Gedanken zu: Impuls von Stadtpfarrer Buß: Der Hl. Pfarrer von Ars

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Gedanken zu: Impuls von Stadtpfarrer Buß: Der Hl. Pfarrer von Ars, veröffentlicht am 04.08.21 von osthessennews.de

Darum geht es

Mit einer eigenwilligen Umdeutung der Legende um den „Pfarrer von Ars“ empfiehlt Stadtpfarrer Stefan Buß zu schweigen, um göttliche Stimmen hören zu können.

– Heute ist der Gedenktag des sogenannten Pfarrers von Ars, Jean-Baptiste Marie Vianney. Er war katholischer Priester und lebte von 1786 bis 1859. Er wurde von Papst Pius XI. am 31. Mai 1925 heiliggesprochen.

Er zehrte sich in seinem Wirken bis auf das letzte auf und galt als guter Beichtvater.
(Quelle der so als Zitat gekennzeichneten Abschnitte: Impuls von Stadtpfarrer Buß: Der Hl. Pfarrer von Ars, veröffentlicht am 04.08.21 von osthessennews.de)

Legenden bieten die praktische Option, Aspekte, die aus heutiger Sicht frag- und kritikwürdig sind, bei Bedarf in der Überlieferung einfach wegzulassen. Prominenteste Beispiele dürften hier wohl die Legenden um den „Heiligen Nikolaus“ und „Sankt Martin“ sein.

Paradoxe Wandlung

Pfarrer von ArsZu diesen gerne mal weggelassenen Aspekten zählen paradoxerweise mitunter auch Eigenschaften und Handlungen, die früher noch als eindeutige Indizien für die außerordentliche Heiligkeit einer Person nicht verheimlicht, sondern vielmehr ganz besonders hervorgehoben wurden.

Wie zum Beispiel das überlieferte Faible des jungen Herrn Vianney für Selbstgeißelung. Und seine sonderbaren, religiös motivierten Askese-Angewohnheiten:

  • Neben dem Gebet und dem Verzicht auf Schlaf und Nahrung verwendete Johannes-Maria auch eine Bußgeißel, um bei Gott die Bekehrung der Seelen von Ars zu erwirken. Später bezeichnete er aber das Geißeln selbst als „jugendliche Torheit“ und meinte dazu: „Der Teufel macht sich wenig aus der Bußgeißel und andern Bußinstrumenten. Was ihn aber zur Raserei bringt, das sind Enthaltsamkeit im Trinken, Essen und Schlafen. Nichts fürchtet der Teufel mehr als gerade das – nichts aber ist auch Gott angenehmer.“
    (Quelle: kathpedia.com: Johannes-Maria Vianney)

Oder sein naiv-bauernfrömmiges Glaubensverständnis und seine strikte Ablehnung aller weltlichen Freuden und Genüsse:

  • Vianney „stellte die Türen der Tavernen als Tore zur Hölle dar“ und sorgte für deren Schließung in Ars. Ferner sprach Vianney sich „gegen die Sünde der Tänze“ aus, die „für ihn das Vorspiel für jede Art fleischlicher Versuchung“ darstellten, und verweigerte Gemeindemitgliedern die Absolution, sofern sie das Tanzen nicht aufgaben.
    (Quelle: Wikipedia: Jean-Marie Vianney)

Kampf gegen irdische Freuden und Genüsse

  • „[…] Der Teufel umgibt eine Tanzveranstaltung gleich einer Mauer um einen Garten. Der Tanz ist jener Strick, mit dem der Teufel die meisten Seelen in die Hölle zieht. Wer zum Tanzen geht, läßt vielfach seinen Schutzengel an der Türe zurück und der Teufel ersetzt ihn, so dass es im Tanzsaal alsbald ebensoviel Teufel wie Tänzer und Tänzerinnen gibt.“ 
    Mit gleicher Heftigkeit griff Vianney immer wieder auch die Wirtshäuser an: „Das Wirtshaus, das ist die Werkstatt des Teufels, die Schule, wo die Hölle ihren Unterricht gibt, der Ort, wo man die Seelen verkauft, wo die Ehen zerstört werden, wo die Gesundheit untergraben wird, wo der Streit anfängt und die Morde begangen werden.“ Im Laufe der Zeit mussten schließlich alle Wirtshäuser schließen.
    (Quelle: kathpedia.com: Johannes-Maria Vianney)

Dem typischen kathpedia-Nutzer dürfte bei solchen Schilderungen wohl ein frommer Schauer der religiösen Verzückung über den Rücken laufen.

Für alle Anderen sollen diese Beispiele genügen, um sich ein Bild von der religiös verstrahlten Vorstellungswelt des „Pfarrers von Ars“ machen zu können.

Das ist genug?

Es wird die Geschichte erzählt, der Pfarrer von Ars beobachtete einen alten Bauern, der jeden Tag um die Mittagszeit in die Kirche kam und kurz darauf wieder heraus. Eines Tages sprach er ihn an, was er wohl jeden Tag in der Kirche mache. Der Bauer antwortete ihm: „Eigentlich nicht viel. Ich sitze hier, ich schaue den lieben Gott an und er schaut mich an. Das ist genug.“ Gott anschauen und sich von ihm anschauen lassen, das ist genug!

