Bischof Woelki: Aufruf zum Märtyrer-Tod?

Lesezeit: ~ 4 Min.

Herr Bischof Woelki, Sie rufen in Ihrer heutigen Verkündigung dazu auf, wie Jesus zu sein – bedeutet das, dass Sie den Märtyrer-Tod für eine sinnvolle Idee halten?

Sie räumen ja schließlich auch ein, dass Sie schon als Jugendlicher etwas an dieser Leidensgeschichte so faszinierte: Der schnelle Wechsel von Hosianna-Rufen zu „Ans Kreuz mit ihm!“.

Ja, wir Menschen sind halt so, behaupten Sie. Wir seien immer wieder hin- und hergerissen, wollten zum Beispiel die wahre Liebe, die wahre Hingabe und Freude und Treue und das alles am liebsten bis in alle Ewigkeit. Und sobald Probleme auftauchen, würden die Menschen aufgeben. Den Glauben an die gute Sache verlieren und von ihrer Hoffnung und Liebe nichts mehr wissen wollen.

Könnte es sein, dass hier ein unverheirateter, älterer und vielleicht auch recht einsamer Mann von sich auf alle schließt? Pauschalaussagen über Dinge, die sich nicht pauschal beurteilen lassen, sind stets problematisch. Bedenken Sie bitte, dass bei „wir Menschen“ alle Menschen gemeint sind. Ich schreibe ja auch nicht, dass alle Christen rigorose Realitätsverweigerer mit schwach ausgeprägtem Sinn für die natürliche Wirklichkeit und Anfälligkeit für religiöse Wahngedanken sind.

Und nur weil Sie – aus welchen Gründen auch immer – eine Hin- und Hergerissenheit zu erkennen meinen, heißt das noch lange nicht, dass deshalb alle Menschen bei den ersten Problemen aufgeben.

Jesus als Vorbild?

Als Gegenbeispiel nennen Sie Jesus. Denn der bleibt sich treu und zieht nach Jerusalem ein. Obwohl er weiß, dass ihn am Ende dort der Tod erwartet.

Wie wäre es, wenn wir uns mehr an Christus orientieren, fragen Sie. Wenn wir versuchen, so zu glauben, so zu lieben und so zu hoffen wie er.

Herr Woelki, worauf hoffte Jesus denn, wenn er angeblich doch wusste, dass ihn in Jerusalem eine Todesfolterung erwarten würde? Was meinen Sie: Wusste Jesus in seiner Funktion als zweites Drittel eines dreiteiligen , allwissenden Gottes dann nicht auch schon, dass Leid und Tod für ihn nur von kurzer Dauer sein würden? Was sind ein paar Stunden Leid gegen das Leid, das dieser allmächtige und allgütige Gott zu verantworten hat, indem er keine friedlichere und bessere Welt als diese erschaffen hat?

Wäre es nicht viel klüger gewesen, wenn Jesus seine Liebesbotschaft weniger aufrührerisch und konfrontativ und dafür aber noch ein paar Jahre oder Jahrzehnte länger verbreitet hätte? Wieviele Wunder hätte er noch vollbringen, wieviele Kranke heilen können?

Wenn ich Sie richtig verstehe, wurde Jesus wegen der Wankelmütigkeit seines Volkes hingerichtet. Was Sie schon als Jugendlicher faszinierend fanden.

Jesus: Märtyrer, lebensmüde – oder einfach nur leichtsinnig?

Bis heute ist unklar, warum Jesus tatsächlich sterben musste. Die wahrscheinlichste Erklärung dürfte sein, dass der römischen Besatzungsmacht der aufrührerische Endzeitsektenprediger einfach ein Dorn im Auge war. Und zu dieser Zeit war es mit der Rede- und Meinungsfreiheit noch nicht so weit her. Jesus war nur einer von vielen tausend Störenfrieden, die von römischer Hand zum Schweigen gebracht worden waren. Um die öffentliche Ruhe und Ordnung am Rande der Besatzungszone nicht zu gefährden.

Diese historisch wahrscheinlichste Variante ließe sich natürlich nur schwer zu einer Gottessohnlegende verarbeiten. Das war den anonymen Geschichtsschreibern etliche Jahrzehnte später auch bewusst. Und so erfanden sie, basierend auf mündlich überlieferten Legenden, den Gottessohn Jesus Christus. Und machten dessen profane Hinrichtung zum Dreh- und Angelpunkt einer Religion, von der sich die Menschheit bis heute noch nicht erholt hat.

