Goldene Rosine für Dekan Jürgen Blechschmidt: Seit der Taufe gehören wir zu Gott

Lesezeit: ~ 6 Min.

Die „Goldene Rosine am Band  im September 2018“ geht an Dekan Jürgen Blechschmidt für sein „Wort zum Sonntag: Seit der Taufe gehören wir zu Gott“, Artikel in der Mainpost vom 12. Juli 2018

Religionsverkünder bedienen sich gerne in der biblischen Grundlage ihrer Glaubenslehre, um ihrer Kundschaft das mitzuteilen, was diese (vermutlich) gerne hören möchte.

Dabei scheinen sie sich sehr sicher zu sein, dass sich schon niemand die Mühe machen wird, die immer wieder gerne zitierten (Halb-)Sätze oder  Textfragmente mal in dem Zusammenhang zu lesen, aus dem sie herausgepickt worden waren.

Die Bibel nach Jürgen Blechschmidt

Ein eindrucksvolles Beispiel liefert der evangelische Dekan Jürgen Blechschmidt vom Dekanatsbezirk Rügheim in seinem „Wort zum Sonntag.“ Das nicht aus dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk, sondern aus der Mainpost, Ausgabe Hassberge stammt. In seinem Artikel schrieb Herr Blechschmidt:

Bei christlichen Bestattungen wird oft ein Vers aus dem Alten Testament der Bibel, aus dem Prophetenbuch Jesaja vorgelesen: „So spricht der Herr, der dich geschaffen hat: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein!“ (Jesaja 43, 1)
Wir lesen diesen Bibelvers deshalb vor, um deutlich zu machen, dass die verstorbene Person, von der wir Abschied nehmen, ein Geschöpf Gottes war. Und mehr noch: Gott kennt sie beim Namen, sie gehört zu ihm, im Tod und im Leben. Gott schenkt uns das Leben, er begleitet uns auf unserem Lebensweg in guten und in schweren Zeiten, und am Ende kommt unser Lebensweg bei ihm ans Ziel. *

Was mir nicht passt, das lass‘ ich weg…

Tatsächlich stammt der Vers aus einer Passage beim Propheten Jesaja, die überschrieben ist mit “Gott erlöst sein Volk”. Ohne Weglassungen lautet der Satz wie folgt (Hervorhebung von mir):

  • Und nun spricht der HERR, der dich geschaffen hat, Jakob, und dich gemacht hat, Israel: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein! (Jes 43,1 LUT)

Es geht hier nicht** darum, dass Gott alle Menschen bei ihrem Namen anruft. Schon gar nicht bei der Taufe! Sondern es geht konkret um Israel, den Sohn Isaaks.

Der laut 1. Mose/Genesis 32, Vers 23-33 (“Jakobs Kampf am Jabbok. Sein neuer Name”) nachts mit Gott gekämpft haben und zu dem Gott anschließend gesagt haben soll:

  • Er sprach: Du sollst nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel; denn du hast mit Gott und mit Menschen gekämpft und hast gewonnen. (1. Mo 32,29 LUT) (“Israel” heißt hier “Gotteskämpfer” und ansonsten “Gott herrscht”.)

Im übertragenen Sinne meint Jesaja das Volk Israel, das Gott zu seinem Volk berufen und ihm den Namen Israel – also “Gott herrscht” gegeben hat.

Es geht nicht um die Taufe – es geht nicht mal um Christen

Es geht also weder um die Taufe. Noch geht es darum, dass Gott jemanden “zu sich gerufen” hat. Es geht auch nicht allgemein um alle Menschen. Und es geht nicht mal um Christen.

Der Text verheißt den Juden, die im babylonischen Exil leben, dass sie irgendwann wieder nach Juda bzw. Jerusalem zurückkehren werden. Das ist hier mit Erlösung gemeint. In diesem Zusammenhang wird auf die frühere „Erlösung“ aus der Sklaverei in Ägypten verwiesen.

Der Beerdigungsvers ist also – auch aufgrund seiner Popularität – ein beeindruckendes Beispiel dafür, wie das Christentum mit unglaublicher Unehrlichkeit und sozusagen ohne Rücksicht auf Verluste jüdische Texte vergewaltigt, bis sie den eigenen Vorstellungen dienlich erscheinen.

Einbildung – ist keine Bildung

Bei unserem Namen ruft Gott uns in der Taufe.

