Sonntagnacht, halb zehn in Dresden – Das Wort zum Wort zum Sonntag

Lesezeit: ~ 4 Min.

Sonntagnacht, halb zehn in Dresden – Das Wort zum Wort zum Sonntag, verkündigt von Theologieprofessorin Julia Enxing, veröffentlicht am 03.02.2024 – 23:50 von ARD/daserste.de

Darum geht es

Frau Enxing transportiert die Bibellegende vom „guten Samariter“ in die Gegegnwart und umschifft so die theologischen Aspekte der Geschichte.

Diesmal erzählt Frau Enxing eine praktisch Programmfüllende Anekdote, in der sich ein Mensch mitmenschlich verhält: Ein Pizzafahrer bringt einen Obdachlosen abends in das Gemeindezentrum ihrer Kirchengemeinde in Dresden, wo man Obdachlosen Essen und Unterkunft anbietet.

Macht nichts

Erst ganz am Schluss klebt sie noch schnell ihr biblisch-christliches Etikett auf die Sendung:

Kennen Sie Geschichte des barmherzigen Samariters aus dem Lukasevangelium? Nein? Macht nichts, das war sie. Sonntagabend, halb zehn in Dresden.

(Quelle der so als Zitat gekennzeichneten Abschnitte: Sonntagnacht, halb zehn in Dresden – Wort zum Sonntag, verkündigt von Theologieprofessorin Julia Enxing, veröffentlicht am 03.02.2024 – 23:50 von ARD/daserste.de)

Und das wars auch schon.

Die Botschaft lautet also grob zusammengefasst: In meinem Umfeld hatte sich jemand mitmenschlich verhalten und auch in der Bibel gibts eine Legende, in der sich jemand mitmenschlich verhalten hatte. Fertig.

Darüber, was Frau Theologieprofessorin Julia Enxing ihrem Publikum damit sagen möchte, können wir nur spekulieren.

Wahrscheinlich möchte sie damit einfach einen weiteren Beitrag zur „Legende von der christlichen Moral“ liefern. Und da würden Details nur stören oder unnötige Fragen aufwerfen.

Selbstkritischer Jesus?

Zum Beispiel fehlt ein wichtiges Detail aus der biblischen Legende in Frau Enxings moderner Version:

In der Bibelgeschichte gehen erstmal einige Leute an dem Hilfsbedürftigen tatenlos vorbei, weil sie diesem aus religiösen Gründen (!) nicht helfen dürfen. Nicht, wie eigentlich zu erwarten, ein „Rechtgläubiger“, sondern ein „Heide“ ist es, der dem Gewaltopfer spontan und umfassend hilft.

Frau Enxing lässt sich dadurch freilich nicht irritieren: In ihrer modernen Adaption sind die Christen ihrer Kirchengemeinde natürlich die Guten. Die, die in ihrem Gemeindezentrum Hilfe für Obdachlose anbieten.

Und was Frau Enxing ebenfalls verschweigt – offenbar, weil es für ihre Verkündigung überhaupt keine Rolle mehr spielt – ist das, worum es bei der biblischen Samariter-Legende vermutlich eigentlich geht.

Ewiges Leben ererben?

Diese Geschichte ist nämlich nur ein Teil der Antwort des biblisch-mythologischen Gottessohns auf die Frage eines Gesetzeslehrers, was man tun müsse, um ewiges Leben zu ererben (Lk 10,25).

Mit größtmöglichem Wohlwollen und wenn wir den Kontext weglassen, könnten wir die Samariter-Legende so interpretieren, dass Jesus damit tatsächlich mal ausnahmsweise die Bedeutung der Barmherzigkeit über die des „rechten“ Glaubens gestellt hätte.

Das dürfte vermutlich der Intention von Frau Enxing entsprechen, diese Geschichte ohne irgendwelches theologisches Glaubensgedöns zu erzählen.

Allerdgings funktioniert das nur, wenn wir die Samariter-Geschichte mit spitzen Fingern aus dem biblischen Kontext herauspicken. Denn die biblische Gesamtaussage, inhaltlich zusammengefasst bei Markus 16,16 lässt keinen Zweifel daran, dass die Prioritäten des „lieben Gottes“ definitiv nicht beim mitmenschlichen Verhalten seiner bevorzugten Trockennasenaffen untereinander liegen.

Die Frage nach dem ewigen Leben lässt Jesus den Schriftgelehrten selbst beantworten:

  1. Er gab zur Antwort: »Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, mit deiner ganzen Seele, mit aller deiner Kraft und mit deinem ganzen Denken« (5.Mose 6,5) und »deinen Nächsten wie dich selbst« (3.Mose 19,18).
  2. Jesus sagte zu ihm: »Du hast richtig geantwortet; tu das, so wirst du leben!«
(Lukas 10, 27-28 MENG)

Erst danach kommt dann die Geschichte vom Samariter, als Antwort auf die Frage, wer denn nun mit der „Nächste“ gemeint sein soll. Mainstream-Christen präsentieren diese Stelle gerne als angeblichen Beleg dafür, dass mit der biblischen Nächstenliebe etwas Universelles, nicht durch die Zugehörigkeit zur selben Glaubensgemeinschaft Begrenztes gemeint sei. Auch hier spricht die restliche Bibel eine grundlegend andere Sprache.