Mehr Fragen als Antworten

Zu vielen Fragen rund um den Tod und die angebliche Auferstehung des Gottessohnes, zu dem der streng gläubige Rabbi (so er denn überhaupt gelebt haben sollte) posthum gemacht worden war, kann die christliche Theologie bis heute keine allgemeingültige, verbindliche Antwort geben. Zum Beispiel:

  • Warum genau musste Jesus sterben?
  • Wusste Jesus tatsächlich, dass er  hingerichtet werden würde?
  • Welche Bedeutung hat die Hinrichtung, welche die Auferstehung?
  • Was genau hat sich konkret und nachweislich dadurch geändert?
  • Handelte es sich um ein Menschenopfer?
  • Handelte es sich um einen Märtyrer-Tod?
  • Welche Rolle spielte Pilatus?
  • Welche Rolle spielten die Juden?
  • Wie ist es um die ethischen Standards eines Gottes bestellt, der seinen eigenen Sohn für sich selbst im Interesse Anderer zu Tode foltern lässt?
  • Eines Gottes, der Menschen erst eine Sünde einredet, um sie dann durch den Foltertod seines Sohnes davon zu befreien?
  • Sind seit der Kreuzigung alle Menschen von Sünden befreit?
  • Warum hatte ein angeblich allmächtiger und allgütiger Gott keine andere Möglichkeit, seinen Untertanen seine Liebe zu beweisen?
  • Was ist mit Vertretern von Homo erectus oder Neandertalern? Für welchen Zeitraum und für wieviele Personen gilt die Hinrichtung eines einzelnen Menschen als „Sühneopfer“ ?
  • Welchen „Wert“ hat ein Todesopfer, wenn der Getötete drei Tage später wieder von den Toten aufersteht?
  • Wenn Jesus als Märtyrer für seinen Glauben gestorben ist, wie passt das dann zu seinem Appell an die Sklaven, sich ihren weltlichen Herren so zu unterwerfen wie sie sich auch Gott zu unterwerfen haben?
  • Wieso sollte die Auferstehungslegende von Jesus Christus mehr Bedeutung haben als die zahlreichen, frappierend ähnlichen Legenden früherer angeblicher Gottessöhne?
  • Und die wichtigste Frage: Welche Bedeutung soll das alles für die Wirklichkeit der Menschen im 21. Jahrhundert noch haben?

Gottergeben bis in den Tod?

Herr Woelki, Sie empfehlen, so zu sein wie Jesus. Ist das ein Plädoyer für Märtyrer? Gottergeben bis in den Tod? Für die gute Sache sterben?

Was meinen Sie konkret mit „…dann werden wir auch am Ende mit ihm leben.“ ? Was erwartet die, die nicht wie Jesus glauben, lieben und hoffen? Vielleicht, weil sie ihr Leben lang die falschen oder keine Götter für wahr gehalten haben? Oder die, die an sich selbst geglaubt, ihre Mitmenschen geliebt und auf die Entwicklungsfähigkeit der Menschheit gehofft haben?

Ist es nicht höchste Zeit, falsche Ideen sterben zu lassen, bevor noch mehr Menschen für falsche Ideen sterben müssen?

*Quelle des Videos und der Zitate: facebook.com/domradio
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Ergänzung:

Worin besteht der Kern des christlichen Glaubens?

Leere Behauptungen als wahr akzeptieren zu können, die intellektuell wehrlosen, kritiklosen Kindern eingetrichtert werden.

Es gibt die Bibel. Darin wird die Behauptung aufgestellt, am Ostersonntag wäre ein toter Mann lebendig wieder auferstanden.

Wie ist das Zustandekommen dieser Behauptung am besten erklärbar?

Vernünftig denkende Menschen analysieren: „Wahrscheinlich wie das Zustandekommen aller anderen religiösen Mythen. Menschen haben sich fromme Wunder ausgedacht und weitererzählt. Mohammed ist mit einem fliegenden Pferd zum Himmel geflogen. Shiva hat die Welt aus einem Milchozean erschaffen. Jesus ist von den Toten auferstanden.“

Gläubige aber meinen:
Die Behauptung einer Auferstehung, die aus der abergläubischen römischen Provinz stammt, kann nur dadurch entstanden sein, dass ein Mann von den Toten auferstanden ist.“

Na gut. Ehrlichkeit lässt sich nicht erzwingen. (Jori Wehner)

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