Blaues Wunder – Das Wort zum Wort zum Sonntag zum Thema Wasser, verkündet von Alfred Buß (ev.), veröffentlicht am 16.12.2017 von ARD/daserste.de
Krippen habe ich schon als Kind gerne angeschaut.*
Was ja auch der Sinn und Zweck von Krippendarstellungen sein dürfte: Die biblische Geburtslegende auch für Kinder oder für Menschen schlichten Gemüts vorstellbar zu machen. Eine analoge Darstellung virtueller Wunschrealität. Wenn man es sich nur oft genug anschaut, hält man es irgendwann für wahr. Oder zumindest für bedeutsam. Man hat es ja schließlich immer wieder mit eigenen Augen gesehen.
In der Futterkrippe ein neugeborenes Kind. Schutzbedürftiges Leben. Schon damals Gegenbild zu Gewalt und Lebensfeindlichkeit.
Ausnahmslos jedes neugeborene Menschenkind ist schutzbedürftig. Und zwar länger als es bei allen anderen Säugetieren der Fall ist. Auch Diktatoren, Serienmörder und Nestlé-Konzernchefs können demzufolge im Säuglingsalter genauso als Gegenbild zu Gewalt und Lebensfeindlichkeit angesehen werden.
Und von wegen „…schon damals Gegenbild zu Gewalt und Lebensfeindlichkeit“: Später in seinem literarischen Leben wird das zarte Christusknäblein unmissverständlich klarstellen, was es von solch romantischem Kitsch wie einem friedlichen Miteinander hält:
- Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.
- Denn ich bin gekommen, den Menschen zu entzweien mit seinem Vater und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter.
- Und des Menschen Feinde werden seine eigenen Hausgenossen sein.
- Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert; und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert. (Mt 10,34-37 LUT)
Immerhin dieses Versprechen konnte er ja erfüllen, wie ein Blick in die 10bändige Kriminalgeschichte des Christentums erschreckend eindrucksvoll belegt.
…das war dann der Volksglaube
[…] Exotische Gäste kommen geritten, Sterndeuter aus dem Morgenland sind`s. Drei Könige hat der Volksglaube daraus gemacht und sieht sie als Vertreter aller Völker der damals bekannten Kontinente Asien, Afrika und Europa.
Das ist das Praktische, aber gleichzeitig auch Brandgefährliche an religiöser Mythologie: Man kann sie sich völlig beliebig zusammenimaginieren. Freilich ohne dass sich faktisch irgendetwas ändert. Es genügt schon, wenn man noch genug Leute findet, die einem glauben, es sei so, wie man es behauptet.
Der „Volksglaube“ wird immer dann gerne bemüht, wenn irgendwelche Glaubenslehren aus heutiger Sicht so abwegig und offensichtlich falsch sind, dass man das lieber mal dem nun mal etwas einfältigen Volk in die Pantoffeln schiebt. Nur: Was soll vom Christentum denn überhaupt noch übrig bleiben, das sich nicht mit der Naivität und/oder Realitätsverweigerung seiner Anhänger entschuldigen lässt?
Schon als Kind malte ich mir aus, wie sie von weither kamen, dem Stern folgten auf der Suche nach Gott – Caspar, Melchior und Balthasar. Und angekommen bei der Krippe, herunterklettern von ihren Reittieren – vom Elefanten, vom Kamel, vom hohen Ross. Wie sie herunterkommen, um Gott anzubeten in der Zartheit des Kindes – mitten im Alltag der Welt.
Ja, eine solche frühkindliche Indoktrionation mit bestimmten Bildern kann mitunter ein ganzes Leben lang wirken. Wobei man selten von Senioren hört, die ihr Gebiss jede Nacht vor der Zahnfee verstecken…
Gegenbild zu Gewalt und Lebensfeindlichkeit
Im Christuskind kommt Gott zu den Menschen aus allen Völkern. Als Gegenbild zu Gewalt und Lebensfeindlichkeit. Und die Völker haben’s verstanden.