Wesentlich plausibler erscheint mir deshalb eine andere Interpretation.

…die, von denen man es nicht erwartet

Die Samariter erwarteten ähnlich wie die Juden einen Retter. Im Gegensatz zu den Juden jedoch keinen König, sondern einen Propheten wie Mose.

Zur Zeit von Jesus galten die Samariter bei den Juden als Irrgläubige. Sie und ihr Land wurden von den Frommen verachtet und gemieden. Jesus dagegen ist den Samaritern nicht ausgewichen. Nach dem Lukasevangelium ist er auf dem Weg von Galiläa nach Jerusalem mitten durch das Gebiet der Samariter gezogen und hat die Begegnung mit Samaritern nicht gescheut (Lukas 9,52-56). Auch sie können zum Glauben kommen (Lukas 17,11-19; Johannes 4,1-42). Die Erzählung vom barmherzigen Samariter (Lukas 10,29-37) hält allen Frommen vor Augen, dass auch die, von denen man es nicht erwartet, beispielhafte Nächstenliebe zeigen können.

(Quelle: die-bibel.de – Stichwort: Samariter)

Vorab: An anderer Stelle fordert der biblische Jesus seine Nachfolger ausdrücklich dazu auf, die Städte der Samariter bei ihren Missionierungsversuchen großräumig zu umfahren und sich bei der Auqise statt um Heiden nur um die „verlorenen Schafe des Hauses Israel“ zu kümmern (Matthäus 10,5-6). In der Bibel ist halt immer für alle was dabei.

Besonders entlarvend finde ich hier die unscheinbare Stelle „…die, von denen man es nicht erwartet…“.

„Fromme“ rechnen also offenbar gar nicht damit, dass sich auch jene Menschen beispielhaft mitmenschlich verhalten können, die ihren religiösen Aberglauben nicht teilen.

Menschen, die ganz ohne fragwürdige Konstrukte wie unrealistische „Nächstenliebe“ oder das unmenschliche biblisch-christliche Belohnungs-Bestrafungskonzept auskommen. Die Menschen in Not der Mitmenschen wegen helfen. Und nicht, weil sie sich einbilden, damit Pluspunkte für ihr „Seelenheil“ zu sammeln. Als Eigennutz genügt ihnen das gute Gefühl, etwas Gutes getan zu haben.

Auch sie können zum Glauben kommen

Ebenfalls entlarvend die Stelle: „Auch sie können zum Glauben kommen.“

Obwohl Frau Enxing als Theologieprofessorin hier sicher problemlos einiges Licht ins Dunkel hätte bringen können, beschränkt sie sich beim religiösen Anteil auf einen schlichten Verweis auf eine Bibelgeschichte ähnlichen Inhalts.

Da das „Wort zum Sonntag“ ja eine Kirchenreklamesendung ist, erscheint mir die Annahme plausibel, dass es auch Frau Theologieprofessorin Enxing darum gegangen sein dürfte, dass Menschen durch ihre Geschichte „zum Glauben kommen“ könnten, statt sich über inhaltliche Widersprüche und Unklarheiten den Kopf zu zerbrechen.

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6 Gedanken zu „Sonntagnacht, halb zehn in Dresden – Das Wort zum Wort zum Sonntag“

  1. Die Botschaft von Frau Enxing ist schon krass:
    Der unkritische Zuhörer gewinnt den Eindruck, dass zwar der Pizza-Fahrer eine gute Tat getan hat, ohne dass Frau Enxing sein Verhältnis zur Religion nachgefragt hätte, dass aber seine Nächstenliebe und Fürsorge natürlich vergeblich gewesen wäre, wenn es nicht die superbarmherzige, k i r c h e n g e f ü h r t e, Wärme und Licht ausstrahlende Obdachlosenbleibe gegeben hätte, in der auch noch obendrein die sympathische Frau Enxing persönlich eine führende Rolle spielt.
    Das Paradies kann für einen Obdachlosen eigentlich nicht schöner sein. 😉
    Letztendlich hat Frau Enxing dem Obdachlosen das Leben gerettet. Sie ist sozusagen ein weiblicher Petrus, der die armen und demütigen Sünder an der Himmelspforte einlässt. 😉
    Dass sie die am nächsten Morgen wieder rausschmeisst, wird nicht erwähnt, ist aber eben der Unterschied zwischen Himmel und Erde.

