Wozu braucht man die Kirche? – Das Wort zum Wort zum Sonntag

Lesezeit: ~ 6 Min.

Wozu braucht man die Kirche? – Das Wort zum Wort zum Sonntag, verkündigt von Annette Behnken, Loccum, veröffentlicht am 21.5.22 von ARD/daserste.de

Darum geht es

Frau Behnken stellt ihre Kirche in Frage und erklärt, wozu sie persönlich die Kirche trotzdem braucht: Als Gebäude und für die Gemeinschaft mit Gleichgesinnten.

Wie so oft beginnt auch das heutige „Wort zum Sonntag“ mit einem Problem. Zumindest aus Sicht einer Berufschristin wie Frau Behnken:

Wozu? Wozu braucht man die Kirche?! Die Zahl der Kirchenmitglieder wird in Deutschland in diesem Jahr auf einen historischen Tiefstwert, auf unter 50% sinken. Und ich kann’s verstehen. Ich kann’s echt verstehen. Jede, jeden, der sagt: Das ist nicht meins. Was soll das Ganze noch? Das hat mit meinem Leben überhaupt nichts zu tun. Im Gegenteil: Es gibt viele Gründe, aus der Kirche auszutreten.

(Quelle der so als Zitat gekennzeichneten Abschnitte: Wozu braucht man die Kirche? – Wort zum Sonntag, verkündigt von Annette Behnken, Loccum, veröffentlicht am 21.5.22 von ARD/daserste.de)

Dass das, was die Kirche inhaltlich zu bieten hat für das Leben von immer mehr Leuten keine Bedeutung mehr hat, trifft sicher zu.

Hauptgrund für den Kirchenaustritt ist nicht die Irrelevanz des christlichen Glaubens, sondern die Kirche selbst

Trotzdem dürfte das nicht der Hauptgrund für die kontinuierlich und zuletzt rasant steigenden Austrittszahlen sein.

Laut kirchenaustritt.de gaben 2021 über 50% der ausgetretenen Schäfchen „Unzufriedenheit mit der Institution Kirche“ als Grund für ihren Austritt an.

Auf Platz zwei mit 30% landete die Kirchensteuer als Austrittsgrund. Und nur rund 12% der Christen verabschiedeten sich von der Kirche, weil sie nicht (mehr) an Gott glauben.

Der Hauptgrund ist also nicht die Irrelevanz der kirchlichen Botschaft. Sondern das Gebaren des Kirchenkonzerns.

Mit dieser Einleitung und einem verallgemeinernden „viele Gründe“ umschifft Frau Behnken elegant den Umstand, dass es eben nicht vorrangig die Belanglosigkeit der kirchlichen Botschaft ist.

Sondern dass die Kirche eine fremdfinanzierte und staatlich sonderprivilegierte Täterorganisation ist, die Straftaten systematisch ermöglicht und begünstigt, Opfer verhöhnt und Täter schützt. Ein Verhalten, wofür man sich als zahlendes Mitglied schämen sollte.

…lieber nicht verteidigen

Ja … und jetzt könnt ich mit meiner Verteidigungsrede anfangen. Und aufzählen, für was alles die Kirche gut und wichtig ist. Caritativ. Diakonisch. Sozial. Seelsorge. Katastrophenhilfe … undsoweiter. Und, ja, ist wichtig und richtig und gut.

Aber ich möchte gerade gar nicht verteidigen.

Dass Frau Behnken lieber nicht näher darauf eingehen möchte, „für was alles die Kirche gut und wichtig ist“, kann ich gut nachvollziehen.

Sicher ist auch ihr bekannt, was es mit der Caritas-Lüge auf sich hat. Und dass die nach wie vor überproportionale Präsenz der Kirche im sozialen Dienstleistungsbereich nur ein historisch bedingtes Überbleibsel aus längst vergangenen Zeiten ist.

All you need is – church?

Mich beschäftigt, was ich brauche. Von der Kirche. Für mein Leben.

Was braucht eine Berufschristin, die mit Glaubensreklame und -verkündigung ihr Geld verdient wohl von der Kirche für ihr Leben?

