Woran glaubst du? – Das Wort zum Wort zum Sonntag

Lesezeit: ~ 7 Min.

Woran glaubst du? – Das Wort zum Wort zum Sonntag, Originalbeitrag verkündet von Alfred Buß, veröffentlicht am 10.6.17 von ARD/daserste.de

Ich lebe mit dem Weltbild des 21. Jahrhunderts – Bilder von unserem blauen Planeten kommen direkt in mein Wohnzimmer. Die wunderbare blaue Murmel vor dem endlos dunklen Weltraum macht mir Gänsehaut. Und je mehr ich erfahre vom Werden der Welt in Milliarden von Jahren, desto größer wird für mich der Glanz von Gottes Schöpfung.*

Quelle: http://imgur.com/PYWL6qaHerr Buß, wem verdanken Sie es, dass Sie heute Bilder von unserem blauen Planeten direkt in Ihrem Wohnzimmer betrachten können?

Den Menschen, die einen Schöpfergott als Erklärung für die Entstehung des Universums (bzw. genauer: eines bestimmten kleinen Planeten, der um eine bestimmte Sonne kreist) akzeptieren? Oder den Menschen, die dazu beigetragen haben, dass wir heute ein Weltbild haben (können), das ohne logisch unmögliche und höchst unwahrscheinliche überirdische Wesen auskommt?

Für alles, was früher noch göttlichem Wirken zugeschrieben worden war, gibt es heute wesentlich bessere, in sich stimmige oder zumindest weit plausiblere Erklärungen oder Theorien.

Und auch die Tatsache, dass es trotz aller Erkenntnis natürlich auch nach wie vor noch viele „weiße Flecken“ auf der Erkenntnislandkarte gibt, macht die Annahme eines „Lückenbüßergottes“ („Wir wissen es nicht, also muss es Gott sein“) weder erforderlich, noch eignet sie sich als „Gottesbeweis“.

Glanz von Gottes Schöpfung?

Der kreationistische Trick, die höchst erstaunlichen Erkenntnisse über die Beschaffenheit des Universums einfach als immer größer werdenden „Glanz von Gottes Schöpfung“ zu deuten, ist in religiösen Verkündigungen oft anzutreffen. Dass in der wissenschaftlichen Beschreibung des Universums und natürlich auch aller irdischen Phänomene nirgends irgendwelche Götter vorkommen, ignorieren diese Leute.

Auch ignorieren sie, dass die Grundlagen dieser Erkenntnisse überwiegend gegen den erbitterten und gewalttätigen Widerstand der christlichen Kirche gewonnen und durchgesetzt werden mussten. Einer Kirche, der wohl mehr als bewusst war, dass sich ihr bisher behauptetes Gottesbild mit jeder neuen Entdeckung mehr und mehr in Luft auflösen würde.

Die Behauptung eines Schöpfergottes ist aus vielen Gründen nicht mehr als eine (schlechte) Hypothese. Und Aussagen über Absichten, Verhaltensweisen oder Handlungen von Wesen, die sich per definitonem außerhalb des menschlichen Erkenntnishorizontes befinden, sind genauso sinnlos.

Denn über alles, was „übernatürlich“ sein soll, lässt sich redlicherweise erst etwas sagen, wenn es eben nicht mehr übernatürlich, sondern Teil der natürlichen Wirklichkeit geworden ist.

Oder umgekehrt: Allem, was wir als „übernatürlich“ definieren, können wir alle beliebigen Eigenschaften andichten. Und natürlich auch das genaue Gegenteil. Woran glaubst du? An alles Beliebige! Denn (religiös) Glauben heißt: Etwas zur Not auch gegen jede Vernunft, Logik und Wahrscheinlichkeit für wahr zu halten.

Woran glaubst du?

Woran glaubst du? – fragt die aktuelle ARD-Themenwoche. Die Bibel erzählt doch, Gott habe die Welt in sechs Werktagen erschaffen. Glauben Sie das? Ich hoffe, nicht! Wer die Bibel allzu wörtlich nimmt, der muss bald seinen Verstand ausschalten.

