Die große Sehnsucht – Weihnachten – Das Wort zum Wort zum Sonntag

Lesezeit: ~ 6 Min.

Die große Sehnsucht – Weihnachten – Das Wort zum Wort zum Sonntag, verkündigt von Pfarrerin Stefanie Schardien, veröffentlicht am 24.12.2022 von ARD/daserste.de

Darum geht es

In typisch theologischer Manier vermischt Frau Schardien irdische Wirklichkeit und religiöse Sehnsucht, verpackt in sinnleere Phrasen.

Mit der Aufzählung einiger typischer TV-, Essens- und sonstiger Weihnachtsrituale schart Frau Schardien erstmal ihr Publikum auf dem Allgemeinplatz um sich.

Nachdem jetzt also schon mal alle mindestens ein Mal bei „Kartoffelsalat“ oder vielleicht auch bei „Der Kleine Lord“ innerlich zustimmend genickt haben dürften, kommt jetzt die religiöse Komponente ins Spiel:

[…] Ja, die Heilige Nacht: Sie soll sein wie immer, damit… damit sie eben gerade ganz anders wird als alle anderen im Jahr. Damit sie zur Heiligen Nacht wird. Wenigstens einmal im Jahr Heilig. Wo doch sonst so vieles Unheiliges passiert ist und passieren wird.

(Quelle der so als Zitat gekennzeichneten Abschnitte: Die große Sehnsucht – Weihnachten – Wort zum Sonntag, verkündigt von Pfarrerin Stefanie Schardien, veröffentlicht am 24.12.2022 von ARD/daserste.de, Zit. n. rundfunk.evangelisch.de)

Mit Begriffen wie „heilig“ und „unheilig“ kapern Religionsverkünder die Deutungshoheit darüber, was ethisch richtig und was ethisch falsch ist.

Heiligkeit ist ein denkbar schlechtes Kriterium.

Heilig bedeutet nämlich nur, dass jemand oder etwas „einer Sphäre des Göttlichen, Vollkommenen oder Absoluten“ (lt. Wikipedia) zugeordnet wird. Und was das angeht, gehen die Meinungen himmelweit auseinander. Q.E.D.

Wie unsinnig, aber auch potentiell gefährlich das sein kann, lässt sich zum Beispiel an den „heiligen Kriegen“ erkennen. Die im Namen aller x-beliebigen Gottheiten schon geführt wurden und bis heute geführt werden.

Die russischen Soldaten etwa werden im angeblichen Namen und Auftrag und mit der Segnung desselben Gottes in den Angriffskrieg geschickt, den auch Frau Schardien als „lieben Gott“ verehrt und propagiert.

Sehnsucht nach…?

In all dem, was wir an Heiligabend machen, in den ganzen Ritualen und Traditionen – Wie viel von unseren Träumen und Sehnsüchten steckt darin! Dass es doch Frieden in der Welt geben könnte, dass der Hunger aufhört und die Einsamkeit,

Ich wage zu bezweifeln, dass es den meisten Menschen, die sich am Abend des 24. Dezember gemeinsam die Bäuche vollschlagen dabei direkt oder indirekt um den Weltfrieden oder um die Überwindung des weltweiten Hungers geht.

A propos Hunger: Wäre es den christlichen Kirchen tatsächlich ein Anliegen, „dass der Hunger aufhört“, sie hätten die finanziellen Mittel, um jeglichen Hunger in der Welt sofort zu beenden.

Laut dieser Quelle betragen die Kosten dafür „nur“ 267 Milliarden Dollar. Aus irgendwelchen Gründen unterlassen es die Kirchen aber, hier selbst aktiv zu werden.

In Anbetracht des verschwindend geringen Anteils dessen, was die Kirchen tatsächlich aus „eigener Tasche“ für soziale Zwecke aufwenden ist es sicher keine Unterstellung, hier von Heuchelei zu sprechen.

