Wenn der Tod zur Selbstinszenierung wird: Das Wort zum Wort zum Sonntag

Lesezeit: ~ 3 Min.

Oder: Warum „Ich feiere total gerne Beerdigungen“ mehr über religiöse Dienstleister verrät als über Trauerkultur

Schöne Beerdigung – Das Wort zum Wort zum Sonntag, verkündigt von Pastoralreferentin Johanna Vering, veröffentlicht am 1.11.25 von ARD/daserste.de

Darum geht es

Pastoralreferentin Vering nutzt den Tod zur Selbstinszenierung, instrumentalisiert persönliche Tragödien und präsentiert religiöse Jenseitsversprechen als alternativlose Trostlösung, statt ehrlich die Endgültigkeit des Todes anzuerkennen und Menschen in ihrer individuellen Trauer zu begleiten.

Johanna Vering beginnt ihr heutiges „Wort zum Sonntag“ mit einem bemerkenswerten Satz: „Ich feiere total gerne Beerdigungen.“

Was folgt, ist ein Paradebeispiel dafür, wie Religion Tod und Trauer vereinnahmt, professionalisiert und letztlich zur Bühne eigener Glaubensüberzeugungen macht.

Die problematische Perspektive

Zunächst fällt auf: Es geht hier primär um die Pastoralreferentin selbst. Sie feiert gerne. Sie erinnert sich an schöne Momente. Sie trägt eine Überzeugung. Die Trauernden erscheinen als Statisten in Verings persönlicher Erzählung religiöser Sinnstiftung.

Diese egozentrische Perspektive ist symptomatisch für ein Grundproblem institutionalisierter Religion: Die Deutungshoheit über existenzielle Lebensereignisse wird beansprucht und zur Selbstbestätigung genutzt.

Der Glaube als Trostpflaster

Besonders deutlich wird die religiöse Vereinnahmung am Ende: Vering „hofft sehr“, sich im Fall eigener Verlusterfahrung „an das halten zu können“, was sie jetzt trägt – nämlich den „Glauben, dass es gut weitergeht und dass das was mit Gott zu tun hat“.

Hier offenbart sich die Grundproblematik religiöser Trauerbegleitung: Statt den Schmerz anzuerkennen und Menschen in ihrer individuellen Verarbeitung zu begleiten, wird eine vorgefertigte Lösung präsentiert. Der Glaube an ein Weiterleben, an einen Gott, der „selbst Leben und Tod erlebt hat“ (eine sogar theologisch zweifelhafte Formulierung angesichts der Trinitätslehre), fungiert als Betäubungsmittel gegen die harte Realität der Endlichkeit.

Die Instrumentalisierung persönlicher Tragödien

Besonders fragwürdig ist die detaillierte Schilderung konkreter Trauerfälle: Thorsten mit Ende 40, der dreijährige Tristan, der eigene Großvater. Diese Menschen und ihre Angehörigen werden zu Beispielen degradiert, die Verigs These vom „schönen“ Abschied illustrieren sollen.

Hat sie die Einwilligung dieser Familien, ihre Geschichten öffentlich zu erzählen? Wollen sie, dass ihr Leid zur Illustration religiöser Sinnstiftung dient? Die unreflektierte Verwendung solcher Beispiele zeigt einen erschreckenden Mangel an professioneller Distanz und Datenschutzbewusstsein.

Rituale vs. Religion

Niemand bestreitet, dass Rituale beim Abschied hilfreich sein können. Die beschriebenen Momente – Geschichten erzählen, ein gemeinsames symbolisches Handeln, Musik – sind wertvolle Elemente der Trauerkultur. Aber sie benötigen keine religiöse Überhöhung.

Eine säkulare Trauerfeier kann all dies bieten: Würdigung des Verstorbenen, Raum für Emotionen, symbolische Handlungen, Gemeinschaft.

Der entscheidende Unterschied: Sie verkauft keine Illusionen über ein „Weitergehen“ oder göttliche Pläne. Sie akzeptiert den Tod als das, was er ist – das Ende eines Lebens –, und würdigt gerade deshalb die Einzigartigkeit und Kostbarkeit der gelebten Zeit.

