Echte Liebe – Das Wort zum Wort zum Sonntag zum Thema Feindesliebe

Lesezeit: ~ 6 Min.

Echte Liebe – Das Wort zum Wort zum Sonntag zum Thema Feindesliebe, gesprochen von Christian Rommert (ev.), veröffentlicht am 11.2.2017 von ARD/daserste.de

[…] Jesus spricht in der Bergpredigt einmal darüber, wo für ihn echte Liebe endet. Er sagt: „Es heißt bei Euch: Liebt Eure Freunde und hasst Eure Feinde! Ich sage aber: Liebt Eure Feinde!“ Echte Liebe im Lebenskonzept Jesu endet nicht bei den eigenen Vereinsfarben. Nicht an der Stadtgrenze. Echte Liebe im Lebenskonzept Jesu endet nicht beim Gegner. Sie reicht unendlich weit. Sogar bis zu den eigenen Feinden.

FeindesliebeDas ist gar nicht so sicher, wie es Herr Christian Rommert (ev.) hier darstellt. Jedenfalls, wenn man die biblische Gesamtaussage betrachtet. Und nicht nur die Ausschnitte, aus denen man so etwas wie Feindesliebe herausdestillieren könnte.

Denn lässt man die unpassenden Stellen nicht weg, so ist es alles andere als klar, wen Jesus wohl tatsächlich mit „Feinden“ gemeint haben dürfte. Etliche Bibelstellen weisen darauf hin, dass es hier nur um die Feinde innerhalb der eigenen Gemeinschaft ging. Diese solle man lieben. Auch dann, wenn man eigentlich mit ihnen verfeindet ist.

Göttliche Feindesliebe? Fehlanzeige

Die anonymen Bibelautoren lassen ihren Jesus nämlich auch unmissverständlich und mehrfach klar stellen, wie mit Un- und Andersgläubigen zu verfahren sei. Und wie sich sein Gott diesen gegenüber verhält.

Mit denen braucht man nicht mal verfeindet zu sein, um sie zumindest zu verachten und gering zu schätzen. Wobei auch Jesus selbst gewisse Charakterzüge seines Vaters (bzw. der anderern zwei Drittel seiner Selbst) zu haben scheint:

  • [Jesus sagt:] Doch diese meine Feinde, die nicht wollten, dass ich ihr König werde, bringt her und macht sie vor mir nieder. (Lk 19,27 LUT84)

Feindesliebe predigen und gleichzeitig zur Ermordung derer, die sich nicht unterwerfen möchten aufzurufen, passt nicht zusammen.

Umgang mit Feinden in der Bibel

Generell finden sich in der Bibel zahlreiche Stellen, die die Vermutung nahe legen, dass für Götter und deren Söhne das mit der Feindesliebe eben nicht so gemeint ist, wie es Herr Christian Rommert gerne hätte.

Hier nur einige, praktisch beliebig vermehrbare Beispiele, die so gar nicht zur behaupteten christlichen Feindesliebe passen mögen:

  • [Jesus sagt:] Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Denn ich bin gekommen, den Menschen zu entzweien mit seinem Vater und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter. Und des Menschen Feinde werden seine eigenen Hausgenossen sein. Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert; und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert. (Mt 10, 34-38 LUT)
  • [Jesus sagt:] Lasst beides miteinander wachsen bis zur Ernte; und um die Erntezeit will ich zu den Schnittern sagen: Sammelt zuerst das Unkraut und bindet es in Bündel, damit man es verbrenne; aber den Weizen sammelt mir in meine Scheune. (Mt 13,30 LUT84)
  • Ich bin gekommen, ein Feuer anzuzünden auf Erden; was wollte ich lieber, als dass es schon brennte! (Lk 12,49 LUT84)
  • Er [Jesus] antwortete und sprach zu ihnen: Der Menschensohn ist’s, der den guten Samen sät. Der Acker ist die Welt. Der gute Same sind die Kinder des Reichs. Das Unkraut sind die Kinder des Bösen. Der Feind, der es sät, ist der Teufel. Die Ernte ist das Ende der Welt. Die Schnitter sind die Engel. Wie man nun das Unkraut ausjätet und mit Feuer verbrennt, so wird’s auch am Ende der Welt gehen. Der Menschensohn wird seine Engel senden, und sie werden sammeln aus seinem Reich alles, was zum Abfall verführt, und die da Unrecht tun, und werden sie in den Feuerofen werfen; da wird Heulen und Zähneklappern sein. (Mt 13,37-42 LUT84)

Das muss man im Kontext sehen!