Herr Buß, wie würden Sie das einem Ihrer Kollegen aus der evangelikalen oder kreationistischen Abteilung erklären? Und warum hoffen Sie, dass niemand mehr die Wahrheit von immerhin Gottes Wort für wahr hält?

Sicher haben Sie gute Gründe, warum Sie die biblische Schöpfungsgeschichte nicht glauben. Und offenbar halten Sie es für wenig sinnvoll, den Verstand auszuschalten.

Nochmal: Sie haben also die biblische Schöpfungsgeschichte als augenscheinlich völlig unplausibel erkannt. Sie warnen davor, die Bibel „allzu wörtlich“ zu nehmen. Und hoffen, dass das niemand tut.

Jetzt gehen Sie doch mal einen kleinen, aber vielleicht richtungsweisenden Schritt weiter: Wie plausibel sind wohl die restlichen biblischen Behauptungen, die sich nicht mit unserem heutigen Wissensstand in Verbindung bringen lassen? Und die aber nicht so problemlos als „natürlich nicht wahr“ entkräftet werden können wie die biblische Schöpfungsgeschichte? Stichworte Wunder, Auferstehung, Himmelfahrt, Gott & Sohn, Geist, Satan, Himmel, Hölle, Jenseits,…?

Ohne den Verstand auszuschalten, sind auch all diese Behauptungen nicht als wahr anerkennbar. Das lässt sich auch nicht durch ein rhetorisches Hintertürchen in Form eines „allzu wörtlich“ umschiffen. Denn das würde ja bedeuten, dass man nach eigenem Gusto entscheiden kann, welche Bibelstellen man als „wörtlich gemeint“ und welche als „nicht“ oder „nicht allzu“ „wörtlich gemeint“ definiert.

Dass man sich über diese Frage selbst innerhalb des Christentums alles andere als einig ist, zeigt sich auch daran, dass mit der Bibel praktisch jedes beliebige Verhalten rechtfertigt werden kann. Und auch bis heute gerechtfertigt wird.

DIY-Glaube

Ist es also besser, dass ich mir selber Zutaten aus den Religionen suche und mir einen Glauben rühre nach meinem Rezept, wie viele es tun? Der Glaube mag mir dann schmecken, aber trägt er mich auch – in guten und in bösen Tagen?

Genau das tut der große Anteil der Wischiwaschi- oder auch Light-Christen. Und auch Ihnen kann man genau dieses unterstellen: Die biblische Schöpfungsgeschichte ist Ihnen zu absurd? Na, dann erklären Sie sie einfach zum Mythos! Bloß nicht wörtlich nehmen! Den dreiteiligen Gott, dessen Sohn und seine nicht minder absurde Sündentilgungs-Auferstehungsgeschichte brauchen Sie als Grundlage Ihrer Glaubenslehre? Na, dann erklären Sie diese einfach zur Glaubenswahrheit!

Unbeantwortet bleibt die Frage, inwiefern ein Glaube, der nicht „schmeckt“, besser „tragen“ sollte als einer, der „schmeckt.“

Ein lebendiger Glaube braucht ein lebendiges Gegenüber, auf dessen Wort ich höre und zu dem ich bete.

Das könnte natürlich die Ursache sein, warum immer weniger Menschen Wert auf Glauben legen: Götter sind eben keine „lebendigen Gegenüber.“ Weil man ihre Worte nicht hören kann, kann man auch nicht auf ihre Worte hören. Götter erfüllen kein einziges Kriterium dessen, was Leben kennzeichnet. Und beten kann man auch zum Kopf einer Sardine, wenn man nur fest daran glaubt (chin. Sprichwort).

Als besonderes Alleinstellungsmerkmal für die Lebendigkeit des Christengottes wird gerne dessen angebliche Menschwerdung in Form seines Sohnes genannt. Der dann bei Bedarf auch schnell wieder selbst zum Gott umdefiniert werden kann.