Ich würde sagen: Dass diese Kirche noch genügend Mittel aufbringen kann, um ihre Angestellten zu bezahlen. Spoiler: Dieser Aspekt taucht bei Frau Behnken erwartungsgemäß überhaupt nicht auf.

Was also braucht Frau Behnken noch von der Kirche für ihr Leben? Vielleicht die Hoffnung auf Erlösung von ihren (ererbten und eigenen) Sünden vermittels einer inszenierten innerfamiliären Todesfolterung?

Und damit den Eingang in die ewige himmlische Herrlichkeit? Anstelle physischer und psychischer Dauerfolter durch Höllenqualen bei vollem Bewusstsein und ohne Aussicht auf Begnadigung? Die ihr lieber Gott für alle vorsieht, die sich zu Lebzeiten nicht von ihm hatten „lieben“ lassen wollen?

Also das, was das Christentum seinen Schäfchen exklusiv anbietet?

…aber die schönen Kirchen…!

Ich brauche diese Gebäude. Diese erhabenen Kirchen mit ihren alten, dicken Mauern und Gewölben, die zum Himmel streben. In denen die Zeit anders läuft, das Licht anders fällt. In denen ich anders atme, aufrechter gehe und meine Augen und Ohren anfangen, anders hinzusehen und hinzuhören.

Diese Gebäude, in die ich hineingehe und sofort heraustrete aus Zweckmäßigkeit und Funktionalität. In denen ich uneffektiv sein darf. Und unfertig.

Ich brauche diese Kirchen, die dastehen, mitten in unseren Städten und Dörfern, wie Platzhalter für etwas, das im Gewusel unseres Alltags oft verschütt geht. Der Tiefe des Lebens auf der Spur zu sein. Und dem Sinn und Geschmack für’s Unendliche.

Ich brauche diese Orte, die das Unsichtbare sichtbar machen. Einen Ausschnitt aus dem Unendlichen zeigen, wie es der Architekt Mies van der Rohe sagt.

Die da stehen für eine andere Wirklichkeit, die wahr ist und da ist und das mitten drin in unseren Leben. Und wenn ich nicht mehr glauben kann an Friedfertigkeit, die Rettung der Schöpfung oder an Gerechtigkeit: Sie stehen da und stellen das als wirkliche Möglichkeit in die Welt.

Na, Frau Behnken, das ist doch ganz einfach:

Gründen Sie einen Verein zum Erhalt Ihrer Lieblingskirche, sammeln Sie Spenden und begeistern Sie andere (erwachsene) Gläubige dafür, sich für den Erhalt dieser Kirche ehrenamtlich zu engagieren.

Kirchengebäude stehen derzeit mangels Nachfrage ja landesweit zum Verkauf.

Dort können Sie dann gemeinsam mit gleichgesinnten Erwachsenen der Tiefe des Lebens auf der Spur sein und ganz im Sinne Friedrich Schleiermachers das Unendliche schmecken, wie es Ihnen beliebt.

Pflegen Sie Ihren gemeinsamen traditionellen Aberglauben, erzählen Sie sich orientalische Märchen aus der ausgehenden Bronzezeit, führen Sie sich Verwandlungszaubertricks vor, philosophieren Sie über das Leben, das Universum und den ganzen Rest, singen Sie, backen Sie Kuchen… Und überlegen vielleicht auch, ob Sie auch noch für Andere etwas Gutes tun können.

Also eigentlich genau so, wie das jeder andere Verein auch macht.

Gemeinschaft hilft, die Absurdität des Glaubens auszublenden

Ich brauche Orte und Menschen, die mich daran erinnern, dass wir nicht nur einen Realitätssinn haben. Sondern es auch noch diesen anderen Sinn gibt. Den Möglichkeitssinn. Und dass der göttlich ist, dieser Möglichkeitssinn, und die noch nicht erwachten Absichten Gottes umfasst. So schreibt es der Autor Robert Musil.

Gegen eine kollektive Realitätsflucht ist nichts einzuwenden. Solange diese auf eigene Kosten und nicht auf Kosten der Allgemeinheit stattfindet.

Scharen Sie erwachsene Mitgläubige um sich und warten Sie in Ihrer Kirche gemeinsam auf das Erwachen der Absichten Ihres Gottes. Oder was auch immer Sie sich von Ihrem göttlichen Möglichkeitssinn erhoffen.

