Runterputzen – Das Wort zum Wort zum Sonntag

Lesezeit: ~ 8 Min.

Runterputzen – Das Wort zum Wort zum Sonntag, veründigt von Stefanie Schardien, veröffentlicht am 18.09.2021 von ARD/daserste.de

Darum geht es

Der Wahlkampf zur bevorstehenden Bundestagswahl inspiriert Frau Schardien zu einer Fernsehpredigt zum Thema „Runterputzen.“ Dazu passend erscheint ihr die biblische Jesuslegende vom Zöllner Zachäus.

Zum Einstieg erzählt Frau Schardien, wie sie als Schulkind mal in Form eines Zettels mit einer „fiesen Zeichnung“ und durch „blöde Sprüche“ gemobbt worden war.

In den letzten Wochen hab ich an zwei Sachen öfter gedacht: an diesen Zettel und an einen Zöllner, Zachäus, eine Geschichte aus der Bibel. Auch gemobbt: weil er klein war und man ihn für einen Abzocker und Betrüger hielt. Was wohl auf seinem Zettel gestanden hätte?
(Quelle der so als Zitat gekennzeichneten Abschnitte: Runterputzen – Wort zum Sonntag, veründigt von Stefanie Schardien, veröffentlicht am 18.09.2021 von ARD/daserste.de)

…Runterputzen, weil er klein war?

In der biblischen Legende wird zwar erwähnt, dass Zachäus klein war. Dass er deswegen gemobbt worden wäre, hat Frau Schardien offenbar schnell mal dazugedichtet. Wohl um einen schöneren Übergang von ihrem eigenen Mobbing-Erlebnis zur Bibelstunde hinzubekommen. Und weil ein Mobbing wegen geringer Körpergröße einfacher als ungerechtfertigt und „fies“ dargestellt werden kann als die Geringschätzung von Zöllnern aus Gründen, die objektiv betrachtet nun mal womöglich tatsächlich kritikwürdig sind.

Warum Zöllner zu dieser Zeit nicht beliebt waren, lässt sich historisch nachvollziehen:

  • „Zöllner“ wurden von den Römern eingesetzt, um Tribute und Abgaben von der jüdischen Bevölkerung einzutreiben. Sie waren als Kollaborateure mit der Besatzungsmacht verhasst und wurden gesellschaftlich isoliert. Sie bestritten ihren eigenen Lebensunterhalt oft durch überhöhte Forderungen und Unterschlagung, um so einen bescheidenen Wohlstand – der damals jedoch weit über dem Durchschnittseinkommen lag und insofern als Reichtum galt – zu erlangen. Dies wiederum verstärkte die Ablehnung im Volk, die sie erfuhren. Auch in religiöser Hinsicht galten sie als Sünder, die mit Raub und Beihilfe zum Raub die überlieferte Tora übertraten und sich am Volk Gottes vergingen. (Quelle: Wikipedia – Zachäus)

Bevor Frau Schardien ihren Gottessohn zur Rettung von Zachäus‘ Ruf ins Spiel bringt, kommt sie erst noch kurz auf den Wahlkampf zu sprechen. In diesem Zusammenhang prangert sie das „Fertigmachen der Kandidierenden“ an. Sie beklagt sich über die harten Urteile und Vorurteile, die gern gleich öffentlich, millionenfach, viral gehen.

Wahrheit ist grundlegend. Ehrlichkeit. LOL

Nein, ich will auch keinen verlogenen Wahlkampf. Ich will keine Menschen wählen mit zweifelhafter Vergangenheit, mit geschönten Lebensläufen und Lügen im Gepäck. Wahrheit ist grundlegend. Ehrlichkeit.

Ich finde es immer wieder spannend, wenn Berufschristen wie Frau Schardien auf grundlegende Wahrheit, Ehrlichkeit bestehen.

Deren Mission besteht zwar nicht darin, potentielle Wähler von einem bestimmten Parteiprogramm zu überzeugen. Wohl aber darin, per staatlich subventionierter und geförderter Kaltaquise Menschen vom Angebot ihres Kirchenkonzerns zu überzeugen.

Und wenn sie bei dieser Mission die gleichen Maßstäbe anlegen würden, dann müssten sie zunächst mal einräumen, dass das ganze biblisch-christliche Heilsversprechen auf rein menschlicher Fiktion und falschen Versprechen beruht.