Sollte vor rund 2000 Jahren tatsächlich ein bestimmter Jesus gelebt haben, dann war dieser genauso ein Vertreter der Trockennasenaffenart Homo sapiens wie alle anderen Menschen auch. Für alle unplausiblen Geschichten in der Biographie des angeblichen Gottessohns müsste man einmal mehr den Verstand ausschalten.

Wertloses Zeugnis

Menschen haben ihre Erfahrungen mit Gott aufgeschrieben in den Geschichten, Gebeten, ja, auch den Klagen der Bibel – über unzählige Generationen. Diesem Zeugnis der Alten traue ich.

Was die Menschen in der Bibel aufgeschrieben haben, ist genausowenig oder viel Zeugnis für Gott wie die Bücher von Frau Rowling Zeugnis für Harry Potter™ sind. Harry Potter ist in sich wesentlich stimmiger und konsistenter als die Bibel. Sollte man diesem Zeugnis auch trauen? Oder dem der Odyssee? Der Niebelungen?

Herr Buß, könnte es sein, dass Sie hier ganz bewusst Gott als Wesen einerseits und Gott als mythomotorisches, sozio-kulturelles Phänomen andererseits miteinander vermischen? Dieser Ihrer Aussage entsprechend glauben Sie offenbar gar nicht an Gott, sondern an den Glauben an Gott?

Alles kommt aus Gottes Hand. Sonne, Mond, Sterne, Wasser, Land, Pflanzen, Tiere. So auch der Mensch: Geschaffen, um zu leben. Auserkoren als Gottes Gegenüber. Ob Frau oder Mann, Jude, Muslim, Hindu, Christ – ausgestattet mit unverlierbarer Würde.

Bis zum Beweis des Gegenteils kommt nichts aus der Hand von Göttern. Lebewesen sind nicht durch Erschaffung entstanden, sondern durch natürliche, weitestgehend erforschte Vorgänge.

Von Gott auserkoren

Menschen, die sich als von Gott auserkoren gefühlt haben, haben Millionen von Menschen verfolgt, ausgebeutet und ermordet, die sie für nicht auserkoren hielten. Oder die sich nicht als von diesem Gott, der unangenehmsten Gestalt menschlicher Fiktion auserkoren fühlen wollten.

Dass nach unseren heutigen Maßstäben alle Menschen unabhängig von Geschlecht, Wohnort, Weltbild und Glaube mit unverlierbarer Würde ausgestattet sind, haben wir der Aufklärung und Säkularisierung zu verdanken. Die Anerkennung dieser Würde musste gegen den erbitterten und gewaltsamen Widerstand des Christentums erkämpft werden.

Und auch hier vernebeln Sie einmal mehr durch Rhetorik den Umstand, dass nach biblischer Aussage eben nicht alle Menschen als Gottes Gegenüber auserkoren sind. Sondern natürlich nur die, die bereit sind, sich diesem Gott bis zur Selbstaufgabe zu unterwerfen.

Dem Menschen hat Gott die Erde anvertraut, dass er sie bebaue und bewahre. Mit ihrer Artenvielfalt, ihrer Atmosphäre, ihren Vorräten – anvertraut menschlicher Obhut.

Es ist Sache der Menschheit, ihren und auch den Lebensraum aller anderer Lebewesen als solchen zu erhalten. Und zwar unabhängig davon, ob sich jemand dazu von außerirdischen Wesen beauftragt fühlt oder nicht. Nicht in Gottes, sondern im höchst eigenen Interesse.

Verhöhnung des Schöpfers allen Lebens

Längst ist die Menschheit fortgeschritten. Ruhelos. Die Erde ist für uns Heutige keine Scheibe mehr. Doch alles Leben droht kaputt zu gehen auf unserem blauen Planeten. Ozeane voller Müll, das Klima aus den Fugen, Terror als Verhöhnung des Schöpfers allen Lebens.

