Pilger der Hoffnung in Betlehem vs. Weihnachten ohne Gott gedacht

Lesezeit: ~ 5 Min.

Gedanken zum Impuls von Stadtpfarrer Stefan Buß: Als Pilger der Hoffnung angekommen in Bethlehem, veröffentlicht am 24.12.25 von osthessen-news.de

Worum geht es?

Mit seinem Weihnachtsimpuls vom Pilger, der in Bethlehem angekommen ist vereinnahmt Stadtpfarrer Stefan Buß universelle menschliche Werte wie Hoffnung, Mitgefühl und Solidarität religiös, obwohl Menschen diese Fähigkeiten aus sich selbst heraus besitzen und keinen göttlichen Überbau dafür benötigen. Und was wurde eigentlich aus Betlehem?

Pünktlich zum Heiligen Abend erreicht uns wieder ein Weihnachtsimpuls aus Fulda – wie immer von Stadtpfarrer Stefan Buß, der uns als „Pilger der Hoffnung“ nach Bethlehem führen möchte. Bei aller Poesie und allem rhetorischen Geschick: Es lohnt sich, diesen Text aus einer säkularen, humanistischen Perspektive kritisch zu betrachten.

Die Aneignung universeller menschlicher Erfahrungen

Buß spricht von Menschen, die „erschöpft vom Lärm der Welt, verunsichert von Krisen, bedrückt von persönlichen Lasten“ sind. Das sind universelle menschliche Erfahrungen – doch umgehend werden sie religiös vereinnahmt: Wir bräuchten „eine Hoffnung, die größer ist als wir selbst“, und zwar ausgerechnet die christliche.

Hier zeigt sich ein klassisches Muster: Menschliche Grundbedürfnisse nach Sinn, Hoffnung und Gemeinschaft werden so dargestellt, als könnten sie nur durch religiösen Glauben erfüllt werden. Dabei beweisen Millionen von säkularen Menschen täglich das Gegenteil. Hoffnung entspringt nicht aus übernatürlichen Quellen, sondern aus menschlicher Solidarität, aus unserem Gestaltungswillen, aus wissenschaftlichem Fortschritt und aus der Kraft zwischenmenschlicher Beziehungen.

Die Verklärung des Schwachen als theologisches Prinzip

Besonders problematisch ist die Romantisierung von Schwäche und Armut: „das Kleine, das Schwache, das Zerbrechliche“ sollen wir entdecken, denn dort mache sich Gott erfahrbar. Die Geburt in einem Stall, die Hirten am Rand – all das wird zum göttlichen Plan verklärt.

Aus humanistischer Sicht ist das zynisch. Armut ist kein spirituelles Ideal, sondern ein Übel, das es zu bekämpfen gilt. Dass ein Kind unter prekären Bedingungen geboren wird, ist keine göttliche Fügung, sondern ein soziales Versagen. Die Hirten waren nicht gesegnet durch ihre Randständigkeit – sie waren gesellschaftlich marginalisiert. Diese Realitäten poetisch zu verklären, statt sie als Unrecht zu benennen, ist bestenfalls weltfremd, schlimmstenfalls eine Rechtfertigung bestehender Ungerechtigkeiten.

Die Selbsterhöhung durch Demutsgeste

Der Satz „Gott glaubt an uns“ ist theologisch gewagt und psychologisch aufschlussreich. Hier projiziert der Mensch seinen Wunsch nach Anerkennung in einen Gott, den er sich selbst erschaffen hat – nur um dann behaupten zu können, dieser Gott glaube an ihn. Das ist eine klassische Zirkellogik religiöser Selbstbestätigung.

Die angebliche Menschwerdung Gottes wird als „größter Ausdruck göttlicher Hoffnung“ gefeiert. Doch welche Hoffnung liegt darin wirklich? Die Geschichte zeigt: Kein göttliches Eingreifen hat je Kriege verhindert, Seuchen gestoppt oder Hungersnöte beendet. Das haben Menschen getan – durch Wissenschaft, Aufklärung, Medizin und soziales Engagement.

Bethlehem ist überall – oder nirgends?

