Urlaub vom Ego – das Wort zum Wort zum Sonntag zur Fastenzeit

Lesezeit: ~ 4 Min.

Urlaub vom Ego – das Wort zum Wort zum Sonntag zum Thema Fastenzeit, gesprochen von Lissy Eichert, veröffentlicht am 4.3.2017 von ARD/daserste.de

Wo ich zuhause bin, tragen viele Muslime ihren Glauben ganz natürlich und selbstbewusst in die Öffentlichkeit. Wer das tut, wirbelt Nachdenklichkeit auf – und so manche Vorstellungen durcheinander.

Nachdenklichkeit darüber, was Religion in der Öffentlichkeit zu suchen hat. Religionen sollten Privatsache sein. Egal welche.

Zum Beispiel die, was Fasten im religiösen Sinn bedeutet: mein Leben in der Begegnung mit Gott neu in Form bringen. Oder – in „PC-Sprache“ – es neu formatieren:

Ausgerechnet die „PC-Sprache“ als Analogie zur Begegnung mit einem Phantasiewesen zu verwenden, finde ich ja fast schon wieder lustig.

Was kann ich weglassen, was korrigieren, was ist mir wichtig?

Die darauf folgende Frage halte allerdings auch ich für sehr sinnvoll:

Was kann ich weglassen, was korrigieren, was ist mir wichtig ?

Jeder aufgeklärte, rational denkende Mensch sollte sich diese Frage stellen. Und aufrichtig beantworten. Was wäre, wenn ich Götter, Geister und Gottessöhne einfach weglasse?

Wäre es nicht höchste Zeit, schon allein im Interesse meiner intellektuellen Redlichkeit meine Glaubensgewissheiten zu korrigieren? Und diese mal genauso rational und kritisch hinterfrage wie meinen Handyvertrag? Oder Aussagen von Politikern oder in der Reklame?

Wieso halte ich Götter eigentlich für wichtig, wenn diese trotz angeblicher Allmacht und Allgüte nicht in der Lage oder willens sind, etwas gegen Leid und Elend zu unternehmen? Und die noch niemals auch nur ein einziges Mal seriös belegbar irgendwie außerhalb menschlicher Phantasie in Erscheinung getreten sind?

Fastenzeit: Seelischen Ballast loswerden

Wer im religiösen Sinne fastet, will nicht nur Körpergewicht loswerden, sondern seelischen Ballast.

Wenn man davon ausgeht, dass religiöse Gedankenkonstrukte großen seelischen Ballast darstellen können, dann kann das Loswerden dieses Ballastes kaum Fasten im religiösen Sinne sein. Sondern „Fasten“ im Sinne von Vernunft, Verstand und Selbstehrlichkeit.

„Die Seele beugen“ – so lässt sich das hebräische Wort für Fasten übersetzen. Oder anders: „Die Seele verneigt sich“. Ein schönes Bild, finde ich. Weil dieses Verneigen nichts zu tun hat mit Unterdrückung oder Untertanengeist. Es geschieht freiwillig, als eine Geste des Respekts – vor Gott.

Diese Vorstellung erinnert stark an das Stockholm-Syndrom: Liebe den, der (vermeintlich) Macht über dich hat. Wieso sollte man einem allmächtigen Wesen, das sich angeblich sowieso der menschlichen Erkenntnis entzieht und sich nicht in einen Kausalzusammenhang mit der natürlichen Wirklichkeit bringen lässt, auch noch Respekt entgegenbringen?

Einem Gott, der – ich wiederhole mich – trotz angeblicher Allmacht und Allgüte keine bessere und friedlichere Welt als diese erschaffen konnte oder wollte? Vielmehr wäre ein solcher Gott wegen unterlassener Hilfeleistung anzuklagen. Und das nicht nur zur Fastenzeit.

Denn: Gott ist immer mindestens eine Nummer größer als ich.

Ja und? Das Fliegende Spaghettimonster ist noch 42 Nummern größer als Ihr Gott (beweisen Sie mir gerne das Gegenteil). Bringen Sie Seiner Nudeligkeit auch Respekt entgegen und verbeugen sich vor ihm? Wie siehts mit Spiderman™ aus?

Urlaub vom Ego – also Urlaub von sich selbst?

Wer fastet, gönnt sich „Urlaub vom Ego“. Wer fastet, schraubt die eigenen Bedürfnisse eine Zeit lang zurück, um mehr auf die Bedürfnisse von anderen zu achten.

