Gedanken zu: Bischof Gerber am 1. Weihnachtsfeiertag: Glaube ist mehr als eine Idee, veröffentlicht am 26.12.25 von osthessen-news.de
Worum geht es?
Bischof Gerber schmückt sich mit humanistischen Werten wie Empathie und Menschenwürde, die seine Institution jahrhundertelang bekämpft hat und die ohne religiösen Überbau besser funktionieren – und nennt das dann Christentum.Die Weihnachtspredigt von Bischof Michael Gerber im Fuldaer Dom bietet ein lehrreiches Beispiel dafür, wie religiöse Rhetorik versucht, sich als moralische Autorität zu inszenieren, während sie gleichzeitig fundamentale Widersprüche verschleiert. Eine nüchterne Betrachtung zeigt: Hier wird mit doppeltem Boden argumentiert.
Der strategische Elon-Musk-Verweis
Gerber beginnt mit einem geschickten rhetorischen Manöver: Er zitiert Elon Musks provokante These, Empathie sei die „fundamentale Schwäche der westlichen Zivilisation“, um sich dann als Verteidiger der Empathie zu positionieren. Das ist billiges Spiel mit einem Strohmann-Argument.
Musk mag viele fragwürdige Positionen vertreten, aber ausgerechnet ein Vertreter der katholischen Kirche sollte vorsichtig sein, wenn er sich als Hüter der Empathie inszeniert. Die Institution, die Gerber repräsentiert, hat jahrhundertelang, nämlich genau so lang, wie sie die Macht dazu hatte, Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert, Frauen systematisch von Ämtern ausgeschlossen und noch heute Opfer sexuellen Missbrauchs oft nicht angemessen entschädigt. Empathie? Und die Ideen, für die sich der Katholizismus gerade zum Beispiel in den USA schon wieder mal zum bereitwilligen Steigbügelhalter macht, haben mit Empathie ebenfalls nichts zu tun.
Die hohle Warnung vor „großen Ideen“
Besonders bemerkenswert ist Gerbers Warnung vor „großen Ideologien des 20. Jahrhunderts“, die den Blick für konkrete Menschen verloren hätten. Er meint damit vermutlich Kommunismus und Faschismus. Was er nicht erwähnt: Das Christentum selbst ist eine solche „große Idee“, die über Jahrhunderte unzählige Menschen dem Ziel der Seelenerrettung und der kirchlichen Macht untergeordnet hat.
Die Kreuzzüge, die Inquisition, die Frauenverbrennungen, die Zwangsmissionierungen, die Unterdrückung wissenschaftlicher Erkenntnisse – all das geschah im Namen einer „großen Idee“: der christlichen Heilslehre. Wenn Gerber also vor der Gefahr warnt, dass Menschen einer Idee „im Weg zu stehen scheinen“, dann beschreibt er exakt die Logik, mit der die Kirche über Jahrhunderte operiert hat.
Und wenn wir mal den Blick über die Mauern des Fuldaer Doms hinaus weiten, dann stoßen wir auch heute noch ausgerechnet dort auf ein aufstrebendes Christentum, wo es zur ideologischen Legitimierung von äußerst problematischen „großen Ideen“ dient. Erstens, weil es genau für diesen Zweck konzipiert ist. Und zweitens, weil es selbst davon profitiert. Win-Win für Demagogen und Klerus, Lose-Lose für die Menschheit.
Der rhetorische Trick mit der „Konkretheit“
Gerber behauptet, das Christentum sei keine bloße Idee, sondern orientiere sich an einem „konkreten Menschen“ – Jesus. Das klingt zunächst sympathisch, ist aber bei genauerem Hinsehen ein argumentativer Taschenspielertrick.
Erstens: Die historische Person Jesus von Nazareth ist uns, sollte sie tatsächlich existiert haben, durch Jahrhunderte religiöser Überformung hindurch kaum noch greifbar. Was wir haben, sind Glaubensbekenntnisse, theologische Konstruktionen und widersprüchliche Evangelientexte. Der „konkrete Mensch“ ist längst zur Projektionsfläche geworden – genau das, was Gerber angeblich kritisiert.
Zweitens: Selbst wenn wir Jesus als historische Person akzeptieren, bleibt die Frage: Warum sollte die Orientierung an einer einzelnen Person vor 2000 Jahren weniger problematisch sein als die Orientierung an einer Idee? Auch Personenkulte können blind machen und zu Fanatismus führen – die Geschichte bis in unsere Gegenwart ist voll davon.
Bedürftigkeit als theologisches Instrument
Gerbers Rede von der „Bedürftigkeit“ des Menschen und der Notwendigkeit, diese anzunehmen, ist klassische christliche Anthropologie: Der Mensch wird als grundlegend mangelhaft konstruiert, um ihn dann auf die göttliche Gnade angewiesen zu machen. Das ist psychologische Manipulation in Reinform.