    Wenn man somit diese Anekdote in einen grösseren Zusammenhang stellt, ergibt sich folgendes Bild:
    Die Religion ködert die Menschen mit Almosen und Trostpflastern, will aber an deren irdischem Elend überhaupt nichts ändern, weil nämlich dann, wenn sie es täte, für die Menschen der Reiz auf ein gerechtes und himmlisches Paradies verloren gehen und ihr Einfluss und ihre Macht dramatisch schwinden würden. Drum ist das Verwalten des Elends ihre höchste Aufgabe auf Erden. Da ist sie in ihrem Element.

    Antworten
  2. Für die atheistischen Version dieser Geschichte, die der Wahrheit wohl am nächsten kommt, zitiere ich Steven Weinberg (Nobelpreis Physik 1979)
    „Mit oder ohne Religion würden gute Menschen Gutes tun und böse Menschen Böses. Aber damit gute Menschen Böses tun, bedarf es der Religion“.

    Antworten
  3. Ist doch allerliebst, dass Fr. Enxing daran erinnert, dass auch Menschen, die keine Mainstream-Gläubigen sind, empathisch handeln können.
    Weil das ach so beliebte Gleichnis vom Barmherzigen Smariter allzu kurz kommt, will ich darauf noch etwas ausführlicher eingehen.
    Die Atheisten sollten sich durch das Gleichnis vom Samariter nicht gebauchpinselt fühlen. Die waren damals ja alle ersäuft worden. Der Samariter gehörte einer Konkurrenzreligion an und die erobern sich Anteile am Esoterikmarkt, wenn sie nicht in Sachen Nächstenliebe überboten werden. Das ist viel gefährlicher.
    Auf vaticannews erfährt man, dass dieses Gleichnis auch ein Lieblingsmärchen von Bergoglio ist. Er peppt das allerdings zeitgemäß etwas auf und erzählt seine Version ganz im Stil eines Tatsachenberichts.
    Demnach wurde das Opfer nicht nur einfach niedergeschlagen, wie es bei Lukas 10 lapidar heißt, sondern es wurde BLUUUTIG geschlagen. Und der Priester ging nicht einfach vorüber, sondern er dachte „bloß an die Messe, die gleich beginnen sollte“. (Nun, er muss es ja wissen, an was seine Priester bis hin zum Bischof angesichts des Opfers eines Verbrechens so denken). Der Levit wiederum ist „ein Mann der Kultur, des Gesetzes“ (Tempeldiener oder Kultbeamter trifft es eigentlich ganz gut; ob er kultiviert und gesetzestreu war, wage ICH jedenfalls nicht zu entscheiden). Beide aber gehörten lt. Bergoglio zu einer ganz schlimmen Sorte von Menschen: sie waren Funktionäre !!!
    »Ganz anders der Samariter.„Das war kein Funktionär, das war ein Mann mit einem Herzen, ein Mann mit einem offenen Herzen“
    „Er hat nicht auf seine Uhr (KB: Armband- Taschen- Handy- ?) geschaut, er hat auf (KB: soll sicher „auch“ heißen) nicht auf das Blut geschaut.“«
    Dann lobt er den Samariter auch noch, weil er
    »„offen für die Überraschungen Gottes“ ist« und tadelt (!) die christlichen „Amtsträger“:
    »„Das sind die christlichen (KB: ! gleich mal alle christlichen, nicht nur die katholischen !) Amtsträger, diejenigen, die nicht offen sind für die Überraschungen Gottes“«
    Was mögen diese „Überraschungen Gottes“ wohl sein ? Ein armer Reisender, den ER von Räubern hat zusammenschlagen und ausrauben lassen und den ER dann halbtot am Wegesrand liegen lässt ???
    (Nur mal zur Erinnerung: Die Leviten waren auch die, die in der Affäre „Tanz um das Goldene Kalb“ Geschwisterlichkeit und Väterlichkeit, Freundschaft und Nachbarschaft nach Art des AT vollzogen haben; des AT, das laut KKK von der „Erziehungskunst der göttlichen Liebe“ zeugt:
    >>2. Moses 32,27 Er sagte zu ihnen: So spricht der HERR, der Gott Israels: Jeder lege sein Schwert an. Zieht durch das Lager von Tor zu Tor! Jeder erschlage seinen Bruder (!), seinen Freund (!), seinen Nachbarn (!). 28 Die Leviten taten, was Mose gesagt hatte. Vom Volk fielen an jenem Tag gegen dreitausend Mann. 29 Dann sagte Mose: Füllt heute eure Hände für den HERRN! Denn jeder ist gegen seinen Sohn (!) und seinen Bruder(!) vorgegangen, damit Segen auf euch komme.[2]<<)
    Traditionsgemäß sollte man also von Leviten sowas wie Barmherzigkeit gar nicht erst erwarten.

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