Kann Wunden heilen, heilt aber keine Wunden

Wir erzählen Jahr für Jahr an Weihnachten, dass da ein Kind auftaucht, das die ganzen Wunden in der Welt heilen kann, die Erwachsene reißen. Leben kann neu und anders werden! Diesen Kern unserer Sehnsucht trifft Weihnachten.

Sie erzählen Jahr für Jahr an Weihnachten die Geburtslegende aus der biblisch-christlichen Mythologie, Frau Schardien. Und es kann ja durchaus sein, dass Sie sich davon tatsächlich mehr versprechen als ein regelmäßiges Einkommen. Menschen glauben ja alles Mögliche, wo sich andere Menschen nur an den Kopf fassen…

A propos Einkommen: Da Sie ja nicht befürchten müssen, dass Ihr Gott, genauso wie alle anderen Götter, Geister und Gottessöhne (sollte ein Jesus gelebt haben, dann war er ein Mensch und kein Gottessohn) jemals tatsächlich, also außerhalb menschlicher Phantasie im irdischen Geschehen auftauchen wird, können Sie im Grunde ganz beruhigt sein.

Sie glauben ja bestimmt an die Wirksamkeit von Gebeten. Da könnten Sie ja sicherheitshalber noch einen entsprechenden Passus in Ihre tägliche Gebetsroutine einbauen. Zum Beispiel:

  • Lieber Gott, bitte verhalte dich auch weiterhin genau so, als gäbe es dich nicht, damit ich Leuten weiterhin erzählen kann, dass sie an dich glauben sollen. Denn gäbe es dich wirklich, bräuchte ja niemand an dich zu glauben. Amen.

Gerne, nichts zu danken.

Aber zurück zu Ihrem Kind.

Frau Schardien, welche Rolle spielt es eigentlich für Sie persönlich, inwiefern das, was Sie in eine laufende Kamera des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sprechen einen Sinn ergibt? Oder wenigstens theoretisch einen Sinn ergeben könnte?

Wenn, wie Sie Jahr für Jahr erzählen, ein Kind „auftaucht“ (was ja nicht der Fall ist und womit auch in Zukunft genauso wenig wie mit der Rückkehr irgendwelcher anderer Götter zu rechnen ist), das in der Lage ist, alles menschlich verursachte Leid (was ist eigentlich mit dem Leid, das nicht von Erwachsenen, sondern zum Beispiel durch Erdbeben oder Vulkanausbrüche verursacht wird?) zu heilen, wieso tut es das dann nicht einfach?

Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie einfach und mit schlafwandlerischer Selbstverständlichkeit so tun, als gäbe es einen ursächlichen Zusammenhang zwischen den Götterwesen aus Ihrer religiösen Phantasie-Vorstellungswelt und der irdischen Wirklichkeit?

Verschwurbelte Formulierungen wie die vom Kind, das zwar könnte, aber augenscheinlich irgendwie doch nicht kann oder will, oder auch die vom Kern unserer Sehnsucht, den Weihnachten trifft sind immer ein zuverlässiges Indiz dafür, dass hier jemand Dinge erzählt, die bei Licht betrachtet schlicht und ergreifend Nonsens sind.

Leute, die solche Formulierungen verwenden, demonstrieren damit eine verblüffende Gleichgültigkeit der Sinnhaftigkeit und Glaubwürdigkeit ihren eigenen Aussagen gegenüber. Dieses Phänomen bezeichnet man als Bullshit.

All das ist heilig?

Am Heiligen Abend wollen viele davon selbst etwas zeigen: Darum laden wir uns ein und denken aneinander. Darum finden wir es so wichtig, mit anderen zusammen zu sein, wo es sonst so viel Gegeneinander gibt. Darum gehen so viele an Weihnachten – ja, immer noch! – in die Kirche und lassen sich anrühren von Stille Nacht. Darum kochen wir lecker und beschenken uns, wo wir uns sonst oft zu kurz gekommen fühlen. All das ist heilig. All das ist Teil der Botschaft vom Heiligen Abend: Leb so, wie Du ahnst, dass es gut und richtig wäre!