Hier sind nicht Wahrheit und Ehrlichkeit grundlegend. Sondern Wunschdenken und Hirngespinste, die wider besseres Wissen als wahr ausgegeben werden. Religiös glauben heißt: So tun als ob.

Da bleibt ja kaum jemand übrig

Aber was widerlich ist: Wahrheitssuche, deren einziges Ziel Zerstörung ist. Diese Gnadenlosigkeit – unerträglich. Heute, damals in der Schule und in der Bibel bei Zachäus. Denn: Wie geht’s denn weiter nach allen Angriffen und Verurteilungen? Was kommt nach der Zerstörung? Ja, wir zerlegen hier im Land gerade alles und jeden. Und am Ende dämmert es uns: Da bleibt ja kaum jemand übrig. Nichts, was gut ist. Nichts, womit es weitergehen kann. Für die nächsten vier Jahre und alle, die Verantwortung übernehmen sollen.

Wie immer kommt man auch hier nicht umhin, zu versuchen, die Dinge möglichst klar und differenziert zu betrachten, wenn man zu einer vernünftigen Einschätzung kommen möchte:

Welche Vorwürfe sind gerechtfertigt und auch tatsächlich schwer wiegend? Und welche sind es nicht oder eigentlich irrelevant? Und werden tatsächlich nur zur „Zerstörung“ des Rufes einer Person aufgebauscht und gezielt lanciert?

Erweisen sich Vorwürfe als gerechtfertigt und gravierend, kann es tatsächlich sein, dass nichts übrig bleibt, was gut ist. In diesem Fall ist eine möglichst frühzeitige Aufklärung aber sicher das kleinere Übel.

Und umgekehrt diskreditieren sich Leute, wenn sie ungerechtfertigte Anschuldigungen in Umlauf bringen und verbreiten. Oder wenn sie eigentlich irrelevante Vorwürfe aufbauschen, nur um Personen zu schaden. Hier bringt oft ein Blick auf die Quelle solcher Vorwürfe schnell Licht ins Dunkel.

In meinem Glauben nenne ich das Gnade

Jetzt sind wir natürlich schon alle sehr gespannt, wie Frau Schardien die Lösung in ihre gewählte Bibelstelle hineininterpretiert:

Schluss damit! Es braucht das, was Zachäus erlebt hat. In meinem Glauben nenne ich das Gnade. Als Jesus unter Jubel in seinen Ort kommt, da kehrt er… bei Zachäus ein. Die Vorwürfe der anderen? Kommen auf den Tisch. Nur biegt diese Geschichte dann anders ab: Jesus putzt Zachäus nicht runter, haut nicht drauf, sondern richtet ihn auf. Abends sagt er ihm diesen merkwürdigen Satz „Heute ist diesem Haus Heil widerfahren.“ Das Zöllnerhaus; sonst so oft kaputtgeredet, bekommt auf einmal Zukunft. Wir brauchen diese Verheißung, dass bei all unseren Schwächen und Fehlern eine gute Zukunft möglich bleibt.

Worum geht es in dieser Legende tatsächlich? Zunächst einmal ist wichtig, dass Zachäus zu den „verlorenen Schafen Israels“ zählt. Also genau zu der Zielgruppe, für die sich der biblische Jesus zuständig gefühlt hatte.

Diese Geschichte findet sich nur im Lukasevangelium. Und das Thema Arm und Reich spielt immer wieder eine wichtige Rolle in den Geschichten des anonymen Verfassers mit Pseudonym Lukas.

So auch hier: Dass es zu Spannungen führt, wenn „einer von ihnen“ damit beauftragt ist, für die Römer von ihnen, also den Juden Steuern einzutreiben und Zölle zu kassieren, liegt auf der Hand. Und wenn der dann auch noch einen überdurchschnittlichen Wohlstand an den Tag legt, dann kommt sicher der ein oder andere ins Grübeln.

Worum geht es tatsächlich in der Zachäus-Legende?

Anders als beim Mobbing, wo es ja darum geht, Menschen runterzuputzen, waren die Vorwürfe gegenüber Zachäus offenbar weder marginal, noch aus der Luft gegriffen.

