Fundstück der Woche: Völkische und nationalistische Programmatik nicht mit dem christlichen Glauben vereinbar?

Lesezeit: ~ 4 Min.

Darum geht es

Drei Bischöfe behaupten, dass der christliche Glaube nicht mit völkisch-nationalistischer Programmatik vereinbar sei. Aber stimmt das?

In diesem Beitrag auf osthessennews.de vom 3.9.24 werden die drei Bischöfe Neymeyr, Timmerevers und Gerber wie folgt zitiert:

Fundstück der Woche

Eine völkisch-nationalistische Programmatik, wie sie die AfD vertritt, sei also nicht mit dem christlichen Glauben vereinbar, so die einstimmige Meinung von drei katholischen Bischöfen, die dieses öffentlich behaupten.

Wie die Kirchenfunktionäre zu dieser Auffassung kommen, geht aus dem Beitrag nicht hervor.

Natürlich kann es sein, dass eine solche Programmatik nicht mit der persönlichen politischen Einstellung der drei Oberhirten vereinbar ist.

Es kann auch sein, dass die drei Bischöfe eine solche Programmatik nicht mit ihrer persönlichen Interpretation des christlichen Glaubens vereinbaren können.

Aber stimmt es wirklich, dass eine völkisch-nationalistische Programmatik mit dem christlichen Glauben an sich nicht vereinbar ist?

Mehrere Argumente sprechen gegen diese These:

gemeinfrei / Quelle: https://www.bild.bundesarchiv.de/dba/de/
Plakat von 1932 – Quelle: Bundesarchiv (gemeinfrei)

Allem voran natürlich der Umstand, dass der christliche Glaube vor noch nicht mal 100 Jahren natürlich sehr wohl und völlig zweifellos mit der völkisch-nationalistischen Programmatik der Nationalsozialisten vereinbar war.

Wobei das sogar stark untertrieben ist: Die christliche und die politische Ideologie der Nazis waren wie geschaffen für den engen Schulterschluss zwischen Kirche und dem Hitler-Regime.

Das innige, ja intime Verhältnis zwischen katholischen wie evangelischen Bischöfen und dem Katholiken Hitler und sogar bis über das Ende der Nazidikatur hinaus (Stichwort: Rattenlinien) ist umfassend dokumentiert. Zum Einstieg ins Thema eignet sich zum Beispiel Kirche im Dritten Reich auf reimbibel.de.

Weitere einende Elemente in der gemeinsamen Programmatik waren der Antikommunismus und der Antisemitismus; für seinen Judenhass war Hitler von den christlichen Kirchen frenetisch gefeiert und von den Christen durch Gebet und Wahlstimmen tatkräftig (sofern man bei Gebeten von tatkräftig sprechen kann) unterstützt worden. Neben Schutz versprach man sich von den Eroberungskriegen der Nazis auch eine Ausweitung des eigenen Einflussbereiches.

Ganz offensichtlich war zumindest schon mal damals noch der christliche Glaube also nicht nur mit der Naziideologie vereinbar. Sondern geradezu prädestiniert für eine politische Instrumentalisierung.

Zu der die christlichen Kirchenvertreter mit wehenden Fahnen, überschwänglichen Predigten und mit Bischofsworten voller Leidenschaft für das Dritte Reich und seinen Führer einwilligten. Wie immer ging es dabei um Macht und Geld – das mit den Schätzen, die man nur fürs Jenseits sammeln (Mt 6,29) solle, galt offenbar nur für die Schäfchen, nicht aber für die Mutter Kirche selbst.

Ganz anders freilich die Darstellung der christlichen Kirchen heute: Da ist dann nur noch die Rede von den wenigen christlichen Widerständlern, die sich mit ihrem Widerstand gegen die Nazis auch gegen die Linie ihrer Kirchen stellten.

180-Grad-Wende

Nun könnte man freilich einwenden, dass ja auch dem Christentum zugestanden werden müsse, sich weiterentwickeln zu können.

Auf Vertreter des Christentums mag das freilich zutreffen. Allerdings berufen sich die heutigen Christen ja auf die selbe biblische Textgrundlage, die auch schon damals als Moralquelle herangezogen worden war.

Am Beispiel der 180-Grad-Wende, die zumindest der christliche Mainstream nach Ende der Nazidiktatur vollzogen hatte, lässt sich sehr gut die Unbrauchbarkeit einer „Heiligen Schrift“ als Moralquelle aufzeigen.