In Zeiten, in denen laut einer aktuellen Umfrage der Bertelsmann-Stiftung hierzulande jeder 4. Christ über einen Austritt aus der Kirche nachdenkt und in denen die Austrittszahlen zwar immernoch viel zu langsam, aber doch praktisch ungebremst in die Höhe schießen, darf man offenbar nichts unversucht lassen, um die eigene Dienstleistung noch als irgendwie relevant aussehen zu lassen.

Also wird eben mal schnell alles in Form einer kumulativen „Heiligsprechung“ für die eigenen Zwecke vereinnahmt. Nicht dass da noch jemand auf die Idee kommt, ein glückliches und erfüllendes Leben sei auch ganz gottlos möglich! Von wegen!

Überhebliches und sinnleeres Gefasel

[…] Der Heiligabend spricht das Beste in uns an und holt das Beste aus uns heraus. Denn – das ist die Botschaft seit zweitausend Jahren – Gott steckt an Heiligabend das Beste rein in dieses Leben, sich selbst als Kind in der Krippe. Darum wird diese Nacht heilig.

Trotz mehrfachen Durchlesens und redlicher Bemühung: Wie anders als mit „überhebliches und sinnleeres Gefasel“ könnte man solche Worte bezeichnen? Mir fällt nichts ein. Vielleicht hat ja jemand aus der geschätzten Leserschaft einen Vorschlag, den er hier mal als Kommentar reinstecken kann?

Bei Verkündigungen wie dieser, die in bester theologisch-rhetorischer Manier mit bedeutungsleeren Worthülsen („Gott steckt an Heiligabend das Beste rein in dieses Leben…“) um die Ecke kommt frage ich mich einmal mehr, wie lange das wohl noch so weitergehen soll/kann/wird.

Zum Einen, wie lange es noch Menschen gibt, die entweder ausreichend religiös gegen vernünftiges, kritisches Denken immunisiert sind – oder die in solchen hohlen Phrasen gar noch irgendeinen tieferen Sinn zu erkennen meinen.

Und zum Anderen, wie lange es der Institution Kirche noch gelingt, ihr millionenschweres Fremdfinanzierungsmodell und die beispiellose Sonderprivilegierung aufrecht zu erhalten.

Jahr für Jahr die selbe Leier…

Cartoon: J. Tilly
Im prähistorischen Museum. Grafik: J. Tilly

Wie oben schon kurz angedeutet: Solange sich der Christengott an die Abmachung hält und sich, sollte es ihn geben, genau so verhält, als gäbe es ihn nicht, können Menschen wie Frau Schardien weiter ihre Mythen und Wunschphantasien mit der irdischen Wirklichkeit vermischen, wie es ihnen beliebt. Und natürlich, ohne dass sich dadurch faktisch etwas ändert.

Jahr für Jahr. Weihnachten für Weihnachten. Ostern für Ostern: Es wird in alljährlicher Dauerschleife „verkündigt“, geboren, gekreuzigt, auferstanden, zurückgespult und neu gestartet. Das wird auf Dauer sogar dem Murmeltier zu langweilig.

Und trotzdem bleibt die berechtigte Hoffnung, dass auch der Christengott (nur echt mit den drei Falten) den vielen tausend Göttern, die sich Menschen schon ausgedacht hatten in die Bedeutungslosigkeit folgt. Und dass die zugehörige Religion als überwiegend unrühmliches Kapitel in die Menschheitsgeschichte eingegangen sein wird.

Viel effektiver als alle Dawkins, Hitchens und Ketzerpodcasts zusammen erledigt das derzeit – die Kirche selbst.

An dieser Stelle nochmal ein herzliches „Vergelt’s Gott“ an Kardinal Rainer Maria Woelki, der sich dieses Jahr ganz besonders um die Erosion des Christentums in Deutschland verdient gemacht hat. Weiter so, wir glauben ganz fest an Sie!

Gutes und richtiges Leben: Natürlich heilig

Ich glaube, dass alle Familientraditionen und Rituale etwas erzählen von diesem Heiligen. Ja, eben sogar mehr: Sie machen etwas wahr davon: vom guten und richtigen Leben.
Übrigens: Es ist nicht verboten, diese Erfahrungen auch in die 364 anderen Tage mitzunehmen.