Buß behauptet, Bethlehem sei überall dort, wo Menschen Frieden stiften, einander zuhören, Güte zeigen. Damit säkularisiert er faktisch seine eigene Botschaft: All diese Werte und Handlungen brauchen keinen göttlichen Überbau. Menschen sind aus sich heraus fähig zu Empathie, Hilfsbereitschaft und Güte – nicht weil ein Gott in ihnen wirkt, sondern weil wir soziale Wesen sind, die auf Kooperation angelegt sind.

Wenn Bethlehem dort ist, wo Menschen gut handeln, dann ist der religiöse Überbau überflüssig. Dann können wir auch sagen: Menschlichkeit ist da, wo Menschen menschlich handeln. Punkt. Ohne religiösen Ballast.

Die problematische Botschaft vom „So wie du bist“

„Du musst nicht vollkommen sein, um anzukommen“, verspricht der Pfarrer. Das klingt nach bedingungsloser Akzeptanz. Doch der Kontext zeigt: Ankommen kann man nur in der religiösen Gemeinschaft, vor der Krippe, im Glauben. Die Botschaft lautet also: Du bist nur dann wirklich angenommen, wenn du dich diesem speziellen realitätsfernen Weltbild öffnest.

Echte humanistische Ethik kennt keine solchen Vorbedingungen. Menschen verdienen Würde und Respekt nicht, weil sie sich einem bestimmten Glauben öffnen, sondern einfach weil sie Menschen sind. Kein Gott ist dafür nötig, und schon gar keine Pilgerschaft zu mythischen Geburtsorten.

Was bleibt?

Der Impuls von Stefan Buß ist sprachlich geschliffen und emotional ansprechend geschrieben – was ihn umso problematischer macht. Denn er verschleiert durch poetische Sprache, was im Kern eine weltanschauliche Vereinnahmung ist: Menschliche Sehnsucht wird als religiöses Bedürfnis umgedeutet, soziale Missstände werden verklärt, und die Fähigkeit des Menschen zu Güte und Hoffnung wird einem externen Akteur zugeschrieben.

Weihnachten kann auch ohne diese theologischen Konstruktionen ein Fest sein – ein Fest der Familie, der Menschlichkeit, der Solidarität. Ein Anlass, innezuhalten und über das nachzudenken, was uns als Menschen verbindet. Dafür braucht es keine Pilgerschaft nach Bethlehem, keine göttliche Menschwerdung und keine religiöse Hoffnung.

Es reicht die Erkenntnis: Wir Menschen sind füreinander verantwortlich. Nicht weil ein Gott es so will, sondern weil wir es können – und weil es richtig ist.

In diesem Sinne: Frohe Festtage. Ohne behauptete oder eingebildete göttliche Gnade, aber mit Menschlichkeit.

Nachtrag: Die bittere Realität von „Bethlehem“

Es ist bezeichnend, dass Pfarrer Buß Bethlehem als universellen Ort des Friedens und der Hoffnung beschwört – ausgerechnet jene Stadt, die seit Jahrhunderten Schauplatz religiöser Konflikte war und bis heute unter den Folgen religiös motivierter Gewalt leidet.

Historische Konflikte um die „heiligen Stätten“

Die Geschichte Bethlehems ist durchzogen von interreligiösen Streitigkeiten, die oft genug in Gewalt mündeten. Nach der osmanischen Eroberung 1517 begannen jahrhundertelange Auseinandersetzungen zwischen katholischen Franziskanern und griechisch-orthodoxen Christen um die Kontrolle über die Geburtskirche. Der Streit wurde so bitter, dass er internationale Dimensionen annahm: Frankreich und Russland stritten um den Besitz des Schlüssels zu den Haupttüren der Basilika, und der Diebstahl eines silbernen Sterns aus der Kirche 1847 war einer der Faktoren hinter dem Ausbruch des Krimkrieges.

1877 gerieten armenische und griechisch-orthodoxe Priester in Konflikte über das Reinigen der Kirchenwände und das Auslegen von Teppichen. Bei Weihnachtsfeiern 1860 kam es zu einer körperlichen Auseinandersetzung, die zur Absage der Mitternachtsmesse am Heiligen Abend führte. So viel zum „Haus des Friedens“.