Wieso sollte man dies nur in einer auf ein paar Tage begrenzten Fastenzeit im Jahr tun? Statt Altruismus und Empathie in den allgemeinen Verhaltenskatalog aufzunehmen? Wäre es nicht präziser, von Egoismus zu reden, den Sie zu meinen scheinen? Denn wieso sollte ich Urlaub von mir selbst machen? Oder was meinen Sie mit „Ego“ ? Ego bedeutet…

  • wissenschaftssprachlich das Ich
  • in der Psychologie das Selbst
  • umgangssprachlich das Selbstwertgefühl
  • Ego (Verwandtschaftsforschung), Proband oder Bezugsperson in einem Verwandtschaftsdiagramm
  • Egó, isländische Rockband
    (Definition: Wikipedia)

Der bedürftige Gott?

 Und – auch auf die Bedürfnisse Gottes.

Ihr allmächtiger, übernatürlicher Gott hat Bedürfnisse? Die er von Vertretern einer bestimmten Trockennasenaffenart auf einem bestimmten Miniplaneten befriedigt wissen möchte? Ganz schön anmaßend, finden Sie nicht? Und einmal mehr die Frage: Woher wollen Sie wissen, dass Gott Bedürfnisse hat, und wahrscheinlich auch noch, welche das sein sollen?

In der religiösen Praxis wurde das Fasten leider manchmal als eine Leistung verstanden, mit der man Gott „um den Finger wickeln“ wollte: „Schau her, lieber Gott, wie toll ich bin! Da musst Du mir doch geben, was ich mir wünsche!“

Es liegt auf der Hand, warum Sie vor einer solchen Vorstellung warnen müssen. Denn natürlich ist auch Ihnen sicher bewusst, dass Götter in Wirklichkeit nichts geben. Und wenn doch, so wäre das für Menschen genausowenig erkennbar wie die Götter selbst.

Jesaja lässt Gott sprechen?

Und so musste schon der Prophet Jesaja erklären, wie Fasten richtig geht. Dazu lässt er Gott sagen:

Jesaja lässt Gott etwas sagen? Aha…. War das nach christlicher Imagination nicht andersherum? Oder lässt es sich so besser verkaufen? Es scheint jedenfalls völlig egal zu sein, wer hier wen etwas hat angeblich sagen lassen.

„Ist das ein Fasten, wie ich es liebe, wenn man zankt und streitet, Geschäfte macht, den Kopf hängen lässt? Nein! Ein Fasten, wie ich es liebe, ist, wenn du die Fesseln des Unrechts löst, jedes Joch zerbrichst, die Versklavten freilässt, an die Hungrigen dein Brot austeilst, die obdachlosen Armen in dein Haus aufnimmst – und dich deinen Verwandten nicht entziehst.“ (vgl. Jes 58,3ff)

Nochmal die Frage: Wieso sollte man sich ethisch korrektes Verhalten nicht generell zu eigen machen? Statt es auf eine Fastenzeit zu begrenzen? Und sollten sich nicht alle Menschen so verhalten? Auch die, die an andere oder an keine Götter glauben? Jesaja lässt seinen Gott gottlosen Menschen ja sowieso die Fähigkeit zu friedlichem Verhalten absprechen:

  • Die Gottlosen haben keinen Frieden, spricht mein Gott. (Jes 27,51 LUT)

Was ist fromm?

Das ist fromm.

Nein. Das ist nicht fromm. Sondern (mit-)menschlich. Was fromm ist, lässt sich anhand der Bibel quasi beliebig definieren. Und deswegen sollte nicht Frömmigkeit, sondern Fairness das Ziel sein.

Und das ist politisch. Befreiung von Selbstausbeutung und von Zwängen. Gütergemeinschaft. Teilhabe. Liebevoll miteinander umgehen.

Genau. Sich (mit-)menschlich verhalten. Dazu braucht es keine Götterwesen.

Ein schönes Beispiel für „fromm und politisch“ ist die Fastenaktion des katholischen Hilfswerks MISEREOR.

Eine Zusammenfassung der Kritik an Misereor und einige Hintergrundinfos gibt es hier.

Ich vermute: „Das ist ein Fasten, wie Gott es liebt.“ Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag.

Immerhin geben Sie nicht vor, das zu wissen. Vermuten können Sie natürlich alles Beliebige. Halten Sie aber Vermutungen über einen ebenso vermuteten Gott tatsächlich für irgendwie bedeutsam?

Ich wünsche Ihnen einen erkenntnisreichen Sonntag.

*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Originalbeitrag.
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