Ich wünsche Ihnen frohe Weihnachten und eine gesegnete Heilige Nacht.

Lack of empathy

Und ich glaube, dass Frau Schardien hier einfach nochmal verzweifelt versucht, alle Familientraditionen und Rituale doch noch irgendwie für ihre religiösen Zwecke zu vereinnahmen.

Religion braucht man nur für gottgefälliges Leben. Genauer: Für das, was man für ein gottgefälliges Leben hält.

Für ein „gutes und richtiges Leben“ genügt es, kein Arschloch zu sein.

Fazit

Mir ist es beim besten Willen nicht gelungen, im heutigen „Wort zum Sonntag“ auch nur einen religiösen Aspekt zu finden, den ich für nachvollziehbar, sinnvoll und zustimmungsfähig halte.

Wenn das wirklich alles ist, was die (in diesem Fall evangelische) Kirche noch zu bieten hat, dann braucht sie sich nicht zu wundern, wenn sich immer weniger Menschen noch für solche Botschaften interessieren.

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3 Gedanken zu „Die große Sehnsucht – Weihnachten – Das Wort zum Wort zum Sonntag“

  1. Nichts Neues unter der Sonne!
    Solange die quietschende Gebetsmühle von Leuten wie Frau Schardien noch funktioniert, besteht kein Grund, am Niedergang der christlichen Religion zu zweifeln.

    Dass solche „himmelschreienden“ Widersprüche, sinnleeren Sentenzen und anspruchslosen Allgemeinplätze, wie sie die o. g. Predigerin vom Stapel lässt, überhaupt noch Gehör finden und auch noch öffentlich-rechtlich verbreitet werden können, hat zwei ganz einfache Gründe:
    1. Die Jahrtausende währende Indoktrination durch Religionen ist nicht von heute auf morgen aus den Köpfen der Menschen zu tilgen. Aber wenn wir die Entwicklung der letzten ca. 200 Jahre von der Französischen Revolution bis heute betrachten im Vergleich mit der ganzen Zeit davor, so ist diese doch sehr ermutigend. Trotz Rückschlägen nimmt die Säkularisierung nicht nur in Deutschland exponentielle Formen an.
    2. Religiöse Indoktrination kann letztlich nur durch Gewalt und Zwang aufrecht erhalten werden. Ist der Zwang beseitigt, fällt jedenfalls heutzutage jede Religion wie ein Kartenhaus zusammen. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. 😉

    Antworten
  2. Und hier ein kleiner Faktencheck zum Thema „Wir sehnen uns nach Weihnachten“, oder: „Warum sich Scheidungsanwälte auf das Christkind freuen“:

    „Weihnachten ist das Fest der Liebe… Und die Zeit nach Weihnachten scheint prädestiniert dafür zu sein, dieser Liebe den Laufpass zu geben. Ein Drittel aller Paare trennt sich, laut „Welt.de“ nach den Feiertagen im Dezember. Woran liegt das?“ (https://www.desired.de/liebe/trennung/darum-trennen-sich-viele-paare-nach-weihnachten/)

    Außerdem habe ich keine Ahnung, warum Religionspropagandisten wie Frau Schardien immer noch dran glauben, dass sich die Krippe an Weihnachten mit einer Gottheit füllen wird: Tut sie seit 2000 Jahren nicht – und wird sie auch nie tun.

    Antworten
  3. Ach, wo ist denn das Baby, ja wo isses denn…
    Verdammt schon wieder so ne geistige Totgeburt…
    und sie verspricht, jedes Jahr aufs neue, wieder zu kommen…

    …and again and again andagaiiinnn…

    Hat eigentlich mal jemand der Frau gesagt, dass die Krippe in ihrer Kirche, leer ist, ja sogar leer bleiben muss, genauso wie das Versprechen ihres „Heilands“; Der wollte ja schon vor 2000 Jahren zurück sein, noch bevor einer seiner Jünger ins Gras beisst!?

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