Drei Tage der Musik – Das Wort zum Wort zum Sonntag zum Thema Woodstock

Lesezeit: ~ 6 Min.

Drei Tage der Musik – Das Wort zum Wort zum Sonntag zum Thema 50 Jahre Woodstock, verkündigt von Annette Behnken (ev.), veröffentlicht am 17.8.2019 von ARD/daserste.de

Darum geht es…

Im heutigen „Wort zum Sonntag“ versucht Frau Behnken, das Woodstock-Festival anlässlich des 50jährigen Jubiläums für religiöse Zwecke zu verwursten. Das war’s eigentlich auch schon.

Dazu verwendet sie wo immer möglich eine religiöse Terminologie. Wohl mit der Idee, den Eindruck zu erwecken, Woodstock sei eigentlich mehr ein Kirchentag (oder zumindest ein irgendwie religiöses Ereignis) gewesen als ein Festival, das bis heute durch die drei Schlagworte Sex, Drugs und Rock ’n‘ Roll charakterisiert wird.

[…] Und vor allem fasziniert mich, dass hier Menschen eine Erfahrung gemacht haben, als wenn für einen Moment der Himmel die Erde berührt. (Quelle der so als Zitat gekennzeichneten Abschnitte: Drei Tage der Musik – Wort zum Sonntag zum Thema 50 Jahre Woodstock, verkündigt von Annette Behnken (ev.), veröffentlicht am 17.8.2019 von ARD/daserste.de)

Ja, der Konsum psychoaktiver Substanzen kann durchaus die wundersamsten Erfahrungen hervorrufen. Und es ist tatsächlich erstaunlich, wozu ein menschliches Gehirn fähig ist.

[…] Sie haben gezeigt: Wenn alle es wollen, geht es! An solche paradiesischen Momente kann ich eigentlich gar nicht mehr glauben, im Alltag und wenn ich die Nachrichten verfolge.

Seit wann herrscht denn im Paradies Demokratie? Wo das gemacht wird, was die Mehrheit will? Was für eine absurd verzerrte Vorstellung. Hätte Woodstock im Paradies stattgefunden, hätte man vermutlich als allererstes den Apfel der Erkenntnis zum Stechapfel erklärt und Tee daraus gebraut…

Woodstock, theologisch gesehen

[…] Woodstock war theologisch gesehen ein „Kairos“

  • „Woodstock“ gilt als Höhe- und gleichzeitig Endpunkt der im Mainstream angekommenen Hippiebewegung in den USA.
    (Quelle: Wikipedia)

Ob das Festival tatsächlich ein guter Zeitpunkt für eine grundlegende Entscheidung gewesen wäre, halte ich für fraglich. Denn für das Treffen von Entscheidungen ist ein klarer Kopf immer von Vorteil.

Keine Frage: Woodstock stellt sicher einen Meilenstein der jüngeren Menschheitsgeschichte dar. Trotzdem war das Festival meines Erachtens nur der Höhepunkt eines viel umfassenderen, vielschichtigen Liberalisierungsprozesses, der hier auf drei Tage verdichtet in die Geschichte einging.

Die Kirche gehörte damals zum verhassten Establishment, von dem es galt, sich zu befreien. Bis heute beißen sich bestimmte christliche Gruppierungen in den Allerwertesten, weil man es damals versäumt hatte, das Festival für eine Jesusshow zu instrumentalisieren.

Der Geist von Woodstock

[…] Was mich fasziniert ist der Geist von Woodstock.

Kritische Stimmen merken an, dass dieser „Geist“ von Woodstock vor allem die Folge einer Art Mythologisierung und Verklärung ist, die primär erst durch den später veröffentlichten Dokumentarfilm stattgefunden habe.

[…] Aber solche Momente brauchen wir. Gerade jetzt wieder. Sie werden anders sein, als Woodstock und vielleicht erkennen wir sie erst im Rückblick: Momente wie Geschenke des Himmels, in denen etwas durchschimmert vom Leben, wie es sein soll.

Die Momente, in denen bei Woodstock bestimmt so einiges geschimmert hat, mögen sich vielleicht wie Geschenke des Himmels angefühlt haben. Allerdings waren es keine „Geschenke des Himmels.“ Sondern Geschenke der Natur bzw. Chemie.

Wie zum Beispiel THC, LSD und 3,4,5-Trimethoxyphentenylamin. Und natürlich ein Geschenk der Evolution. Die dazu geführt hat, dass menschliche Organismen auf solche Mittel reagieren.