Denn aus solchen göttlich geoffenbarten (oder zumindest göttlich inspirierten) Schriften darf natürlich nicht einfach zum Beispiel das entfernt werden, was zwar für die einfachere Führung eines halbnomadischen Wüstenstammes in der ausgehenden Bronzezeit (oder zur Verführung der christlichen Massen im 3. Reich) passend war, nicht aber als moralische Grundlage einer demokratisch-freiheitlichen Gesellschaft im 21. Jahrhundert taugt. Und Updates gibts auch keine – wenn überhaupt, dann höchstens graduelle Entschärfungen besonders problematischer Formulierungen.

Die Bischöfe und Priester hatten es zur Zeit des Nationalsozialismus wesentlich einfacher, Stellen in der Bibel zu finden, die exakt zur völkisch-nationalistischen Programmatik der Nazis passten als wenn Kirchenfunktionäre heute versuchen, das Gegenteil zu belegen. Deswegen versuchen sie’s erst gar nicht.

Und so erstaunt es kaum, dass die drei zitierten Herren wenigstens eine theologische Begründung – wenigstens eine kurze! – für ihre Behauptung schuldig bleiben. Mit dem selben Brustton der Überzeugung hatten die Bischöfe damals für Hitler geworben – in sich schlüssig biblisch-christlich begründet.

Und heute?

Ein weiterer Aspekt, der Fragen an der Richtigkeit dieser bischöflichen Feststellung aufwirft:

Auch heute noch, bzw. heute wieder mehr denn je sind christliche Kirchen genau dort noch besonders einflussreich und im Wachstum begriffen (v. a. evangelikale Sekten, aber auch Katholizismus, z. B. in afrikanischen Ländern), wo der christliche Glaube von Verbrechern mit völkisch-nationalistischer Programmatik protegiert, gefördert und der christliche Glaube zum Wahlkampf instrumentalisiert wird.

Die Wahlerfolge der Populisten, Demagogen und Diktatoren, die sich die christlich-religiöse Indoktrinierung ihrer Wähler für ihre Zwecke zunutze machen, belegen zweifelsfrei, dass die Behauptung der drei Bischöfe nicht zutrifft – nicht zutreffen kann. Die Masche funktioniert nach wie vor.

Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter und frage: Was sollte sich zum Durchsetzen einer völkisch-nationalistischen Programmatik besser eignen als ein monotheistisches Glaubenskonstrukt? Das auf einem tribalistischen Gesellschaftssystem basiert, das die ingroup permanent überhöht und die outgroup erniedrigt, bis hin zur im Neuen Testament neu dazu gekommenen Höllenfolter?

Pro Demokratie und katholisch?

Dass sich die katholische Kirche von Parteien und Personen, die eine völkisch-nationalistische Programmatik vertreten distanzieren möchte, ist nachvollziehbar, ein Statement pro Demokratie natürlich zu befürworten.

In diesem Fall stellt sich jedoch die Frage, warum die Herrn Dr. Ulrich Neymeyr, Heinrich Timmerevers und Dr. Michael Gerber als Bischöfe für die katholische Kirche (die ihrerseits die Gehälter ihrer Bischöfe hierzulande aus öffentlichen Mitteln fremdfinanziert) tätig sind, die mit Demokratie, sowie mit weiteren wichtigen Errungenschaften und Grundlagen einer offenen und freien Gesellschaft wie zum Beispiel Gleichberechtigung von Mann und Frau ja bekannterweise bis heute nichts am Hut hat.

Dass in der undemokratischen patriarchalischen Wahlmonarchie „katholische Kirche“ Demokratie-Bestrebungen wenig bis keine Aussicht auf Erfolg haben, das lässt der gegenwärtige, von vielen als besonders fortschrittlich wahrgenommene Papst seine aufmüpfigen Untertanen regelmäßig spätestens dann wissen, wenn die sich erfrechen, konkrete Forderungen an den Vatikan stellen.

Fazit

Der christliche Glaube war und ist problemlos mit einer völkisch-nationalistischen Programmatik vereinbar.

Und zwar hauptsächlich wegen der Inhalte der Bibel, die für diesen Zweck nicht mal uminterpretiert werden müssen. Das „Wort Gottes“ wird man nicht los, ohne dass das darauf erbaute christlich-theologische Kartenhaus in sich zusammenfällt.

Wenn es den Bischöfen heute nicht primär um die Rettung des von ihnen vertriebenen christlichen Glaubens, sondern tatsächlich um Demokratie und freiheitlich-humanistische Werte gehen sollte, dann sollten sie konsequenterweise die undemokratische katholische Kirche verlassen und sich auf der Grundlage einer naturalistisch-humanistischen Ethik am besten politisch für Demokratie und freiheitliche Werte engagieren.