Eine häufig angewendete Bewältigungsstrategie ist die Entgegnung, dass Beispiele wie diese ja „aus dem Zusammenhang gerissen“ seinen. Und dass man sie im zeitlichen und textlichen Zusammenhang sehen müsse. Dabei sind es gerade die christlichen Verkünder und Theologen, die das „Rosinenpicken“, also das Herauslesen von passend erscheinenden Stellen perfektioniert haben. Natürlich muss man die Texte dem Wissens- und Entwicklungsstand der Menschen dieser Zeit entsprechend sehen. Das muss dann aber für die gesamte Betrachtung gelten.

Wer meint, bei meinen Beispielen handle es sich um wenige Ausnahmen (für die Theologen selbstredend zahlreiche rhetorische Bewältigungstricks auf Lager haben), der irrt:

  • Aber er [Jesus] antwortete und sprach: Alle Pflanzen, die mein himmlischer Vater nicht gepflanzt hat, die werden ausgerissen. (Mt 15, 13 LUT84)
  • [Jesus erzählt ein Gleichnis] Da ging der König hinein, sich die Gäste anzusehen, und sah da einen Menschen, der hatte kein hochzeitliches Gewand an, und sprach zu ihm: Freund, wie bist du hier hereingekommen und hast doch kein hochzeitliches Gewand an? Er aber verstummte. Da sprach der König zu seinen Dienern: Bindet ihm die Hände und Füße und werft ihn in die Finsternis hinaus! Da wird Heulen und Zähneklappern sein. Denn viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt. (Mt 22, 8-14 LUT84)
  • [Jesus sagt:] Dann wird er auch sagen zu denen zur Linken (den Ungläubigen): Geht weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln! (Mt 25,41 LUT84)

Geht weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer

Fest steht: Zumindest der biblische Gott – auch der des Neuen Testaments – scheint ein grundlegend anderes Verständnis von Feindesliebe zu haben als Herr Rommert. Er postuliert Maßstäbe, die für seinen eigenen Umgang mit seinen Feinden nicht zu gelten scheinen.

Wie Verkünder, die meinen, aus der Bibel wertvolle Verhaltenstipps gewinnen zu können, vorgehen, um doch das gewünschte Ergebnis zu bekommen, lässt sich an dem folgenden Beispiel verdeutlichen. Ein oft und gern vorgebrachtes, angebliches Jesus-Zitat lautet:

  • [Jesus sagt:] Dann wird er ihnen antworten und sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr nicht getan habt einem von diesen Geringsten, das habt ihr mir auch nicht getan.

Soweit, sogut. Sei kein Egoist – kümmere dich auch um deine benachteiligten Mitmenschen. Auf diesen Standard war die Menschheit auch schon vor Christus und auch ohne Bibel gekommen. Verhalte dich mitmenschlich – und zwar um der Mitmenschen willen. Dass sich Christen genausoviel oder wenig daran halten wie andere Menschen auch, zeigt ein Blick in die Geschichte bis hin zur Gegenwart.

Gerne weggelassen wird der darauf folgende Satz, der da lautet:

  • Und sie werden hingehen: diese zur ewigen Strafe, aber die Gerechten in das ewige Leben. (Mt 25, 45-46 LUT84)

Um Gottes Willen?

Nicht etwa der Mitmenschen wegen solle man sich also um andere kümmern. Sondern um einer angeblichen ewigen Strafe zu entgehen. Nun wäre es natürlich wünschenswert, alle Menschen würden sich mitmenschlich verhalten. Nicht nur die, die sich vor einer erfundenen Dauerbestrafung eines imaginierten Götterwesens fürchten.

Aber wenn dieses Bestrafungskonzept heutzutage sowieso von vielen Verkündern weggelassen wird und sich eigentlich nur noch fundamentalistische Hardcore-Realitätsverweigerer ernsthaft vor einer solchen Bestrafung fürchten dürften: Wozu braucht man dieses ganze Hirngespinst überhaupt noch?