Was für eine verlockende Vorstellung: Der allmächtige allwissende Allgütige, der Schöpfer von Himmel und Erde himself hat nebenbei noch genug Zeit, alle, die – zum allergrößten Teil ohne ihre Zustimmung – zu Mitgliedern einer Glaubensgemeinschaft gemacht werden, bei ihrem Namen zu rufen.

Während gleichzeitig ungezählte Menschen unvorstellbares Leid ertragen müssen. Auch solche, die sich einbilden, irgendwann mal von Gott bei ihrem Namen gerufen worden zu sein. Gottes einzige Entschuldigung kann sein, dass er nicht existiert.

Mit der Taufe beginnt unser Lebensweg als Kinder Gottes, als Angehörige seines Volkes. Deswegen schadet es nichts, sich immer wieder einmal an die eigene Taufe erinnern zu lassen. Denn der Tag unserer Taufe war der Tag in unserem Leben, an dem Gott „ja“ zu uns gesagt hat, an dem er uns aufgenommen hat in sein Volk, in seine große Familie, die es überall auf der ganzen Welt gibt.

Mit der christlichen Taufe beginnt vor allem die in aller Regel kostenpflichtige Mitgliedschaft im Kundenkreis eines per undemokratischer Wahlmonarchie geführten Multimilliardenkonzerns. Einer Institution, die Menschen mit einer inhumanen Ideologie in die Irre führt. Indem sie ihnen vorgaukelt, Aussagen über die Absichten und das Verhalten eines bestimmten Wüstengottes treffen zu können, den sich ein Wüstenvolk in der Bronzezeit ausgedacht hatte.

Die bösen Mächte und Kräfte

Und seit wir zu ihm gehören, haben alle bösen Mächte und Kräfte dieser Welt keine Macht mehr über uns. Nicht einmal die Sünde und der Tod! Wir sind davon „erlöst“, sagt der Prophet Jesaja.

Wie oben schon erläutert, waren in dieser Geschichte nicht Christen im 21. Jahrhundert gemeint. Für die Frage, warum es in einer Welt, die ein allmächtiger allgütiger Schöpfer erschaffen haben soll überhaupt „böse Mächte und Kräfte“ gibt, haben Theologen allerlei bizarre Bewältigungsstrategien auf Lager.

Gott weiß, wer zu ihm gehört, zu wem er am Tag der Taufe gesagt hat: „Du bist mein!“ Er vergisst unsere Namen nicht, auch wenn wir oft nicht an ihn denken und vieles im Leben uns wichtiger erscheint.

Wie mag es um die Moral eines Götterwesens bestellt sein, der seine Gnade einzig davon abhängig macht, ob sich jemand ihm unterordnet (oder, in den allermeisten Fällen, ihm ohne eigene Zustimmung untergeordnet wird) oder nicht?

Wenn das Getauft-sein das einzige Kriterium ist, anhand dessen Gott entscheidet, wen er von der Schuld erlöst, die er jemandem vorher selbst angedichtet hat, dann ist dieser Gott höchstens ein eingebildeter, eifersüchtiger Narzisst. Aber wahrlich kein „gerechter Richter.“ Oder gar „bedingungslose Liebe“, was Christen gerne behaupten.

Wenn Gott genau Buch darüber führt, wer zu Lebzeiten mal getauft worden war und wer nicht, dann ja nur zu dem Zweck, später nicht versehentlich Menschen zu „erlösen“, die nicht getauft worden waren. Egal, was sie zu Lebzeiten getan oder gelassen haben. Nach der hier dargestellten göttlichen Logik spielt es für Gott keine Rolle, ob jemand zeitlebens betrogen, geraubt, gemordet oder sonstwie kriminell tätig war – solange er getauft ist.

Die Guten ins Töpfchen,…

Umgekehrt haben Menschen bei ihm keine Aussicht auf „Erlösung“, die sich stets mitmenschlich, hilfsbereit und fair verhalten haben, aber nicht getauft sind.

Zum Beispiel, weil sie keine oder andere Götter als ihn verehren. Oder auch, weil sie nie von diesem Gott Jahwe gehört haben. Oder weil sie in einer Zeit lebten, zu der sich die Menschen diesen Gott noch gar nicht ausgedacht hatten.