Denn kaum, nachdem der Endzeitsektenprediger dessen Haus betreten hatte, in das er sich zuvor mit einer stichhaltigen Begründung selbst eingeladen hatte („…denn ich muss heute in deinem Haus einkehren“), räumt Zachäus selbst zumindest indirekt sein Fehlverhalten ein:

  • Zachäus aber trat herzu und sprach zu dem Herrn: Siehe, Herr, die Hälfte von meinem Besitz gebe ich den Armen, und wenn ich jemanden betrogen habe, so gebe ich es vierfach zurück.
    (Lk 19,8 LUT)

Während den Zöllner bisher offenbar kein schlechtes Gewissen wegen seiner Betrügereien geplagt hatte (und zwar so lange und umfangreich, dass der Ruf der ganzen Berufsgruppe darunter gelitten hatte), ändert sich seine Haltung nun plötzlich. Nicht, weil er mal von sich aus darauf gekommen wäre, dass sein Verhalten seinen Mitmenschen gegenüber falsch war. Sondern weil sich ein jüdischer Wanderprediger bei ihm zum Abendessen eingeladen hatte. Und sein Handeln damit in einen „höheren“ Zusammenhang gestellt worden war.

Der Schaden, den Zachäus durch seine Diebstähle bei seinen Glaubensbrüdern verursacht hatte, war ihm vorher offenbar genauso egal gewesen wie sein guter Ruf. Man kann sich gut vorstellen, dass er Kritik an seinem Verhalten bisher immer als „Zöllner-Mobbing“ abgetan hatte.

In der biblischen Legende ist nicht die Rede davon, dass Jesus ihn zur Rede stellt, um die Vorwürfe zu klären und aus der Welt zu schaffen. Zachäus bietet Jesus gegenüber von sich aus eine Wiedergutmachung an.

Das Bekenntnis macht den Unterschied

Aus meiner Sicht transportiert diese Geschichte mehrere Aussagen:

Durch das Bekenntnis zum „richtigen“ Gott werden aus schlechten Menschen gute Menschen. Und zwar nur so (Hervorhebung von mir):

  • Jesus aber sprach zu ihm: Heute ist diesem Hause Heil widerfahren, denn auch er ist ein Sohn Abrahams.
    (Quelle: Lukas 19,9 LUT)

Klar: Wäre Zachäus kein „Sohn Abrahams“ gewesen, hätte sich Jesus nicht bei ihm eingeladen. Und Jesus hätte natürlich auch keine „Verheißung“ für einen im Gepäck gehabt, der keine oder „falsche“ Götter verehrt. Zachäus hätte einfach so weitergemacht wie bisher. Und Jesus hätte sich nicht um ihn geschert.

Jesus hat es gar nicht nötig, Zachäus zur Rede zu stellen und ihn mit einer persönlichen Ansage und/oder guten Argumenten davon zu überzeugen, sein Verhalten zu ändern. Wozu ist man schließlich der Erlöser?

Es genügt die vermeintliche Verheißung, die sich Zachäus offenbar von seinem uneingeladenen Besucher verspricht. Und die ja auch für Frau Dr. Schardien von großer Bedeutung zu sein scheint.

Nur: Woraus soll diese Verheißung, dieses Heil hier konkret bestehen?

Wenn in der Bibel irgendetwas verheißen wird, dann ist damit stets die Verschonung vor dem gemeint, was der liebe Gott all jenen androht, die sich ihm nicht unterwerfen möchten.

…wenigstens die Hälfte

Eine weitere Kernaussage der Geschichte und typisch für Lukas: Wer reicher ist als seine Glaubensbrüder, soll gefälligst etwas von seinem Reichtum abgeben. Auch wenn Lukas den Zachäus in dieser Geschichte immerhin die Hälfte seines Vermögens behalten lässt. Man will sich’s ja mit niemandem verscherzen. Und schon gleich gar nicht mit den Reichen.

Diese Geschichte dürfte hauptsächlich dem Zweck gedient haben, Neid und Missgunst in der ingroup entgegenzuwirken. Und natürlich als eine weitere Demonstration göttlicher Macht und moralischer Überlegenheit: Jesus braucht sich nur mal zum Abendessen einzuladen, und schon werden aus schlechten Menschen gute Menschen.

Die Legende berichtet nicht davon, ob und wenn ja wie die Leute Zachäus „runtergeputzt“ hätten. Diebstahl oder Beihilfe dazu galt nach ihrer Religion als Sünde. Folgerichtig hielten sie ihn für einen Sünder. Ganz einfach.  Und dass er sich unrechtmäßig bereichert hatte, hatte der Zöllner mit seinem Vierfach-Rückzahlungsangebot ja selbst eingeräumt.