Der meiste Terror kommt von Menschen, die Terror als das beste ansehen, was sie für eben diesen Schöpfer allen Lebens tun können. Terror ist nicht deshalb schlimm, weil sich ein fiktives Wesen davon verhöhnt fühlen könnte, sondern weil echte Menschen davon betroffen sind.

Herr Buß, Ihre einseitige Darstellung unterschlägt die Tatsache, dass der Mensch nicht nur möglicherweise der Vernichter des Lebensraums Erde sein könnte, sondern eben auch dessen Erhalter. Der Mensch kann nicht nur ein sehr grausames, sondern auch ein sehr liebe- und verantwortungsvolles Tier sein.

Während Sie einen guten Teil Ihrer Zeit vermutlich damit verbringen, ein übernatürliches Wesen zu verkünden und zu verehren, arbeiten andere Menschen täglich an tatsächlich funktionierenden Lösungen für die Probleme, die die Menschheit zu bewältigen hat.

Gott spricht mich darauf an und erwartet meine Antwort. Erwartet Verantwortung von jeder und jedem, fragt nach menschlicher Obhut. The blue planet first!

Glückwunsch – wenn Gott Sie anspricht, dann haben Sie ja einen starken Hinweis darauf, dass Ihr Gott tatsächlich existiert. Hat außer Ihnen auch schon mal jemand anderes zugehört, wenn Gott Sie angesprochen hat? Haben Sie’s mal aufgenommen? Und wie sicher sind Sie sich, dass es tatsächlich der von Ihnen angenommene Gott war, der Sie angesprochen hat?

Übrigens: Der, dessen Zitat Sie für Ihren Umweltschutzappell verwendet haben, ist der, der auf gleich zwei Bibeln mit dem Wort Ihres Schöpfergottes geschwört hat und der aber den Klimawandel als Lüge bezeichnet. Wieso kommt Trump offenbar zu einem gegensätzlich anderen Ergebnis als Sie, wenn es um Klimaschutz geht?

Woran glaubst du? – Was ich gerne glauben mag!

Jedes Mal, wenn ich die blaue Murmel sehe, bekomme ich Lust, die Geschichte von den sechs Tagen laut zu lesen… Dann spiegelt sich die Schönheit Gottes in unserem verletzlichen Planeten.

Herr Buß, brauchen Sie wirklich ein von Menschen erfundenes Märchen aus der Bronzezeit, um sich der irdischen Schönheit und Fragilität bewusst zu werden? Spiegelt sich die Schönheit Ihres Gottes auch in Erdbeben, Flutkatastrophen, Dürren, Waldbränden,…? Welche Bedeutung soll denn ein absurder, offensichtich sachlich falscher Schöpfungsmythos heute überhaupt noch haben?

Und den sechs Werktagen folgt noch ein besonderer Clou: Am siebenten Tag ruht Gott von allen seinen Werken. Das größte Schöpfungsgeschenk ist die Ruhe. Das mag ich richtig gerne glauben.

Achso – die biblische Schöpfungsgeschichte ist natürlich Fiktion, das mit der Ruhe passt Ihnen aber dann doch ganz gut in den Kram? Und deshalb gilt das dann plötzlich doch wieder, so wie’s dortsteht? Sie glauben also nur das, was Sie „richtig gerne glauben“, den Rest erklären Sie einfach als „nicht allzu wörtlich“ gemeint?

Wie bringen Sie einen solch unredlichen Umgang mit der schriftlichlichen Grundlage Ihrer Religion mit Ihrem Anstand, Ihrer Vernunft und Ihrer intellektuellen Redlichkeit in Einklang?

Einen gesegneten Sonntag wünsche ich Ihnen!

Was genau verstehen Sie unter „gesegnet“ ? Und zum Thema: Woran glaubst du? – Noch viel spannender fände ich die Frage: Warum glaubst du? – oder auch: Warum sollte jemand das glauben, was du glaubst?

*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Beitrag.
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