A propos psychoaktive Substanzen: Einen interessanten Artikel zum Thema „Humanismus und Rausch“ von der „Arbeitsgruppe für den selbstbestimmten Gebrauch psychoaktiver Substanzen“ gibts hier auf der Seite substanz.info.

Weltflucht mit LSD… oder Weihrauch

Sex, drugs and rock’n’roll, ja klar, auch das war Woodstock. LSD-getränkte Weltflucht, auch das gehörte dazu.

Das mit der Flucht aus der Wirklichkeit stellt für religiös Gläubige wohl kein allzu großes Problem dar. Das propagieren und betreiben sie ja selbst. Statt LSD verwenden sie eben magische Sprüche. Oder Weihrauch. Was ja ebenfalls als psychoaktive Droge gilt.

Da ich kein Zeitzeuge des Woodstock-Festivals bin, kann ich freilich nur vermuten, dass Sex, drugs and rock’n’roll wohl nicht, wie hier von Frau Behnken dargestellt, lediglich Randerscheinungen waren. Etwas, das halt nebenbei auch stattgefunden habe.

Zumindest der Dokumentarfilm lässt vermuten, dass genau diese Faktoren vielmehr unverzichtbare Voraussetzungen waren für das temporäre Entstehen einer friedlich-fröhlichen, für ein paar Tage wahr gewordenen Kollektivutopie.

Es gibt Leute, die durchaus gute Argumente für die These liefern können, dass sich eine liberale Drogenpolitik und freie Liebe positiv auf den Weltfrieden auswirken können.

Das dürfte aber wahrscheinlich nicht die Intention von Frau Behnke gewesen sein, wenn sie dem Woodstock-Festival eine quasireligiöse Dimension anzudichten versucht.

„In die Kirche statt zu Musik und Drogen“

WoodstockIn anderen christlichen Abteilungen sieht man das freilich längst nicht so locker wie offenbar Frau Behnken. Im Umfeld eines traditionellen Woodstock-Gedächtniskonzertes in Polen hatte ein katholisch-fanatistischer Fundamentalistenverein mit Plakaten unmissverständlich klar gemacht, wie Rockmusik und Drogen aus biblisch-christlich-fundamentalistischer Perspektive zu beurteilen sind. Natürlich sauber biblisch untermauert (Hervorhebung von mir):

  • Eine streng-katholische Organisation, die sich „Erzbruderschaft zur Verteidigung der Ehre des heiligen Herzens unseres Herrn Jesus“ nennt, warnt in ihrem Appell vor allen vor dem Drogenkonsum, den es auf dem Festival gibt, aber auch vor der Musik, die dort gespielt wird.
  • Als Argument wird eine Warnung vor der Verführung Minderjähriger zum Bösen aus der Bibel zitiert, in der es im Markus-Evangelium heißt: „Wer einem von diesen Kleinen, die an mich glauben, Ärgernis gibt, für den wäre es besser, wenn er mit einem Mühlstein um den Hals ins Meer geworfen würde.“ Den Eltern und Jugendlichen bietet die Organisation eine Alternative an: „Wir laden euch in unsere Kirchen ein, um das heilige Sakrament zu ehren und um die Vergebung unserer Sünden zu bitten“. (Quelle: moz.de: Rockfestival in Kostrzyn – Strenge Katholiken warnen: „In die Kirche statt zu Musik und Drogen“ – Dietrich Schröder / 24.07.2019)

Ausnahmsweise auch mal eine Ankedote – zum Thema satanische Rockmusik

Christliche Warnungen vor Rockmusik kommen allerdings nicht nur aus der erzkatholischen, sondern auch aus der evangelischen Ecke. Ich erinnere mich noch gut an einen Vortrag, in dem ein evangelischer Pfarrer uns Jugendliche damals über die Schädlichkeit und die Gefahren aufklärte, die das Hören von „satanischer Rockmusik“ mit sich bringen würden.

Mit vielen Beispielen demonstrierte er, welche satanische Botschaften in Rocksongs zu finden sind. Entweder ganz offensichtlich, oder – und das war für uns Jugendliche natürlich besonders spannend – in Form von angeblich rückwärts eingespielten „satanischen“ oder Drogen verherrlichenden Nachrichten.

Während wir Jugendlichen uns hauptsächlich über die prima Musikauswahl freuten, zeigten sich die ebenfalls anwesenden besorgten Eltern bestürzt. Und sie waren schwer beeindruckt von dem, was der Herr Pfarrer da so alles erzählte.