Feindesliebe nur innerhalb der eigenen Gemeinschaft

Es spricht also einiges dafür, dass Jesus mit seinem Aufruf zur Feindesliebe offenbar nur die Feinde innerhalb der Glaubensgemeinschaft gemeint haben dürfte.

Aber auch für das Verhältnis innerhalb der eigenen Gemeinschaft finden sich Aussagen von Jesus, die die archaischen und inhumanen Gesetze des Alten Testaments sogar noch verschärfen:

  • Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt ist (2. Mose 20,13; 21,12): »Du sollst nicht töten«; wer aber tötet, der soll des Gerichts schuldig sein. Ich aber sage euch: Wer mit seinem Bruder zürnt, der ist des Gerichts schuldig; wer aber zu seinem Bruder sagt: Du Nichtsnutz!, der ist des Hohen Rats schuldig; wer aber sagt: Du Narr!, der ist des höllischen Feuers schuldig. (Mt 5,21-22 LUT)
  • Denn Gott hat geboten (2.Mose 20,12; 21,17): »Du sollst Vater und Mutter ehren; wer aber Vater und Mutter flucht, der soll des Todes sterben.« (Mt15,4 LUT84)
  • Ich aber sage euch: Wer sich von seiner Frau scheidet, es sei denn wegen Ehebruchs, und heiratet eine andere, der bricht die Ehe. [Die Strafe für Ehebruch war damals Tod durch Steinigung.] (Mt 19,9 LUT84)

Stellen wie diese passen so gar nicht zum konstruierten Wunschbild des Friedensfürsten.

„Es ist sauschwer zu lieben“

[…] Und ist das nicht das ganze Problem – weit über den Fußball hinaus? Das Problem unserer Welt? Dass unsere Liebe immer bei dem endet, was wir kennen? Dass es viel leichter ist das Fremde zu hassen… und dass es sauschwer ist zu lieben.

Wenn etwas sauschwer ist, dann wäre es vielleicht hilfreich, mal zu überlegen, warum das so sauschwer ist. Und dann könnte man darauf kommen, dass es schlicht unrealistisch ist, alle zu lieben.

Aber zum Glück ist das auch gar nicht erforderlich. Um die Welt ein Stück besser zu machen, würde es nämlich völlig ausreichen, fair mit allen umzugehen: Den Nächsten, den Fernsten. Mit allen Lebewesen. Und mit der Umwelt.

Unsere Welt wird durch Hass doch nicht besser. Besser wird unsere Welt durch echte Liebe.

„Echte“ Liebe darf gerne etwas ganz Besonderes sein, für ganz besondere Personen. Statt „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ lautet eine zeitgemäße und vor allem realistische Forderung: „Gehe fair mit allen um – deinen Nächsten und deinen Fernsten.“ Denn ein fairer Umgang mit allen Menschen, egal ob nahe oder fern, ob verliebt oder verhasst, ist viel wichtiger für eine friedliche, offene Gesellschaft als eine unrealistische Feindesliebe.

Echte Liebe

Aber echte Liebe ist die stärkste Waffe der Menschheit. Sie kann diese Welt besser machen.

Sicher kann man sich auch diese Erkenntnis aus der Bibel herausdestillieren. Indem man alle anderslautenden Aussagen und Aufforderungen ignoriert. Oder irgendwie passend uminterpretiert.

Denn in der Bibel findet sich für praktisch jedes beliebige Verhalten ein Beispiel – und genauso für das genaue Gegenteil. Feindesliebe genauso wie Vernichtung aller Feinde. Und deshalb muss der Leser irgendwo her wissen, was gelten soll und was nicht. An biblischen Texten lässt sich dies jedenfalls keineswegs eindeutig festmachen. Dank dieser Beliebigkeit konnten die biblischen Texte bis jetzt immer zur jeweils vorherrschenden Auffassung angepasst werden.

Statt sich an Moralismen aus der Bronzezeit und aus dem Vormittelalter zu orientieren, wäre es deshalb doch viel naheliegender, sich direkt an den Werten zu orientieren, der unserer modernen Gesellschaftsordnung zugrunde liegen: Die Würde und Freiheit des Individuums.

Fairness zu den Nächsten und Fernsten! Statt einer fiktiven Gottes- und unrealistischen Feindesliebe.

*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Beitrag.
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