Anzeige

#wenigerglauben - Turnbeutel Königsblau

Zum Produkt

Religiös glauben - Männer Premium Bio T-Shirt Weiß

Zum Produkt

AWQ - Answers without questions - Männer Premium Bio Hoodie Weiß

Zum Produkt

Die Arroganz der Gewissheit

Verigs „tiefste Überzeugung“, dass es „gut weitergeht“, mag ihr persönlich Trost spenden. Als Botschaft an Trauernde ist sie jedoch problematisch. Sie suggeriert:

  • Es gibt eine richtige Art zu trauern (die religiöse)
  • Wer nicht glaubt, kann keine angemessenen Abschiede gestalten
  • Der Tod ist eigentlich gar nicht so schlimm (weil es ja weitergeht)

Diese Position ignoriert die Realität vieler Menschen, die ohne religiösen Glauben mit Verlust umgehen – oft ehrlicher, weil sie sich dem Schmerz stellen, statt ihn durch Jenseitsversprechen zu relativieren.

Humanistische Alternativen

Eine wirklich humanistische Trauerbegleitung:

  • Respektiert die Endgültigkeit des Todes
  • Würdigt das gelebte Leben ohne metaphysische Spekulation
  • Begleitet Trauernde in ihrer individuellen Verarbeitung, ohne vorgefertigte Antworten aufzudrängen
  • Schafft Raum für alle Emotionen, ohne sie in religiöse Narrative einzubetten
  • Fokussiert auf die Hinterbliebenen, nicht auf die Selbstbestätigung der Begleitenden

Fazit

Johanna Verigs „Wort zum Sonntag“ zeigt exemplarisch, wie Religion auch in säkularen Zeiten versucht, ihre Deutungshoheit über existenzielle Erfahrungen zu bewahren. Die Botschaft ist klar: Ohne Gott, ohne Kirche, ohne religiöse Rituale könne man nicht angemessen Abschied nehmen.

Das Gegenteil ist wahr. Menschen brauchen keine Götter, um würdevoll zu trauern. Sie brauchen keine Jenseitsversprechen, um mit Verlust umzugehen. Sie brauchen Ehrlichkeit, Mitgefühl und den Mut, der Endlichkeit ins Auge zu sehen.

Beerdigungen können und sollen würdevoll, bedeutsam, sogar „schön“ sein. Aber nicht, weil sie religiös sind, sondern weil sie menschlich sind.

KI

Deine Gedanken dazu?

Fragen, Lob, Kritik, Ergänzungen, Korrekturen: Trage mit deinen Gedanken zu diesem Artikel mit einem Kommentar bei!

Wenn dir der Artikel gefallen hat, freuen wir uns über eine kleine Spende in die Kaffeekasse.

Bitte beachte beim Kommentieren:

  • Vermeide bitte vulgäre Ausdrücke und persönliche Beleidigungen (auch wenns manchmal schwer fällt...).
  • Kennzeichne Zitate bitte als solche und gib die Quelle/n an.
  • Wir behalten uns vor, rechtlich bedenkliche oder anstößige Kommentare nicht zu veröffentlichen.

6 Gedanken zu „Wenn der Tod zur Selbstinszenierung wird: Das Wort zum Wort zum Sonntag“

  1. Ja, das war schon immer die Masche der Heilsverkünder,
    warten, bis die Beute am verwundbarsten ist und dann die gierigen Krallen genüsslich ins Fleisch schlagen…

    Gehirnwäsche funktioniert leider nur bei Verzweifelten, geistig Zurückgebliebenen, kleinen Kinder, etc..
    Denn je früher bzw. je verzweifelter man seine Opfer manipuliert um so länger und besser kann man sie ausnehmen und ihnen beliebige Lügen auftischen.

    Am besten man führt die Verzweiflung selbst herbei, indem man schon kleinen Kindern einhämmert, dass sie von Geburt an verflucht, verdorben und sündig sind.
    Dann hält die Täter-Opfer-Beziehung womöglich ein ganzes Leben lang.
    Danach nimmt man sich die nächste Generation vor.