Allerdings schaffte er es, ganz am Ende seines Vortrages seine gesamte Glaubwürdigkeit und Autorität komplett zunichte zu machen. Indem er die Eltern noch wissen ließ, dass alle Kinder von Geburt an ja sowieso erstmal sündig und böse seien. Deshalb würden Babies ja auch immer so laut herumschreien. Zu „anständigen“ Menschen würden sie dann erst durch die Vermittlung des „richtigen“ Glaubens.

Das war dann wohl sogar den besonders gläubigen Erziehungsberechtigten ein bisschen too much.

Die besten Jahrzehnte…?

Aber nochmal kurz zurück zum „Wort zum Sonntag“:

Woodstock. Drei Tage der Musik und des Friedens. Es hätten die besten Jahrzehnte werden können.

Könnte es auch sein, dass die Jahrzehnte seit Woodstock vielleicht schon die besten Jahrzehnte waren?

Ich hoffe es nicht. Denn auch ich habe eine Hoffnung. Die besteht allerdings nicht aus dem Vertrauen auf ein fiktives magisches Himmelswesen, das sich Menschen in der Bronzezeit ausgedacht hatten. Meine Hoffnung ist die Entwicklungsfähigkeit der Menschheit.

Bei meiner Utopie setze ich nicht auf Realitätsflucht, egal ob durch Rauschmittel oder Religion. Was nicht heißt, dass in einer offenen und freien Gesellschaft, und darin besteht meine Utopie, nicht auch für beides Platz ist.

Sondern vielmehr auf einen säkularen evolutionären Humanismus. Und auf Wissenschaft und auf vernünftige Methoden, deren Wirksamkeit nicht davon abhängt, dass jemand daran glaubt.

Ergänzung von Jörn

Interessante Gedanken. Es ist mir noch gar nicht in den Sinn gekommen, Woodstock könnte etwas mit Theologie zu tun haben. Es war doch eher das Abschütteln von verkrusteten Vorstellungen und Gepflogenheiten. Sowohl im privaten Bereich als auch in der Politik.

Nichts könnte von Woodstock weiter entfernt sein als die bösartigen Vorschriften der Bibel, in Bezug auf Liebe, Sex, oder Gleichberechtigung von Mann und Frau. Woodstock erlaubte und zelebrierte eigene Gedanken, selbst wenn sie sich als falsch herausstellen sollten. Die Bibel verdammt hingegen jedes Ausprobieren und Abweichen vom heiligen Pfad der Tugend: „Ihr werdet Euren gerechten Lohn schon bekommen!“

Die Idee von „Peace & Love“ war doch humanistisch, nicht theologisch. Es begriff die Menschen als eine Weltgemeinde. Und es verwarf elitäre Gedanken, die über Jahrtausende darin bestanden, bestimmte Religionen, Nationen oder Hautfarben könnten mehr wert sein als andere. Es hob die Freiheit auf die erste Stelle. Und es feierte nicht die Unterwerfung unter eine Autorität, sondern lehnte sie kategorisch ab.

Wie die Frau Pfarrerin hier einen Schulterschluss zu ihrer religiösen Verkündung hinbekommen will, ist rätselhaft.

Warum berichtet sie nicht von einer explizit religiösen Raserei? Diese gibt es nämlich durchaus, etwa in Lourdes oder in zahlreichen anderen Orten. Oder wenn der Papst bei einem besonderen Event vor einer Million Zuhörern spricht (man denke an den Jugendtag in Köln mit Benedict). Man liest danach immer, dass man die Anwesenheit des Heiligen Geistes förmlich hätte greifen können.

Aber diese Orte und Events scheinen nichts zu bewirken. Sie vergehen, sobald der Wind den letzten Weihrauch verweht hat. Die Zauberbühne wird einpackt und an den nächsten Ort gefahren. Die Gläubigen wachen bald mit einem religiösen Kater auf. Ihre Fragen und all die Widersprüche des Lebens (und vor allem ihrer Religion) sind weiterhin vorhanden.

Geblieben sind nicht Träume und Utopien, die auch der nächsten Generation noch als Inspiration dienen können. Geblieben sind die leeren Phrasen des Priesters. Klar, sowas eignet sich nicht für eine feierliche Ansprache im Fernsehen. Dann muss eben Woodstock herhalten.

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