Dass er uns erlöst hat, gilt das ganze Leben lang, und sogar noch nach dem Tod! Nichts und niemand kann unserer Seele einen Schaden zufügen, denn wir gehören zu ihm. Also: Freuen Sie sich darüber, dass Sie getauft sind!

Quelle: Scrutator - Ungeschminkte Bibelkritik
Quelle: Scrutator***

Hier gibt Herr Blechschmidt vor, Dinge zu wissen, die er nicht wissen kann. Er behauptet etwas, für das es keinen einzigen validen Beweis gibt.

Diese Behauptung ist jedoch nicht etwa als Wunschvorstellung oder Fiktion gekennzeichnet. Sondern sie liest sich wie eine Tatsachenbehauptung.

Zumindest als Indiz für die Plausibilität dieser Behauptung würde man es deuten können, wenn getaufte Christen tatsächlich statistisch relevant weniger oft an seelischen Erkrankungen leiden würden als ungetaufte Menschen.

Dies ist jedoch nicht der Fall: Zahlreiche Studien, die sich mit dieser Frage beschäftigen, kommen in Summe auf kein aussagekräftiges Ergebnis. Es lässt sich statistisch nicht belegen, dass Gläubige wegen ihres Glaubens öfter oder seltener an psychischen Erkrankungen leiden.

Call to action: Jetzt aber schnell!

Falls Sie noch nicht getauft sind: Ich bin sicher, da kann man etwas machen! Rufen Sie einfach das nächste Pfarramt in Ihrer Nähe an, und lassen Sie sich erklären, wie es geht.

Jürgen BlechschmidtGäbe es nur einen einzigen vernünftigen Grund, die Existenz und die Eigenschaften und Absichten des von Herrn Blechschmidt behaupteten Gottes für wahr zu halten, dann wäre es selbstverständlich äußerst töricht, nicht sofort zum nächsten Pfarramt zu eilen und sich am besten direkt Nottaufen zu lassen.

Desweiteren würde es die Sorge um die Mitmenschen gebieten, ab sofort nichts mehr anderes zu tun, als zu versuchen, diese ebenfalls dazu zu bewegen, sich ebenfalls am besten direkt taufen zu lassen.

Denn schließlich geht es nicht nur um den Erlösungs-Jackpot. Sondern auch darum, Mitmenschen vor einer zeitlich unbegrenzten physischen und psychischen Dauerbestrafung durch Höllenqualen bei vollem Bewusstsein zu bewahren.

Voraussetzung für dies alles wäre, wie schon geschrieben, dass es den behaupteten Gott mit den behaupteten Eigenschaften tatsächlich gibt.

Keine Panik!

Solange die einzigen „Belege“ allerdings aus einer Mythensammlung und aus subjektiven Wunschvorstellungen bestehen, kann man auch den ganzen Rest getrost ignorieren.

Und sich stattdessen darum bemühen, ein glückliches und erfülltes, diesseitsorientiertes Leben zu führen. Und natürlich kann und sollte man dabei versuchen, die Welt besser, friedlicher, fairer und gesünder zu machen, als man sie vorgefunden hat.

Nicht, weil man sich davon eine fiktive Belohnung oder Bewahrung vor einer ebenso fiktiven Bestrafung erhofft. Sondern einfach seiner selbst und seiner Mitmenschen wegen.

Absurde Göttermythen mit einem inhumanen Belohnungs-Bestrafungskonzept braucht man dazu nicht.

Die Goldene Rosine im September 2018 geht an Dekan Jürgen Blechschmidt

Goldene Rosine am BandDer von Herrn Blechschmidt zitierte und passend zurechtgestutzte Bibelvers stimmt weder mit der irdischen Wirklichkeit, noch mit der eigentlichen Aussage in der biblischen Mythologie überein.

Was im religiösen Kontext völlig üblich zu sein scheint, würde ansonsten als grober Schnitzer bezeichnet. Oder, falls absichtlich geschehen: Als Irreführung oder Täuschung.

Für dieses Rosinenpicken verleihen wir Herrn Dekan Jürgen Blechschmidt hiermit feierlich die „Goldene Rosine am Band im September 2018“.

Herzlichen Glückwunsch!

*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Originalbeitrag aus der Mainpost (Ausgabe Hassberge) vom 12. Juli 2018, auch hier veröffentlicht auf infranken.de am 14. Juli 2018.
**Textanalyse mit freundlicher Unterstützung von Skydaddy.
***Meme: Scrutator – Ungeschminkte Bibelkritik

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