Glaubt man den Schilderungen auf kathpedia.com, dann war es dem „Pfarrer von Ars“ eben nicht genug, Gott nur anzuschauen und sich von ihm anschauen zu lassen. Dort liest sich die Legende so (Hervorhebung von mir):

  • Das Gebetsleben der Pfarrei lag in den ersten Jahren danieder. Eines Tages, als Johannes Maria Vianney wieder einmal am frühen Morgen zur Kirche ging, sah er in der Kirche den Bauern, Vater Louis Chaffangeon, wie er im Gebet vor dem Allerheiligsten verweilte. Louis Chaffangeon war eine der Ausnahmen von Ars; er besuchte ganz von Anfang an regelmäßig vor Beginn seiner Arbeit die Kirche. Seinem Nachbarn, der ebenfalls auf dem Feld arbeitete, fiel das lange Fehlen auf, und er stellte ihn zur Rede. Bei Trochu findet man dazu folgende Dialoge: „Ich schaue den guten Gott an und der gute Gott schaut mich an.“ Der Pfarrer war dadurch noch mehr motiviert, den Leuten das Gebet beizubringen. Er reaktivierte für die Männer eine Sakramentsbruderschaft und für die Frauen eine Rosenkranzbruderschaft.
    (Quelle: ebenda)

Herrn Buß scheint es entweder egal zu sein, dass seine Interpretation augenscheinlich nicht zur überlieferten Legende passt. Oder er ist sich einfach sicher, dass sich schon niemand die Mühe machen wird, seinen heutigen Impuls zu hinterfragen.

Erspüren, was Gott mir sagen will

Und so liefert er gleich noch ein weiteres Anekdötchen hinterher:

Der Mensch neigt oft dazu auch im Gebet käme es auf Leistung und die besten formulierte [sic] Worte an. In der Kontaktaufnahme zu Gott muss der Mensch nichts leisten. Eine Frau sagte einmal: „Herr Pfarrer, ich kann gar nicht andächtig beten.“ Der Pfarrer antwortete ihr darauf: „Sie müssen nicht unablässig reden, seien sie einfach still, damit Gott ihnen etwas sagen kann.“ Gebet ist auch einfach einmal ruhig sein vor Gott. In die Stille hören und erspüren, was Gott mir sagen will.

Gemäß des vom lieben Gott persönlich geoffenbarten „Wort Gottes“ haben Frauen sowieso zu schweigen. Wenn sie etwas nicht verstehen, sollen sie ihre Männer fragen. Ob das auch für Frauen gilt, die sich Rosenkranzbruderschaften anschließen, konnte ich nicht ermitteln.

Die eigentlich spannende Frage zu diesem Thema: Was genau geschieht, wenn sich Menschen einbilden, dass ihre Götter ihnen etwas sagen?

Stimmen im Kopf

Bei allem, von dem Gläubige glauben, dass ihr Gott es ihnen eingeflüstert hat, handelt es sich um eine besondere Form eines inneren Monologes:

  • Manche Experten glauben, dass Menschen sehr oft ihrem eigenen Denken lauschen und es manchmal als solches nicht erkennen, dass es sich um ihre innere Stimme handelt. Man schätzt, dass man etwa ein Viertel seiner Zeit mit lautlosen Diskussionen und Monologen im Kopf verbringt. Diese innere Stimme wird in der Entwicklung erst erlernt, was man an Kindern beobachten kann, die vor sich hinmurmeln und aussprechen, was sie gerade denken bzw. tun, und erst viel später ihre Gedanken verinnerlichen. Auch Erwachsene unter Stress regredieren häufig in diese kindliche Phase und sprechen plötzlich wieder laut aus, was sie als Nächstes tun wollen. (Stangl, 2021).
    (Quelle: Stangl, W. (2021). Stichwort: ‚innere Stimme – Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik‘. Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik. WWW: https://lexikon.stangl.eu/19820/innere-stimme (2021-08-04))

Das „Hören“ solcher inneren Stimmen kann auch krankhafte Züge annehmen:

  • Manche Menschen wissen mit dem täglichen Stimmengewirr in ihrem Kopf nichts anzufangen, weil sie nicht genau wissen, welche Funktionen es hat, was davon normal ist und was vielleicht krankhaft sein könnte. Dieses Stimmenhören ist manchmal ein innerer Monolog, der mehr oder minder außer Kontrolle geraten kann und dann krankheitswertig wird. (Stangl, 2021).
    (Quelle: ebenda)

Pfarrer von Ars: Heiligenlegende als Aufruf zur Realitätsflucht

Gläubige, die behaupten, ihr jeweils geglaubter Gott spräche in ihren Gedanken, also vermittels ihrer eigenen inneren Stimme zu ihnen, scheinen sich nicht zu fragen, was es für ihre eingebildeten Scheindialoge bedeutet, dass Anhänger der unterschiedlichsten Götter mindestens genauso überzeugt behaupten, diese, und zwar nur diese „sprächen“ ebenfalls zu ihnen.

Natürlich sei es jedem selbst überlassen, wie er sich seine innere Gedankenwelt zusammenbastelt. Und sicher spricht nichts dagegen, sich ab und zu mal die Zeit zu nehmen, um sich mit der dafür erforderlichen Ruhe mit seinem gedanklichen Innenleben zu beschäftigen.

Wer allerdings öffentlich dazu aufruft, man solle sich darin üben, die Stimme eines fiktiven magischen Himmelwesens zu hören (oder genauer: seine eigene innere Stimme als solche zu interpretieren), der verleitet Menschen dazu, ihre eigene intellektuelle Redlichkeit zu korrumpieren. Je gewissenhafter sich jemand diese kognitive Verzerrung antrainiert, umso näher rückt er in die Richtung von Zuständen, die wahn- und damit krankhafte Züge annehmen können.

Und spätestens dann zeigt sich das Gefahrenpotential, das eine nur scheinbar harmlose religiöse Realitätsflucht für das klare Denken von Menschen mit sich bringen kann. Ganz abgesehen von den zahllosen Verbrechen, die Menschen schon begangen haben, weil sie ihre eigene innere Stimme irrtümlich für göttliche Anweisungen gehalten haben.

 

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