker, Forscher und Denker nicht selten mit einer Lebend-Feuerbestattung für ihre Erkenntnisse „belohnte“, wenn wiedermal eine weitere christliche Lehre als falsch entlarvt worden war.

Es waren Menschen, die ihre Erkenntnisse nicht aus einer vormittelalterlichen Geschichtensammlung, sondern aus der natürlichen Wirklichkeit gewannen. Mit wissenschaftlichen Methoden. Und mit Kreativität und Selbstvertrauen. Nicht mit Gottvertrauen.

Was will er uns eigentlich sagen?

Mir ist nicht ganz klar, was Herr Buß in seiner heutigen Verkündigung eigentlich mitteilen wollte. Irgendwie scheint er Selbstoptimierung, also das Streben nach einem glücklichen und erfüllten Leben, kritisieren zu wollen. Offenbar verwechselt er Selbstoptimierung mit (Selbst-)Überforderung.

Der Vergleich zwischen Menschen, die sich für Fortschritt und Erkenntnis einsetzen und einem Martin Luther, der sich nicht länger einem überaus unangenehmen und die persönliche Freiheit massiv einschränkenden Wesen unterwerfen wollte und ihn sich deshalb nach seinen Wünschen umimaginiert hatte, erschließt sich mir nicht.

Während sich die Theologie heute noch immer mit den selben Scheinproblemen befasst wie anno Tobak, haben andere Menschen derweil mal das i-Phone für Herrn Buß entwickelt und gebaut. Unter anderem.

Wenn Herr Buß im seinem Schlusswort den Entwicklern im Silicon Valley zumindest indirekt mangelndes Vertrauen und Probleme mit Scheitern unterstellt, kann man daraus nur schließen, dass er möglicherweise nicht allzuviel von dem weiß, worüber er hier redet.

Diese Menschen vertrauen natürlich sehr wohl – auf ihre Kenntnisse und Fähigkeiten. „Fehlschläge und Flops“ werden nicht zu Dogmen oder zu Sünden erklärt. Sondern sie sind vielmehr wichtige und unvermeidliche Entwicklungsschritte. Ein Blick in die Evolutionsgeschichte könnte hier vielleicht weiterhelfen.

Und mangelnde Kreativität kann man ausgerechnet den Forschern und Entwicklern im Silicon Valley und anderswo wahrlich nicht vorwerfen. Schon gar nicht, wenn man noch an einen Gott aus der Bronzezeit und an eine Auferstehungslegende aus dem Vormittelalter glaubt.

*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Originalbeitrag.

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