Gedanken zu Was sagt [Sic!]uns der Adventskranz und seine vier Kerzen?, verkündigt von Stadtpfarrer Stefan Buß, veröffentlicht am 20.12.2025 von osthessen.news.de
Darum geht es
Pfarrer Buß vereinnahmt universelle menschliche Werte wie Hoffnung, Freude und Liebe für religiöse Deutungsmuster und untergräbt dabei die menschliche Autonomie zugunsten einer Abhängigkeit von göttlichem Eingreifen.Stadtpfarrer Stefan Buß aus Fulda hat sich Gedanken zum Adventskranz gemacht. Vier Kerzen, vier Wochen, vier Gelegenheiten, existenzielle Fragen mit religiöser Dogmatik zu beantworten. Schauen wir uns diese „Predigt aus Tannen und Licht“ einmal genauer an.
Die Kunst der religiösen Bedeutungsaufladung
Was Pfarrer Buß hier betreibt, ist, wie sollte es anders sein, ein weiteres Beispiel religiöser Projektion: Ein relativ junger Brauch (der Adventskranz wurde erst 1839 erfunden) wird mit tiefgründiger theologischer Bedeutung aufgeladen, als handele es sich um eine jahrtausendealte Weisheit. Vier Kerzen werden zu vier „eindringlichen Fragen“ – dabei sind es zunächst einmal nur: vier Kerzen.
Die eigentliche Frage lautet: Warum brauchen wir eine religiöse Deutungsebene, um Hoffnung, Vorbereitung, Freude und Liebe wertzuschätzen?
Sehnsucht und Hoffnung – oder die Vermarktung menschlicher Grundbedürfnisse
Die erste Kerze steht laut Buß für „Sehnsucht und Hoffnung“. Menschen haben tatsächlich Sehnsucht nach Frieden und Geborgenheit – das ist eine anthropologische Konstante. Aber warum soll diese Sehnsucht nur durch den Glauben an einen Gott erfüllt werden, „der in unsere Welt kommt“?
Die säkulare Antwort ist weitaus ermutigender: Wir Menschen können selbst Licht ins Dunkel bringen. Durch Bildung, Wissenschaft, soziales Engagement, Empathie und Zusammenarbeit haben wir mehr erreicht als durch Jahrhunderte des Gebets. Die Kerze brennt nicht, weil ein Gott es will, sondern weil Menschen Feuer entdeckt und den Umgang damit erlernt haben.
Vorbereitung und Weg – ohne göttliche Überwachung
Bei der zweiten Kerze wird es persönlich: „Was muss in meinem Leben wieder ins Lot kommen?“ Eine durchaus sinnvolle Frage zur Selbstreflexion. Aber warum muss ich dabei glauben, dass „Gott mich ruft“?
Die humanistische Ethik kennt keine göttlichen Rufe, sondern die Fähigkeit zur Selbsterkenntnis und moralischen Autonomie. Wir brauchen keinen himmlischen Aufpasser, um zu erkennen, wo wir Fehler gemacht haben oder wo Versöhnung nötig ist. Im Gegenteil: Die Vorstellung, dass ein allmächtiges Wesen uns „unterwegs finden“ will, infantilisiert erwachsene Menschen und untergräbt ihre Eigenverantwortung.
Freude – aber nur unter Vorbehalt
Die dritte Kerze verkündet Freude. Schön! Aber auch hier wird sofort eine Bedingung geknüpft: „Die Nähe Gottes ist Grund zur Freude.“ Nein, ist sie nicht. Oder zumindest: Sie muss es nicht sein. Schon gar nicht, wenn man die angeblichen Eigenschaften bedenkt, die seine Erfinder dem Christengott angedichtet haben.
Menschen können Freude empfinden ohne religiöse Begründung. Die Freude am Leben, an Beziehungen, an Kunst, Musik, Natur, am menschlichen Miteinander – all das braucht keine theologische Rechtfertigung. Die implizite Botschaft religiöser Rhetorik ist stets: Ohne Gott ist echte Freude nicht möglich. Das ist nicht nur falsch, sondern auch eine subtile Form psychologischer Manipulation.
Liebe – monopolisiert von der Religion
Die vierte Kerze steht für die „Liebe Gottes“. Hier offenbart sich das Kernproblem religiöser Deutungsmuster: Die Vereinnahmung universeller menschlicher Werte. Liebe ist keine Erfindung des Christentums. Sie ist eine evolutionär gewachsene Fähigkeit sozialer Säugetiere, die in unserer Spezies zu besonderer Komplexität gereift ist.
„Gott wird klein, damit wir groß werden können“ – eine poetische Formulierung für eine absurde Idee. Warum sollte ein allmächtiges Wesen überhaupt „klein werden“ müssen? Und vor allem: Warum sollte dieses angebliche kosmische Theater in einem Stall in Bethlehem vor 2000 Jahren eine tiefere Bedeutung für uns heute haben?
Der Kreis ohne Anfang und Ende – oder: Leere Symbolik
Der Kreis des Adventskranzes erzählt laut Buß von der „Ewigkeit Gottes“. Tatsächlich ist der Kreis ein universelles geometrisches Symbol, das in fast allen Kulturen vorkommt – von den keltischen Knoten über buddhistische Mandalas bis zu aztekischen Kalendern. Die christliche Interpretation ist nur eine von vielen, und sicherlich nicht die einzige „richtige“.
Das Grün spricht von „Leben, Hoffnung und Beständigkeit“? Nein, das Grün ist die Farbe von Chlorophyll, das Photosynthese ermöglicht. Dass Tannengrün im Winter Leben symbolisiert, ist nachvollziehbar – aber es sagt nichts über göttliche Wahrheiten aus, sondern über die Anpassungsfähigkeit bestimmter Pflanzenarten an klimatische Bedingungen.
Die eigentliche Botschaft: Abhängigkeit statt Autonomie
Was mich an solchen Texten besonders stört, ist die unterschwellige Botschaft der Abhängigkeit. Jede der vier Kerzen verweist auf etwas Externes: auf Gott, der kommt, der ruft, der liebt, der uns „finden“ will. Die menschliche Autonomie wird systematisch untergraben zugunsten einer Haltung des Wartens auf göttliches Eingreifen.
Die säkulare Alternative ist klarer und ehrlicher: Wir sind selbst verantwortlich für das Licht, das wir in die Welt bringen. Wir müssen nicht auf einen Erlöser warten – wir können selbst handeln, hier und jetzt.
Fazit: Schöne Tradition, fragwürdige Theologie
Ich habe nichts gegen Adventskränze. Sie sind hübsch, schaffen Atmosphäre, und Rituale haben durchaus ihren Wert für das menschliche Zusammenleben – auch ohne religiöse Überhöhung. Was ich kritisiere, ist die systematische Vereinnahmung von Hoffnung, Freude, Liebe und menschlicher Sehnsucht durch religiöse Institutionen.
Diese Werte gehören nicht der Kirche. Sie gehören uns allen – unabhängig von Glauben oder Unglauben. Und sie sind nicht deshalb wertvoll, weil ein Gott sie uns schenkt, sondern weil wir Menschen sie entwickelt, kultiviert und weitergegeben haben.
In diesem Sinne: Zündet eure Kerzen an – aber denkt dabei an die menschliche Vernunft, die das Feuer entdeckt hat, und an die menschliche Solidarität, die Licht in dunkle Zeiten bringt. Nicht durch göttliche Intervention, sondern durch unser eigenes Handeln.

















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