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Die gegenwärtige Situation: Trauer statt Hoffnung

Während Buß von Bethlehem als Ort der Hoffnung und des Lichts spricht, sieht die Realität vor Ort dramatisch anders aus. 2024 feiert Bethlehem das zweite Jahr in Folge ohne Weihnachtsbaum, ohne festliche Beleuchtung, ohne die üblichen Feierlichkeiten – aus Trauer über den Krieg im Gazastreifen.

Die wirtschaftliche Situation ist katastrophal: Die Besucherzahlen sanken von etwa 2 Millionen pro Jahr 2019 auf weniger als 100.000 im Jahr 2024. Der Bürgermeister berichtet von etwa 50 Prozent Arbeitslosigkeit in der Stadt. Viele Familien emigrieren aufgrund der schlechten Lebensbedingungen, sowohl christliche als auch muslimische.

Die religiöse Dimension des Konflikts

Der israelisch-palästinensische Konflikt ist zwar primär ein territorialer und nationaler Konflikt, doch religiöse Narrative spielen auf beiden Seiten eine erhebliche Rolle. Seit Jahrhunderten muslimischer Herrschaft blieb Bethlehems Bevölkerung mehrheitlich christlich – bis der israelisch-palästinensische Konflikt diese Demografie dramatisch veränderte. Die christliche Bevölkerung ist stetig geschrumpft, während Muslime, die weniger Auswanderungsmöglichkeiten haben, inzwischen die Mehrheit stellen.

Bethlehem ist umgeben von israelischen Checkpoints und Straßensperren, wobei die Hauptstraße nach Jerusalem am Rahelgrab abgeschnitten ist. Die Stadt steht seit der israelischen Besetzung 1967 unter Militärverwaltung, und die Bewegungsfreiheit der Bewohner ist stark eingeschränkt.

Die Ironie der Weihnachtsbotschaft

Hier offenbart sich die tiefe Ironie von Buß‘ Weihnachtsimpuls: Er spricht von Bethlehem als symbolischem Ort des Friedens, während das reale Bethlehem unter militärischer Besatzung, wirtschaftlicher Not und den Folgen eines Konflikts leidet, in dem Religion eine nicht unerhebliche Rolle spielt. Die „Pilger der Hoffnung“ finden dort keine Krippe voll Frieden, sondern Trauer, Sperrwände und militärische Checkpoints.

Die Weihnachtsgeschichte selbst – eine Familie auf der Flucht, ein Kind geboren unter prekären Umständen – reflektiert eher die gegenwärtige Situation palästinensischer Familien als irgendeine spirituelle Metapher. Doch während Pfarrer Buß die Armut poetisch verklärt, leiden reale Menschen unter realer Armut und realer Gewalt.

Fazit

Wenn Religion tatsächlich Frieden stiften würde, wie Buß behauptet, dann wäre gerade Bethlehem – eines der heiligsten Zentren dreier Weltreligionen – ein Vorbild für interreligiöse Harmonie. Stattdessen zeigt die Geschichte dieser Stadt, dass religiöse Überzeugungen mindestens ebenso oft Konfliktlinien verstärken wie sie Brücken bauen.

Die Lösung liegt nicht in noch mehr religiöser Symbolik, sondern in säkularen Prinzipien: Menschenrechte, Gleichberechtigung, territoriale Integrität und das Ende der Besatzung.

Frieden entsteht nicht durch Pilgerschaft zu mythischen Geburtsorten, sondern durch politische Lösungen, wirtschaftliche Gerechtigkeit und die Anerkennung der Menschenwürde aller Beteiligten – unabhängig von deren religiöser Zugehörigkeit.

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1 Gedanke zu „Pilger der Hoffnung in Betlehem vs. Weihnachten ohne Gott gedacht“

  1. Der gute Mann kommt ja vor lauter pilgern gar nicht mehr zur Ruhe.
    Ich hoffe mal, jemand hat ihm ein Paar neue Wanderstiefel incl. heiliger Blasenpflaster unter den heidnischen Baum gelegt…

    Ich pilgere jetzt erst mal hoffnungsvoll zum Kühlschrank und mach mir n Bier auf.
    Euch allen wünsche ich ein frohes Fest, egal wann und welches ihr grade feiert!

    PROST! 😉

    Antworten

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