Und deshalb ging auch das Jahrtausend, in der die christliche Kirche an der Macht war, als das finstere Mittelalter in die Menschheitsgeschichte ein. Eine Epoche voller Gewalt und Lebensfeindlichkeit. Zur Friedensbewegung musste das Christentum zwangsläufig erst mutieren, nachdem es durch Aufklärung und Säkularisierung weitgehend entmachtet worden war.
[…] Und darum hat unsere Krippe einen Brunnen: Wir waren Gäste in einem tansanischen Dorf in den Usambarabergen. Hier hatten bisher– vor allem die Frauen – kilometerweit das Wasser angeschleppt, Tag für Tag. Nun kam endlich, endlich lebendiges Quellwasser aus der Leitung – von weither. Überschäumend war die Freude der Menschen. Sie schenkten uns die Brunnen-Krippe. Einfach so.
Die mit großem Abstand wichtigsten Faktoren für die Verbesserung von Lebensbedingungen sind Aufklärung und Bildung. Je genauer Menschen darüber Bescheid wissen, wie die Dinge tatsächlich funktionieren und zusammenhängen, desto größer die Chance auf ein würdiges, gesundes und glückliches Leben.
Eine Verbesserung tritt ein, wenn die Menschen aufhören, auf die Androhungen und falschen Versprechen ihrer Priester oder Herrscher hereinzufallen. Und wenn sie sich von alten Traditionen verabschieden und zum Beispiel tägliche stundenlange beschwerliche Märsche zur Wasserstelle durch den Bau einer Wasserleitung überflüssig zu machen.
Vielleicht hatten die Leute auch einfach keine Verwendung mehr für die Krippe. Jetzt, wo sie wissen, dass Wasserversorgung keine Frage des Glaubens ist. Und dass religiöser Glaube sowieso nichts weiter als ein Selbstbetrug ist. Aber vielleicht hat der Pfarrer aus Deutschland ja noch eine Verwendung…
Afrikanische Gesichter
[…] Klar haben ihre Figuren afrikanische Gesichter.
Ja, ist ja auch kein Problem bei literarischen Kunstfiguren. Gustav Gans heißt in Italien ja auch Gastone Paperone bzw. Alexander Lukas in Schweden (Quelle). Ob Heidi große Manga-Augen und nur vier Finger hat oder wie ein „echtes“ Schweizer Mädel aussieht – egal.
Solange sich alle einig sind, wer jeweils gemeint sein soll, können Eigenschaften beliebig verändert werden. Die in westlichen Kreisen verbreitete Darstellung von Jesus entspricht ja auch nicht der wahrscheinlichen Physiognomie eines Wüstenbewohners aus der Eisenzeit.
Auch hierzulande gibts in Kirchen übrigens Figuren mit afrikanischen Gesichtern. Die symbolisieren dann das personifizierte Böse, das in Gottes Auftrag besiegt, gequält, vernichtet wird. Von einem weißhäutigen Engel, versteht sich.
Ich wäre wirklich auf die Gesichter der afrikanischen Delegation gespannt, wenn sie zum Beispiel die Kirche in Reichenbach (Unterfranken) besucht und ihren Landsmann im Todeskampf gekrümmt erblickt – unter den Sandalen des europäischen Kriegsengels.
Unzählige 850 Millionen ohne Zugang zu frischem Wasser
Seitdem erinnert uns diese Krippe daran, dass unzählige Menschen weltweit keinen Zugang haben zu frischem Wasser. Geschätzte 850 Millionen immer noch nicht. Obwohl jeder Mensch Wasser braucht wie Luft zum Leben.