Ohne religiösen Glauben könnten sie ihre Glaubwürdigkeit enorm steigern. Klingt komisch, ist aber so.

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3 Gedanken zu „Fundstück der Woche: Völkische und nationalistische Programmatik nicht mit dem christlichen Glauben vereinbar?“

  1. Auch der Kollege unserer drei Bischofsmützen sieht das anders: Kyrill I. hält Putin für „ein Wunder“ und findet das mit dem völkischen Nationalismus auch gut: Die schwulen ukrainischen Satanisten gehören plattgemacht, damit der Osten wieder am russischen Wesen genesen kann …

    Fakt ist: Alles, auch jeder noch so absurde und schreckliche Unfug, ist bestens mit dem christlichen Glauben vereinbar.

    Antworten
  2. Man sollte dem Christentum zugestehen, hinzuzulernen. Insofern wäre ich einverstanden, wenn ein paar Bischöfe sich zu humanistischen Werten bekennen.

    Aber tun sie das tatsächlich? Fast die gesamte Bibel ist ein völkisch-nationales Pamphlet, geradezu durchtränkt mit Hass gegen fast alle anderen Völker. Die Bibel bejubelt ihre Vernichtung und ihre Erniedrigung.

    Die Bischöfe behaupten eine universal gültige Brüderschaft aller Menschen. Das ist eine noble Idee, aber es ist nicht die Idee der Bibel. Mose lehrt uns ausdrücklich, wir sollten niemals (!) Frieden schließen mit unseren Feinden.

    5. Mose 23,7: „Du sollst dich nie und nimmer um einen Friedens- und Freundschaftsvertrag mit ihnen bemühen.“ Oder in der sprachlich moderaten Menge-Bibel: „Sei niemals, solange du lebst, darauf bedacht, ihnen etwas Gutes oder eine Liebe zu erweisen!“

    Auch das Neue Testament ist in weiten Teilen eine judenfeindliche Hetzschrift, allen voran das Johannes-Evangelium: „Ihr aber habt den Satan zum Vater!“

    Wenn die Bischöfe diese abscheulichen Texte verwerfen würden, dann wäre ihre Kritik an nationalistischen Ideen glaubwürdig. Aber sie predigen und glorifizieren die Texte weiterhin. Sie erzählen den Gläubigen stets nur so viel über die Bibel, dass diese die erwünschten Schlüsse ziehen. Exakt das sind die klassischen Methoden der Nationalisten und Populisten.

    Antworten
  3. Die christlichen Kirchen haben sich stets mit den schlimmsten Regimen und Parteien gemein gemacht, die die Weltgeschichte hervorgebracht hat.
    Wer – wenn überhaupt – Widerstand geleistet hat, waren fast immer nur einzelne, kleine, unbedeutende Kleriker, die niemals Unterstützung von oben erhalten haben.
    Und die weltlichen Mächte, die in Kumpanei mit dem christlichen Klerus lebten, waren ausschliesslich auf der faschistischen, reaktionären, erzkonservativen Seite des politischen Spektrums zu suchen und zu finden und sind es in Teilen immer noch. Ein abschreckendes Beispiel war die Colonia Dignidad in Chile unter Pinochet.

    Und warum ist das so?
    Richtig, weil die Strukturen, die Anschauungen und ja, das ganze Wesen der christlichen Religion – und ich rede jetzt nur von dieser – genau das repräsentieren, was auch völkisch-nationalistisch-autokratische Systeme verkörpern.
    Dass heutzutage der hohe Klerus – in Mitteleuropa – Kreide gefressen hat, ist nicht dessen Einsicht zu verdanken und ist nicht dessen Verdienst, sondern ist einzig und allein aus der Not und aus der Opportunität geboren.

    Würde es – aus welchen Gründen auch immer – wieder zu einer Quasi-Reconquista oder einer Art Gegenreformation/Neuevangelisation kommen, wird das Fähnchen entsprechend nach dem neuen Wind gedreht.
    Im Übrigen kann man diese Art des dumpfen, inquisitorischen Obskurantismus und Opportunismus heutzutage immer noch in weiten Teilen Afrikas und Lateinamerikas besichtigen.

    Auch bei uns gibt es noch Fundamentalisten, die in den Startlöchern stehen, um bei der nächsten besten Gelegenheit Seilschaften zu aktivieren und in Stellung zu bringen, die man längst abgeschrieben hatte, allen voran solche Figuren und Vereine wie Kardinal Müller, Opus Dei, Piusbruderschaft, Legionäre Christi etc.

    Ich wiederhole mich (un)gern: „Der Schoss ist fruchtbar noch, aus dem dies kroch.“ Bert Brecht

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