Möglichkeitssinn: Alles ist möglich!

Das Unsichtbare Rosa Einhorn
Das Unsichtbare Rosa Einhorn

A propos Möglichkeitssinn: Vielleicht wollen Sie ja auch mal andere Möglichkeiten in Betracht ziehen. Die sind ebenfalls möglich und deshalb sollten Sie sie keinesfalls außer Acht lassen!

Auch Satan, Das Unsichtbare Rosa Einhorn oder Das Fliegende Spaghettimonster haben vielleicht noch nicht erwachte Absichten! Entdecke die Möglichkeiten!

Frau Behnken, gerade wenn Sie andere Menschen brauchen, die Ihre Phantasie- und Wunschvorstellungen mit Ihnen teilen, wäre so ein Kirchengebäude ja ein vortrefflicher Ort, um sich dort gegenseitig den Möglichkeitssinn zu schärfen bzw. zu vernebeln.

Sie brauchen dann auch nicht zu befürchten, dass jemand Ihr christliches Wolkenkuckucksheim mit kritischen Fragen ins Wanken bringt.

Zurück zum Thema: Gegen solche Wünsche ist natürlich grundsätzlich nichts einzuwenden.

Sehr viel einzuwenden ist jedoch gegen die Vorstellung, dass es Aufgabe der Allgemeinheit sei, Menschen diese Realitätsflucht zu finanzieren.

All you need is – Mitmenschen?

Ich brauche Menschen, die mir sagen und zeigen, dass das Leben ein Geschenk ist, das ich jeden Tag neu auspacken kann. Dass ich jeden Tag und jede Sekunde und immer und immer neu anfangen kann.

Ich brauche Menschen, die mir helfen, die Zumutung auszuhalten, die das Leben sein kann. Und den Schrecken des Todes.

Ich brauche Menschen, die mich trösten. Und Orte, die mich bergen.

Mit diesen (rein menschlichen) Bedürfnissen sind Sie sicher nicht allein, Frau Behnken.

Wenn es Ihnen tatsächlich um Mitmenschlichkeit geht, sollten Sie jedoch erst recht genau prüfen, inwieweit ausgerechnet das Christentum, die Kirche der passende Rahmen für solche Bedürfnisse sein kann.

Offensichtlich halten immer weniger Menschen die Kirche für einen Ort, an dem diese Bedürfnisse befriedigt werden. Immer mehr Menschen wird bewusst, dass die Antworten, die Religion auf Sinnfragen gibt auf magisch-esoterischen Fiktionen beruhen. Und deshalb, wie von Ihnen eingangs schon erwähnt, für die Lebenswirklichkeit von immer mehr Menschen irrelevant geworden sind.

Gesegnet: Wir sind die Guten!

Wir brauchen Menschen und Orte, die uns spüren lassen, dass wir Gesegnete sind. Die uns daran erinnern: Ihr seid gesegnet.

Auch das Argument, dass man sich als Kirchenmitglied als von Gott auserwählt und damit als etwas Besonderes fühlen darf, scheint nicht mehr als Argument zum Verbleib in der Kirche zu ziehen.

Mit dieser eingebildeten Überlegenheit, sich für etwas Besseres halten zu können, weil man an einen bestimmten Gott glaubt, können heute immer weniger Menschen noch sich selbst oder gar ihre Mitmenschen beeindrucken. Im Gegenteil.

Das mag vielleicht noch bei Abhängigen von fundamentalistischen Glaubenssekten funktionieren. Also solche, die die biblisch-christlichen Glaubensgrundlagen noch nicht zu einem diffusen, bestenfalls noch deistischen „Geschmack für’s Unendliche“ kastriert haben.

Alles für den Club…

Ich finde es schon erstaunlich, dass die eigentlichen Glaubensinhalte des biblisch-christlichen Glaubenskonstruktes für Sie offenbar ebenfalls schon bedeutungslos geworden zu sein scheinen, Frau Behnken. Praktisch alles, was Sie sich von der Kirche erhoffen, finden Sie, zumindest in ähnlicher Form, auch in nicht-religiösen Gemeinschaften.