Die Leute murrten auch nicht über Zachäus. Sondern über Jesus. Der sich nicht bei ihnen, sondern bei dem eingeladen hatte, der seine berufliche Stellung dazu missbraucht hatte, sich offenbar systematisch widerrechtlich an ihnen zu bereichern. Womit Neid und Missgunst ob dessen Reichtums gut nachvollziehbar erscheinen.

Was macht Zukunft möglich?

Aufhören mit dem Runterputzen! Wir können anders: Wir können unsere Energie lieber in das stecken, was Zukunft möglich macht. Das wird sich für uns alle deutlich besser anfühlen, langfristig, aber sicher auch schon in der nächsten Woche.

Was ist es denn, was Ihrer Meinung nach „Zukunft möglich macht“, Frau Schardien? Und wie brauchbar ist ein ein gutes Gefühl für uns alle als Gradmesser für die Bewertung von menschlichem (Fehl-)verhalten?

Wenn es nach der von Ihnen zitierten biblischen Legende geht, ist das, „was Zukunft möglich macht“ das Bekenntnis zu Ihrem Gott. Weil das, laut dieser Legende, ja dazu führt, dass sich Menschen richtig verhalten.

Und die Gnade, von der Sie sprechen, bezieht sich im christlichen Kontext auf die Inszenierung des innerfamiliären vorübergehenden Menschenopfers, das sich Ihr Gott zu seiner eigenen Befriedigung im Interesse Dritter dargebracht haben soll. Gemeint ist hier kein menschliches, sondern göttliches Verzeihen. Und so, wie dieser Gott in der „Heiligen Schrift“ dargestellt wird, zählt Gnade keinesfalls zu dessen Kernkompetenzen. Dieser Gott wäre, wenn es ihn gäbe, zweifellos gnadenlos. Seine Liebe ist keine Verheißung, sondern eine erpresserische Nötigung.

Nun zeigt aber ein Blick in die irdische Wirklichkeit, dass Religionen eben nicht unbedingt dazu führen, dass sich Menschen ethisch richtig verhalten.

Im Gegenteil: Religionen, allen voran die Monotheistischen, ermöglichen Menschen auch immer eine „Legitimierung“ für unmenschliches Verhalten aller Art. Für beides finden sich die jeweils passenden Bibelstellen, auf die man sich bei Bedarf berufen kann.

Aufruf zur Fairness braucht keine göttliche Gnade

Frau Schardien, falls die Botschaft Ihrer Verkündigung einfach sein soll, dass man sich seinen Mitlebewesen gegenüber in deren und im eigenen Interesse bitte fair verhalten solle, dann braucht es dazu gar keine magisch-esoterische Komponenten wie Götter, Geister, Gottessöhne. Die genauso der menschlichen Imagination entspringen wie deren Verheißungen und angebliche Heilsversprechen.

Im Gegenteil: Solche Vorstellungen vernebeln den klaren Blick, den man braucht, um Dinge differenziert und möglichst objektiv betrachten zu können. Zum Beispiel, um herausfinden zu können, ob Vorwürfe gegen eine Person gerechtfertigt sind. Oder ob sie tatsächlich nur dem „Runterputzen“ dienen sollen.

Wie Jahwe, Zeus, Horus oder irgendwelche anderen Götter, sollte es sie geben, menschliches Verhalten bewerten, ist deren Angelegenheit. Besonders dann, wenn sie sich sowieso exakt so verhalten, als gäbe es sie nicht. Und das tun sie netterweise ja.

Indem Frau Schardien ein an sich sinnvolles und unterstützenswertes Anliegen in einen mehr schlecht als recht zurechtgebogenen biblischen Kontext stellt, schwächt sie ihre Argumentation, statt sie zu stärken. Die „offenen Enden“ wie „göttliche Gnade“, „Verheißung“ und „Heil“ baumeln zusammenhangslos und sinnleer in der Luft. Der ganze religiös-theologische Gehalt dieser Geschichte ist für Frau Schardiens Botschaft völlig irrelevant.

Eine Empfehlung zum vernünftigen und kritischen Denken, das bei der differenzierten Bewertung von menschlichem Verhalten weiterhelfen kann, fehlt.

Verständlich: Wer glauben möchte, muss ja explizit darauf verzichten, wissen zu wollen…

Einen Aufruf, das Menschen fair miteinander umgehen sollten, finde ich gut und sinnvoll.

Menschliches Verhalten nach den fragwürdigen Moralvorstellungen archaischer Göttermythen zu bewerten und es in einen Kontext mit diesen Mythen zu stellen, halte ich weder für zukunftsfähig, noch für empfehlenswert.

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