Gedanken zum Beitrag: Christmette: Bischof Gerber predigt über Hoffnung, Würde und Engel im Alltag, veröffentlicht am 25.12.25 von osthessen-news.de
Worum geht es?
Bischof Gerber aus Fulda instrumentalisiert sein persönliches Leid zur religiösen Missionierung und entwertet dabei sowohl die autonome menschliche Würde als auch die säkulare Solidarität, indem er beide als gottabhängig umdeutet.Analyse der Christmette in Fulda mit Bischof Gerber
Am ersten Weihnachtsfeiertag 2025 berichtete osthessen-news.de über die Christmette im Fuldaer Dom, in der Bischof Michael Gerber erstmals nach seiner Krebsdiagnose im Juni wieder öffentlich predigte. Was auf den ersten Blick wie ein mutiger, persönlicher Moment wirkt, offenbart bei genauerer Betrachtung die problematischen Mechanismen religiöser Vereinnahmung menschlichen Leids.
Das Narrativ: Leid als Gotteserfahrung
Gerber schildert seine Krebserkrankung als spirituelle Erfahrung: Eine „Eisschicht“ habe sich über sein Leben gelegt, doch dann habe er ein Tonrelief von Maria und Jesus im Schnee gefunden – ein Zeichen, dass „unter der Eisschicht noch mehr ist“. Die zentrale Botschaft: „Ich erfahre mich als angeschaut von Jesus und von seiner Mutter Maria.“
Kritikpunkte aus humanistischer Sicht:
1. Instrumentalisierung persönlichen Leids
Der Bischof nutzt seine ernsthafte Erkrankung als Verkaufsargument für den Glauben. Statt anzuerkennen, dass Krebs eine biologische Realität ist – Zellmutationen ohne tieferen Sinn – wird die Krankheit zu einer spirituellen Lektion umgedeutet. Diese Deutung mag dem Bischof persönlich helfen, doch in der Predigt wird sie zum allgemeingültigen Muster erklärt.
2. Die problematische „Würde durch Gott“-Botschaft
Gerber verkündet: „Du bist geliebt und gewollt – nicht wegen deiner Leistung, sondern weil du Mensch bist.“ Das klingt zunächst humanistisch. Doch die Botschaft lautet vollständig: Du bist geliebt und gewollt von Gott. Die menschliche Würde wird damit an eine göttliche Instanz gebunden, statt sie als intrinsischen Wert anzuerkennen.
Aus säkularer Sicht: Menschenwürde braucht keine religiöse Begründung. Sie ist Grundlage unserer Verfassung und ethischen Handelns, unabhängig von Glaubensvorstellungen. Die religiöse Verpackung dieser universellen Idee suggeriert, dass Würde ohne Gott nicht existieren könne – eine Botschaft, die Nichtgläubige implizit ausschließt.
3. Das „Engel“-Narrativ: Entwertung menschlicher Solidarität
Besonders problematisch ist Gerbers Deutung der Unterstützung, die er erfahren hat. Briefe, E-Mails, WhatsApp-Nachrichten, aufmunternde Worte – all das wertet er als „Engel-Erfahrungen“. Menschen, die aus Mitgefühl, Empathie und menschlicher Verbundenheit handeln, werden zu Werkzeugen Gottes umgedeutet.
Diese Interpretation entwertet die autonome, säkulare Solidarität. Menschen helfen nicht, weil sie gottgesandt sind, sondern weil sie mitfühlende, soziale Wesen sind. Die evolutionär entwickelte Fähigkeit zur Empathie und die kulturell erworbene Solidarität brauchen keine übernatürliche Erklärung. Gerbers Deutung raubt den Helfenden ihre eigenständige moralische Leistung.
4. Leidensverherrlichung trotz medizinischer Rettung
Die Predigt folgt dem klassischen christlichen Muster der Leidensverklärung: „Der nächste Eisregen kommt bestimmt“, sagt Gerber und verweist auf Jesus‘ Weg „von der Krippe bis zum Kreuz“. Leid wird nicht als etwas verstanden, das es zu vermeiden oder zu lindern gilt, sondern als spirituelle Durchgangsstation, als Test, als Gelegenheit zur Gotteserfahrung.
Dabei verschweigt die Predigt selbst zumindest dem Bericht zufolge die entscheidende Tatsache: Gerber geht es besser, weil Operation, Chemotherapie und Reha erfolgreich waren – nicht wegen Gebeten oder göttlicher Intervention, sondern dank moderner Medizin. Die Nachsorgeuntersuchungen bestätigen den positiven Genesungsweg. Das sind die realen, messbaren Faktoren seiner Genesung.
Doch statt die medizinische Wissenschaft, die Ärzte und Pflegekräfte in den Mittelpunkt zu stellen, konzentriert sich die Predigt auf „Engel“ und eingebildete göttliche Zuwendung. Die Menschen, die durch jahrelanges Studium, Forschung und medizinische Praxis Leben retten, werden unsichtbar gemacht und nur in einem ergänzenden Absatz zur Genesung Gerbers erwähnt. In seiner Predigt präsentiert Gerber religiösen Trost als vermeintliche Hauptquelle der Kraft.
5. Die fehlende Alternative
Nirgends in Gerbers Predigt wird anerkannt, dass Menschen auch ohne Gott, ohne Maria, ohne Engel mit schweren Schicksalsschlägen umgehen können. Säkulare Bewältigungsstrategien – rationale Krankheitsverarbeitung, psychologische Unterstützung, soziale Netzwerke, philosophische Reflexion – kommen nicht vor. Die implizite Botschaft: Ohne Glauben geht es nicht.
Doch unzählige Menschen bewältigen Krebs, Verlust und Leid ohne religiösen Rahmen. Sie finden Kraft in menschlichen Beziehungen, in der Schönheit der Natur, in Kunst und Musik, in der Akzeptanz der eigenen Endlichkeit. Diese säkularen Wege werden durch Predigten wie die Gerbers unsichtbar gemacht.
Fazit
Bischof Gerbers Predigt ist ein Lehrstück darin, wie Religion persönliches Leid vereinnahmt und für eigene Zwecke nutzt. Was als mutiges persönliches Zeugnis präsentiert wird, ist in Wahrheit eine geschickte Missionsstrategie: Die Verletzlichkeit des Redners macht seine Botschaft emotional kraftvoll und schwer angreifbar.
Aus humanistischer Sicht bleibt die Forderung: Menschliche Würde, Solidarität und Resilienz brauchen keine göttliche Legitimation.
Wer einer schwer erkrankten Person schreibt, ist kein Engel, sondern ein mitfühlender Mensch. Und das ist viel mehr wert.
Sie sind intrinsische Qualitäten des Menschen und funktionieren auch – oder gerade – in einer säkularen Welt.
Wir von AWQ.DE wünschen Herrn Gerber eine weiterhin gute und vollständige Genesung.


















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