Aus humanistischer Sicht ist der Mensch nicht primär bedürftig, sondern ein Wesen mit Würde, Autonomie und der Fähigkeit zur Selbstbestimmung. Natürlich sind wir soziale Wesen mit Grenzen, aber diese Erkenntnis braucht keinen religiösen Überbau. Sie ist Grundlage jeder aufgeklärten Ethik und Psychologie.
Empathie ohne Gott
Die zentrale Absurdität von Gerbers Predigt liegt in der impliziten Behauptung, Empathie sei an den christlichen Glauben gebunden oder werde durch ihn besonders gefördert. Die Realität sieht anders aus.
Empathie ist eine biologisch verankerte Fähigkeit, die wir als soziale Säugetiere entwickelt haben. Sie findet sich bei Menschen aller Kulturen und Weltanschauungen – und oft besonders ausgeprägt bei denen, die sich von dogmatischen Systemen befreit haben. Die skandinavischen Länder, die zu den säkularsten der Welt gehören, führen regelmäßig Rankings zu sozialem Zusammenhalt, Gleichberechtigung und Wohlfahrt an.
Gerber behauptet: „Empathie ist im Licht von Weihnachten keine Schwäche, sondern die entscheidende Stärke des Menschen.“ Richtig wäre: Empathie ist im Licht der Evolution, der Neurowissenschaft und der humanistischen Philosophie eine zentrale menschliche Fähigkeit – völlig unabhängig davon, ob jemand an die Jungfrauengeburt glaubt oder nicht.
Die verschleierte Machtstruktur
Was in Gerbers Predigt vollständig fehlt, ist jede Selbstkritik an der Institution, die er vertritt. Er spricht von „Entmenschlichung“ in Kriegen und politischen Machtspielen – aber die katholische Kirche selbst ist ein Machtapparat, der auf Hierarchie, Ausgrenzung und der Kontrolle über Gewissen und Sexualität basiert.
Wenn Gerber von einem „neuen Anfang Gottes mit dem Menschen“ spricht und davon, dass Gott „uns angenommen“ habe, dann perpetuiert er genau die Abhängigkeitsstruktur, die er vorgeblich kritisiert: Der Mensch braucht göttliche Annahme, um sich selbst annehmen zu können. Das ist keine Befreiung, sondern spirituelle Entmündigung.
Die Menschwerdung: Ein mythologisches Massenphänomen
Gerber inszeniert die „Menschwerdung Gottes“ als das Alleinstellungsmerkmal des Christentums, als sei dies eine einzigartige, revolutionäre Idee. Tatsächlich ist das Motiv der Inkarnation – Götter, die in menschlicher Gestalt erscheinen – ein Standardelement in Mythologien weltweit.
In der griechischen Mythologie steigt Zeus regelmäßig zu den Menschen herab und zeugt als Mensch oder Tier Halbgötter. Im Hinduismus sind die Avatare Vishnus – etwa Krishna oder Rama – göttliche Inkarnationen in menschlicher Form. Der ägyptische Pharao galt als lebendige Verkörperung des Gottes Horus. Selbst im Buddhismus gibt es das Konzept des Bodhisattva, der aus Mitgefühl Menschengestalt annimmt.
Wenn also die „Konkretheit“ der Menschwerdung das entscheidende Kriterium sein soll, das das Christentum über bloße Ideen und Ideologien erhebt, dann müsste Gerber erklären, warum das christliche Narrativ wahrer oder wertvoller sein soll als die zahllosen anderen Inkarnationsgeschichten der Menschheit. Alle diese Mythen behaupten von sich, keine bloßen Ideen zu sein, sondern göttliche Realität.
Das Christentum ist in dieser Hinsicht weder originell noch überlegen – es ist einfach eine weitere religiöse Erzählung im großen Katalog menschlicher Gottesfantasien.
Fazit: Schöne Worte, hohle Basis
Gerbers Predigt enthält durchaus Elemente, die aus säkularer Sicht zustimmungsfähig sind: die Kritik an inhumanen Ideologien, die Betonung der Würde des Einzelnen, die Ablehnung von Entmenschlichung. Das Problem ist: All diese Werte brauchen keinen religiösen Überbau. Sie sind das Ergebnis aufgeklärten, humanistischen Denkens, das sich oft gegen kirchlichen Widerstand durchsetzen musste.
Die christliche Verpackung fügt diesen Werten nichts hinzu – sie verwässert sie vielmehr durch die Rückbindung an einen autoritären Glauben, der ultimative Wahrheitsansprüche erhebt und Menschen in Gläubige und Ungläubige teilt.
Echte Empathie, echte Menschlichkeit und echte Ethik gedeihen am besten dort, wo Menschen nicht auf göttliche Gebote, sondern auf ihre gemeinsame Vernunft, ihre gemeinsame Verletzlichkeit und ihre gemeinsame Verantwortung für dieses eine Leben vertrauen. Frohe Weihnachten – auch ohne Bethlehem.

















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