Und obwohl sich die Situation gerade in den letzten Jahren schon deutlich verbessert hat. Während sich alle Götter – egal ob dedizierte Regengötter oder Allgemein-Allmächtige, bis heute vornehm aus der Lösung des Trinkwasserproblems (wie auch aus sonst allem) herausgehalten haben, ist es Menschen gelungen, das von der UN als grundlegendes Menschenrecht anerkannte Recht auf Wasser für immer mehr Menschen nutzbar zu machen:
- Access to improved water sources is increasing across the world, rising from 76 percent of the global population in 1990 to 91 percent in 2015. (Quelle: ourworldindata.org)
Herr Buß, wenn Ihnen das Wohlergehen der Weltbevölkerung ein Anliegen ist, dann überlegen Sie doch mal, warum die die Menschen in Ländern mit dem geringsten religiösen Einfluss am meisten Wohlstand und Glück genießen dürfen. Wissen Sie, wieviel Prozent der jungen Isländer noch an Gott glauben? NULL Prozent (Quelle: hpd.de)
Klimawandel verbieten?
Niemandem darf es abgegraben werden, weder durch zunehmenden Klimawandel, noch durch menschliche Willkür oder Gier.
Tja Herr Buß, dann verbieten Sie mal dem Klima den Wandel. Und bis das Klima Ihnen verspricht, den Wandel gefälligst zu unterlassen, könnten Sie ja versuchen, Ihre durchgeknallten evangelikalen amerikanischen Glaubensgenossen davon zu überzeugen, dass der Klimawandel keine Erfindung der Chinesen ist.
Das Kind in der Krippe gibt dafür Kraft. Es steht aller Lebensfeindlichkeit entgegen. Mit ihm ist Gottes große Zukunftsverheißung in der Welt: Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst.
Was für eine unfassbar zynische, heuchlerische, selbstgerechte Aussage. Das Kind in der Krippe hatte eine einzige Mission: Menschen Glauben zu machen, dass ihre einzige Chance auf Glück in der völligen Unterwerfung unter einen bestimmten Wüstengott besteht, den sich Menschen in der Bronzezeit ausgedacht hatten.
Nehmen wir diese göttliche Zukunftsverheißung beim Wort: Offenbar scheint die Zukunft noch nicht eingetroffen zu sein. Jedenfalls haben, wie Herr Buß ja auch mitbekommen hat, eben auch heute noch nicht alle Durstigen „von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst.“
Purer Zynismus
Besonders zynisch ist die Nennung dieser Bibelstelle deshalb, weil hier verschwiegen wird, dass selbstverständlich nur die auf Trinkwasser hoffen dürfen, die sich Gott unterwerfen. Alle anderen kriegen nämlich nicht nur kein Wasser. Sondern:
- Der Verzagten aber und Ungläubigen und Greulichen und Totschläger und Hurer und Zauberer und Abgöttischen und aller Lügner, deren Teil wird sein in dem Pfuhl, der mit Feuer und Schwefel brennt; das ist der andere Tod. (Offb 21,8 LUT1912)
Wenn Herr Buß seine biblische Märchenwelt tatsächlich für bedeutsam hält, ist es dann nicht absolut sträflich, diesen Hinweis einfach unter den Teppich zu kehren?
Selbst wenn er selbst sich berufsbedingt natürlich auf der sicheren Seite wähnen dürfte: Wäre es nicht im Interesse seiner Mitmenschen angebracht, diese davor zu warnen, was sie erwartet, wenn sie sich nicht seinem Gott unterwerfen? Das Schicksal Un- und Andersgläubiger scheint ihm jedenfalls einerlei zu sein. Kein Wort von Schwefel für Unglaube.
Was aus dem herausgepickten Bibelsprüchlein vom munteren Bächlein für alle Durstigen auch nicht hervorgeht: Bevor die Offenbarung des Johannes an diesen Punkt mit dem versprochenen Wasser kommt, war die komplette Menschheit zunächst gut 20 Kapitel lang systematisch und auf unvorstellbar kranke Art und Weise in göttlichem Auftrag gequält und vernichtet worden. Von wegen also „umsonst.“
Aber was will man machen, wenn man irgendwie die Jahreslosung 2018 zu einem „Wort zum Sonntag“ verwursten muss…
*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Originalbeitrag.
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