    Antworten
  2. Nur weil es den Tod gibt, dem noch nie je ein Mensch entkommen ist und entkommen wird, um uns zu erzählen, was denn da war, kann die Religion leben.

    Die meisten Religionen sind nichts anderes als verkappte Todeskulte.

    Über das Phänomen Tod haben sich Generationen von Wissenschaftlern, Philosophen und sonstige kluge Menschen den Kopf zerbrochen, aber nur skrupellose Scharlatane haben sich die Unsicherheit und Ungewissheit und vor allem die Angst vor dem Tod zunutze gemacht, um daraus ein Machtinstrument zu basteln. Die Angst vor dem Tod wurde lediglich umgewandelt in eine Angst vor der ewigen Verdammnis, die einem blüht, wenn man ihnen und ihren jeweiligen Sekten/Kirchen nicht gehorchte.

    Frau Vering ist nicht ehrlich und damit auch nicht konsequent: Sie müsste bei den Beerdigungen vielmehr die Ambivalenz des Jenseits in den Vordergrund stellen: War der oder die Verstorbene ein guter Christ/Christin oder doch nicht? Wo kommt er/sie hin, der/die Verstorbene: Himmel, Hölle oder Fegefeuer? Das sind doch die entscheidenden Fragen, die sich für einen Christen am Rande des Grabes stellen sollten. Denn danach richtet sich auch die Intensität des Betens.

    Aber das passt alles nicht mehr in unsere Zeit, sagt sich Frau Vering.
    Das würde in einer aufgeklärten Welt viel Unmut erzeugen, den sie auf jeden Fall vermeiden möchte. Bei ihr gibt es offensichtlich ohnehin nur noch den Himmel.

    Früher gab es immerhin noch den „schönen Brauch“, am offenen Grab schon gleich mal für den Todeskandidaten zu beten, der dem aktuell Verstorbenen als Nächster folgen werde. Aber selbst das verkneift man sich heute. 😉

    Antworten
      • Da vertust du dich.
        Nicht das Fegefeuer wurde abgeschafft, sondern der Limbo/Limbus.
        Das Fegefeuer wurde nur ein wenig runtergedreht. Es ist dort nicht mehr ganz so heiss wie früher. 😉

        Antworten
      • Das ist nicht richtig, das Fegefeuer gibt es nach katholischer Lehre immer noch, zu welchem Zweck auch immer; wer mag, kann sich die Schwurbeleien hierzu gerne selbst zu Gemüte führen. Gerade Anfang November kann man Ablässe (gibt es auch immer noch) erwerben, die die Zeit, die man selbst oder andere – ibs. Verstorbene – dort verbringen müssen verkürzen.
        Ratzinger hat die Spezialhölle für ungetauft verstorbene Kinder (jahrhundertelang unter dem Namen „Limbus Puerorum“ als absolute Wahrheit gelehrt) durch einen sogenannten „Heilsweg“ ersetzt, auf dem die armen Kleinen, vom gerade eben befruchteten Ei (!) über den Embryo bis zum neugeborenen Kind, unterwegs sein sollen wohin auch immer.

        Antworten
  3. Stimmt, ihr habt recht.

    Der Limbus war ja diese altrömische „Bushaltestelle ins Jenseits“, mit unbegrenzter Wartezeit, an der Charon nur vorbeigerudert ist, wenn das Aquädukt auch ausreichend Wasser geführt hat… oder so ähnlich… 😉

    Antworten

Schreibe einen Kommentar

Ressourcen

Gastbeiträge geben die Meinung der Gastautoren wieder.

Wikipedia-Zitate werden unter der Lizenz Creative Commons Attribution/Share Alike veröffentlicht.

AWQ unterstützen

Jetzt einfach, schnell und sicher online bezahlen – mit PayPal.

Wir haben, wenn nicht anders angegeben, keinen materiellen Nutzen von verlinkten oder eingebetteten Inhalten oder von Buchtipps.

Neuester Kommentar