Auch die Mitglieder des Dackelclubs fühlen sich als etwas Besonderes, wenn sie sich in ihrem Vereinseinheim mit drolligen Uniformen verkleidet treffen, um ihrem Hobby zu frönen, das für sie ebenfalls identitätsstiftend sein kann.

Segen in dieser Welt? …lieber nicht!

Und sollt ein Segen sein in dieser Welt.

Inquisition, Kriege, Atombomben: Wenn man bedenkt, was Christen schon alles als „Segen in dieser Welt“ bezeichnet haben, dann hätte ich es gerne etwas konkreter, um hier zustimmen zu können.

Fazit

Das erhabene Ambiente besonderer Räumlichkeiten, Gemeinschaft mit Gleichgesinnten, ein gewisses Überlegenheitsgefühl und vermutlich auch die Absicht, die Welt irgendwie besser machen zu wollen:

Wenn es wirklich nur das ist, was Frau Behnken noch von ihrer Kirche erwartet, dann rechtertigt das meines Erachtens die aktuelle Sonderstellung der christlichen Kirchen in keiner Weise.

Und interessanterweise scheint auch Frau Behnken ihre Arbeit- und Geldgeberin, also die Institution Kirche als solche überhaupt nicht mehr zu brauchen.

Deshalb wiederhole ich meine Einschätzung, dass solche Interessen am besten im Rahmen eines Vereins oder einer Interessengemeinschaft aufgehoben wären. Und von der Gesellschaft dann genauso behandelt werden wie andere Vereine oder Interessensgemeinschaften auch.

Somit können die positiven Aspekte, die das Engagement von Christen zweifellos auch beinhaltet für die Gesellschaft erhalten bleiben.

Wenn dann noch die kirchlichen Betätigungen im sozialen Dienstleistungsbereich in reguläre Firmenkonstrukte (mit regulärem Arbeitsrecht und regulärem Finanzierungsmodell) überführt werden, können die Kirchen als Institutionen abgeschafft werden, weil sie nicht mehr gebraucht werden.

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7 Gedanken zu „Wozu braucht man die Kirche? – Das Wort zum Wort zum Sonntag“

  1. Also das mit dem Segen könnte ich auch übernehmen. Ich habe zu Ostern Obermenzing (mit gezielten Ausnahmen: Wunsch einer Freundin … „man muss es ja nicht übertreiben und jeden segnen …“) und das Münchner Westend (vollständig) gesegnet. Hat prima geklappt – bis heute nicht eine einzige Beschwerde! Frau Behnken, so langsam nähern wir uns in der Einschätzung von Kirche/Religion/Glaube an.

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  2. Komisch, wenn ich als alter Satanist (check), mit einem Messer am Gürtel (check), bei Nacht (check), über den Friedhof laufe (check), kommt komischerweise keinem die Idee, dass ich das nur zur Entspannung tue, und nicht aus rituellem Selbstzweck…

    Diese erhabenen Bauten, was für tolle Museen gäben sie doch ab…

    Soundtrack des Abends: GRAVELAND „In the glare of burning churches“

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  3. Oh mein Gott, Herr Edmüller, was ist bei Ihnen los? Geht Ihnen der Segen aus? Haben Sie Segensinsolvenz angemeldet?
    Mensch, sei doch mal großzügig und hau raus den Kram. Kostet doch nix.

    Hiermit segne ich das ganze Universum und natürlich alle Paralleluniversen. Und dem Edmüller lege ich noch einen extra oben drauf.

    Gut, jetzt ist Schluss, bei mir wird’s auch schon knapp. Dieses letzte Extrasegnen vom Edmüller hat mich fast ruiniert.
    Liebe Freunde von awq, seid mir nicht böse, leider muss ich eine längere Pause beim segnen einlegen.

    Äh, beinahe hätte ich gesegneten Sonntag gesagt, na Ihr wisst schon.

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    • Also in München muss ich da als Anhänger von 1860 ein bisserl vorsichtig sein … wer will denn schon die ganzen FCBler segnen? Und weltweit sollte man auch an so finstere Gestalten wie Kyrill und viele seiner christlichen Kollegen denken – also: Etwas mehr Augenmaß und Präzision beim Segnen, lieber Herr Troschke! 😇

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