Seltsam…

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In einem Facebook-Artikel aus der Abteilung Diskurswerfen findet Volker Dittmar einiges seltsam:

Seltsam,

dass man „das Christentum“ als Unterbau der Menschenrechte ansieht. Denn gerade die katholische Kirche – mit der größten Gruppe an Christen – war eine entschiedene Gegnerin der Menschenrechte. Vor allem gegen das Recht auf Religionsfreiheit wurde gewettert.

Seltsam, dass man trotz der angeblich christlichen Grundlage die ganze Zeit Sklaverei betrieb. Dabei war die Idee der Abschaffung der Sklaverei schon sehr alt: Explizit stammt sie von Solon, der auch gleichzeitig der Begründer der ersten Demokratie war. Solon konnte sich politisch nicht durchsetzen, weil er zur Einführung der Demokratie auf die Stimmen der Großgrundbesitzer angewiesen war.

So konnte er drei Pläne nicht durchsetzen: Abschaffung der Sklaverei, gleiche Rechte (auch Wahlrecht) für Frauen und Umverteilung des Landes an alle. Solon hoffte, dass durch die Demokratie sich diese Ideen mit der Zeit durchsetzen würden, so dass die Einführung der Demokratie die oberste Priorität hatte. Ich denke, wenn die Athener Demokratie länger gehalten hätte, dass Solon Recht behalten hätte.

Menschenrechte und Humanismus

Seltsam, dass man allgemein die Menschenrechte auf den vorchristlichen Heiden Cicero zurückführt. Seltsam auch, dass die Idee im Christentum erst dann wieder auf die Tagesordnung kam, nachdem sich in der Renaissance eine neue Bewegung etablierte: Die Bildungsbewegung des Humanismus. Im Christentum hatte Bildung nie einen hohen Stellenwert, außer für Kleriker.

Der Humanismus begann als eine Wiederaneignung des griechisch-römischen Erbes. Dazu musste man sich zunächst die Sprachen Altgriechisch und Latein aneignen – deswegen heißen Gymnasien, die diese beiden Sprachen anbieten, bis heute „Humanistische Gymnasien“.

Aus dem Humanismus wurde eine philosophische Gegenbewegung zum Christentum. Deswegen kann man heute nicht Christ und Humanist gleichzeitig sein, obwohl ein paar Christen das glauben. Man kann Deist und Humanist gleichzeitig sein, aber mehr geht nicht. Mit dem Humanismus – der von den Kirchen solange bekämpft wurde, bis man sich seine Niederlage eingestehen musste – kam nämlich die Religionsfreiheit und der Atheismus, beides die größten Feinde der Kirche.

Seltsam, dass man die eigentlich alte Idee der Gottesebenbildlichkeit lange Zeit nicht als eine Begründung der Gleichheit der Menschen ansah – bis sich der Humanismus durchsetzte, da entdeckte man „plötzlich“, dass es die Idee dazu im Christentum ja auch irgendwie mal irgendwann gegeben hatte, die sich dann aber nicht durchsetzen konnte.

Strikte Trennung von Religion und Politik

Seltsam, dass die Begründer der ersten neuen Demokratie nach Athen und Rom Deisten waren, und um einen Staat gründen zu können, der die Demokratie durchsetzte, eine strikte Trennung von Religion und Politik einführen mussten. Man befürchtete – zu Recht – dass ein religiöser Einfluss die Demokratie korrumpieren würde und die Rechte der Menschen einschränken würde. Hier geschah dann auch, was Solon geplant hatte: Aufhebung der Sklaverei – die von der christlichen Mehrheit bis zum Schluss, auch mit der Waffe in der Hand, verteidigt wurde – und Einführung des Frauenwahlrechts.

Man mag einwenden, dass in den USA es eine religiöse Bewegung war, die als erstes die Abschaffung der Sklaverei befürwortete: die Quäker. Aber sie hatten die Mehrheit gegen sich, denn das war nur eine kleine Gruppe. Auch das Frauenwahlrecht geht auf eine christliche Bewegung zurück (nur in den USA): Da ging es darum, politischen Einfluss zu gewinnen, um Alkohol verbieten zu lassen. Wir wissen, was das für ein Fiasko war!

Aber als Europa folgte, war das alles längst keine christliche Bewegung mehr. Sondern eine von den Kirchen bekämpfte Entwicklung, bis zum Schluss. Der Vatikan gehört zu den wenigen Staaten der westlichen Welt, der die allgemeine Erklärung der Menschenrechte nicht unterzeichnet hat.

Die Legende von der christlichen Moral

Aber Christen sind unglaublich dreiste Trittbrettfahrer: Wenn sich eine Moral gegen den Widerstand der christlichen Mehrheit durchgesetzt hat, dann erklärt man ein, zwei Generationen später einfach das Christentum zur Grundlage der neuen Moral. Und behauptet dann, dass es diese ohne christliche Hilfe nie gegeben hätte.

Das ist zwar absolut lächerlich, aber die Meisten merken es nicht. Man findet IMMER, bei jeder moralischen Streitfrage, Christen in beiden Lagern. Da finden sich dann immer Einzelne, die auf Seiten der Sieger standen, und deren Begründung man dann übernimmt.

Das liegt daran, dass christliche Moral und christliche Werte eine beliebige Knetmasse sind, der man jedes Aussehen geben kann.

Veröffentlichgung mit freundlicher Genehmigung des Autors.

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